Ludwig Ganghofer
Der hohe Schein
Ludwig Ganghofer

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23

Das wurde ein leuchtender Frühlingstag. Krokus und Himmelsschlüssel blühten schon auf den Wiesen, und unruhig, als hätten sie was zu versäumen, flogen die ersten Schmetterlinge über die Hecken.

Der Hohe Schein mit seiner Schneekuppe und den gelbfleckigen Almen schimmerte am Nachmittag im Glanz der Sonne, als von Mitterwalchen das Wägelchen des Sägmüllers gefahren kam. Bertl kutschierte selbst. An seiner Seite saß die Schwester im schwarzen Kleid. Die Krempe eines flachen Hutes überschattete ihr Blondhaar und die blasse Stirn. Der Sägmüller, als er auf dem Bahnhof dieses Gesicht gesehen, hatte nicht gewußt, ob er erschrecken oder sich freuen sollte. Aus den schmalen Wangen, aus den tiefen, heißen Augen sprach der zehrende Schmerz einer Seele, die von der Zeit nach allem Verlust keinen Trost empfangen. Und doch war dieses Gesicht in Glück und Lachen nie so schön gewesen wie jetzt in diesem sinnenden Ernst, bei diesem erinnernden Schauen. Jeden Baum am Wege, jeden Acker und jede Wiese, jeden Streif der Wälder und jedes Haus, das mit weißen Mauern über die knospenden Hecken lugte, schienen Mathilds Augen und Gedanken zu grüßen wie die Erfüllung einer dürstenden Sehnsucht. Heiße Röte glitt ihr über die Wangen, als zwischen den Stämmen des Weiherwaldes der silberne Teichspiegel aufblitzte. »Ich bitte dich, Bertl, laß mich aussteigen!«

»Das hab ich mir eh schon gedacht. Aber den Gaul kann ich nicht allein lassen. Ich fahr derweil hinüber, wo der Fußweg aus dem Scheidhof herauskommt.«

Mathild erschrak. »Nein! Warte auf der Straße, ich komme zurück.« Sie ging den Fußpfad, in der Hand die Rosen, die sie aus der Stadt gebracht. Und Bertl sah ihr mit stillem Lächeln nach. »Schau nur, man kann sich auch fürchten vor dem Glück!«

Je näher Mathild dem Weiher kam, desto langsamer wurde ihr Schritt. In scheuer Unruh spähte sie durch den Wald. Ein Laut der Freude quoll ihr aus dem Herzen, als sie den Stein erreichte, auf den das Goethesche Lied gemeißelt war. Was der Frühling schon an frühen Blumen gegeben hatte, blühte rings um den Stein: Krokus und Bergaurikeln, Veilchen und Erika. Mathild teilte den Rosenstrauß und legte die Hälfte vor den Stein.

Bertl auf der Straße draußen mußte lange warten.

Als Mathild kam, streckte sie dem Bruder die Hand hinauf. »Ich danke dir, Bertl, weil du Mutters Platz so schön gerichtet hast!«

»Ich? Aber Thilde! Das ist doch Scheidhofer Grund! Wenn ich da einen Spatenstich machen tät, möcht der Scheidhofer schön aufbegehren. Der schaut als Bauer streng auf sein Recht.«

Mathilds Augen erweiterten sich. Sie stieg in die Kutsche, ohne ein Wort zu sagen.

Als das Wägelchen an der grünen Fichtenhecke des Scheidhofes hinfuhr, schimmerte was zwischen dem grünen Gezweig der Hecke: wie zwei Tautropfen war's, die nebeneinander hingen. Hätte einer näher hingeguckt, er würde in die glänzenden Augen eines Mannes geschaut haben, der zitternd hinter der Hecke verborgen stand.

Mit keinem Blick sah Mathild zum Scheidhof hinauf, immer nach der anderen Seite der Straße, über die Wiesen hinaus. Bei der Biegung der Straße blickte sie seltsam erschrocken zu dem Gesicht des Bruders auf. »Wie froh du schauen kannst!«

»Ja, Schwester. Mein Glück will sich wieder bauen. Mutters Lachen und Vaters guter Blick ist über uns.«

Bei der Einfahrt in die Dorfstraße mußte Bertl fast vor jedem Haus halten. Aus allen Gehöften kamen die Leute gelaufen, um Mathilds Hand zu drücken. Jedes fragte: »Gelt, jetzt bleiben S' da?« Auch Sonnweber, der Schöne, kam in schneeweißen Hemdärmeln aus seinem Hof, hielt Mathilds Hände zärtlich zwischen seinen biederen Fäusten und redete zu ihr mit seiner warmen, herzlichen Stimme.

»Wie prächtig Sie aussehen, Sonnweber! Der Winter hat Ihnen gut angeschlagen!«

»Ja, Fräulen! Unser Herrgott hat mir's gut sein lassen. 's Weib is gsund, die Kinder sind brav, und 's Anwesen ruckt in d' Höh. Mir meint er's net schlecht, der gütige Himmel!«

Dann hielt der Wagen vor dem Friedhof, und der Sägmüller bat einen Burschen, das Pferd zu halten.

