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Apelles

Apelles, der herrliche Meister, saß oft, in tiefes Sinnen versunken, vor seiner Staffelei und betrachtete die Schöpfungen seiner Kunst.

Herrlich glänzte der Farben Pracht, lebendig traten die hohen Gestalten hervor, voll Anmut und Ausdruck. Wohl gestand er sich's selbst, daß keiner der Maler weit umher ihm gleichkomme an künstlicher Farbenmischung und hoher Erfindung. Aber noch war sein Verlangen nicht gestillt, denn in seiner Seele lebten noch höhere Bilder als die, die sein Pinsel auf die Leinwand zauberte.

Das bekümmerte ihn sehr, und er sann oft im stillen nach, wie er seine Kunst immer mehr veredeln könne.

»Ich werde das Urteil der Menschen befragen!« sagte er endlich. »Das eigene Auge ist oft verblendet und von Irrtum befangen und schärft seinen Blick erst durch den Widerspruch anderer.« Und er öffnete seine Werkstatt und stellte seine Bilder zur Schau. Bald strömte die neugierige Menge herbei und begaffte die Gemälde mit staunendem Blick und erhob den kunstreichen Apelles in trunkener Begeisterung zu den Göttern. Er aber stand still in sich gekehrt bei dem Jubel des Volkes.

Als mehrere Tage vergangen waren und die Schaulustigen nicht müde wurden sein Werk zu preisen, gedachte Apelles sich von den lästigen Lobrednern zu befreien und verschloß die Werkstatt vor den Blicken der Menge. »Ich sehe,« sprach er, »die Schmeichelei allein wagt es, das laute Wort zu führen; die Wahrheit will im stillen belauscht sein!«

Und er nahm ein Gemälde und stellte es vor seine Tür den Vorübergehenden zur Schau; er selbst aber verbarg sich dahinter und lauschte, von niemanden gesehen, auf das Urteil des Volkes.

Es stellte aber das Gemälde ein Frauenbild dar, in aller Vollendung der Schönheit und der glänzendsten Kleiderpracht. Viele, die des Weges kamen, blieben vor dem reizenden Bilde stehen und bewunderten des Meisters Kunst und Wahrheit. Andere versanken träumerisch in den Anblick der holden Gestalt und sprachen zu ihr wie zu einer geliebten Braut, und diese Worte klangen am belohnendsten in des horchenden Künstlers Ohr.

Einst ging auch ein Schuster vorüber und verweilte vor dem Gemälde mit prüfendem Blick. Mit wichtiger Miene begann er darauf zu dem hinzutretenden Nachbar: »Apelles mag immer ein braver Maler sein, aber ausgelernt hat er noch nicht. Da schaut den Schuh, ist er nicht ganz verzeichnet? Wie schade um das schöne Bild, daß er den zierlichen Füßen nicht eine nettere Bekleidung gegeben!« So sprach der Schuster und ging kopfschüttelnd von dannen. Aber Apelles trat hervor und eilte den Fehler zu verbessern, denn er traute dem Urteile des Schusters.

Als er abermals das Gemälde heraus gestellt hatte, begab es sich, daß der Schuster noch einmal vorüberging. Lächelnd betrachtete er die Veränderung und rief den Vorübergehenden zu und sprach: »Da seht, er hat wohl verbessert, was ich letzthin getadelt. Wahrlich, das Bild hat schon gewonnen, seitdem jener Fehler behoben ist, und es wäre gar nichts mehr daran auszusetzen, wollte er noch den Schatten unter dem linken Auge verwischen, der die Schöne über die Maßen entstellt.«

Da hielt sich Apelles nicht länger. Halb zürnend, halb lachend über des Unverständigen dreiste Anmaßung, trat er hinter dem Gemälde hervor und rief: »Bleibe, o Schuster, bei deinem Leisten! Den Schuh magst du mir tadeln, aber höher vermesse dein Urteil sich nicht!«

Hiermit trug er das Bild in seine Werkstätte zurück und sprach zu sich selbst: »Ich sehe nun wohl, von außen her kommt dem Künstler wenig Ersprießliches! Des Ungeweihten Urteil ist einseitig und beschrankt. Zwischen Schmeichelei und ungerechtem Tadel windet sich nur schmal der Weg der Wahrheit hindurch; auf diesen aber führt uns am sichersten der Genius, den uns die Götter verleihen. Von ihm lernen wir die Gebilde des Lebens erfassen und aufnehmen in tiefster Brust, damit sie aus dem Innern verklärt hervorgehen in Farbe und Licht, uns selbst zur Erquickung, den andern zur Freude und Erhebung.«


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