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Die Wahl

Es war einmal ein Hausvater, der hatte vier Söhne, welche weniger an Jahren als an Gemütsart von einander verschieden waren.

Es begab sich aber, daß eines Tages ein angesehener Maler in das Haus des Vaters kam, und, als ein alter Jugendfreund, mehrere Tage bei ihm verweilte. – Täglich erzählte er nun von der herrlichen Malerkunst und von den Gemälden, die er gefertigt, und welche hohe Preise man ihm dafür geboten, – und wie ihn der Kaiser und viele vornehme Grafen und Herren mit Gnaden und Ehren überhäuft und an ihre Tafeln gezogen hatten. – Er fügte auch manches seiner Reiseabenteuer hinzu und viele anmutige Geschichten, aus denen hervorging, daß er beliebt und angesehen war im ganzen Lande und sein Name überall mit besonderer Verehrung genannt wurde.

Dabei beschrieb er auch die Sitten und Gebräuche fremder Länder, die er durchreist hatte, vor allem aber viele der hohen Meisterwerke, die er in Kirchen und Galerien gesehen, und darüber sprach er mit so viel Wärme und Innigkeit, daß jeder, der seine Worte vernahm, die Gemälde selbst zu schauen vermeinte und mit ihm entzückt war von ihrer Herrlichkeit und Schönheit. –

Es hatten aber die Söhne des Hauses die Rede des Malers wohl beachtet, und seine Worte hatten aller Seelen entzündet, einen jeden nach seiner Art. Als nun der Maler das Haus verlassen, traten sie fast alle zugleich vor den Vater und baten und riefen: »Laß uns Maler werden, o Vater!«

Der Vater aber langte ein Kästchen hervor und sprach: »Seht, diese Farben hat mir mein Freund zurückgelassen, um sie dereinst demjenigen unter euch zu geben, dessen Seele sich hinneigen würde zu seiner Kunst. Nun aber seid ihr alle entbrannt dafür. Wem soll ich unter euch die Gabe reichen?«

»Dem Würdigsten!« riefen die Knaben.

Und der Vater entgegnete: »Es sei, wie ihr wollt; – ich werde euch prüfen!«

Und er ging fortan mit sich zu Rate, wie er das Herz der Knaben erforsche. Darauf nahm er einen nach dem andern, zuerst den Aeltesten, in sein Gemach und begann folgendermaßen: »Du hast mir gesagt, du wollest ein Maler werden. Sage mir nun auch, was bestimmt dich zu dieser Wahl?«

»Ich will,« entgegnete jener, »ein angesehener und berühmter Mann werden, gleich dem Fremden, damit mich die Großen des Landes an ihre Tafeln ziehn und die Welt von mir spreche. – Weit soll mein Name erklingen, und überall soll man meiner mit hoher Verehrung gedenken, denn also ist mein Wunsch, – und dazu will ich die Kunst der Malerei erlernen.«

»Ich fürchte, die himmlische Muse ist nicht mit dir!« klagte der Vater, den hochmütigen Knaben entfernend.

Und er befragte nun den Zweiten und sprach: »Warum willst du Maler werden?«

»Ich denke mir auf diese Weise große Reichtümer zu sammeln und mir ein bequemes Leben zu schaffen,« entgegnete der Gefragte; »von früh bis Abend will ich fleißig sein und immer auf neuen Verdienst sinnen, bis ich der reichste geworden bin unter allen Malern!«

»O weh,« klagte der Vater, »die Muse ist ihm ferner denn dem Ersten,« und betrübten Sinnes entließ er den Knaben.

