Ludwig Ganghofer
Der hohe Schein
Ludwig Ganghofer

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11

Die Nachmittagssonne hatte schon Gold in ihrem Feuer, als Walter am anderen Tage von Mitterwalchen zurückkehrte. Wo die steile Waldstraße sich durch die Schluchten heraufwand ins offene Tal, stieg er ab und schickte das Wägelchen, das mit vielen Paketen beladen war, nach Hause, während er selbst dem Hohen Schein entgegenwanderte. Schon von weitem sah er zwischen den Bäumen das weiße Band des neuen Weges leuchten.

Der Moosjäger, der es so wenig genau mit den Gesetzen der menschlichen Gesellschaft genommen hatte, schien bei der Arbeit ein Pedant zu sein. Der neue Weg war so glatt besandet wie der Flöz vor einem Bauernhause, in dem man auf Reinlichkeit hält. Walter merkte kaum, daß es aufwärts ging. So behaglich machte sich aus den sanft geschwungenen Serpentinen das Wandern. Eine halbe Stunde war er schon gestiegen, und noch immer nahm das weiße Band kein Ende. Daß ein einzelner Mensch in einer kurzen Woche solch ein Übermaß von Arbeit leisten konnte? War das möglich? Endlich hörte Walter den Schlag des Steinhammers. Der Moosjäger stand in dem ausgetrockneten Bett eines Wildbaches und hämmerte am Felsrand das Lager für die Balken der kleinen Brücke auf, die er über die Steinschlucht legen mußte. Walter betrachtete mit Wohlgefallen das Bild dieses rastlosen Fleißes. »Grüß Gott, Moosjäger!«

Mertl blickte auf. »Jesses, mein Dokter!« Er schwang sich aus dem Felsloch heraus und wischte an den Hüften die Fäuste ab. »Dös freut mich aber!«

Sie reichten sich die Hände. Dann sahen sie einander verwundert an, und lachend schüttelte jeder den Kopf über die Veränderung, die er am anderen gewahrte. Der Moosjäger trug noch immer das gleiche Zeug wie damals im Wirtshaus. Diese Woche der Arbeit und die Nächte auf der Reisigpritsche hatten das Hemd und die Hose des Mertl – sein Janker hing an einem Baum – sehr übel zugerichtet. Der rote Bart und das angegraute Schwarzhaar starrte so struppig durcheinander wie damals. Aber aus diesem Haarwust lachte ein sonnverbranntes Gesicht heraus, mit den ruhigen Augen eines Menschen, der das Gleichgewicht seines Lebens wiedergefunden. An Walter hatte sich nicht nur der Kern, auch die Hülle seiner Lebensnuß verändert. In Mitterwalchen hatte er sich einen Anzug beigelegt, der an die Tracht des lustigen Sägmüllers erinnerte: Beinkleider aus grauem Loden, eine grüne Weste und eine leichte Joppe mit Lederknöpfen. Dazu feste Schuhe mit blinkenden Kappennägeln. Und auf dem kurz gestutzten Braunhaar trug er ein grünes Hütl mit kleinem Federstoß. Wie schmuck ihn das kleidete! Dazu das lachende Gesicht, die frohen Augen! Der Moosjäger sagte das gleiche Wort wie die Kellnerin: »Gut schlagt's Ihnen an, d' Langentaler Luft!«

»Und Ihnen die Arbeit!«

»Ja! Wie mehr ich mich einigschwitzt hab ins Tagwerk, um so wohler hab ich mich gspürt. Und was sagen S' zum neuen Weg? Sind S' zfrieden, Herr?«

»Mehr als zufrieden. Ich begreife nicht, wie Sie in der kurzen Zeit soviel fertigbrachten.«

»Von fünfe in der Fruh bis um achte auf d' Nacht, da geht schon a bißl ebbes füranand.« Prüfend guckte der Moosjäger durch den Wald hinauf. »In vier Wochen bin ich droben auf der Alm.«

