Ludwig Ganghofer
Der hohe Schein
Ludwig Ganghofer

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13

Die Stube, so eng, daß man sich zwischen dem bißchen armseligen Hausrat kaum noch umdrehen konnte. Ein rauchendes Petroleumlämpchen, das in Peters Stallaterne gehörte, beleuchtete trüb den Raum, den eine dunstige Hitze erfüllte. Der Ofen mußte auch als Kochherd dienen und war noch nicht ausgekühlt, seit die Zenz für ihren Buben die Milchsuppe gekocht hatte. Hinter dem Ofen, auf einer Holzbank, war mit Pferdedecken und einem blau überzogenen Kissen das Bett für den Buben gemacht. Der schlummerte fest und tief; von der Hitze, die der nahe Ofen ausstrahlte, brannte das Gesicht des Kindes wie im Fieber.

An dem kleinen Tisch, der zwischen zwei winzigen Fenstern in die Ecke gerückt war, saß die Zenz, mit dem Rücken gegen die Tür, und stopfte über einem faustgroßen Kieselstein einen Sonntagsstrumpf ihres Buben. Sie saß in dieser Stube wie eine Trödlerin inmitten ihres Krames. Weil kein Schrank vorhanden war, nur ein schmaler Geschirrkasten, hing das bißchen Gewand, das der Peterl und seine »Haserln« für Sommer und Winter besaßen, überall an der Wand umher, an der Tür, im Ofenwinkel und an den Kopf- und Fußbrettern der zweistöckigen Bettstatt, in der das Zenzle oben und der Peterl unten seinen Strohsack hatte.

Bei dem rötlichen Lichtschein, der die Blässe des vergrämten Gesichtes milderte, sah die Zenz hübscher und jünger aus als am Tage. Rings um den Kopf bekam das rotblonde Haar von der Lampenhelle einen Glanz, als wären flimmernde Goldfäden in die Zöpfe geflochten.

Draußen tappte ein schwerer Schritt durch den Flur. Die Tür wurde geöffnet. »Guten Abend, Vater!« sagte die Zenz, ohne sich umzusehen. Wie hätte sie denken können, daß es ein anderer wäre? Seit vier Jahren war außer ihrem Vater keiner mehr in diese Stube getreten. Am Tappen dieser Schritte war ihr auch nichts aufgefallen. Von den schweren Nagelschuhen punkert einer wie der andre. »Tu ein bißl stad, der Bub schlaft schon.« Weil sie keine Antwort bekam und keinen Schritt mehr hörte, drehte sie das Gesicht. Da stand der Moosjäger bei der Tür, in der rechten Hand den Hut, in der linken Faust was Blaues und Rotes. Sein Gesicht war kreidebleich. Bei unbehilflichem Lächeln glänzten seine Augen, als hätte Mamertus Troll einen festen Schoppen über den Durst getrunken. Vom Regen hingen ihm tausend winzige Tropfen an den Kleidern, weiß wie Tau.

Ein paar Sekunden blieb die Zenz ganz ruhig sitzen. Es gibt Dinge, für die der Verstand seine Zeit braucht, bis er ihnen auf die Wahrheit kommt. Dann glitt ihr der Kieselstein mit Maxels Sonntagsstrumpf über den Schoß hinunter. Lautlos sprang sie auf und tastete rücklings mit den Händen nach dem Tisch, als müßte sie sich vergewissern, ob hinter ihr Luft oder was Festes wäre.

»Guten Abend, Zenzle!« Mit seinen schweren Schritten tappte er auf sie zu und hielt ihr auf der linken Hand das zusammengeknebelte Taschentuch mit den sechs Knöpfen hin. »Da schau hier!« sagte er mit einer Stimme, wie sie ein Bergsteiger hat, wenn ihm der Atem ausgeht. »Dreihundert Mark hab ich. Mein Herrgott und Heiland hat an Einsehen ghabt. Jetzt kunnt ich mich ins Häusl einmieten, wo d' Mutter ghaust hat, und kunnt an Hausrat kaufen und Wäsch' und Kuchlgschirr, und alls halt, daß man zfrieden sein kann. Jetzt red, Zenzle! Magst mich heireten?«

Der Zenz trieb es einen Laut aus der Kehle, als hätte man sie mit glühendem Leib in eiskaltes Wasser getaucht. Dann stand sie sprachlos, ohne sich zu rühren.

