Ludwig Ganghofer
Der hohe Schein
Ludwig Ganghofer

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17

Unter dem Geläut der Zwölfuhrglocke stand Bonifaz im Pferdestall des Scheidhofes und schirrte die Rosse auf, die den »griechischen Hamur« ihres Lenkers mit heißem Schweiß hatten bezahlen müssen. »He, Faz«, rief eine Magd, »ich hab dir 's Essen einigstellt.«

»Z'erst müssen d' Roß ihr Sach kriegen.« Er legte den Pferden das Futter vor, und während er ihnen mit einem Strohbüschel die dampfenden Flanken trocken rieb, erging er sich, ganz im Widerspruch zu seiner schweigsamen Art, in lauten Monologen. »Kreuzteifi noch amal! Net mit eim Nasenspitzl hat s' aussigschaut!« Bei der Einfahrt in den Scheidhof hatte er mit der Peitsche geböllert, daß es einen Toten hätte erwecken können. Und wie ein Habicht nach der Schwalbe späht, hatte er nach jedem Fenster der Villa ausgeguckt. Ohne Resultat. »Die muß heut Stöpseln in die Ohrwascheln haben!« Mit dieser wissenschaftlichen Hypothese suchte er eine Regung zu beschwichtigen, die was Neues in seinem Leben war: die Regung eines bösen Gewissens. Da hörte er plötzlich draußen im Hof eine Stimme rufen: »Bonifaz!« Solch eine Stimme hatte auf zehn Stunden in der Runde nur eine einzige. Kichernd sprang er in die Scheune hinaus, im gleichen Augenblick, als das Walperl zum Türl hereinsurrte.

»Jesus, Bub, spann ein und fahr auf Mitterwalchen abi und hol den Dokter auffi!«

»Mar' und Josef! Fehlt dir ebbes?«

»Mir? Geh, du Narr! Unser Herr is verkrankt, und so viel Sorgen tut sich 's Fräulen. Schier net derwarten hab ich's können, bis d' heimkommst mit die Roß. Jetzt schleun dich aber, gelt! Ich muß wieder ummi –« Augenscheinlich hatte sie noch mehr auf dem Herzen. Doch mit schwerem Seufzer wollte sie zum Türl hinaus.

Da erwischte sie der Bonifaz beim Kittel und zog sie in eine dunkle Ecke: »Warum sagst mir denn gar nix?«

Wieder ein Seufzer. »Was soll ich denn sagen?«

»A Wörtl, a liebs!« Sie schwieg. Und da riß er sie an seine Brust. »Du? Tut's dich ebba reuen?«

Das Walperl schmiegte sich fest an ihn und schüttelte den Kopf. »Soll's gehn, wie's mag! Im Leben geht's auch net anders zu als im Immstock: Glück haben, Honig schmecken und z'Grund gehn!«

Bonifaz lachte. »Z'Grund gehn? Du und ich? Na, Schatzl, da spreizen wir uns ein! Am Sonntag sag ich dem Scheidhofer auf. Soll er schimpfen. Was kümmert mich der kranke Lapp, wann's um unser Glück hergeht. ›Da spricht das eigne Herz!‹ hat's gestern beim Göthinger gheißen. Ging's um mich allein, so hätt ich ausghalten im Scheidhof auf Biegen und Brechen. Jetzt geht's um dich. Und sorg dich net, Schatzl! Wird sich schon an kleins Pachtgütl finden für uns. Fünfhundert Mark hab ich. Wieviel hast denn du?«

»Zweihundertvierzehn Mark und vieravierzg Pfennig. Heut in der Fruh hab ich's zählt.«

»Müssen wir halt kleinweis anfangen. Ich rumpel mich schon in d' Höh.«

»Da glaub ich dran!« Sie küßte ihn. »Aber jetzt tummel dich mit'm Einschirren. Ich bring dir nacher 's Briefl ummi für'n Dokter. Und fahr drauf zu wie der Tuifi, daß bald wieder da bist, gelt!« Hinter diesen Rat setzte sie noch einen Kuß als festen Punkt und surrte zur Scheune hinaus.

Während Bonifaz die Pferde schirrte, trällerte er ein heiteres Lied. Daß er für einen Kranken um den Doktor fahren sollte, daran dachte er nicht. Für ihn war das ein Weg wie jeder andere. Sein Glück und Leben war zu gesund, um Raum zu haben für zweckloses Mitleid.

Als die Pferde an der Deichsel des kleinen Wägelchens standen, machte er noch einen Sprung in die Stube, um ein paar Bissen in sich hineinzuwerfen. Der Leib muß auch zusammengehalten werden, nicht nur das Herz. »Sakra, da kunntst ja dersticken!« murrte er, als ihm beim Eintritt in die Stube der schwüle Dunst des geheizten Ofens entgegenschlug, an dessen Kacheln der frierende Scheidhofer die Hände wärmte.