»Vier Wochen? Und der Bürgermeister sagte mir, daß da vier Leute den halben Sommer Arbeit hätten?«

»Wann einer zwanzgmal schaut, bis er sich umdreht, kann er d' Arbeit strecken wie a Gummischnürl. Und der Herrschaft stiehlt er 's Geld aus'm Sack. Aber kommen S', da drüben steht mein Hüttl. Da heimgarten wir a Viertelstündl, und ich mach derweil Brotzeit.«

Nicht weit vom neuen Wege stand die kleine, mannshohe Reisighütte, im Schutz einer mächtigen Fichtengruppe, neben der ein dünnes Wässerlein talwärts rieselte. Im Dunkel der Hütte sah man eine plump gezimmerte, mit Laub und Moos belegt Pritsche. »Da lieg ich gut!« sagte Mertl. Dann deutete er auf eine Stange, hinter der an der Reisigwand eine eiserne Pfanne, ein Tonkrug und zwei irdene Töpfe befestigt waren. »Dös is mein Hausrat. Alls hab ich, was der Mensch braucht. Jeden Tag koch ich mir zweimal warm, in der Fruh und auf'n Abend. Schauen S', da hab ich mein' Herd.« Er wies auf die Feuerstatt vor der Hütte. Da war auf Steinen ein rundes Mäuerchen gebaut, unten mit einem Loch, daß die Flamme Zugluft hatte, und oben offen, daß man die Pfanne übers Feuer stellen konnte. »Und an Keller hab ich mir gmacht. Da hab ich mein' Proviant drin, Salz und Brot und Mehl und Schmalz. Da kannst aufkochen wie für an Bischof.«

»Mit Mehl und Schmalz?«

»Ja, da kann man viel draus machen. Da kannst an Schmarren kochen und nacher wieder an andern Schmarren. In der Fruh mach ich mir an reschen, der den Magen pflastert für'n ganzen Tag, und auf d' Nacht an lucketen, der net druckt. Da hab ich die schönste Abwechslung.« Mertl hatte sich in der Hütte auf die Knie niedergelassen, spreizte eine Steinplatte in die Höhe und hob aus dem »Keller« einen halben Brotlaib heraus, ein hölzernes Näpfchen mit Salz und eine alte Konservenbüchse, in der er die Butter verwahrt hatte. »So, jetzt halten wir Brotzeit!« Er nahm den Tonkrug und ließ ihn unter einem kleinen Fall, den die Quelle machte, bis an den Rand vollaufen. »Da trinken S'! A bessers Wasser kann der Kaiser auch net haben.«

Walter nahm den Krug und trank. »Ja, Mertl, das schmeckt.« Dann setzten sie sich in den Schatten der Fichten. Mamertus Troll nahm den Brotlaib an die Brust, zog das Messer aus der Tasche und schnitt um den ganzen Laib herum eine Scheibe ab, dick wie ein Brett. »Mensch, jetzt hab ich's gut! Tausend Vergeltsgott muß ich Ihnen sagen!«

Mit tiefer Bewegung sah Walter dem Moosjäger in das frohe Gesicht. Was hatte eine Woche der Arbeit aus diesem verlorenen Menschen gemacht! »Und der lachende Frieden dieser gehetzten Seele ist dein Werk«, sagte eine wohlige Stimme in Walter, »sei stolz und freue dich darüber!« Während Mertl die Brotscheibe fingerdick mit Butter bestrich, legte ihm Walter die Hand auf die Schulter. »Moosjäger? Wirklich? Sind Sie zufrieden?«

»Und wie! Vier Wochen hab ich noch mein sichers Auskommen.«

»Wenn Sie mit dem neuen Weg fertig sind, weiß ich schon wieder Arbeit für Sie. Auf lang hinaus!« Walter lachte, als hätte dieses Wort auch für ihn selbst einen frohen Sinn.