»Zenzle? Was meinst?« Geduldig wartete er auf Antwort. Die kam nicht. Und Mamertus Troll fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht. »Herrgott, hat's daherinn an Dampf! Da redt man sich hart über so was.« Wieder wartete er ein Weilchen und sah sie beklommen an. »Geh, sag mir's, ob d' magst?«

Sie schwieg. Immer starrte sie mit ratlosem Blick an ihm hinauf.

Er wurde unruhig. »Kreuzteufel, druck's halt amal aussi, dös bisserl Ja!«

Sie rührte sich nicht.

Dem Moosjäger begann die Stirn zu brennen. Ganz erloschen klang seine Stimme. »In Gotts Namen! Ledig gstorben is auch net verdorben. Marschier ich halt wieder weiter.«

Über das Gesicht der Zenz flog's wie ein Zucken der Angst. Mit der Hand machte sie eine kaum merkliche Bewegung.

Der Moosjäger hatte Augen wie ein Habicht. Gleich kannte er sich aus. Ein halbes, hoffendes Lachen. Dann nahm er ihre Hand und sagte herzlich: »Zenzle? Warum redst denn gar nix?«

»Weil –« Ein heftiger Ruck ging durch ihren Körper, als begänne das versteinerte Leben in ihr zu erwachen. »Weil ich's net glauben kann.«

»Net glauben kannst es? Nacher wart a bißl! Den Beweis haben wir gleich! Und ein', den greifen kannst!« Er schloß die Faust um das verknotete Taschentuch, drückte den Hut übers Haar und ging zur Tür. »Pfüe Gott derweil!«

Erschrocken streckte sie die Hände nach ihm.

Der Moosjäger war schon draußen. Im Laufschritt ging's durch den Regen zum Haus des Bürgermeisters. Er atmete auf, als er die Fenster noch erleuchtet sah. Die Haustür war verriegelt. Und die Bürgermeisterin, ehe sie auftat, wollte erst wissen, wer draußen wäre. Wütend rüttelte Mertl an der Klinke: »Sakra! Machts auf! Der Bürgermeister muß offene Haustür haben, bei Tag und Nacht, für an jeden auf der Gmein.«

Da hörte man die ruhige Stimme des Hausherrn: »No, no, no, was is denn?« Der Riegel wurde aufgestoßen. Ohne viel Umstände trat Mertl in die schmucke, hell erleuchtete Stube. Verwundert, mit etwas zweifelhaftem Vergnügen, betrachtete Sonnweber seinen späten Gast. »Was willst denn?«

»Den Heiratsbrief möcht ich haben. Aufbieten laß ich mich mit der Zenz.« Weil es verschiedene Zenzerln auf der Welt gibt und die Obrigkeit immer ein bißchen neugierig ist, sagte der Moosjäger gleich, um Zeit zu sparen: »Kreszenzia Schmiedramsl, eheliche Tochter des Peter Schmiedramsl, Roßknecht beim Roten Hirschenwirt.«

Das Liebesglück des Mamertus Troll schien den Bürgermeister nicht zu interessieren. »Leg dich schlafen! Und komm wieder, wann's Tag is!«

»Na! Heut noch muß ich mei' Sach haben!« Dabei stemmte der Moosjäger die Faust auf den Tisch.