Die Geschwister traten in den Gottesacker. Statt der Gräber, die sie suchten, fanden sie einen breiten Hügel aus blühenden Veilchen. Mathild sagte dem Bruder jetzt kein dankendes Wort mehr. Diese blauen Kinder des Frühlings kannte sie. Das waren die großblättrigen Veilchen, die im ganzen Tal nur auf einem einzigen Platze wuchsen: auf dem Sonnenhang des Scheidhofes. Wieviel geduldige Mühe mußte das gekostet haben, Stäudl um Stäudl aus dem Grund zu stechen, bis sie ausreichten zu dem blühenden Hügel. Die Luft über den anderen Gräbern hatte teil an diesem hauchenden Wohlgeruch.

Schweigend legte Mathild die andere Hälfte der Rosen in das Blau.

Auch Bertl sprach kein Wort. Erst als sie gingen, sagte er leis: »Heut in der Früh hab ich ihm Vergeltsgott gesagt. Da ist er beim Weiher auf seinem Acker gewesen und hat gesät.«

Mathilds Wangen brannten. Eine bestürzte Erregung war in ihr, als sie zum Wagen eilte, wie erfüllt und gemartert von dem Wunsch, daß die Räder sie forttragen möchten, nur fort!

Die kleine Kutsche kam nicht besonders weit. Vor dem Pfarrhof mußte sie schon wieder halten. Im glanzfleckigen Talar und im Hauskäppl kam der hochwürdige Herr Christian Schnerfer gelaufen, mit ausgestreckten Armen. »Thildele! Mein Thildele! Kindl! Mein Mädele, mein liebs! Gott sei Lob und Dank! Weil du nur wieder da bist!«

Die zitternde Stimme des greisen Pfarrers erschütterte Mathild, daß sie weinen mußte.

»Och du lieber Herrgott!« stotterte Herr Christian Schnerfer, als er diese Tränen sah. »Bertl, fahr zu! Schau, daß das Mädele heimkommt! Die darf sich heut die Augen nicht so verweinen!« Über dieses Wort schien der Pfarrer zu erschrecken. Den gebeugten Greisenkörper an der Kutsche hinaufstreckend, umklammerte er Mathilds Hände. »Aber gelt, Thildele, heut am Abend, da kommt ihr noch auf ein Sprüngl zu mir! Ich hab ein bisserl was richten lassen. Nachher musizieren wir ein Stündl. Das tust du mir heut noch zulieb! Gelt, ja?«

Ohne zu antworten, legte Mathild ihre Wange auf die Hände des Pfarrers, bis Herr Christian Schnerfer lächelte: »Schau, unser Michele will dir auch noch Grüßgott sagen!«

Innerebner reichte ihr die Hand.

Mathild nahm sie und sah ihn an wie einen Menschen, vor dem man raten muß: Wer bist du? Den Blick, mit dem der junge Priester zu ihr aufsah, diesen seltsam freudigen Blick verstand sie nicht.

Als das Wägelchen davonrollte, der Mühle entgegen, fragte Mathild: »War das der Innerebner?«

»Gelt, ja! Mit dem ist ein Wunder geschehen, das sich kein Mensch erklären kann. Und wenn du den erst predigen hörst!«

Mathilds erregte Unruh steigerte sich noch, je näher sie der Mühle kam. Da stand die Sägmüllerin vor der Haustür und wollte dem Wagen entgegenlaufen. Bertl schrie: »Gib Obacht! Jesusmaria! Tu doch ein bisserl Obacht geben! Bleib doch bei der Hausbank, Schatz! D' Schwester kommt schon!«

Geduldig blieb Frau Rosl bei der Haustür stehen. Wie hätte sie tun können, was für ihren Bertl eine Sorge war!

Als Mathild aus dem Wagen sprang und die Schwägerin umarmte, mahnte Bertl in neuem Schreck: »Aber Mädel! Tu mir doch die Rosl net so drucken!«

Da konnte die Müllerin lächeln. Und das Burgele kam mit einem dicken Strauß duftender Bergaurikeln. Bertl nahm die Blumen und gab sie der Schwester. »Schau, Thilde! Das ist von denen, die noch allweil da sind, aber nimmer reden können.«

Schweigend traten sie ins Haus, über dessen Tür ein Kranz aus Fichtenzweigen um ein rotes Willkommen grünte.

Brausendes Rauschen war um die Mühle her. Das tönte wie die Grundbässe einer Orgel. Der Mühlbach führte die Schneewässer, die Föhn und Frühlingssonne da droben losgeschmolzen hatten von den vereisten Felsen. Überall durch die steilen Wälder sah man das schäumende Silber herunterstürzen. Der Mühlbach vermocht die jagenden Fluten kaum zu fassen. Noch strömte das Wasser nicht über die Ufer. Doch wo der Bachlauf eine Biegung machte und die Wellen sich drängten, sprühte der Wasserschaum bis hinauf zu den knospenden Hecken.