Bei der Mahlzeit hörte Bonifaz nur halb auf das boshafte Gestichel des Kranken. Die paar Tropfen Galle, die dieses vertrocknete Leben noch ausspritzte, liefen am Bonifaz ab wie Wasser am Stein. Schließlich sagte er aber doch: »Bauer, heut hast an giftigen Hamur. Bist ebba net zfrieden mit mir?«

»Ich? Mit dir? Haben tu ich freilich nix von deiner Schafferei. Aber zfrieden bin ich allweil!« Der Scheidhofer kicherte. »Ob der ander auch so zfrieden sein wird mit dir?«

»Was für an andrer?«

»Der hinter meiner kommt.«

»Den derwart ich nimmer.« Eine bessere Gelegenheit zur Aufsage konnte Bonifaz nicht finden. Warum noch warten bis zum Sonntag? Er wischte den Mund ab und erhob sich. »Gscheider, ich sag dir's gleich. Aufkünden tu ich. Über vier Wochen wird marschiert. Schau dich um an andern Fürknecht um! Fleißige Leut gibt's gnug. Pfüe Gott!« Bonifaz steuerte zur Tür, um dem greinenden Verdruß des Bauern auszukommen. Doch verwundert guckte er über die Schulter, als er das vergnügte Gelächter hörte, das der Kranke beim Ofen aufschlug. So lustig hatte der Scheidhofer nimmer gelacht seit jener Zeit, in der er seine drei Buben und sein Mädel noch hatte. »Recht hast, Faz! Mach dich davon! Dös freut mich. Hab ich nix mehr davon, braucht der ander auch nix haben.«

Als Bonifaz draußen war, schoß ihm der Gedanke durch den Kopf: »Der muß am Verkauf sein! Und freut sich, daß der ander an Schaden hat. War's net um 's Madl, jetzt tät ich bleiben.« Kaum saß er auf dem Kutschbock, da kam das Walperl mit dem Brief für den Doktor gelaufen. Der offene Hofraum war für Zärtlichkeiten kein Ort. Drum begnügte sich das Walperl damit, ihrem Buben glückselig nachzugucken, als er auf dem Wägelchen davonrasselte. Auch in ihr war keine Sorge um den Kranken. Die erste Stunde eines frohen Glückes ist für die Menschen wie ein Treibhaus der Selbstsucht.

Beim Zauntor gab's ein Gedränge. Während der Bonifaz hinauskutschierte, wollte ein anderer mit seiner Kutsche herein. In dem behäbigen Herrn erkannte Bonifaz den Notar von Mitterwalchen. Jetzt stimmte die Sache. »Der Scheidhofer verkauft!«

Auch das Walperl sah den Gast kommen und erkannte ihn. »Jesses, jetzt macht der Bauer Testament!« Das war ihr Gedanke. Und daß der Scheidhofer den Bonifaz »einisetzen« würde, davon war sie so fest überzeugt wie von der Tatsache, daß da droben am Himmel die Sonne schien! »Verdient hat er's, mein Bub!« Während sie zurücklief in die Villa, schickte sie ein heißes Stoßgebet ins Blaue hinauf, um den lieben Herrgott zu einer ausgiebigen Erleuchtung des Scheidhofers zu veranlassen. Eben wollte sie in der Küche verschwinden, als Walter über die Treppe herunterkam. Bei seinem Anblick schoß dem Walperl ein jäher Schreck in die Glieder. »Mar' und Josef! Herr Dokter! Heut hab ich ganz auf Enker Fruhstuck vergessen! Und jetzt hat mon schon zwölfe glitten!« Ohne ein Wort zu sagen, winkte Walter mit der Hand, als hätte dieses Versäumnis nichts zu bedeuten. Das Walperl ließ sich nicht beschwichtigen. »Ganz elend schauen S' aus! Aber warten S', ich richt gleich a bißl ebbes! Gelt, dös verübeln S' mir net! Heut in der Fruh bin ich rapplet gwesen!« Auf Kosten der Wahrheit machte das Mädel auf dem Wirbel ihres Glücks einen verzeihlichen Purzelbaum zur Sorge hinüber, die in der Villa eingezogen war. »Heut haben wir alle den Kopf verloren, und 's Fräulen is auch ganz ausanand vor lauter Aufregung.«

»Fräulein Mathild?«

»Ja, weil der Herr über Nacht verkrankt is.«

Walter machte eine Bewegung wie ein Erwachender. »Der Herr Forstmeister?«

Da kam Mathild aus dem Schlafzimmer des Vaters. »Walperl, schicke von den Scheidhofer-Leuten jemand zum Wirt. Wir brauchen frisches Eis.« Sie verstummte, als sie Walter sah. In ihr bleiches Gesicht grub sich ein so weher Ausdruck, daß Walter erschrocken ihre Hand faßte. »Fräulein! Was ist denn mit Ihrem Vater?« Mathild konnte nicht antworten. Einen verzweifelten Blick in den Augen, sah sie zu ihm auf. Dann befreite sie ihre Haud. In einer Anwandlung von Schwäche gegen die Mauer gelehnt, bedeckte sie das Gesicht mit den Händen. »Fräulein Thilde! Ach du lieber Gott! Nein, nein!« Er nahm sie in seine Arme, wie ein Bruder in sorgender Zärtlichkeit die Schwester umschließt. »Was von gestern auf heute kam, das kann doch nicht gefährlich sein! Nur Ihre Sorge sieht das so, Ihre Liebe! Ich bin überzeugt, es ist was Unbedenkliches. Darf ich hinein zu Ihrem Vater?«

