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Die beiden Maler

Ein Maler, der mit seinem Schüler von einem Hügel herniedergestiegen war, von wo aus er ein reizendes Tal aufgenommen hatte, bemerkte, als er nun dieses betreten und eine Weile darin fortgegangen war, einen jungen Mann, der ebenfalls damit beschäftigt war, eine Landschaft zu entwerfen. Freundlich grüßend nahte er dem Fremden, betrachtete seine Zeichnung und entdeckte, daß es jener von ihm verlassene Hügel sei, welchen der junge Maler für sein Bild auserwählt hatte. – Als er nun die Zeichnung mit der Natur immer sorgsamer verglich, bemerkte er, daß diese Anhöhe in einiger Entfernung wegen der verschiedenartigen Laubhölzer, die sie bedeckten, und einer schönen Ruine einen überaus malerischen Anblick gewährte und ein wenigstens ebenso dankbarer Gegenstand für den Maler sei, wie das Tal, welches er von droben aus aufgenommen hatte. »Seltsam,« begann der Schüler, der ebenfalls in das Bild geschaut, zu seinem Meister, »du warst mit mir so oft auf jenem Hügel, und niemals kam dir der Gedanke, ihn zu malen. Immer waren deine Blicke in das Tal gewendet, bis daß du das Gemälde gefertigt, und doch ist das Tal, da wir es jetzt durchwandern, bei weitem nicht so herrlich und schön, wie es dort oben uns erschien!«

»Ihr habt dieses Tal aufgenommen?« fragte der Fremde, zu dem Maler gewendet. »Dürften diese Sümpfe und diese regellos zerstreuten armseligen Hütten Euch einen Gegenstand bieten, der Eures Pinsels würdig wäre?«

»Sehet selbst,« sprach der Maler, indem er sein Gemälde auseinanderrollte.

Mit Erstaunen übersah der andere das köstliche Bild. Von der dunklen Farbe des Vordergrundes gehoben, breitete sich das Tal wie ein holdes Frühlingsgefilde voll Sonnenschein und Frieden in allen seinen romantischen Abwechslungen vor seinen entzückten Blicken aus. Gleich Kristallspiegeln glänzten die fernen Sümpfe aus dem Grün lachender Wiesen hervor und trugen, wie manches andere, was in der Nähe das Auge unangenehm berührte, nur dazu bei, die Schönheit des Ganzen zu heben.

»Ich sehe, daß Ihr recht hattet, Euren Fleiß an dieses Bild zu wagen,« entgegnete der fremde Jüngling überrascht; »ich war nie auf jenem Hügel und ahnte nicht, daß dieses Tal einen so reizenden Anblick gewährt.«

»Wir waren demnach in derselben Lage,« erwiderte der Maler, »und aufs neue finde ich die Behauptung bestätigt, daß der Künstler überall einer gewissen Sehweite bedarf, um für die Gegenstände des Lebens eine reine Begeisterung zu empfangen. Was uns allzunah liegt, wird uns seltener zur Darstellung reizen, als das Entfernte, Halbenthüllte, welches in dem magischen Schleier, in dem es unsern Blicken begegnet, unsere Phantasie entflammt. Selten erträgt das Schöne den prüfenden Blick des Näherbeschauens, und es ist fast immer nur die Ahnung desselben, die des Künstlers Seele erwärmt und seine lieblichsten Bilder erweckt.«

»Mich dünkt, Eure Bemerkung gelte nicht allein dem Künstler,« entgegnete der Jüngling. »Ich ahne eine allgemeine Wahrheit in diesen Worten. Gleicht nicht des Menschen Treiben fast überall dem unsern? Und ist es nicht immer das Entfernte, Ungekannte, was unsere Wünsche, unsere Sehnsucht entflammt und in so hellem Lichte unserer Seele erscheint, daß wir nicht selten gegen das, was wir besitzen, ungerecht werden und uns überreden, es gebe ein vollkommenes Glück in den Grenzen der Erde? Ja, wie Ihr entzückt zur Tiefe und ich bewundernd zur Höhe geschaut, so sind die Menschen in ihren verschiedenen Verhältnissen zueinander. Jeder sieht nur das Liebliche des Bildes, dem er fernsteht, während kein Dorn seiner näheren Umgebung seinen Blicken entgeht. Darum der unbefriedigten Wünsche zahllose Schar und das weit hinaus greifende Verlangen!«

»Ihr habt früh das Leben erfaßt,« entgegnete der altere Maler, und nachdem er mit ernstem Blick dem Jüngling die Hand gedrückt, schritt er nachdenkend weiter den Pfad in das Tal hinab.


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