Ein Rauschen war's, daß die Geschwister, während sie in der roten Dämmerung mit der langsamen Sägmüllerin zum Pfarrhof wanderten, kaum ein Wort miteinander sprechen konnten.

Es dämmerte schon, als sie in die Nähe der Kirche kamen. Am Pfarrhof waren alle Fenster erleuchtet, und man hörte den Klang einer Geige, die gestimmt wurde. »Da muß auch der Lehrer da sein!« meinte Mathild.

»Freilich! Der wird da sein!« sagte Bertl ruhig. »Er hat im Winter immer mitgetan beim Trio.«

Vor der Haustür empfing sie der hochwürdige Herr. »Grüß Gott, mein Thildele!« Seine Stimme hatte was froh Erregtes. »Jetzt komm nur gleich herein! Die Musikanten sind alle da! Heut spielen wir was Liebes.« Er streichelte ihre Hand und führte sie zur Tür, als wäre das Thildele noch ein Kind und die Pfarrstube das Zimmer mit dem Weihnachtsbaum. Wie hell die Stube war! Ein Dutzend Lampen und Leuchter! Dazu ein feiner Duft von Wachs, als hätte Herr Christian Schnerfer zur Erhöhung der festlichen Beleuchtung ein paar geweihte Kerzen zu Hilfe genommen. Wie rote Gesichter glänzten die mit Tirolerwein gefüllten Glasflaschen auf dem gedeckten Tisch, dessen weißes Damasttuch mit großblättrigen Veilchen überstreut war. Die alte Schwester des Pfarrers in ihrem nonnenhaften Häubchen hatte noch mit dem Tisch zu schaffen, während Innerebner, der Schullehrer und Sonnweber bei den Notenpulten saßen und plauderten. Walter stand bei ihnen. Er sprach kein Wort. Beim Klang der Stimme im Hausflur wurde er bleich und fing zu zittern an. Als die Tür aufging, hatte er's überwunden, war ruhig, und bei Mathilds Anblick glänzte die Freude in seinen Augen. Er wartete geduldig, während sie die anderen begrüßte. Wie lange sie mit dem Sonnweber sprach. Dann wandte sie sich plötzlich zu Walter und reichte ihm die Hand. »Grüß Gott, Herr Doktor! Wie geht es Ihnen?«

In sinnenden Stunden hatte sich's Mathild ausgedacht, was sie ihm sagen wollte bei der ersten, gefürchteten Begegnung. Aber alles Ausgeklügelte war vergessen in diesem Augenblick. Nichts anderes fand sie in ihrer Verwirrung als dieses landläufige, leere Wort. Statt der Worte sprach das Beben ihrer Stimme, das Zucken um ihren Mund, der Schimmer in ihren Augen. Sie hätte ihm ein reicheres Wort nicht sagen können als diese leere Frage: »Wie geht es Ihnen?«

Mit beiden Händen hatte er Mathilds Hand umschlossen, rasch und fest. Ein Gruß wie ein Nehmen! Und lächelnd sagte er: »Ich bin zufrieden.«

Sie wollte ihre Hand befreien. Da sah sie an ihm hinauf und konnte ihre Freude nicht verbergen, als er so sicher und ruhig vor ihr stand, nicht mehr der »bucklige Philosoph«, wie das Walperl gesagt hatte – »Blast man ihn an, so fallt er um!« –, sondern ein festgefügter Mann, breitschultrig, aufrecht und gesund, den schimmernden Bart um die gebräunten Wangen, in den klaren Augen die Freude und das Glück. »Ich muß Ihnen danken!« sagte sie. »Heut auf der Heimfahrt bin ich beim Weiher gewesen. Die schönen Blumen –«

Walter beugte sich zu ihr. »Die sind nur für so lange, bis die Zeit der Levkojen und Reseden kommt.«

Da fiel es mit heißem Schreck in ihr Herz. Nicht das Wort war es, das so wirkte auf sie, sondern der Klang, mit dem es gesprochen war.

Außer den beiden standen noch sieben Menschen in der Stube. Auch diese anderen waren still geworden. Sonnweber und der Schulmeister guckten mit verdutzten Augen drein. Die anderen standen mit frohen Gesichtern, als hätten sie teil an einer schönen, tiefen Freude. »Jetzt her da, Kinder!« brach der hochwürdige Herr das Schweigen. »Wir setzen uns gleich zu Tisch. Daß wir flinker zum Musizieren kommen!« Mathild hatte ihren Platz zwischen dem Hausherrn und dem Scheidhofer. Geschäftig ging der hochwürdige Herr um den Tisch und goß den Rotwein in die Gläser. Dann setzte er sich neben Mathild. »Also, Michele! Schieß los!« Innerebner erhob sich und faßte das Glas. Einfach und ruhig, mit warmem Herzklang in der Stimme, sprach er die Goetheschen Verse:

»Zwischen dem Alten,
Zwischen dem Neuen,
Hier uns zu freuen
Schenkt uns das Glück,
Und das Vergangne
Heißt mit Vertrauen
Vorwärts zu schauen,
Schauen zurück.