Sie wand sich aus seinen Armen und schien ruhiger geworden. »Papa wird sich freuen. Aber lassen Sie ihn nichts von der Sorge merken, die Sie an mir gesehen!«

Walter ging zur Tür und pochte. »Herein!« An der Stimme des alten Herrn merkte man nichts von Krankheit. Beim ersten Schritt in diese weiße, heitere Stube war Walters Sorge schon gemildert. Mit leuchtenden Strahlenbändern fiel die Sonne herein und lag wie Silber auf den Gesimsen der offenen Fenster, durch die der Duft von Mathilds Rosen in das Zimmer hauchte. Der alte Herr im Bett zog lachend den grünen Fäustling über die verkrüppelte Hand und streckte sie dem Gaste hin. »Das ist nett, daß Sie kommen. Ich hab mir schon den ganzen Vormittag immer gedacht –« Was er gedacht hatte, verschwieg er und blickte in das Gesicht des anderen.

Walter umschloß mit beiden Händen den grünen Fäustling. »Was ist denn mit Ihnen?«

»Ach Gott, nichts! Ich muß mir das Knie ein bißl angeschlagen haben. Wann und wo, das weiß ich nicht.« Daß er bei der Nachricht von dem glücklich ausgefallenen Purzelbaum, den das Fritzele in den Mühlbach gemacht, auf Schreck und Freude versucht hatte, mit seinen gelähmten Beinen vom Sofa aufzuspringen, und daß er dabei mit dem Knie gegen das Tischbein gefahren, das war ihm aus der Erinnerung entschwunden. »Das Knie ist ein bißl geschwollen, und manchmal gibt's mir so einen merkwürdigen Stich bis herauf. Na, das wird sich in ein paar Tagen schon wieder machen. Die Geiß, die gute, sorgt sich natürlich. Und je mehr sie's verstecken möchte, desto besser merk ich's. Da müssen Sie mir einen Gefallen tun! Wir plauschen recht lustig, gelt! Damit das Mädel wieder ruhig wird. Flink, Doktor, setzen Sie sich her zu mir, ich hör sie schon!« Nach dem halben Ernst, der in der Stimme des alten Herrn gezittert hatte, schlug er einen heiteren Ton an. »Freilich, Sie sind kein Jäger! Aber das Abenteuer mit dem Fuchs im Brandwald muß ich Ihnen erzählen. Das ist von meinen Jagdgeschichten die drolligste. Da bin ich einmal Fuchspassen gewesen –«

Mathild trat in die Stube, und Walter fing zu lachen an, obwohl er die drollige Geschichte noch gar nicht gehört hatte. Und er konnte lachen. Die Art und das Aussehen des Kranken hatte ihn beruhigt. Ein Glanz, wie er dem Forstmeister aus den Augen leuchtete, war nicht das Anzeichen eines ernsten Leidens.

Ruhig war Mathild in die Stube getreten. Als sie den Vater so lustig schwatzen hörte, warf sie einen erschrockenen Blick auf ihn.

»Also, Doktor, und wie ich so auf dem Baumstock sitze, hör ich plötzlich ein merkwürdiges Gekrabbel. Langsam guck ich mich um. Und da ist der Fuchs hinter mir und wühlt in den Baumstock hinein, aus dem ich sitze! Er hatte da seine Fluchtröhre. Die war ihm unter dem Gewicht meiner zwei Zentner ein bißchen eng geworden. Halb war er schon drin in der Röhre. Und ich, bevor mir noch das Lachen kam, mache flink einen Griff nach seiner Rute! Und hab ihn! Doktor, ich hab ihn! So, bei der Rute! Aber der Fuchs, so flink wie ein Eidechsl, fährt mit dem Gebiß in die Höhe. Da bin ich nicht minder flink gewesen mit dem Loslassen! Und so was von Rennen, wie damals der Fuchs im Brandwald, so was hab ich im Leben nicht wiedergesehen.« Der alte Herr lachte.

Bleich stand Mathild neben dem Bett und ließ die beiden zu Ende lachen. Dann sagte sie: »Verzeihen Sie, Herr Doktor, vom Walperl hab ich erfahren, daß Sie heut Ihr Frühstück nicht bekamen.«

»Was? Doktor?« Der alte Herr hob sich auf den Kissen. Dabei zog er die Brauen zusammen. »Jetzt kann ich mir denken, warum Sie so katzenjämmerlich aussehen! Geiß! Nur flink! Das Essen muß doch schon fertig sein? Deck den Tisch, laß auftragen! Der Doktor muß was bekommen!«

»Nein, Herr Forstmeister, ich danke!« Erschrocken Walter aufgesprungen. »Die paar Schritte bis ins Dorf –«

»Was Ihnen einfällt! Wenn ich sehe, wie gut es beiden schmeckt, bekomm ich auch Appetit. Gelt, Sie bleiben?« Schweigend nahm Walter seinen Platz wieder ein. Wie an Ketten zog es ihn, fort von hier, in das Dorf, in die Nähe des Feuers, das ihm den zündenden Funken ins Blut geworfen. Doch er konnte dem Kranken das Nein nicht sagen, zu dem es ihn drängte. »Na also, Mädel! Du siehst doch, er bleibt!« Der alte Herr warf einen prüfenden Blick auf Mathild, die wortlos aus der Stube ging. Als die Tür sich schon geschlossen hatte, sagte der Forstmeister mit Humor: »Dokterl! Wir zwei sind keine so guten Komödianten wie die im Wirtshaus. Das mit unserem Lustigsein haben wir gründlich verpatzt. Die Geiß ist dahintergekommen. Wir wollen's lassen, Doktor! Und wollen sein, wie wir sind. Das wird sie am besten beruhigen. Und nehmen Sie's der Geiß nicht übel, daß sie heut bei aller Sorge auf ihre Hausfrauenpflicht vergessen hat!« Der alte Herr drückte unter tiefem Atemzug die Schultern in das weiße Kissen.

