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Bismarcks Schwur

Totenballade zur Hundertjahrfeier

Gott hat die Völker der Erde entboten,
die Lebenden hören's. Es hören's die Toten.
Erzengel Michael lädt zum Gericht,
Weltbrands Glut überflammt sein Gesicht.
Zum Gottesurteil mit lohendem Stahl
umhegt er als Walstadt Berge und Tal.
Alle Völker der Erde stehen bereit
zum Kampf um die Krone der Ewigkeit.
Alles tragen sie in die Schranken,
Herzen und Schwerter und Gedanken!
Alle Völker starren in blinkender Wehre.
In der Erde erwachen die schlafenden Heere!
Die Toten, aus Gräbern, hören marschieren,
die Toten, die Toten mobilisieren – – – !

Es brandet und braust über Ländern und Meeren
wie von Wild-Wodans wütigen Heeren.
Ein Grausen und Brausen wühlt mit Macht –
weiß keiner, woher – in die Gluten der Schlacht.
Über der Söhne und Enkel Todesritt
brausen die toten Geschwader mit.
Volk steht wider Volk zur Mauer geschweißt,
in Gewittern umflammt von der Ahnen Geist!

Wer führt unsrer Toten nächtige Heere
im Sturm über Länder und Herzen und Meere?
Wer reitet vorauf, des Auges Glut
tief überschattet vom dunklen Hut?
Es ist's. Der Eine. Der Völkerschrecken.
Der riesige Rufer im deutschen Wecken,
der Recke, der Wachsame unter den Toten,
dem Feuersäulen als Opfer lohten.
Er hielt bei Feuern auf Bergen Wacht,
nun führt er die Toten in die Schlacht.
Er ist's, der in uralter Eichen Hut
in leisem Schlummer im Sachsenwald ruht,
der in Hamburg über des Weltmeers Pracht
grau und steinern hält drohende Wacht.

Er hörte in Jahren und aber Jahren
die Züge donnernd zum Weltmeer fahren.
Das Lied deutscher Arbeit, das brausend klang,
war des Riesen im Walde Schlummergesang.

Da klirrte das Lied mit einem Mal!
Tausend Wagen frachteten grauen Stahl,
grauen Stahl und grau-reisige Heere.
Tausend Wagen donnerten klirrend zum Meere ...

Von dem Kriegslied der feurigen Achsen geweckt,
hat sich der Riese im Walde gereckt,
und ist unterm Klirren der donnernden Achsen
mit dem drohenden Haupt in die Wolken gewachsen.
Von seines Schrittes Wucht und Macht
sind tief in der Erde die Toten erwacht.
Sie horchen und lauschen aus Erde und Gruft:
Der hundertjährige Bismarck ruft!

Der hundertjährige Bismarck wirbt
ein Heer, an dem der Pöbel verdirbt,
der Pöbel, der mit unreinen Waffen
anfiel das Reich, das ein Bismarck geschaffen,
der den Schild begeifert, den Bismarck geschmiedet,
mit dem drei Kaiser die Welt befriedet!
Nun reitet der Riese. Ihm nach seine Toten,
des heiligen deutschen Geistes Boten.
Durch Feuerwolken und Nacht dahin
sieht man den Hundertjährigen ziehn.

An der Spree vor grausteinernem Kaiserschloß
hemmt er zum ersten den nächtigen Troß.
An des Kaisers Türe zum Kaisersegen
treibt's ihn die heilige Hand zu legen.
Im Kreis stehn die Toten wie zum Gericht,
und der hundertjährige Bismarck spricht:

»Gott weiß: ich habe in alten Tagen
dir, Kaiser, ehrlichen Groll getragen.
Du weißt, wie Tote grollen
und wie am heißen Wollen
des Lebenden der Groll der Toten zehrt
wie Rost am Schwert ...
Heut, Kaiser, ist's dein Geist,
der feuerrein von tausend Schwertern gleißt.
Heut, Kaiser, jätete dein heil'ges Wort
den Bruderzwist aus deutschen Herzen fort.
Dein Wort griff tief,
tief in die Erde, wo ich grollend schlief.
Mein Enkel reitet, Herr, in deinem Heer,
doch geb' ich mehr!
Hörst du die Hand, die dir am Tore dröhnt?
Kaiser! Der Schatten Bismarcks ist versöhnt!«

Schwer dröhnt das Wort.
Durch Saal und Hallen schwillt es wachsend fort.
Ein Singen läuft durch den grauen Stein ...
Hochragend steht Bismarck im Sternenschein.
Grausteinern er selbst, doch von Licht durchglüht,
das wie Morgenrot aus dem Innern ihm blüht:
Als heiliger Gral durch den Panzer von Stein
strahlt das deutsche Herz mit rosigem Schein ...
– – – – – – – – – – – – – – – – –
Der Morgen schwang die Fackel übers Land.
In Sonnennebeln schwand
der Toten Chor.
Doch in des Kaiserschlosses eh'rnem Tor
im Licht des Tags als Schicksalsrune stand
tief eingebrannt
des Toten Schwurhand, die daraufgelegen
zum Kaisersegen.

Nachschwört ein Volk vor Kaiser Wilhelms Toren
Den Schwur, den Bismarcks Schwurhand vorgeschworen.

*


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