Leiden und Freuden,
Jener verschwundenen
Sind die Verbundenen,
Fröhlich gedenk.
O des Geschickes
Seltsamer Windung!
Alte Verbindung,
Neues Geschenk!

Andere schauen
Deckende Falten
Über dem Alten
Traurig und scheu;
Aber uns leuchtet
Freundliche Treue!
Sehet, das Neue
Findet uns neu!«

Eine Weile war es still um den Tisch. Dann streckte Mathild dem Kaplan die Hand hinüber. Und Walter sprang auf: »Ich danke dir, Michael!« Die Gläser klangen zusammen. Bertl küßte seine Frau, der Pfarrer zappelte in quecksilbernem Vergnügen. Nur Sonnweber schaute drein, als hätte er fremde Sprache gehört und keinen Laut verstanden.

Es wurde heiter um den hellen Tisch. Mathild blieb um so stiller, je froher der Scheidhofer plauderte und lachte. In wachsender Beklommenheit saß sie an Walters Seite. Der schien das Ende der kurzen Mahlzeit kaum erwarten zu können. Als der Bürgermeister, dem der gütige Himmel neben anderen schönen Gaben auch einen gesegneten Appetit verliehen hatte, noch ein drittes Mal seinen Teller ausgiebig füllte, trug Herr Christian Schnerfer schon die Kerzen zum Klavier und legte die Noten auf. Jetzt wurde auch der Scheidhofer schweigsam. Und aufgeregt! Immer fuhr er sich mit der Hand durch das kurz geschorene Braunhaar und machte mit den Fingern sonderbare Bewegungen. »Thildele?« fragte der Pfarrer. »Wie wär's denn jetzt mit einer Haydnsonat?« Sofort erhob sich Mathild. Als sie die Achte aufschlug, die des Pfarrers Liebling war, sagte der Hochwürdige: »Nein, Kindl, heut müssen wir eine leichtere packen. Meine Klapperln sind nicht ganz in Ordnung. Spielen wir die Zweite! Magst?«

Mathild schlug im Heft die Sonate auf, während hinter ihr die Stühle gerückt wurden und die Gäste sich vom Tisch erhoben. Rasch überflog sie mit einem Blick die Noten. Ihr Gesicht brannte, ihre Hände zitterten.

»Also, Thildele! Fang an!«

Sie setzte mit dem verzierten Auftakt ein und erlebte was Merkwürdiges. Die Flöte des hochwürdigen Herrn klang heut wie eine ängstlich gespielte Violine. Verwundert blickte sie über die Schulter und sah bei dem Notenpult den Scheidhofer mit der Geige, auf der er gerade eine lange Note recht fein herunterzog. Neben ihm stand der Schulmeister und gab mit Hand und Fuß energisch das Tempo an, und die anderen drängten sich schmunzelnd um den neugebackenen Virtuosen. Für einen Augenblick hatte Mathild den Takt verloren. Während sie weiterspielte, war sie so wenig bei der Sache, daß Bertl lächelnd sagte: »Na hör, Thilde, da merkt man aber nicht viel von dem Schönen, was du in der Stadt gelernt haben willst!« Trotz dieser Mahnung wurde sie im Spiel nicht sicher. Freilich hatte sie auch eine schwierige Aufgabe. Bald mußte sie ein Krescendo leise nehmen, damit man die schwachatmige Geige noch ein bißchen hören möchte, bald wieder mußte sie eine Pianostelle zum Fortissimo steigern, um die wenig melodischen Kratztöne barmherzig zu verschleiern.

Walter geigte drauflos, daß ihm das Gesicht glühte. In der Mitte des Allegrosatzes übersah er die Repetition. Der Schulmeister fuhr mit dem Finger auf die Stelle hin, bei der sich Walter wieder ins Gleichgewicht bringen konnte. Einmal, als er recht bös danebengriff, rief er erschrocken zu Mathild hinüber: »Das Adagio kann ich besser!« Da lachten die anderen, daß man die Geige gar nimmer hörte. Nur Walter blieb ernst. Noch ehe das Adagio begann, zog er die Stirn in Falten und streckte den Körper, als hätte er's dem Bonifaz nachzumachen und einen Baum zu lupfen, dessen Gewicht ihm über die Kräfte ging. Jetzt klang seine Geige nicht übel. Weil er die Verzierungen wegließ, hatte er nur lange Noten zu streichen, und da erwachte es manchmal wie tönendes Leben. Um ihn noch zu ermutigen, pustete ihm der Schulmeister alle paar Takte hinter die Ohren: »Bravo, Herr Doktor! Brav, brav, brav!« Wenn er manchmal eine ganze Note um ein Viertel zu kurz oder zu lange hielt, das schadete nichts. Mathild wußte immer eine klingende Brücke über den Riß zu schlagen und spielte, daß die anderen, den Schulmeister ausgenommen, nimmer auf die Geige hörten, nur noch auf das Klavier. Wie nur dieser alte Kasten plötzlich so klingen konnte! Als gäb' es auch für die Klaviere einen Frühling, der ihnen das alte Leben verjüngt!