»Du!« Sonnweber hob den schönen Apostelkopf und trat auf Mertl zu, mit der sicheren Ruhe eines Menschen, der immer das Recht auf seiner Seite weiß. Da ging seine Frau an ihm vorbei und zupfte ihn an der Joppe. Vom Ofen warf sie ihm noch einen Blick zu, der deutlich sagte: Sei vorsichtig, oder der zündet uns das Dach über dem Kopf an! Der Bürgermeister lächelte. »Na, na, Mutter, da brauchst dich net einmischen! Wann sich einer ungebührlich aufführt, muß ihm gsagt werden, daß man sich in eim ordentlichen Haus anders benimmt.« Er wandte sich an den Moosjäger. »Kommt mir einer so, da heißt's: um halber zehne in der Nacht is kein Amtsstund nimmer. Gibst mir aber a gutwilliges Wörtl, so tu ich dir gern den Gfallen.«

Die Herzlichkeit, die aus dieser ruhigen Würde redete, weckte im Moosjäger ein Gefühl der Schuld. »Ja, recht hast!« sagte er kleinlaut. »Wie a Lackl bin ich einipumpert! In die letzten fünf Jahr bin ich mit der Lebensart a bißl aus'm Brauch kommen. Tu mir's net verübeln! Und sei so gut, daß d' mir den Heiratsbrief ausschreibst!«

»No also, meintwegen!« Der Bürgermeister nahm aus einem Kasten zwei große Bücher hervor. Dabei sagte er: »Ich vergunn dir 's Ehstandsglück. Aber von Amts wegen muß ich fragen, ob an Unterhaltsausweis fürlegen kannst?«

Ohne zu antworten, begann der Moosjäger die Knoten des Taschentuches aufzulösen. Mit den Fingern allein ging das nicht, er mußte die Zähne zu Hilfe nehmen. Dann legte er die Banknoten auf den Tisch.

»Dreihundert Mark? Wo hast denn dös Geld her?«

In dieser Frage war ein Klang, der dem Moosjäger das Blut ins Gesicht trieb. Mit funkelndem Zorn in den Augen, aller »Lebensart« vergessend, fuhr er den Bürgermeister an: »Meinst ebba, daß ich's gstohlen hab?«

Sonnweber, in seiner sicheren Ruhe, zuckte die Achseln. »Mehr als gfragt, hab ich net. Brauchst mir ja nix sagen!« Er setzte sich an den Tisch und fing zu schreiben an.

Den Atem durch die Nase blasend, begann der Moosjäger über den drei Banknoten wieder die sechs Knöpfe zu machen. Als ihm der Bürgermeister den beschriebenen und gestempelten Bogen hinschob, war im Mertl aller Zorn erloschen. Ein heißes Vergeltsgott stammelnd, betrachtete er das bekritzelte Papier mit einem Blick, wie er in den Augen eines Schiffers sein mag, der nach harten Stürmen das Blinklicht des festen Ufers glänzen sieht.

Sonnweber stellte die Bücher in den Kasten zurück, geleitete den Moosjäger mit freundlichen Segenswünschen für einen »rechtschaffenen Hausstand« in den Flur und stieß hinter dem Gast energisch den Eisenriegel der Tür zu.

Durch den Regen, der in Strömen fiel, sprang Mertl wie ein Narr zum Pfarrhof hinüber und riß an der Glocke, daß die alte Schwester des Pfarrers im weißen Nachtjackerl gelaufen kam, zu Tod erschrocken. »Jesus, wer ist denn gestorben?«

»Gstorben? Ah na!« Der Moosjäger lachte. »Zwei Leut möchten leben.«

Als die Schwester hörte, um was es sich handelte, sagte sie: »Mein hochwürdiger Herr Bruder liegt schon. Aber um ein Menschenglück zu segnen, dazu ist meinem hochwürdigen Herrn Bruder keine Stunde zu spät.« Sie führte den Mertl mit dem flackernden Licht über die Treppe hinauf. Weil sie einen besorgten Blick auf seine kotigen Schuhe warf, besann er sich der entwöhnten »Lebensart«, streifte die Nagelflöße herunter und trat barfüßig in die Stube.