»Herr Forstmeister? Haben Sie Schmerzen?«

»Schon wieder vorbei. Nur so ruckweise kommt's immer.« Der laue Wind, der um die Fenster spielte, bewegte einen der offenstehenden Flügel ein wenig. Ganz leise klirrte das. »Gel schön ist's draußen?«

»Ein wundervoller Tag!«

Der alte Herr lächelte ein bißchen. »Schau, jetzt hat er's doch getroffen mit dem Wetter! Einen Tag lang hat's ihm freilich das Gras verregnet. Aber was er naß gemäht hat, führt er trocken unter Dach. Ein Schlaumeier, ein alter!«

»Wen meinen Sie?«

Ohne zu antworten, richtete der alte Herr die Augen auf Walter. Das war ein Blick, so herzlich und doch voll Sorge, daß es Walter ganz beklommen zumut wurde. Er fühlte, daß diese Augen ihn fragten: »Du? Bist du der, für den ich dich halte?« Allen Ernst dieses Blickes empfand er, und doch verstand er ihn nicht.

Mathild trat mit Tischzeug ins Zimmer. Sie wollte den kleinen Tisch vor das Bett des Vaters rücken, und Walter sprang auf, um ihr zu helfen. Immer betrachtete der alte Herr die beiden. Als der Tisch gedeckt war, sagte er ruhig: »Geiß! Ich muß dir was abbitten. Die lustige Dummheit vorhin war gut gemeint, aber deiner nicht würdig. Du bist Blut deiner Mutter. Soll ich krank sein, so bin ich es, soll ich gesund werden, so werd ich es. Ob das eine oder das andere? Was kann uns das anhaben? Was Liebe heißt, bleibt ein ewiges Ding.«

Da strich sie dem Vater mit linder Hand die grauen Haarbüschel aus dem Gesicht und küßte ihn auf die Stirne. Und mit großen Augen, betroffen, fast atemlos, sah Walter die beiden an.

– Erinnert euch an jenes Schauspiel »Der Traum ein Leben«, an jene Szene, in welcher Rustan inmitten seines irrenden Taumels als ein halb Erwachender die Glocke der Heimat rufen und mahnen hört! –

So war es auch in Walter. Als hätte ihm die Glocke einer verlorenen Heimat geklungen. Er trat zum offenen Fenster, um seine Erregung zu verbergen, und blieb da stehen, bis ihn Mathild mit leiser Stimme rief, weil das Walperl aufgetragen hatte.

Während sie aßen, blieb er schweigsam. Um so eifriger plauderte der alte Herr, jetzt in einer Laune, deren Heiterkeit nichts Gemachtes hatte. Auch aufs Theater kam er zu reden. »Der Bertl war wie ein Verrückter! Und das Mädel war, ich weiß nicht wie. Aber Sie, Doktor? Von Ihnen hab ich noch kein Wort gehört Wirklich? War es so schön?«

Walter suchte nach Worten. Mühsam brachte er's heraus: »Etwas so Schönes hab ich in meinem Leben noch nicht gesehen, habe gar nicht gewußt, daß es so viel Schönheit geben kann –« Er verstummte. Da wurde Mathild plötzlich gesprächig, als möchte sie ihm zu Hilfe kommen. Sie schilderte dem Vater den ganzen Verlauf der Vorstellung. Jeden Schauspieler, Willy Meister ausgenommen, rühmte sie als Künstler. Mit der gleichen Stimme, mit der sie von Philinens Liebreiz und von der sprühenden Glut in der Darstellung des Orest erzählte, sprach sie von der Kunst der Schauspielerin, in deren Händen die Rolle der Iphigenie gelegen. »Du kannst dir nicht denken, Papa, wie schön dieses Mädchen ist! Und eine Stimme hat sie, die mit dem ersten Wort bezwingt. Wenn sie von der Bühne ging, hat sie mir Leib und Seele mitgenommen. Wenn ich ein Mann wäre – dieses Mädchen müßte ich lieben!«

»Geiß?« Der alte Herr schien irgend etwas an Mathilds bleicher Begeisterung nicht zu verstehen. Und schien den dankbaren Blick nicht zu begreifen, mit welchem Walter an Mathilds Lippen hing.

Da klang von der Veranda die aufgeregte Stimme des Walperls: »Jesusmaria! Fräulein!« Wie aus der Pistole geschossen, kam das Mädel in die Stube gejagt. »Herr Forstmeister! Fräulen! Was ich jetzt bring! Im Scheidhof drüben hockt der Notar. Ich denk mir noch, der Bauer will Testament machen. Aber vor der Haustür hocken d' Ehhalten beinand und stecken die Köpf zamm und sagen mir grad, der Scheidhofer hätt verkauft. Jesses, jesses! Was wird denn da mit uns und mit der Villa?«

»Thilde!« Der alte Herr hob sich aus den Kissen »Da mußt du hinüber –« Betroffen verstummte er. Walter war aufgesprungen; ohne ein Wort zu sagen, rannte er aus der Stube.

