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Fritz und Felix

Der erste Schnee war gefallen. Weiß schimmerten die Dächer und Baumgipfel umher, und über den spiegelglatten Teich hatte sich eine feste Eisrinde gezogen, welche, von leichten Schneeflöckchen umweht, gleich hellen Brillanten erglänzte.

Erstarrt vor Frost und Kälte kehrten Fritz und Felix mit ihren Gespielen von der Eisbahn zurück. Gern traten sie heut in die warme Stube der Mutter, so wenig der beschränkte Raum ihre sonstigen Lieblingsspiele gestattete, nur einige der Knaben waren unmutig und riefen: »Der Winter ist ein schlimmer Gast und der Sommer uns tausendmal lieber!«

»Das könnte ich eben nicht sagen,« begann Fritz, indem er sein Lottospiel hervorsuchte. »Im Sommer schwärmt alles ohne Ziel und Zweck im Freien umher, jetzt aber kann man sich in Ruhe versammeln und ein vernünftiges Spiel treiben. Kommt, nehmt die Karten. Ein jedes setzt einen Groschen, und der Glückliche gewinnt alles.«

Der wilde Knabentroß setzte sich jubelnd um den bereiteten Tisch, nur Felix, ein stiller Knabe mit freundlichen Augen, bat, bei der kranken Schwester bleiben zu dürfen, die im Bett lag und sehnsüchtige Blicke nach dem Spieltisch hinüber warf.

»Ich will dir indes erzählen, liebe Emmy,« begann er leise, indes er seinen Schemel ganz dicht an ihr Bett zog. Von dem dankbaren Blick der Kleinen ermutigt, fuhr er fort: »Es wurde soeben gesagt, der Winter sei ein schlimmer Gast; aber mir ist er gar lieb und vertraut. Ich habe viele schöne freundliche Bilder erblickt, die jene nicht sahen, und ich will sie dir auszumalen suchen, weil du doch nicht hinausgehen darfst in den glänzenden, weißen Garten.« Und er begann nun von der Felshöhle am Weiher und von ihren Kristallwänden und von dem demantnen Teich zu erzählen, durch dessen Rinde er in eine gar süße Wunderwelt geblickt habe. Allmählich gewann seine Erzählung die Gestalt eines anmutigen Märchens, so daß die Kinder, die seine Worte vernahmen, bald vom Spieltisch aufhorchten und sich einige sogar von diesem hinweg begaben und in seine Nähe kamen. Felix aber fuhr fort von der Höhle zu erzählen und von einer wunderholden Frau, die er darinnen gesehen, auch schilderte er einen alten Diener mit eisgrauem Barte und silbernem Haupthaar, der, dem Befehle der Gebieterin gehorchend, bald murrend und grollend durch die Fluren zog, bald mit Sturmeseile ihre Gebote vollstreckte. Und die Kinder mußten oft über die seltsamen Schilderungen lachen und befanden sich überaus wohl bei des Knaben Erzählung.

Immer beredter wurde Felix, als er nun von der schönen Jungfrau Rose und der süßen kindlichen Viola und der reizenden Amarantha erzählte; man fühlte wohl, er sprach von Blumen, die der Winter auf das Gebot der Natur unter die Erde geführt, aber in seinem Munde verwandelte sich alles so wunderbar, daß man bald in ihnen holde Prinzessinnen zu sehen vermeinte, die in der Tiefe der Höhle bei der hohen Königin in strahlenden Gemächern wohnten, bis daß die Zeit ihrer Befreiung gekommen, wo sie zur Freude der Menschen wieder auf der Erde wohnen durften.

Immer aufmerksamer wurden die Kinder und baten und riefen: »O erzähle immer mehr von den schönen Prinzessinnen und der Königin und dem alten verdrießlichen Graubart.«

Als aber Fritz bemerkte, daß der Sinn der Knaben nunmehr allein dem Erzählenden zugewandt und sein Spiel gänzlich verlassen war, erzürnte er heftig und sprach: »O ihr Toren! Wie könnt ihr nur Geschmack finden an Dingen, die sich nie auf der Erde begeben? Wißt ihr nicht, daß alles nur Lug und Trug ist? Geht und blickt einmal unter die Eisdecke des Teiches! Sumpfiger Morast und Kröten ist alles, was ihr dort finden werdet, so wie in jener Höhle nur häßliche Eulen und Spinnen hausen. O über euch kindische Buben! Was euch wirklichen Vorteil gewähren kann, verlaßt ihr, um euch von Felix artige Bilder vorgaukeln zu lassen, während wir längst von dem gewonnenen Gelde Kuchen und Aepfel kaufen und ein herrliches Gastmahl bereiten könnten!«

Die letzten Worte wirkten gewaltig auf die Sinne der Knaben; wie aus einem Traum fuhren sie empor und kehrten lärmend und jubelnd zu dem Spieltische zurück. Emmy aber reichte dem kleinen Erzähler sehr freundlich die Hand und bat: »Fahre fort, lieber Felix; wenn du mir so schön erzählst, vergesse ich alle Schmerzen!« Und Felix lächelte heiter und spann seine anmutigen Bilder fort.

Die Mutter aber, die in der Nähe das Treiben der Kinder mitangesehen hatte, dachte in ihrem Herzen:

»So ist es und so wird es bleiben auf Erden! Unbefangen streut die Poesie ihre Blüten auf uns herab, ob sie der forschende Verstand belächle oder zerpflücke, oder der wandelbare Sinn der Menschenkinder sie bewundere oder gleichgültig aufgebe, sie weiß es, ihr ward keine Waffe, ihr Recht zu verteidigen. Still wie ein Bote von Jenseits zieht sie an den Herzen der Menschen vorbei, alle freundlich grüßend, aber nur dem in die Arme sinkend, der den Trost einer unsichtbaren Welt bedarf oder durch das Geheimnis des Schönen mit ihr im Innern verbunden ist.«


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