Pfarrer Schnerfer lag im Bett, zugedeckt mit einem Plumeau, das im gedunsenen Reichtum seiner Federn an einen Luftballon erinnerte, wenn er steigen will. Auf dem Nachttischchen brannte eine Kerze mit grünem Schirm, und über den aufgezogenen Knien hatte der Hochwürdige ein offenes Notenheft liegen, das weich in die Federn versunken war – die Beethovensche Sonate mit den reichlich eingepickten »Zugeständnissen«.

Als er gelesen hatte, was Mertl ihm brachte, sah er dem Moosjäger lang in die Augen. Dann nickte er lächelnd. »Also heiraten willst du? Das ist recht, Mertl! Für dich ist das ein fester Sprung nach aufwärts. Ein eigener Herd unter gutem Dach ist eine Lebenskirch, an der unser Herrgott allweil ein Wohlgefallen hat. Für die arme Zenz freut's mich auch, daß sie nach allem Unglück mit ihrem Büberl an einen friedlichen Tisch kommt. Die wird dir dankbar sein, Mertl! Ein braves Weib kriegst du an ihr. Das weiß ich. Der hab ich als Seelsorger, seit ich sie kenn, bloß eine einzige Sünd verzeihen müssen. Da darf ich ja reden davon. Das war eine Sünd, die ein bisserl offenbar worden ist. Die mußt du ihr halt auch verzeihen!«

»Da is nix zum Verzeihen dran!« sagte Mertl ruhig. »So a jungs und unbetreutes Madl, dös mit acht Jahr d' Mutter verloren hat. Da weiß man doch, wie's geht. Laßt sich halt anplauschen, tappt eini und derschrickt, wann's gschehen is. Na, na! Da is nix dran zum Nachtragen! Auf a söllene Kleinigkeit kommt's net an. D' Lieb is ebbes anders.«

»So? Meinst du?« Der Pfarrer gab sich alle Mühe, ein strenges Gesicht zu zeigen. »Ich denk über so was doch ein bisserl anders. Ob jung oder alt, unbehütet oder in fester Hand: wo man hintappt, sollt man allweil wissen. Wenn du in der Nacht durch den Wald gehst, so gibst du auch schön Obacht, daß du mit der Nas an keinen Baum anrennst. So soll man's im Lebenswald eben auch machen, wenn's ein bißl finster wird. Aber jetzt komm her!«

Mertl mußte sich auf die Bettkante setzen. Dann nahm ihn der Hochwürdige bei der Hand. Er sprach kein Wort mehr von der Vergangenheit, nur noch von einer freundlichen Zukunft. »Hab den rechten Mut, lieber Mertl! Dann wird's schon gehen. Plagt dich eine Sorg, so laß dich vom Unmut nicht hinreißen und tu mit dem Weib nicht streiten! Red dich allweil in Gut mit deiner Kameradin aus, und wenn du kein gescheites Wörtl mehr weißt, dann setz dich mit der Zenz aufs Bankl und musizier ein bißl. Da wird einem gleich das Herz wieder froh!«

»Musi machen?«

»Du hast doch einmal so nett Harmonika gespielt?«

»Harmoni hab ich keine mehr. Seit sechsthalb Jahr schon nimmer.«

»Dann schenk ich dir eine zur Hochzeit.«

»Mar' und Josef!« stotterte der Moosjäger. »Na, na, Herr Pfarr, dös is z'viel!«

»Ich schenk dir eine. Ja, Mertl! Und jetzt geh! Grüß mir die Zenz recht schön! Am Sonntag vor der Frühmeß kommst du mit ihr in den Pfarrhof!« Der Hochwürdige strich dem Moosjäger mit der Hand übers Haar. »Dann will ich euch fest segnen für euer Glück. Und nach der Predigt will ich euch in Gottes Namen zum erstenmal in der Kirch verkünden.«

Mertl stand auf. »Vergeltsgott, Herr Pfarr!«

»Also gut Nacht, Mertl!«

Der Moosjäger blieb stehen.