»Ja, Herr, tät schön bitten!« Mertl reichte Walter die Brotscheibe hin. »So! Jetzt beißen S' eini!«

»Ich?« Erschrocken fuhr Walter zurück.

»Wer denn sonst? Glauben S' ebba, daß ich für mich selber so urrassen tät? Aber Sie haben 's verdient, daß ich Ihnen 's Brot a bißl schmalzig mach.« Walter schien für diese fette Dankbarkeit nicht das richtige Verständnis zu haben. Mertl war über den Korb, den er bekam, ein bißchen gekränkt. Schließlich tröstete er sich mit der Meinung: »D' Stadtleut wissen halt net, was gut is!« Gelassen kratzte er die dicke Butter wieder vom Brot herunter und strich sie in die Konservenbüchse zurück. Die dünne Fettschicht, die auf dem Brot noch übrigblieb, bestreute er gründlich mit Salz. Dann biß er hinein.

»Warum sind Sie denn gestern am Sonntag nicht gekommen, um Ihren Wochenlohn zu holen?«

»Ich hab nix braucht. Sechs Mark hab ich verzehrt bis heut. 's ander hab ich noch alls. Es is mir lieber, Sie zahlen mich hintnach. Da hab ich 's Verdiente aus der Hand. Am nächsten Sonntag kann ich halb wieder zruckzahlen, was S' mir geliehen haben. No ja, und Zeit hab ich gestern auch net ghabt. In der Fruh hab ich Kirch ghalten –«

Walter machte die Augen groß. »Kirch gehalten?«

»Ja. Z'erst hab ich mir denkt: arbeitst an halben Tag! Aber derweil ich mir kocht hab, hat's mich a bißl gschauert. Wissen S', am Samstag auf d' Nacht, wie dös grobe Wetter war, da hat's im Hüttl a wengerl einigregnet. 's Hemmed und d' Hosen haben mir pickt an der Haut. Und da hab ich mich gestern in der Fruh nach'm Kochen a bißl in d' Sonn hocken müssen. Und wie ich so dahock, haben s' drunt zur Kirchen glitten. No, ich hab mir nix denkt dabei. 's Läuten bin ich gwöhnt. Fünf Jahr lang hab ich alle Tag viermal läuten hören. Durchs eiserne Fenstergatter hab ich akrat den Kirchturm sehen können und die Glocken drin.« Mamertus schluckte den Bissen, den er im Mund hatte, und tat einen tiefen Atemzug. »Aber gestern, wie s' allweil so glitten haben, und ich schau so umanand, da is mir völlig andächtig worden, ich weiß net wie. D' Sonn hat hergschienen so schön bacherlwarm! D' Vögerln haben gsungen, daß ich die schönste Musi ghabt hab, und auf'n Regen aussi hat alles glanzt und glitzert.«

Lächelnd sprach Walter die Verse der »Zueignung«, die er gestern um die gleiche Kirchenstunde gelesen hatte:

»Ich freute mich bei einem jeden Schritte
Der neuen Blume, die voll Tropfen hing;
Der junge Tag erhob sich mit Entzücken,
Und alles war erquickt, mich zu erquicken.«

Der Moosjäger spitzte die Ohren. »Da haben S' ebbes Schöns gsagt! So nobel kann ich's freilich net hersagen. Aber in mir drin gspürt hab ich's auch. Mir is gwesen, als tät der ganze Wald und d' Sonn und alles mein ghören. Allweil hab ich einigschaut ins Wasserl da, wie 's gloffen is, und auf d' Vögel glust, oder hab mir a Blüml betracht. Im Mies drin hat alles kriebelt und krabelt, und wie ich so daglegen bin und hab einigschaut in dös kleinwunzige Leben mit seiner Freud und Plag – schauen S', Herr, da hab ich mir denken müssen: Sakra, was er macht, unser Herrgott, dös macht er fein!« Er guckte kauend zum Himmel hinauf. »Halt ja!« In den Fichtenwipfeln pisperten die Meisen, und durch die Sonne schwirrten die Mücken hin und her wie goldene Funken des Lebens.