»Kindl! Kindl!« Der Pfarrer schlang den Arm um Mathilds Hals. »So hast du noch nie gespielt. Wie viel hast du gelernt!«

Schweigend hatte der Scheidhofer die Geige fortgelegt.

Da blickte Mathild zu ihm auf, mit jenem frohen, ruhigen Lächeln wie einst. »Herr Doktor? Wir haben noch den letzten Satz.«

Walter schüttelte den Kopf. Diese Fahnenflucht des grünen Künstlers meinte der Schulmeister entschuldigen zu müssen: »Wissen S', Fräulein, die Synkopen im dritten Satz, die machen ihm verteufelte Schwierigkeiten. Und so viel hat er sich plagt! Aber mein, die Kunst halt! Da heißt's hart bergaufsteigen! Aber ein kleines Mozarterl haben wir einstudiert, eins von den Flötenquartetten, da spielt er d' Violinstimm tadellos. Kommen S', Herr Doktor! Das machen wir jetzt.«

»Nein!« sagte Walter. »Ich spiele nicht mehr.«

»Aber Herr Doktor!« Der Schulmeister, der als Musikprofessor mit Ehren abschneiden wollte, bekam einen roten Kopf. »Für was haben S' Ihnen nacher den ganzen Winter plagt? Haben S' doch a bißl Kurasch!«

»Die hab ich. Drum spiel ich nimmer.«

Auch die andern wollten ihm zureden. Und Sonnweber meinte lachend: »Riskieren S' es halt! Mehr wie krumm gehn kann's ja net. Dös is a Wahlspruch, mit dem einer allweil durchkommt. Und hintnach kann man lachen. Weil's gut ausgangen is.« Diese leuchtende Lebenserfahrung konnte den renitenten Künstler nicht umstimmen. »Nein! Ich spiele nicht mehr.« Er ging auf Mathild zu und faßte ihre Hand. »Daß ich mich den ganzen Winter geplagt habe, ist wahr. Um Ihnen und mir eine Freude zu machen. Aber wie ich dieses Schöne gehört habe, jetzt, und wie das so wundervoll geklungen hat unter Ihren lieben Händen, da hab ich's gefühlt – nein, Thilde, ich spiele nicht mehr. Was ich kann, ist zu schlecht für dich.«

Erschrocken wollte Mathild sich erheben. Die Glieder versagten ihr. Mit geschlossenen Augen machte sie eine Bewegung, als möchte sie von sich abwehren, was ihr das Herz bestürmte.

»Kinder, tuts mir net streiten!« sagte der hochwürdige Herr, während er flink auf dem Klavierpult die Noten wechselte. »Wenn ich ehrlich sein soll, muß ich gestehen, daß der Walter recht hat. So viel musikalische Einsicht muß belohnt werden. Jetzt spielen wir ihm das erste Trio von Haydn. Das von damals! Den letzten Satz, das glückselige Rondo, hat er noch allweil nicht gehört. Schon ein paarmal hätt ich's ihm gern mit dem Bertl und mit dem Schulmeister vorgespielt. Da hat er sich allweil eingesprissen wie die heimtückischen Sünder, die bloß beim nachsichtigen Kapuziner beichten wollen.«

Die anderen lachten. Nur Sonnweber schien aus diesem Scherzwort etwas Unbehagliches herausgehört zu haben und machte sich verdrießlich mit seiner Pfeife zu schaffen.

Herr Christian Schnerfer schmunzelte. »Weißt du, Thildele, das Rondo mit dem schönen Schlußpunkt möcht er von dir hören!« Er zwinkerte dem Scheidhofer zu. »Gelt, ich hab recht?«

»Ja, Hochwürden! Das will ich heut von der Thilde hören.« Walter setzte sich in die Fensternische, während Bertl schon das Cello zu stimmen begann.

Kein Tropfen Blut war in Mathilds Wangen. Ihre Hände lagen auf den Tasten, so weiß, daß sie sich nur durch den Schatten abhoben von dem bleichen Elfenbein.

Frau Rosl trat neben den Sessel ihres Mannes, der mit ruhigem Strich die Saiten prüfte. Dabei sah er zu ihr hinauf. »Gelt, die Stimmung ist gut?«

»Ja, Bertele! Ganz rein!«

Atemschöpfend setzte der Pfarrer die Flöte an den Mund. »Also, Thildele!«

Sie schien zu erwachen. Wie ein Klang aus weiter Ferne tönte der erste Akkord unter ihren Händen, und mit traumhaft schreitenden Harmonien flossen die klingenden Stimmen ineinander.