»Rede,« sprach er zu dem Dritten, und der Knabe begann: »Ich möchte gern recht viele artige Bilder fertigen, gleich dem fremden Maler, damit ich dich und die Brüder und alle Welt erfreuen könnte. Daneben möchte ich mir gern auch einiges Geld verdienen, daß ich mir so schöne, bunte Kleider kaufen kann, wie der Maler sie trug, – denn gerne möchte ich allen gefallen und mir aller Herzen gewinnen, sei es nun auf diese oder auf jene Art.«

»O Eitelkeit,« seufzte der Vater, »auch in den besten Herzen muß ich deiner Stimme begegnen. Gehe hinaus, mein Sohn,« sprach er lauter, »zu deinem Ziele führen viele Wege, auch wenn die Muse ihre Hilfe versagen sollte!«

»Theodor!« rief er, als der jüngste seiner Söhne eingetreten und, von dem Mißerfolg der Brüder abgeschreckt, schüchtern an der Schwelle des Gemaches stehen geblieben war. Mit sanfter Stimme rief er den Knaben herbei, denn er hatte ihn lieb, weil er von stiller, verträglicher Gemütsart und der bescheidenste unter seinen Brüdern war. Mühsam vermochten seine Fragen das Geheimnis des Knaben zu entsiegeln.

Endlich begann dieser mit hocherglühenden Wangen: »Ich wollte nur einmal die heiligen Engel malen, so wie es der Maler getan.«

»Wie kannst du die Engel malen, da du doch keinen von ihnen gesehen?« fragte der Vater.

»Ich habe dir wohl erzählt, mein Vater,« fuhr der Knabe lebhafter fort, »wie ich oft bei Nacht unser süßes Mütterlein sehe. Immer ist sie dann von rosigen Knaben umgeben, die sie bedienen und ihr Blumen bringen, – aber seit der Maler von seinen Bildern sprach, weiß ich, daß dies Engel sind, denn nichts reicht an die Lieblichkeit ihrer Gestalt und die Freundlichkeit ihres Angesichts. Auch am Tage schwebt mir oft ihr Bild vor der Seele, darum bin ich so gern allein und frage wenig nach dem Spiel der Brüder. Ich glaubte immer, ich wurde es so zeichnen können, wie es meine Seele erblickt, aber meine Hand ist sehr ungeschickt und kann es nie meinem Herzen nach Wunsch machen,«

»Zeige mir deine Versuche!« bat der Vater, und der Knabe brachte, was er hatte, und es waren der Zeichnungen viele, aber in allen stand eine hohe Frau, von Kindern umgeben, und man sah, wie sich in jedem Bilde die Idee aussprach, die Mutter auf alle Weise zu erheben und mit allem Glänze zu schmücken. Heiliger Genius, sprach der Vater in seinem Herzen, wie ringst du schon so früh in des Menschen Brust, das zu vergöttern, was sie liebend umfaßt halt!

Der Knabe aber hielt des Vaters Schweigen für Mißfallen an seinen Versuchen und weinte still: »Ach, könnte ich nur malen, du würdest dann das Mütterlein ganz anders erblicken!«

»Ich werde dich zu einem Lehrer geben,« begann der Vater, »aber du wirst dann lange Jahre ganz still und einsam leben, denn jener Mann ist ein Klosterbruder, und du bekommst nur die schlechteste Kost und die armseligste Kleidung.«

»Wenn er mich nur malen lehrt, so wie der fremde Meister,« jubelte der Knabe.

»Damit die Menschen deine Bilder anstaunen und du einen großen Namen gewinnst!« prüfte der Vater.

Da erglühte der Knabe wie von einem schnellen Gedanken erfaßt und sprach: »Ja, mein Vater, und wenn ich auch im Kloster bleibe, die Gemälde müssen hinaus in die Kirchen und Galerien, damit die ganze Welt sie sehe und alle sich daran erfreuen und würdige Meister davon erzählen, so wie es gestern der Fremde von den schönen Gemälden getan.«

»Die Verbreitung des Schönen, nicht eigennütziger Ruhm ist sein Verlangen,« sprach der Vater; »sein Sinn ist rein, bei ihm werden die Himmlischen wohnen!«

Und er ergriff das Kästchen und sprach: »Da du einmal die Bilder in deiner Seele empfangen hast, so muß ich dir wohl auch die Farben dazu reichen! – Dein Beruf scheint der echte und deine Liebe die wahre! Mit dir wird die göttliche Muse sein, denn um ihrer selbst willen suchest du sie. – Fährst du fort, an ihr allein zu hangen, so wird sie sich dir auch ergeben wie eine liebende Braut, und alles übrige wird dir zufallen, und dein Leben wird gekrönt sein mit jeglichem Heil!«


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