»Mertl?«

»Was?«

»Warum haben Sie neulich in der Nacht beim Scheidhofer Weiher nicht finden können, wie fein der liebe Herrgott alles macht?«

Der Moosjäger zog die Brauen zusammen. »Nacht und Tag is halt an Unterschied! Geht's ein gut, da wird eim 's Glauben auch wieder leicht.« Er wischte an der Hose das Messer ab und schob es in die Tasche. »Gestern, derweil ich so zugschaut hab, wie sich dös Käferlzuig und 's Amasvölkl plagt um sein bißl Leben, da is mir einfallen: Mar' und Josef! Und du! Wieviel tausend kleine Herzln hast schon in Grund und Boden einitrappt mit deine genagelten Schuh! Da kannst es unserm Herrgott net verargen, wann er diemal trappt, daß eim 's Herz ausrinnt. So viel Recht, wie der Mensch hat, wird der Herrgott auch noch haben dürfen!«

Walter lächelte. »Sie reden, als hätten Sie den Werther gelesen!«

»Ich?« Mamertus Troll machte große Augen. »Was soll ich gelesen haben? Na, Herr! Seit sieben Jahr hab ich kein Büchl nimmer in die Hand ghabt. 's letzte, dös ich glesen hab, is der Schinderhannes gwesen.« Der Moosjäger sprang erschrocken auf. »Jesses! D' Sonn macht sich davon! Jetzt muß ich schaffen. Da droben hab ich vier Bäum fürs Bruckl gschlagen. Dös muß ich noch abiziehen, vor's Nacht wird. Morgen in der Fruh muß ich drüben sein überm Graben, oder es fehlt um an Tag.« Er trank aus dem Tonkrug, schüttete den Rest des Wassers aus und stellte den Krug in die Hütte zurück.

Walter reichte ihm die Hand. »Mertl! Wir zwei wollen gute Freunde bleiben. Recht lange!«

»Ja, Herr! Und jetzt pfüe Gott!«

Der Moosjäger holte seine Axt und stieg über den Berghang hinauf. Droben guckte er sich um. Als er Walter weit drunten auf dem neuen Weg verschwinden sah, schrie er ihm einen Jauchzer nach. Walter versuchte den Gruß zurückzugeben. Das wurde ein so komischer Laut, daß der Moosjäger lachen mußte. »Bis er 's Juchezen kann, da hat's noch lang hin!«

Auf einer Lichtung lagen die vier Bäume, die Mertl für die Brücke geschlagen hatte. Sie waren schon vierkantig behauen. Ihr Holz glänzte in der abendlichen Sonne, als wär' es mit roter Politur überzogen. Der Moosjäger schlug die Axt in einen der Stämme und zog ihn den steilen Hang hinunter bis zum Graben, der eine Brücke brauchte. Dann stieg er wieder den Berg hinauf. Da sah er bei den drei Blöcken ein kleines Bürschl hocken, vier Jahr alt, in einem rissigen Barchenthemdl, mit einem kurzen, abgewetzten Lederhöschen, ohne Hut, ohne Strümpfe und Schuhe. Der Bub kauerte auf der Erde und sammelte mit dem Eifer eines Goldfinders die blau und weiß gesprenkelten Federn, die auf dem Moos umherlagen. Der Habicht hatte da einen Nußhäher gerupft und das Federkleid seines Bratens zurückgelassen. »Büberl? Wie kommst denn du ins Holz eini?«

Das Bürschl drückte erschrocken die Federn an seine Brust, als hätt' er einen kostbaren Schatz zu verteidigen. Mertl lachte. »Ich nimm dir deine Federln net!« Er bückte sich und rechte mit der Hand zusammen, was er zu fassen bekam. »Da hast die andern auch noch!«

Jetzt wurde das Bürschl vertraut. »Vergeltsgott!« sagte es mit leuchtenden Augen.

