Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Brautgabe

Paulina, eine vornehme Römerin, besuchte einst Septimia, die Freundin ihrer Jugend, welche Unglück und Armut lange von ihr entfernt und geschieden hatte.

Aber nicht das Band neu erwachten Gefühls war es, was sie zu ihr zog, mit eitler Hoffart betrat die an alle Genüsse des Lebens gewöhnte Frau die Schwelle des Gemachs, in dem Septimia beschäftigt war, köstliche Gewande zum Verkauf zu weben, denn sie war sehr arm und mußte von dem Fleiße ihrer Hände leben.

»Septimia,« begann Paulina, »ich komme zu dir, um das Brautgewand meiner Töchter bei dir zu bestellen, denn ich habe sie beide verlobt und will, daß ihre Morgengabe köstlicher sei denn alles, was Eltern je zum Schmuck und Bedarf ihrer Töchter ersannen. Spare darum die köstlichsten Verzierungen nicht und bereite die Gewänder würdig unseres Standes und unseres Reichtums.«

So sprach Paulina und fuhr mit eitler Beredsamkeit fort, Septimia von dem Wert ihrer Aussteuer zu erzählen und von den Schätzen an Gold, köstlichen Teppichen und zierlichen Geräten, die sie für ihre Töchter gesammelt habe.

»Da gibst du deinen Töchtern wohl mehr, als sie bedürfen?« fragte bescheiden Septimia.

»Mit nichten,« entgegnete Paulina. »Eine gute Erziehung bringt große Bedürfnisse mit sich, und ich will die Götter preisen, wenn ich sie durch meine Fürsorge wenigstens vor der Last drückender Entbehrung geschützt habe.«

»Wenn dem also ist,« entgegnete sanft lächelnd Septimia, »so habe ich für meine Töchter eine noch reichere Aussteuer besorgt.«

»Reicher,« rief hocherstaunt die stolze Römerin und warf einen fragenden Blick auf Septimia.

»Willst du dich von der Wahrheit meiner Rede überzeugen,« sprach Septimia, »so folge mir in ihr Gemach. Ich will dir die Kleinode zeigen, deren Wert zehnmal mehr beträgt, als sie zu ihren Bedürfnissen nötig haben.«

Und sie öffnete das Gemach. Da saßen drei einfach gekleidete Jungfrauen an ihren Webstühlen, und das Werk ihrer Hände war hell und lieblich anzusehen, gleich dem Glanz der Sonne und dem buntfarbigen Schmuck der Blumen, und ihre Wangen glänzten von Gesundheit und Heiterkeit.

Als aber die Mutter mit der vornehmen Römerin hereintrat, standen sie auf und verneigten sich ehrerbietig vor den Frauen. Und Septimia führte ihre Töchter zu Paulina und sprach:

»Siehe, Paulina, das Kleinod, das ich meine, ist der Fleiß dieser Hände. Mögen die Götter die Aussteuer deiner Töchter ihnen ebenso zum Heile gedeihen lassen, wie ich mir von meiner Sorgfalt süße Früchte versprechen darf! Siehe, diese haben mehr, als zu der Freude des Lebens erforderlich ist, denn ihre Bedürfnisse sind gering und Fleiß und Geschicklichkeit überall gesucht. Darum wird auch der Mann nicht klagen, dessen Wahl sie einst trifft. Ihre Brautgabe ist sicherer denn Gold, darum gilt ihr Wert in den Augen des edlen Mannes wohl eben so viel wie die Perlen des Orients.«

So sprach Septimia. Die Töchter aber schlugen die Augen nieder und erröteten sehr, denn sie hatten die Mutter zum ersten Male über den Wert ihres frommen Fleißes sprechen gehört.


 << zurück weiter >>