Es war die gleiche Musik wie damals und doch ein anderer Klang. Im Ton der Stimmen waren die Worte verschoben. Mathild war an Können gewachsen; aller Kampf, den diese Stunde in ihr Herz geworfen, tönte und zitterte in ihren Klängen. Und Bertls Cello war nicht mehr das Instrument, das mittat, weil es als dritte Stimme notwendig war. In dem braunen Holz war eine Seele wach geworden. Freudig horchte der Pfarrer über das Pult hinüber. Diese Freude war auch ein Kummer für ihn. Er fühlte, daß er mit seiner Flöte in diesem Dreiklang auf die letzte Bank versetzt war.

Walter saß im Schatten der Fensternische und sah nichts anderes als Mathilds Augen und den Schimmer, der in der Kerzenhelle um ihre blonden Flechten war.

Was lebte bei diesen Tönen alles in ihm auf! Das gleiche wie damals und doch ein anderes. Die Schönheit dieses Klanges ergriff ihn wieder in tiefster Seele. Wieder waren die Bilder, die er sah, in jene Farben getaucht, zuerst in ein purpurnes Glänzen und dann, beim Sehnsuchtshauch der dürstenden Triolen, in das leuchtende Blau einer klaren Mondnacht. Wieder wanderte sein Leben an ihm vorüber. Es griff nicht mehr mit quälender Faust nach seinem Herzen. Die Toten kamen: sein Vater mit dem blutgetränkten Bart, die Mutter im rauschenden Seidenkleid, der alte Herr mit den grünen Fäustlingen, das liebe Kerlchen auf der Mühle und das Nannerl mit den träumenden Märchenaugen. Aber diese stumm gewordenen Schmerzen hatten ein stilles Lächeln um den Mund. Und Walters Augen blieben trocken. Ein seltsamer Gedanke befiel ihn. Er mußte das ruhige Schauen dieser Stunde vergleichen mit der Wirkung, die ihm damals an jenem Abend aus diesen Klängen in die Seele sprang. Jetzt war das gläubige, hoffende Glück in ihm, und alle Bilder seines Lebens glänzten. Aber jenes erdrückende Gefühl, jenes tief Erschütternde, der wehe Gram, der ihm damals die Tränen über das Gesicht geschüttet hatte? War das nicht auch ein Schönes? Hat die Träne nicht den gleichen Lebenswert wie das Lachen? Ist das Glück, wenn es mit verschwenderischen Händen schenkt, nicht zugleich ein Dieb, der dem Menschen ein Bestes nimmt?

Ein perlendes Tongewirbel und jubelnde Klänge rissen ihn aus dem Schatten dieses Gedankens. Das Rondo hatte begonnen. Nicht das jagende, atemlos entgleisende Presto war es, wie sie es damals in der Stube gespielt hatten, als er einsam droben saß auf der schwarzen Altane. In diesem Jubel war's noch wie klare Ruhe, wie das Lied eines Glückes, das sich sicher fühlt, wie Freude, die in warmer Sonne steht und der kommenden Nacht gedenkt, doch ohne sie zu fürchten.

Als der letzte fröhliche Klang verstummte, ging durch die Saiten des alten Klaviers noch ein leises Tönen wie das Geflüster einer Windharfe. Mathild legte die Hände in den Schoß. Die Sägmüllerin schmiegte die Wange an das Haar ihres Mannes und sagte: »So viel lieb hat der Herr Pfarr heut blasen!«

»So, so, Rosele? Jetzt tust du mich loben?« Der Hochwürdige nahm die Flöte unter den Arm und zog das blaue Schnupftuch heraus, um sich den Schweiß von der Glatze zu trocknen.

Rosl flüsterte ihrem Mann was ins Ohr. Der warf einen Blick zur Fensternische hinüber, streifte das Schutzleder über das Cello und sagte: »Roserl, spät ist's worden. Jetzt müssen wir heim.« Er holte gleich den Mantel und das Tuch für seine Frau und machte kurzen Abschied. Und merkwürdig, der hochwürdige Herr redete seinen Gästen mit keinem Wörtl zu, noch ein Weilchen zu bleiben. Nur dem Kaplan flüsterte er ins Ohr: »Gelt, Michele, wir schwatzen noch ein bißl?«

Mathild verabschiedete sich von allen. Der hochwürdige Herr strich ihr mit der Hand übers Haar. Zuletzt wollte sie auch dem Scheidhofer die Hand reichen. Der sagte: »Ich gehe mit.«

Vor der Haustür lobte Bertl: »Pünktlich ist er gewesen, der Knecht. 's Wagerl steht schon da.«

Es war eine kühle Nacht, mit ruhig funkelnden Sternen.