Und hinüber zum Scheidhof.

Auf halbem Weg kam ihm der Notar entgegen, lachend, in der Hand einen Akt. »Ich gratuliere! Der Kauf ist perfekt. Eine gute Nachricht kann ich Ihnen auch noch bringen. Weil ich weiß, wie die Bauern fordern, hab ich mich aufs Handeln verlegt und habe noch Zwanzigtausend heruntergedrückt. Für Hundertsechzig hab ich abgeschlossen. Hier ist der rechtskräftige Vertrag und das ersparte Geld.« Mit einer lachenden Verbeugung wollte er Walter den Akt überreichen.

Der zog, mit bleichem Gesicht, die Hände zurück, einen ratlosen Blick in den Augen, im zuckenden Herzen den Gedanken: Nun bist du gebunden, an die Scholle, auf der deine Füße stehen, jetzt, da dieses Neue, Brennende in deiner Seele ist, von dem du nicht weißt, wohin es dich rufen, wohin es dich reißen wird!

»Herr Doktor?« fragte der Notar verblüfft.

Walter fuhr ihn an: »Warum haben Sie mich nicht noch mal gefragt?«

Der Notar schien eine andere Aufnahme seiner guten Botschaft erwartet zu haben. »Da muß ich aber doch bitten – ich habe mich strikt an den Auftrag gehalten, den Sie mir neulich in Mitterwalchen gaben: den Verkauf so rasch wie möglich abzuschließen. Heute früh ist das Geld eingetroffen, das Sie durch Ihr Bankhaus an mich überweisen ließen, und da bin ich sofort herausgefahren. Ich war der Meinung, daß ich mir durch die Minderung des Kaufpreises Ihren Dank verdient hätte. Und da bereiten Sie mir einen Empfang, den ich nicht verstehe.«

Walter kam zur Besinnung. »Verzeihen Sie! Ich habe meinen Kopf nicht ganz beisammen.«

»Ja, Herr Doktor, das seh ich! Wollen Sie jetzt die Güte haben, den Akt zu übernehmen und mir Quittung über den restierenden Betrag auszustellen!«

In der Veranda erledigten sie das, und Walters Hand zitterte, als er vom Notar die Feder zur Unterschrift empfing. Wie hatte er sich das vor wenigen Tagen so schön gedacht! In aller Heimlichkeit sollte der Kauf geschlossen werden. Und mit welcher Herzensfreude wollte er den Augenblick genießen, in dem er lachend zu Mathild sagen würde: »Raten Sie, wer Ihr Nachbar ist!« Und wenn sie vor ihm stünde in ihrem frohen Schreck, wollte er ihre Hände fassen: »Jetzt kann Ihnen nichts mehr genommen werden, nicht Ihr Haus, nicht Ihre Rosen, kein Zweig und Blatt im Garten Ihres schönen Lebens! Wir wollen gute Nachbarn sein, und ich will lernen von Ihnen und Ihrem Vater, will ein Bauer werden, ein froher, schaffender Mensch, ein Lachender unter dem Frieden diesem schönen Himmels.« Ihm war zumut, als läge nicht die Spanne weniger Tage, sondern eine Ewigkeit zwischen jenem Gedanken und dieser Stunde. Um sein Herz legte sich etwas Beklemmendes. Ganz das gleiche Gefühl war's, das er in der Stube empfand, als der alte Herr mit Lächeln gesagt hatte: »Was Liebe heißt, bleibt ein ewiges Ding!«

Als er unterschrieb, fragte der Notar betroffen: »Herr Doktor? Sind Sie krank?« Walter schüttelte den Kopf. Und das Walperl, das wie versteinert unter der Haustür gestanden, schlug die Hände über ihren Zöpfen zusammen und rannte in die Stube. »Fräulen! Jetzt raten S', wer den Scheidhof kauft hat! Enker Herr Dokter!« Draußen in der Veranda hatte sich Walter vom Notar verabschiedet. Er trat ins Haus und wollte zu seiner Wohnung hinauf. Da hörte er die erregte Stimme des alten Herrn: »Doktor! He! So kommen Sie doch herein!« Walter knickte den Akt zusammen und schob ihn in die Brusttasche. Dann trat er in die Krankenstube.

Mathild stand mit blassen Wangen neben dem Bett des Kranken. Der hatte sich in den Kissen aufgerichtet. Das Gesicht brannte ihm vor Freude. »Doktor! Walter! Sie verrückter Philosoph! Sie lieber Kerl, Sie! Ist denn das wahr? Daß Sie den Scheidhof gekauft haben? Und unser Nachbar sind? Und unser – denk nur, Geiß, unser Mietsherr ist er ja auch! Dokterl? Ist denn das wahr? So reden Sie doch ein Wörtl!«

Walter nickte.