»Willst du noch was?«

»Bitt schön, Herr Pfarr! Kunnt ich net ebbes Schriftlichs haben? Übers Aufbot am Sonntag?«

»Was Schriftliches? Wozu denn?«

»'s Madl kunnt mir's ebba net glauben. Und heut soll's gut schlafen, 's Zenzle!«

Da fuhr der Pfarr mit den Beinen unter dem Plumeau heraus, stellte sich im langen Nachthemd an das Pult und schrieb eine Bestätigung: daß der Jüngling Mamertus Troll mit der ledigen Kreszenzia Schmiedramsl am Sonntag, dem 7. Juli, zum erstenmal für den heiligen Stand der Ehe verkündet würde.

»Vergeltsgott, Herr Pfarr!« Dem Moosjäger wurde die Stimme heiser. »Daß S' Ihnen da im Hemmed hergstellt haben fürs Zenzle, dös vergiß ich Ihnen meiner Lebtag nimmer!«

Draußen vor der Tür packte Mertl die kotigen Schuhe. Er trug sie über die Treppe hinunter. Erst auf der Straße, im strömenden Regen, zog er sie an. Und rannte. Als er in den »Hasenstall« des Peterl trat, stand die Zenz am Tisch, als hätte sie sich, seit Mertl die Stube verlassen, nicht vom Fleck gerührt. Sie atmete auf bei seinem Anblick, und heiße Röte glitt ihr über das verhärmte Gesicht. »Meiner Seel, jetzt is er wieder da!«

Mamertus lachte. »Hast gmeint, ich komm nimmer?« Zuerst drückte er das Taschentuch mit den sechs Knöpfen auf den Tisch, dann griff er an die Brust unter das Hemd, zog die Bestätigung des Pfarrers heraus, netzte an der Zunge den Daumen, faltete den Bogen auseinander und gab ihn der Zenz in die Hand. »So! Da hast den Beweis! Am Sonntag nach der Predigt wird's verkündt: der ledige Mamertus Troll und die ehr- und tugendsame Kreszenzia Schmiedramsl.«

Sie sah ihn erschrocken an. »Ehr- und tugendsam hat er gsagt, der Pfarr?«

»So sag ich! Und wann ich ebbes sag, nacher glaub ich dran.«

Mit nassen Augen versuchte die Zenz zu lesen. Plötzlich legte sie das Blatt auf den Tisch, drückte den Arm über die Augen und brach in Schluchzen aus.

»Hast recht! Tu dir 's Gmüt a bißl ausschwitzen! Dernach redst dich leichter!« Geduldig wartete Mertl, bis sie ruhiger wurde. Dann fragte er: »Jetzt sag mir's, Zenzle, nimmst mich auch gern?«

Sie hob das von Tränen überronnene Gesicht. »Ich hätt doch mit eim jeden zfrieden sein müssen –«

Obwohl sie das Wort verschluckte, auf das es ankam, verstand der Moosjäger doch, wie es gemeint war. Die Freude glänzte in seinen Augen. »Na, na, Madle, gar so billig brauchst es net geben! Bist noch allweil 's Zenzle, weißt! Und komm, jetzt müssen wir in der Gschwind alles ausreden! Anderthalb Stund brauch ich zum Hüttl auffi, schlafen muß ich heut auch a bißl nach der gestrigen Durchnacht, und mit'm Tag hebt d' Arbeit wieder an.« Er drückte die Zenz auf den Sessel nieder, und weil es im Hasenstall einen zweiten Stuhl nicht gab, setzte er sich auf den Tisch. Während er die sechs Knöpfe aufdröselte, rann von seinem Gewand das Regenwasser auf die Dielen. Und wo er saß, gab's auf der Tischplatte einen feuchten Kreis.