»Wie heißt denn, Büberl?«

»Maxl.«

»Aaah! Dös is aber a schöner, kurzer Nam! Und wem ghörst denn?«

»Meiner Mutter.«

»Die sollt aber so a kleins Büberl net allein umanand laufen lassen im Holz.«

Maxerl guckte sich um. »D' Mutter kommt schon.«

Der Moosjäger sah durch den Wald ein junges Weib herunterkommen, das ein bißchen hinkte. Es war die lahmende Häsin aus des Peterls Hasenstall. Quer über dem Kopf trug sie einen schweren Sack. Als sie den Moosjäger gewahrte, stand sie erschrocken still. Ihr vergrämtes Gesicht war kreidebleich geworden. Mertl erkannte sie nicht. Das ging ins achte Jahr, daß er sie nicht mehr gesehen hatte. Damals war sie ein fünfzehnjähriges Ding gewesen, mit heißen Backen und lachenden Augen, die rotblonden Zöpfe wie ein Krönl um die kindliche Stirn. Als er in Urlaub heimgekommen, hatte sie krank im Bett gelegen. Nur leise lachen hatte er sie hören und hatte in der dunklen Stube ein bißchen was Weißes gesehen, als er durchs Fenster das Sträußl hineingeworfen. Dieses hinkende, ärmlich gekleidete Weib mit dem abgehärmten Gesicht und den verstörten Augen? Das kannte der Moosjäger nicht. Weil er sah, daß sie den schweren Sack nur mühsam auf dem Kopf erhalten konnte, ging er zu ihr hin und sagte: »Geh, laß helfen!« Er nahm ihr die Last ab. »Herrgott, Weibl, schwer mußt tragen!« Er stellte den Sack zu Boden. »Hock dich a bißl her! Tu rasten!«

Wortlos ging sie auf die behauenen Blöcke zu. Dabei knappte sie merklich.

»Weibl? Was hast denn am Fuß?«

Scheu sah sie an ihm hinauf. »Dös is mir blieben, wie mir 's Bügeleisen auffigfallen is.«

»Jesus!« Mit kaltem Schreck war's dem Moosjäger in alle Glieder gefahren. Die Zenz! Er fing zu zittern an wie ein Kind, das Gespenster zu sehen glaubt, wollte was sagen und brachte keinen Laut heraus.

Das kleine Bürschl war auf die Mutter zugegangen und hob ihr die gesprenkelten Federn vors Gesicht. »Schau, Mutter, was ich gfunden hab!« Sie nickte und gab die Knie auseinander, damit das Kind auf ihrem Schoß mit den Federn spielen könnte. Mertl stand noch immer schweigend auf dem gleichen Fleck. Und plötzlich, als hätte auch er das Rasten nötig, ließ er sich auf den Block nieder, ganz am anderen Ende des Baumes. Das kleine Bürschl, über den Schoß der Mutter gebeugt, kramte mit den Federn und schwatzte in seiner kindlichen Freude. Schnaufend, mit funkelnden Augen, sah der Moosjäger den Buben an. Er lachte rauh. »So, so? Maxele heißt er? Den d' hast von ihm? Hast a Madl auch noch?« Sie schüttelte den Kopf. Nach einer Weile fragte der Moosjäger mit einem Ton, wie man vom Wetter redet: »Tust dich gut hausen mit ihm?«

Die Zenz nickte und strich mit der Hand dem Maxerl über das blonde Kraushaar. »Der Bub is brav. Der is gut zum haben und macht mir Freud.«

»Den Buben hab ich net gmeint!« fuhr der Moosjäger auf. »Ich mein' den andern.«

»Wen?«

Mertl wurde grob. »Stell dich net gar so dumm! Den Stockwieser mein' ich! Gut muß er dich net halten. Schaust net aus darnach!«

Jetzt hob die Zenz das Gesicht und sah ihn an, als wüßte sie nicht recht, ob das Ernst oder Bosheit wäre. »Der Stockwieser? Was geht mich der Stockwieser an!«