Achtsam half der Sägmüller seinem schwerfälligen Frauchen in den Wagen. Dann nahm er dem Knecht die Zügel aus der Hand, setzte sich neben die Rosl und wollte fahren.

»Aber Bertl!« stammelte Mathild.

»Ja so?« Der Sägmüller lachte ein bißchen. »Mädel, mit dem Platz im Wagen wird's ein Hakerl haben. Die Rosl muß kommod sitzen, und ich muß kutschieren. Gibst halt dem Scheidhofer ein liebes Wörtl, daß er dich heimführt. Gelt, Walter, du bist schon so gut?«

»Aber freilich! Die Thilde führ ich heim.«

Das Wägelchen rollte davon. Man hörte den Sägmüller heiter schwatzen, und die Müllerin winkte lachend mit der Hand zurück: »Gute Nacht, Thildele!« Mathild schien die Sprache verloren zu haben. Drum mußte der Scheidhofer antworten: »Gute Nacht, liebe Rosl!« Erschrocken tat er mit der Hand einen Griff, weil Mathild eine Bewegung gemacht hatte, als möchte sie dem Wagen des Bruders nachlaufen oder ziellos hinausjagen in die Nacht.

Da kam ein »Träupl« junger Burschen mit brennenden Pfeifen die Straße her. Trotz der Dunkelheit erkannten sie das Paar und grüßten: »Guten Abend, Fräuln Ehrenreich, guten Abend, Scheidhofer!« Und einer sagte: »Heut habts a feins Nachtl zum Heimweg! D' Stern glanzen als wie im Griechenland!«

Walter antwortete: »Ja, Bub! Dank dir schön für das liebe Wort!«

Mathild, die sonst jeden Gruß der Leute freundlich erwidert hatte, fand keinen Laut. Ihr Schritt war ruhig geworden. Den Hut hatte sie abgenommen und mit dem Band an den Arm gehängt, als ginge sie in schwüler Sommernacht. Immer sah sie die schon dunklen oder noch rot beleuchteten Fenster der Häuser an, während Walter vom Scheidhof redete, von aller Arbeit, die seit dem Sommer geschehen war. Dabei hatte seine Stimme einen heißen Klang. So erzählt man nicht von Halm und Ernte, von Acker und Wald; mit solcher Stimme pflegt man von einem frohen Wunder zu erzählen, dessen Zeuge man gewesen.

Das hörte Mathild an, ohne ein Wort zu sprechen. Bei den letzten Häusern des Dorfes wurde auch Walter still. Der Weg zur Mühle bog von der Straße fort und lenkte ans Ufer des rauschenden Baches. Während die beiden zwischen dem Wasser und der schwarzen Hecke hingingen, spürten sie manchmal auf den Gesichtern etwas wie feinen Regen: den Wasserstaub, den der hoch gestiegene Bach über das Ufer sprühte. wenn seine jagenden Wellen gegen die Steine rannten.

Eine Weile waren sie stumm durch dieses Rauschen gegangen. Da blieb der Scheidhofer stehen. »Thilde! Ich habe die ganze Zeit her darüber nachgedacht, wie ich dir etwas sagen soll, was ich dir sagen muß. Und da fällt mir ein Wort aus dem »Werther« ein: daß der natürlichste Trieb des Menschen das Zugreifen ist. Dieses Buch hast du mir gegeben. Da mußt du dir's auch gefallen lassen, wenn ich von deinem Goethe was gelernt habe.« Er schlang die Arme um Mathild und zog sie an seine Brust.

Erschrocken wollte sie sich befreien und kämpfte gegen die Kraft seiner Arme, bis er lachend sagte: »Wenn du dich auf dem schmalen Weg nicht ruhig hältst, wirst du in den Mühlbach fallen. Dann muß ich dich retten, und du bist aus Dankbarkeit verpflichtet, mich zu nehmen. Da machen wir's doch lieber ohne das kalte Bad ab! Was meinst du?«

Dieses heitere Wort war stärker als der Wille ihres Widerstandes. Walter hielt sie an seiner Brust umschlungen. »Daß du mich lieb hast, weiß ich doch! Und ich, du Liebe, habe kein anderes Denken als dich, kein anderes Leben als mit dir! Immer ist das in mir gewesen seit jenem Morgen auf dem Hohen Schein, als du schlafend in den Blumen lagst. Da hat mein Glück begonnen, mein Leben in der Sonne. Das Lied deiner Mutter, du, dein Vater, ihr habt einen Menschen aus mir gemacht, der dem Schöpfer dankbar ist für jeden Herzschlag. Darf ich dir das vergelten, Thilde? Durch ein Leben in Treu und Liebe? Da mußt du nicht zittern, weil ich von Treue spreche. Wenn eine Stunde kam, die mich irr machte? Glaube mir, Thilde, das war keine Schuld meines Herzens.«

Sie wollte ihm mit der Hand den Mund verschließen und preßte das glühende Gesicht an seinen Hals.