In der »gestrigen Durchnacht« hatte sich der Moosjäger schon alles haarklein ausgerechnet. Drum konnte er flinke Rechnung machen. Während er Posten um Posten herzählte, war die Zenz so aufmerksam wie eine Haftelmacherin, die mit Silberdraht arbeitet. Vierzig Mark mußte Zenz für sich behalten, auf Gewand und Wäsche; zwanzig Mark reichen »lang« für den Mertl selber, auf einen Anzug und zwei neue Hemden. Da kann dann über die Woche immer eins gewaschen werden. Zehn Mark dürfen am Hochzeitstag aufgehen, vierzehn Mark machen die Kosten für Mesner, Ministranten und Schullehrer. »Sechs Mark geben wir an d' Armenkass', daß die Bedürftigen auch was haben von unserer Freud.« Bleiben 210 Mark für den Hausrat, für Geschirr, Bettzeug, und für das Handwerksgerät. Was in die Küche gehört, das weiß die Zenz selber am besten. In die Stube kommt ein Tisch mit Bank und zwei Sesseln, ein Geschirrkasten, das kleine Bettstattl für den Buben, die große Bettstatt, ein Herrgott ins Eck und, wenn's langt, ein Kleiderkasten mit einer Schublad. Das alles soll die Zenz »recht fürsichtig« einhandeln. Und am andern Morgen soll sie gleich zum Leitner gehen, dem das kleine Häusl gehört. Der wird froh sein, daß er wieder einen Mieter findet, und wird einen billigen Zins machen. »Unser Auskommen haben wir auch. Mein Herrgott und Heiland hat mir's zugsagt, daß d' Arbeit net auslaßt. Wann der was sagt, da kannst heireten drauf. Und drei Mark im Tag! Da kannst weite Sprüng machen.« Eine Mark zwanzig dürfen sie täglich verzehren, achtzig Pfennig müssen gespart werden für Hauszins und Anschaffungen, und eine Mark täglich auf die Seite gelegt werden für die »Zruckzahlung an den Heiland und Herrgott«. Da haben sie dann in einem Jährchen »den Buckel frei« und können mit dem Sparkassabüchel anfangen. »Jetzt sag selber, Zenzle: haben wir's net schön?«

Sie legte wortlos ihre Hand in die seine und fand den Mut zu einem Lächeln.

»Hast dir alls gmerkt? Ja? Und gelt, tu fein aufs Kapital a bißl Obacht geben! Und jetzt pfüe Gott, Bräutle! Jetzt muß ich schauen, daß ich auffikomm.«

Sie hielt noch immer seine Hand umklammert. »Magst net den Buben a bißl anschauen?«

»Aber freilich, ja!« Er ging zum Ofenwinkel und legte dem schlummernden Bürschl die Hand aufs Haar. »Dem laß ich nix tun! Na, na, Zenzle, da brauchst kei' Sorg net haben! Und schau –« Mertl nahm die gesprenkelten Federn von seinem Hut, »da hab ich noch a paar von die Federln gfunden, dö ihm so gfallen haben. Gibst es ihm, gelt!«

Sie nahm die Federn. »Vergeltsgott!« Und sah mit glänzendem Blick zu ihm auf, ohne Scheu, froh und gläubig. Die gesprenkelten Federchen, die der Habicht den. Nußhäher aus der Brust gerissen, hatten den letzten Zweifel still gemacht, der in ihrem Herzen noch ängstlich gezittert hatte.

Da trat ihr Vater in die Stube, den triefenden Kutschermantel um die Schultern, in der Hand die Peitsche.

»Mar' und Josef!« stotterte Mertl. An den Peterl hatte er bis zu diesem Augenblick noch mit keinem Gedanken gedacht, nur immer an die Zenz.