»Wahr ist's! Wahrhaftig! Geiß!« Unter Lachen umklammerte der alte Herr die Hand seines Kindes. »Mädel? Was hast du denn? So lach doch und freu dich! Jetzt bleibt er bei uns. So schau ihn doch an! Unser Hausherr! Gib acht, der wird uns kündigen, wenn du nicht nett bist. Oder meinst du, da ist was gut dafür, daß er uns kündigt?« Mitten in seinem herzlichen Lachen wurde er ernst und kleinlaut. »Doktor? Um Gottes willen! Haben Sie denn so viel Gerstl, daß Sie einen solchen Besitz kaufen können?«

»Es hat gereicht!« sagte Walter.

»Wie Sie's gemeint haben, weiß ich. Damals auf der Weiherwiese, wie die Welträtsel ins Wasser flogen, da haben Sie das beschlossen. Gelt, ich hab recht? Und verstehe, warum Sie's vor uns verschwiegen haben. Weil es für das Mädel und für mich eine liebe Überraschung geben sollte. Klüger war's aber doch gewesen, Sie hätten sich mit mir besprochen. Ich hab eine Todesangst. Der Scheidhofer, der alte Fuchs, hat Sie doch sicher hereinsausen lassen! Doktor? Haben Sie mehr wie Hundertdreißigtausend bezahlt?«

Walter schüttelte den Kopf. »Beruhigen Sie sich! Der Notar hat viel günstiger abgeschlossen.«

»Gott sei Lob und Dank!« Der alte Herr atmete erleichtert auf und fiel doch in die Kissen zurück, als wäre seine Kraft zu Ende. »Jetzt kann ich mich erst freuen! Was Sie da gemacht haben, bleibt noch immer ein verrückter Streich. Aber weil Sie nur keinen Schaden haben! Da muß der Scheidhofer zum erstenmal in seinem Leben als anständiger Mensch gehandelt haben.« Während er in Schmerz die Brauen zusammenzog, lachte er vergnügt vor sich hin.

Mathild, in Sorge, beugte sich über ihn. »Papa, ich bitte dich, du sollst dich nicht so erregen!«

Er strich ihr mit dem grünen Fäustling übers Haar. »Ach, geh doch! Weißt du denn nicht, daß es keine bessere Medizin gibt als Freude?« Lachend schob er sie mit dem Arm beiseite. »Doktor! Jetzt her da zu mir! Sie Wickelkind von einem Bauern! Jetzt werden Sie mit guten Ratschlägen gefatscht. Gott sei Lob und Dank, jetzt kann ich Ihnen noch raten! Helfen muß Ihnen der Bonifaz. An den müssen Sie sich anhängen. Wie der schlechte Schwimmer an den Balken! Oder Sie tauchen hinunter mit dem Scheidhof!« Er nahm den Kopf zwischen die Fäustlinge. »Gott sei Dank, daß der Bonifaz da ist! Der wird ziehen wie ein Roß, wenn es Haber hat. Wie Sie sich stellen müssen mit den Leuten im Dorf, mit dem Gemeinderat, mit dem Bezirksamt, das alles kann ich Ihnen sagen. Na, und mein Bertl ist auch noch da. Und der Sonnweber! Den mach ich Ihnen zum Freund. Den laß ich heut noch holen. Sonst kann ich Ihnen auch noch manchen guten Rat geben. Mit dem, was ich am besten verstehe, fangen wir gleich an. Mit dem Wald. Flink, Mädel! Hol mir den Wirtschaftsplan, den ich damals für den Scheidhofer gemacht habe!«

»Papa!« Mathilds Stimme klang erloschen. »Ich bitte dich –«

»Ach was! Das ist nicht die Stunde, um an mich zu denken! Geh, liebe Geiß, hol mir das Heft!«

Sie warf einen hilfesuchenden Blick auf Walter. Der faßte die Hand des alten Herrn. »Wir wollen das auf einen Tag verschieben, an dem Sie wieder wohl sind. Sie sollen sich um meinetwillen nicht so erregen! Und Fräulein Mathild sorgt sich –«

»Das Mädel? Um mich? Gott bewahre! Die weiß doch auch, daß Sie auf ein Schiff gesprungen sind, das Sie nicht steuern können. Und weiß, warum Sie's getan haben. Aus Anhänglichkeit an uns! Und da trauen Sie dem Mädel zu, es soll mir raten: den lassen wir jetzt im Stich, weil dich das Knie ein bißl juckt!« Der alte Herr lachte. »Nein, Dokterl! Da müssen Sie die Thilde noch besser kennenlernen. Gelt, Kind? Jetzt lauf, liebe Geiß, und hol mir das Heft!«

Mathild eilte aus der Stube. Und Walter mußte gleich das Walperl rufen und helfen den Tisch abräumen, damit man die Pläne ausbreiten konnte. »So, Kinder«, sagte der alte Herr, als Mathild das Heft brachte, »nun setzt euch her zu mir! Sie, Dokterl, passen mir schön auf! Was ich Ihnen da verzapfe, ist frisches Blut für den Scheidhof. Und du, Mädel, gib mir immer her, was ich brauche. Zuerst den Katasterplan!«

Der Plan wurde aufgelegt. Mit Eifer begann der Forstmeister den Verlauf der Waldgrenze zu erörtern und dabei zu zeigen, wie sich der Besitz durch Kauf oder Umtausch günstig arrondieren ließe. Da gab's für ihn eine verdrießliche Störung. Man hatte das frische Eis gebracht, und der alte Herr wollte sich die Minute nicht nehmen lassen, die Mathild verlangte, um den kühlenden Umschlag zu erneuern. Walter bezwang diesen Widerstand, indem er aus der Stube ging und erklärte, nicht früher wiederkommen zu wollen, bevor ihn Mathild nicht zurückriefe.