»Nein! Du sollst nicht barmherzig sein! Dich kann es nicht schmerzen, und ich kann lachen drüber.« Die Wange an ihr Haar schmiegend, preßte er sie noch enger an sich. »Dich hab ich geliebt. Nur dich! Und merkte nicht, was in meinem Herzen war! In solchen Dingen hat mich die Eigenart meines vergangenen Lebens dumm erhalten. Aber wie könnte in einem Mann die Liebe sein, ohne daß sein Blut erwacht? Und du – die ich liebte, ohne es zu wissen –, du standest so rein vor meinen Augen, so hoch über allem, was menschlich in mir erwachte! Hab ich da nicht irren müssen? Weil ich dich liebte? Und denke zurück an jenen Abend! Wie schön ist alles gewesen, was diesen Rausch in meine Sinne warf und meinem Blut zwei linke Füße gab! Nur eine einzige Nacht war dieser Irrtum in mir. Am Bett deines Vaters, da hab ich mich wiedergefunden. Und als wir draußen standen in der brennenden Schönheit, Thilde, da hab ich's gewußt, daß ich dich liebe! Nur dich! Und dein Vater starb im frohen Glauben an unser Glück. Diesen Glauben kann doch eine verrückte Stunde nicht auslöschen! Gelt, nein?« Mathild umklammerte seinen Hals. Er küßte ihre Wange, ihre Schulter. »Wie hart hab ich es bezahlen müssen! Eine irrsinnige Minute. Und dafür hab ich einen langen Winter in Sehnsucht brennen müssen! Gott sei Dank, daß du gekommen bist! Länger hätt ich nimmer warten können!« Er hob ihr Gesicht. »Sag mir's, Thilde! Gelt, wir gehören zusammen?«

Sie drängte sich an ihn: »Ach, du!«

Aus allem Glück dieses stammelnden Lautes hörte er noch das Zucken eines kaum gestillten Schmerzes. »So weh hab ich dir getan? Und du? Die Gute, die Kluge? Du hast mir das nicht verzeihen können?«

Sie schüttelte an seiner Brust den Kopf.

»Warum nicht?«

»Weil –«

»Sag mir's, Thilde!«

Zitternd preßte sie sich an ihn. »Warum sollst denn du dich irren dürfen? Ich habe mich doch nicht geirrt! Ich hab mich nur immer nach dir gesehnt.«

Da schlug er die Arme um die Geliebte und hob sie mit ersticktem Lachen an seine Brust. Der jubelnden Freude, die ihm glühend aus Herz und Blut durchs Leben zuckte, waren zwei ernüchternde Grenzen gezogen: rechts die schwarze Weißdornhecke und links der rauschende Mühlbach.

»Walter!« stammelte Mathild erschrocken. Als sie wieder auf den Sohlen stand, war der Scheidhofer richtig schon mit dem linken Fuß in den Bach getappt. Hätte ihn Mathild nicht zurückgerissen auf den festen Boden, so wäre der hellenische Impuls dieses Augenblicks für Walter ohne verschnupfendes Bad nicht abgelaufen.

Jetzt konnten sie lachen. Und gingen schön ruhig das gerade sichere Sträßl.

An der Mühle waren schon alle Fenster dunkel. Die Haustür stand noch offen.

Der Abschied, den die beiden voneinander nahmen, dauerte lang. Dann setzten sie sich neben der offenen Tür auf die Bank. Hand in Hand erzählten sie und plauderten und schwiegen, und fühlten nicht, wie kühl es in der Frühlingsnacht von den Bergen wehte.

Im Dorf schlug immer wieder die große Glocke, in Bertls Stube immer wieder die Kastenuhr. Das hörten sie nicht. Vielleicht weil der Mühlbach so rauschte? Dieser Orgelklang der flutenden Wasser hätte die beiden doch nicht am Sehen gehindert? Sie merkten auch nicht, wie grau es langsam um die Mühle wurde und wie die Sterne am erblassenden Himmel immer feiner blinkten.

Als auf dem Hohen Schein, der weit in der dämmernden Ferne lag, die roten Glutlinien heraufzüngelten über die Säume der stahlgrauen Schneekuppe, erhob sich Mathild und stammelte: »Walter! Ach Gott! Der Tag!«

»Unser Tag! Guten Morgen, liebe Geiß!«

Sie umschlang ihn und küßte seinen Mund. Und sprang ins Haus. An der schweren Tür klirrte der Riegel.

Bei der Brücke, die über den Mühlbach führte, blieb Walter stehen. Als im Oberstock des Hauses ein Fenster hell wurde und auf den roten Scheiben sich ein fein gezeichneter Schatten zeigte, schrie er mit gellendem Laut allen Jubel seines Glückes in die Dämmerung. Das klang, daß es an den Bonifaz und seine »griechische Freud« erinnerte.

Der vulgo Scheidhofer, der einst im Rucksack ein dickes Buch getragen, hatte in dieser Frühlingsnacht das Jauchzen gelernt.


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