»Ah, da schau!« Peterl riß die Augen auf. »Was will denn der bei uns?« Er schien sich bei dieser Frage nicht viel Gutes zu denken, schloß die Faust um den Peitschenstiel und warf auf sein Mädel einen Blick der Sorge. »Hat er dir ebba a schiechs Wörtl geben? Der?«

»Na, na, Vater!« fiel Zenz in Erregung ein. »Im Guten is er da.« Heiße Röte schlug ihr über das Gesicht. »Verspruch haben wir ghalten, der Mertl und ich.«

»Ja!« bekräftigte der Moosjäger. »Und fest haben wir's gmacht.«

Den Peterl traf diese Nachricht wie ein Stoß vor die Brust. Keine Spur von Freude war in ihm, nur Schreck: das erste Gefühl aller Väter, wenn sie merken, daß sie eine Tochter hergeben sollen, an der sie hängen mit Herz und Leben. Da sind sie alle gleich. Nur wenige unter ihnen, die im ersten Gefühl des Verlustes die Kraft besitzen, aus selbstloser Liebe ihren Schreck in sorgende Zärtlichkeit zu verwandeln. Zu diesen löblichen Ausnahmen gehörte der Peterl nicht. »So, so, sooo! Jetzt fallt er ausanand, mein Hasenstall!« Verdrossen fügte er bei: »Freilich, 's Madl is majarenn. Kriegen tut's nix von mir. Da kann s' es machen, wie s' es mag.«

»Aber geh, Vater!« Sie wollte seine Hand fassen.

Peterl wandte sich ab, stellte die Peitsche in den Winkel und nahm den triefenden Mantel herunter. »Natürlich, daß er zupackt mit alle zwei Händ, dös begreif ich! Aber daß du so a Schaf bist?«

Erschrocken sah die Zenz ihren Bräutigam an. Mertl war nicht gekränkt. Die hohe Meinung, die Peterl vom Wert seines Kindes zu haben schien, deckte sich ganz mit seinem eigenen Glauben. »No ja, jetzt hat s' halt dö Dummheit amal gmacht«. sagte er vergnügt, »und wann der Vater sonst nix einwenden kann, is alls in der Ordnung.«

»In der Ordnung? Was in der Ordnung?« fuhr ihn der Alte zornig an. »Ös zwei! Natürlich, ös tuts enk leicht! Ös kaufts enk a Trumm Bettstatt, und alls is gut. Aber ich? Was is denn mit mir? Soll ich ebba als Einspanniger weiter kutschieren? Ah na! Meine Haserln laß ich net aus. Mir muß auch ebbes bleiben für die kalte Zeit. Kann ich dös ebba net verlangen? Hab ich net recht?«

Mertl nickte zustimmend. »Der Vater kann sich bei uns ins Kammerl einihausen. Da bleiben wir alle beinand.«

Im Nu war der Zorn des Peterl, wenn auch nicht beschwichtigt, so doch gedämpft. »Meintwegen! Nacher soll nur alls gut sein! Und d' Verköstigung zahl ich enk.«

»Also?« Lachend streckte Mertl dem Alten die Hand hin. »Haben wir's jetzt?«

»No ja, in Gotts Namen halt!« Peterl schlug ein und musterte den Schwiegersohn mit einem prüfenden Blick, während die Zenz erleichtert aufatmete. Als aber der Moosjäger zur Tür draußen war, fing der Alte wieder zu brummen an. Die Zenz fragte in neuer Sorge: »Vater? Paßt dir ebbes net an ihm?«

»Ah was! Der! Was soll mir denn an dem net passen?«

»Leicht, weil er –« Die Zenz brachte das nicht heraus.

Peterl erriet, was sie sagen wollte. »Gott bewahr! Dös hat er sich eh bloß deintwegen eingschustert. Dös hat ihn net minder gmacht. Der is drin gwesen und is einer, der aussi ghört. Hundert laufen draußt umanand, die eini ghörten. Die Grechtigkeit auf der Welt hat allweil a Loch wie dem Buben sein Strumpf. Hab ich net recht? Aber wann ich mir anschau, wie zfrieden als wir ghaust haben mitanand? Und jetzt soll über Nacht alles anders sein?«

»Jesses!« fuhr die Zenz erschrocken auf. »Jetzt hat er gar sein Tüchl vergessen! Dös braucht er ja!« Sie packte das Taschentuch, das Mertl auf dem Tisch hatte liegenlassen, und rannte, seinen Namen schreiend, in den strömenden Regen hinaus.