Dem Mertl verschlug's für eine Weile die Sprache. »Hat er dich ebba net gheiret?« Die Zenz schüttelte den Kopf, und Mamertus Troll schloß langsam die Fäuste, wie ein Raubtier vor dem Sprung die Krallen einzieht. Seine Stimme bekam einen hohen Fistelton. »Hat er an andre gheiret?«

»Was weiß denn ich?«

Da wurde der Moosjäger wieder grob. »Tu mich net frotzeln, du! Der Tuifi wird ihn net gholt haben. Mußt doch ebbes wissen von ihm?«

»Auf Amerika is er ummi.«

»Was? Auf Amerika? Hat er ebbes angstellt?«

»Na.«

»Warum denn nacher?«

»Daß er d' Alamenten net zahlen hat müssen. Drüben, sagen s', da gibt's kein Gricht!«

Da fuhr dem Mertl ein Fluch über die Lippen, so gottslästerlich, daß das kleine Bürschl erschrocken von seinen gesprenkelten Federn aufguckte. Die Zenz legte den Arm um den Hals ihres Buben und beugte sich zu ihm nieder. Leichte Röte war ihr in die abgehärmten Wangen gestiegen. Aus dem Fluch des Moosjägers hatte sie noch etwas anderes herausgehört als nur seinen Zorn. Und in ihrem Herzen zitterte die Reue. Mertl hatte den Kopf zwischen die Fäuste genommen. So saß er stumm. Dann ließ er die Arme sinken und fragte kleinlaut: »Mar' und Josef, Madl, was tust denn nacher jetzt?«

»Beim Vatern bin ich halt. Derzeit ich den Buben aus'm Gröbsten aussi hab, kann ich mir wieder ebbes verdienen.«

Aufschnaufend sah er den schweren Sack an.

»Heut hab ich Waldrausch gsucht. Den zahlen s' mir gut in Mitterwalchen.«

Er lachte heiser. »Freilich, ja, da verpanschen sie 's Bier damit. 's Falsche hat allweil den besten Preis.«

Den bitteren Sinn dieser Worte schien sie nicht zu verstehen. Sie sagte ruhig: »Gut zahlen s', ja. Wann ich mich an Tag lang plag, hab ich bald a Markl beinand. Dös langt zwei Täg für'n Buben und mich. Der Vater schießt auch noch a bißl ebbes zu. 's Loschie bei ihm hab ich umsonst. Muß ich halt zfrieden sein! Wie sich eins aufbett, muß eins liegen.«

Der Moosjäger schluckte. »Kunntst es allweil besser haben, wann –« Er würgte das Wort hinunter, das er sagen wollte. Es brannte in ihm und mußte heraus. »Warum hast denn kein' andern gnommen?«

Sie sagte mit müder Gleichgültigkeit: »Wer soll denn mich noch mögen? Haben tu ich nix als mein' Buben und mein' krumpen Fuß. Muß ich halt aushalten, bis der Bub hergwachsen is.« Sie fuhr dem Bürschl mit der Hand ins Haar. »Tust dich freuen mit deine Federln?«

Die Augen des Kindes glänzten. »Ja, Mutter!«

Nun saßen sie schweigend, während der Bub die Federn zu einem Sträußl zusammenlas, in der Mitte die langen, außenherum die kurzen, die der Habicht dem Nußhäher aus der Brust gerissen hatte. Rings um die kleine Lichtung brannten die Wipfel, als wäre Feuer über den Wald gefallen. Der Moosjäger, die Zenz und das Maxerl hatten rote Glutlinien um die Schultern. Und die Heidelbeerbüsche waren wie mit leuchtendem Blut übergossen.