Während er im Duft der Rosen und im Glanz des herrlichen Tages vor der Veranda stand und hinüberblickte zu dem spitz gegiebelten Dache, das jetzt sein eigenes war, kämpfte in seinem Innern ein seltsamer Widerstreit von Gefühlen. In Verwirrung stand er dem »Narrenstreich« gegenüber, den er da gemacht hatte. Seinen Ärger über die Schlauheit, mit der ihn der Scheidhofer beim Verkauf betrogen, überwog noch das Gefühl der Bitterkeit, eine so häßliche Enttäuschung gerade an einem Menschen erleben zu müssen, dem er offen alle Herzlichkeit einer mitfühlenden Seele geboten hatte. Doch neben diesem Quälenden war etwas in seinem Herzen, wie eine warm erkeimende Freude. Er fühlte das und verstand es nicht. Auch kam es ihm nicht zum Bewußtsein, daß noch etwas anderes, Unerklärliches in ihm geschehen war: jener dürstende Aufruhr, der ihm das Blut erfüllt hatte, war still geworden.

Als ihn Mathild rief, nahm er die Stufen der Veranda mit einem Sprung.

»Sehen Sie nur, Dokterl, wie mich die Thilde hergerichtet hat! Ein Kilo Eis übers Knie, und ein Pfund noch auf den Verstand!« Lachend rückte der alte Herr den weißen Turban zurecht, der seinen grauen Kopf umwand. »Sie meint, ich hätte Fieber. Das ist nur die Freude, die so heiß ist in mir! Und weil ich jetzt um Ihretwillen ein kühles Hirnkastel dringend nötig habe, will ich mir den kalten Turmbau gefallen lassen. Also weiter im Text!« Eine Stunde sprach der alte Herr immer zu. Walter, der anfangs zerstreut war, begann immer aufmerksamer zu lauschen, während ihm der Forstmeister die Beschaffenheit aller Waldbestände des Scheidhofes schilderte und den Plan entwickelte, wie alles zu bessern wäre. Auf die Dauer wurde dem alten Herrn das Sprechen schwer.

Mathild, die keinen Blick vom Vater verwandte, sagte plötzlich mit scheuem Flehen: »Papa! Das alles hast du doch aufgeschrieben.. Der Herr Doktor könnte doch –«

»Daß er lesen kann, weiß ich. Und Welträtsel sind das keine. Aber alles mündlich Erledigte wirkt überzeugender.«

»Dann laß mich vorlesen! Wenn du nur deine Bemerkungen machst, so brauchst du doch nicht so viel zu sprechen.«

»Ja, Herr Forstmeister!« fiel Walter ein. »Lassen Sie Fräulein Mathild lesen!«

»Na also!« Der alte Herr legte sich in die Kissen zurück, so vorsichtig, als wäre ihm jede Bewegung ein Schmerz. »Fang an, Geiß! Auf Seite zwölf, bei der Aufforstung der Kahlschläge. Das ist das Wichtigste, lieber Doktor! Das ist die Zukunft Ihres Waldes, der Wald Ihrer Kinder und Enkel!«

Mathild begann zu lesen. Und Walter dachte: wie stark muß ihr Wille sein, daß sie bei aller Sorge, die in ihren Augen bangt, die Stimme zur Ruhe zwingen kann.

Der alte Herr sprach jetzt nicht weniger. Zu jedem Satz, den Mathild las, hatte er ausführliche Bemerkungen zu machen. Lachend sagte er einmal: »Das mit dem Vorlesen war eine famose Idee. Da fällt mir noch immer das Bessere ein.« Und als er merkte, daß Walter alles mit Verständnis erfaßte, kam der alte Herr in so heitere Laune, daß auch in Mathild die quälendste Sorge sich beschwichtigte. Wie klang jetzt ihre Stimme leicht und froh! Das war Ruhe, zu der sie sich nimmer zu zwingen brauchte. Mit einem Laut der Freude sprang sie zum offenen Fenster, als gegen fünf Uhr das Wägelchen, in dem der Doktor kam, vor der Veranda über den Kiesplatz rollte. Das Walperl war schon auf der Lauer gelegen und stand beim Wagen, noch ehe Bonifaz die dampfenden Pferde zum Stehen brachte. Der Doktor, in der Hand eine lederne Tasche, sprang herunter, ein Dreißiger, in Kleidung und Aussehen ein bißchen verbauert, mit einem ernsten und klugen Gesicht. Stumm grüßend ging er auf Mathild zu, die ihm von der Veranda entgegenkam.