Mit traurigen Augen nickte Peterl vor sich hin. »Freilich! Der is jetzt der erst! Und der Vater is hint dran.«

Als die Zenz wieder in die Stube kam, schüttelte sie die Regentropfen von ihrem Haar, sprang mit dem Lachen einer Irrsinnigen in den Ofenwinkel und riß ihren Buben aus dem Schlaf. »Maxele! An Vater hast! Und den allerbesten! Maxele, Maxele, was sagst denn dazu?«

Das Bürschl gähnte. »Schlafen möcht ich!«

»Natürlich«, brummte Peterl, »der Bub is gscheiter wie du! Laß ihm sein bißl Ruh! Im Schlaf hat man 's Glück. Hab ich net recht?«

Sie deckte den Buben wieder zu und blieb bei ihm sitzen. Als der Vater die drei Hundertmarkscheine sah und fragte, was für ein Geld das wäre, kam sie zum Tisch, strich die nassen Haare aus dem brennenden Gesicht, erzählte ihm alles und rechnete ihm an den Fingern alle Ziffern ihres Glückes vor. »Gelt, Vater, schön haben wir's?«

Er nickte. »Mußt dir halt alles fein sparsam einhandeln. Und jetzt leg dich schlafen, Madle! Morgen is auch wieder a Tag.« Seufzend ging er aus der Stube, um draußen so lange zu warten, bis sie im »Schachterl« läge. Wie sonst, so rief sie auch heute: »Vater, ich bin schon grecht!« Als er in die Stube trat, lag sie im Oberstock der Bettstatt und verwahrte das Geld unter dem Kopfkissen. Peterl blies die Lampe aus, legte die Kleider ab und wühlte sich in den Strohsack des Unterstockes. Er sagte nicht, was er sonst seit Jahren an jedem Abend gesagt hatte, wenn es im Hasenstall finster geworden. Schweigend drehte er sich auf die Seite. Da hörte er an den Brettern des Oberstockes ein Rascheln und sah vor seinem Gesicht was Graues hin und her pendeln.

»Was is denn?«

»Geh, Vater, gib mir doch d' Hand!«

Seufzend griff er zu. Und mit festem Druck umklammerten sich die beiden Hände. »No also, gut Nacht halt, mein Haserl! Hoffentlich lauft der Schimmel net überzwerch. Schlagt dir's zum Guten aus, so is mir auch alles recht. Aber jetzt schlaf amal!«

»Ja, Vater! Gut Nacht!« Wie warm und froh jetzt ihre Stimme klang! Und still war's im kleinen Hasenstall, während draußen der schwere Regen rauschte. Nur ein einziges Mal seufzte die Zenz noch, denn sie dachte an den nassen Weg, den der Mertl hatte.

Der Moosjäger aber war auf diesem feuchten Marsch in einer Laune, über die es nichts zu seufzen gab. Kräftig ausschreitend, wanderte er durch die finstere Regennacht dem Hohen Schein entgegen, die Hände in die Hosentaschen eingewühlt, und sang in das Strömen und Gießen hinaus :

»Auuuf der Welt is's schönn!
Mensch und Viech
Freuen siech,
Auuuf der Welt is's schönn!«

Als Mertl im Scheidhofer Wald an jener Bank vorüberkam, auf der beim Flug der Leuchtkäfer sein Rückweg ins Leben begonnen hatte, schrie er einen Jauchzer in die rauschende Nacht. Aus dem Walde klang ein Echo über den Weiher her, in dessen Tiefe das dicke Buch versunken lag. Der Moosjäger wußte nichts von diesem Buche, nichts von der vielen Weisheit, die es enthielt. Dennoch waren in dieser Nacht alle Rätsel der Welt und des Lebens für ihn gelöst.


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