»Gelt«, sagte die Zenz, mit einem Zucken um die Lippen, »hast mich gar nimmer kennt?«

Er hatte nicht das Herz, ihr das einzugestehen. »Aber freilich, ja. A bißl dumm dreingschaut hab ich halt.«

»Ich hab dich gleich wieder kennt, die ander Woch schon, wie ich dich im Wirtshaus gsehen hab, durchs Fenster eini.«

Mertl zog die Stirn zusammen. »Da muß ich net gut ausgschaut haben!« Er dachte an seinen Rausch.

Wieder verstand sie nicht, wie das gemeint war. »A bißl älter halt. Und a bißl blasselet.«

Wie Galle stieg es ihm auf die Zunge. »D' Stuben, dö ich fünf Jahr lang ghabt hab, is gut und fest gwesen.« Er lachte. »Mit der frischen Luft hat's a bißl ghapert. Aber sonst hab ich's gut ghabt!« Seine Augen funkelten. »Vergeltsgott, Madl!«

Erschrocken stand sie auf. »Komm, Maxerl!« Sie ging auf den Sack zu.

Mertl vertrat ihr den Weg. Mit beiden Händen faßte er sie am Kopf und sah ihr in die Augen. »Zenzle! Was haben s' denn gmacht aus dir, die Malefizludern, die gottverfluchten! Dich und mich! Fein haben s' uns zugricht!«

Ohne ein Wort zu sagen, schob sie ihn von sich und hob den Sack vom Boden auf. Dem Moosjäger zuckte es in den Fingern, als möchte er helfen. Doch er stand wie ein Klotz. Mit der einen Hand hielt sie auf ihrem Kopf die schwere Last im Gleichgewicht, mit der anderen faßte sie das Händchen ihres Buben, der immer pappelte. So stieg sie, ein bißchen hinkend, durch den roten Wald hinunter. Einen ratlosen Blick in den weit aufgerissenen Augen, sah Mertl ihr nach. »Dös hätt ich net sagen sollen«, murmelte er, »dös mit der frischen Luft. Was kann denn 's Madl dafür?« Die Gesträuche verdeckten sie schon. Zwischen den Bäumen sah er noch den gaukelnden Sack. Da schrie er: »He! Nach links mußt aussi! Da is der neue Weg. Geh ummi! Da tust dir leichter.«

Er konnte nicht mehr sehen, ob sie seinen Rat befolgte. Wie in Jähzorn packte er die Axt, schlug das Eisen in einen der behauenen Blöcke und zerrte mit so wilder Kraft, daß ihm der schwere Block gehorchte wie ein Strohhalm. Keuchend, das Gesicht von Schweiß überronnen, holte der Moosjäger den dritten Block. Und dann den letzten. Als er die Axt schon heben wollte, sah er im Moos noch ein paar von den gesprenkelten Federn des gerupften Nußhähers liegen. Er hob sie auf und steckte sie mit zitternder Hand auf seinen Hut. Dann schleifte er den letzten Block hinunter.

Es dämmerte schon, und Mertl schanzte noch immer wie ein Narr. Als sie drunten im Dorf den Abendsegen läuteten, spannten sich die vier Blöcke als bequemes Brückl über den Wildbach. »So! Jetzt wär ich drüben über'm Graben!« Mertl betrachtete sein Werk und wischte sich mit dem Janker den Schweiß vom Gesicht. »'s Glander muß ich mir auf morgen lassen.« Er machte Feierabend, las seinen Plunder zusammen und ging zur Hütte.

Alles tat er wie sonst. Zuerst wusch er sich. Dann machte er Feuer und rührte in einer Holzschüssel den Teig für den Schmarren an, für den »lucketen«, der in der Nacht »net druckt«. Die Pfanne wurde übers Feuer gestellt, und zuwartend setzte sich Mertl vor der Herdstatt auf den Boden. Nachdenklich sah er in den Flug der Funken, die aus dem Feuerloch herauswehten. Dann warf er plötzlich den eisernen Löffel ins Moos und drückte das Gesicht zwischen die Hände.

In der purpurnen Dämmerung des Waldes begannen die Leuchtkäfer ihren Flug.


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