Während Bonifaz die Pferde zum Scheidhof hinüberführte, ging das Walperl neben ihm her. Um die Erregung loszuwerden, die in ihr brannte, kniff sie den Buben in den Arm. »Du? Weißt es schon, was passiert is?«

»Was?«

»Der Scheidhofer hat verkauft.«

Bonifaz zögerte mit der Antwort. »In Gotts Namen! Soll's ihm graten sein!«

»Aber rat, wer den Scheidhof kauft hat?«

»Mein Hof bist du. Was geht mich 's ander an?«

Im Walperl weckte dieses Wort nicht den Dank, den es verdiente. Beklommen sah sie am Bonifaz hinauf. »Derschrick net, Bub! Der Herr Dokter hat ihn kauft.«

»Was?« Bonifaz riß die Augen auf. »Wer?«

»Unser Herr Dokter!«

»Mar' und Josef! So a Narr!« Der Knecht tat einen schwülen Atemzug. »Der derbarmt mich!«

»Gelt, der schwimmt abi mit'm Scheidhof!«

»Freilich schwimmt er. A braver Mensch! Aber der weiß ja net, wo d' Nacht aufhört und der Tag anfangt.«

»Und so viel gut hat er's gmeint mit uns!« Dem Walperl schoß das Wasser in die Augen.

Bonifazius Venantius Gwack fuhr sich mit der Hand hinter die Ohren. »Himmel, Herrgott, Sakra! Jetzt hocken wir schön da!«

»Gelt ja!«

Warum sie »schön dahockten«, brauchten sie nicht auszusprechen, weil sie alle beide das gleiche dachten. Es gibt Menschen, die sich, wenn sie einen schlechten Schwimmer ins Wasser plumpsen sehen, nicht erst besinnen müssen, ob sie nachspringen sollen. Zwei solche Menschen waren der Bonifaz und das Walperl.

»Was meinst, Bub?« fragte das Mädel nach einer sinnierlichen Weile. »Wie machen wir's denn?«

»Dös muß ich erst überlegen. Jetzt muß ich d' Ross' in Stall einiführen. Dö schwitzen. Ich kann doch unserm Herrn zum Einstand d' Ross' net verkühlen lassen!«

Drüben in der Veranda hatte Mathild dem Doktor alles berichtet, was er wissen mußte. Er nickte. »Gut haben Sie's gemacht, Fräulein! Ich hätt Ihrem Vater nichts Besseres verordnen können.« Mathild atmete erleichtert auf. Dann traten sie in die weiße Stube. »Na, Herr Forstmeister, schnackelt's wieder ein bißl?« fragte der Arzt mit einer Heiterkeit, zu der sich sein ruhiger Ernst beim ersten Schritt in das Krankenzimmer verwandelt hatte. »Aber schlechteres Wetter hätt ich mir zum Kranksein ausgesucht. An einem Tag wie der heutige soll man doch nicht im Bett liegen. Herrgott, ist das eine wunderbare Fahrt gewesen da herauf!« Er grüßte Walter, setzte sich aus Bett, und während er den Puls des Kranken fühlte, schilderte er in munterer Laune die schöne Fahrt. Je länger er plauderte, desto mehr heiterte sich in Mathilds Augen die Sorge auf. »Jetzt müssen Sie mich mit meinem Patienterl ein bißl allein lassen, beim Untersuchen hab ich gern die Ellbogen frei.«

Während Mathild dem Vater noch die Kissen bequemer richtete, ging Walter aus der Stube. Auch auf ihn hatte dieses heitere Geplauder wie eine Beruhigung gewirkt – ein Arzt, der eine Gefahr sieht, kann doch nicht von einer schönen Spazierfahrt schwatzen!

Ein wohliges Gefühl erfüllte ihn, als er draußen zwischen den blühenden Rosen stand. Jetzt zog es ihn auch zum Scheidhof hinüber. Er wollte unter das Dach treten, das sein eigen geworden. Auch diesen merkwürdigen Fuchs von einem Bauer wollte er sich ansehen. Ob der Forstmeister nicht doch übertrieben hatte? Ein Bauer, der seinen Besitz verkauft, wird doch den Käufer nicht gleich um Fünfzigtausend überfordern! Gibt es schon Menschen, die betrügen, so müssen sie bei ihrem Betrug doch einen Vorteil sehen. Aber der Scheidhofer? Dieser müde Sänger des traurigen Lebensliedes mit dem ewigen Refrain: »Was hab ich davon?« Warum sollte der ihn betrogen haben? An den Bau einer Kirche hat er im Ernst wohl nie gedacht, hat im Leben für keinen Menschen mehr zu sorgen und hat nur noch die paar Groschen nötig für die zehn Bretter seines Sarges. Weshalb sollte der noch betrügen? Freilich, daß er sich vom Notar die Zwanzigtausend hatte abhandeln lassen, das duftete nicht nach redlichem Geschäft. Aber so schlimm, wie der alte Herr geschätzt hatte, kann's doch unmöglich sein. Der sagte: hundertdreißig. Der Notar hatte hundertsechzig bezahlt. Da wird die Ziffer des wirklichen Wertes in der Mitte liegen. Diese Rechnung verflüchtigte in Walter jede letzte Spur von Ärger. Und die Freude, die ihm aus den Augen des alten Herrn entgegengeleuchtet hatte, so warm, so herzlich! Und Mathilds Rosen! Die schöne Lebensruhe dieser beiden! Die Sicherheit, daß Mathild ihr frohes Leben nicht verlernen mußte! Wie kostbar war ihm dieser Gewinn! Er, und betrogen? Nein! Das war ein guter Kauf, den er geschlossen hatte.


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