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Zwölftes Kapitel.

Die Viper. – Auf dem Markte. – Das Pfarrhaus.

 

Hinter dem Herrenhause zogen sich Ackerfelder hin, und ich strich gerne auf denselben herum. Als gar die Mäher auf einige dort liegende Wiesen kamen, richtete ich mich ganz bei ihnen ein; denn der Duft des Heues tat mir wohl, und ich fühlte, wenn ich ihn einsog, meine Brust sich erweitern. Eines Morgens bemerkte mich Kamilla; sie kam zu mir, nahm mich auf ihren Arm, streichelte mich und ließ mich von den Heuhaufen herunterfliegen. Als dieses Spiel eine gute halbe Stunde gedauert, ließ sie sich auf ein Bündel Heu nieder, das dicht neben dem Wege lag. Sie war so müde, und das Wetter war so warm, daß sie bald einschlummerte. Ich blieb, ohne mir etwas dabei zu denken, wie ein Leibwächter bei ihr; dabei erinnerte ich mich unseres ganzen seitherigen Zusammenlebens; ich bemerkte, wie sie inzwischen größer und schlanker geworden, ihr Gesicht hatte eine frische, gesunde Farbe bekommen, und ihr langes, goldenes Haar war noch länger geworden. Aus meiner Betrachtung wurde ich durch ein leises Geräusch erweckt, das so unerwartet kam, daß ich unwillkürlich zusammenfuhr. Ich schaute aufmerksam nach der Seite, woher das Geräusch kam, und bemerkte zu meinem großen Schrecken eine Viper, die langsam unter dem Grase hervorkroch. Ein geheimer Trieb läßt uns diese verräterischen Tiere verabscheuen, und meine erste Regung war schleunigste Flucht; aber Kamilla war dem Bisse der Viper ausgesetzt, wie konnte ich sie verlassen? Ich mußte um jeden Preis sie wecken und dieser Gefahr sie entreißen. Ich bot alles auf, um möglichst Lärm zu machen, ich schwang geräuschvoll meine Flügel, ich schrie, so laut ich konnte: umsonst, nichts störte den Schlummer des lieben Kindes, und die Viper kroch langsam immer näher. Ich warf einen verzweifelten Blick um mich, da saß Herr Dauler ruhig an einen Baumstamm gelehnt und las; Sansibar in seiner weißen Jacke und Schürze suchte im Graben Kräuter für die Küche. Ich lief von einem zum andern und schwang ungeduldig meine Flügel. Vergeblich! Entweder bemerkten sie mich nicht, oder sie verstanden nicht, was ich wollte. Und inzwischen kroch die Viper immer näher; wenn sie auf der einen Seite eines Grasbüschels verschwand, kam sie auf der andern zum Vorschein; jetzt sah ich ihren häßlichen Kopf ganz nahe der Wange Kamillas, ihre spitze Zunge verlängerte sich zischend: es war entsetzlich.

Ich war außer mir; ich dachte an nichts mehr und pickte meiner Herrin so heftig in ihr liebes Händchen, daß sie mit einem durchdringenden Schrei erwachte. Die Viper war in einem Augenblick verschwunden.

Herr Dauler, Sansibar und Trine, die gerade des Weges kamen, eilten auf das Geschrei Kamillas herbei. Diese betrachtete ganz verwirrt ihre verwundete Hand. Sansibar kniete vor ihr und trocknete mit seiner weißen Linnenschürze das Blut ab, das aus der Wunde herausfloß.

»Buntschecke hat sie gebissen«, schrie Trine; »das Huhn ist wütend; ich sage Ihnen, es ist wütend!«

Herr Dauler ergriff mich an den Füßen, schüttelte mich heftig und warf mich dann Trinen in die Schürze.

»Ich will es verkaufen, Herr«, sagte sie; »dieses elende Vieh wird ganz bestimmt noch ein Unglück anrichten. Ich gehe doch auf den Markt, ich nehme es mit.«

Herr Dauler antwortete nur durch ein zustimmendes Kopfnicken, dann nahm er den Arm Kamillas, die sich erhoben hatte. Und während sie nach dem Herrenhause zurückkehrten, ging ich in die Hand meiner Feindin über, die boshaft über den Streich lachte, den sie mir gespielt. Die Trennung von meiner teuern Kamilla tat mir so weh, daß ich keinen Versuch zum Widerstand machen konnte.

Auf dem Wege hielt der kleine, mit einem Esel bespannte Karren Trinens; auf demselben befand sich ein mit Geflügel aller Art angefüllter Korb, in welchen mich Trine warf, nachdem sie mir zuvor die Füße so fest zusammengebunden, daß mir das Blut heftig zu Kopfe stieg; dann versetzte sie dem Esel mit der Peitsche einen kräftigen Schlag, worauf sich das Tier in einen schwerfälligen Trab setzte.

Ich machte diese Reise in Gesellschaft schnatternder Enten, scheuer Kaninchen und schmutziger Truthähne, und dieser Umstand trug keineswegs dazu bei, meine Lage angenehm zu machen. Ich bekam heftiges Kopfweh, das alle meine Fähigkeiten lähmte, und wurde erst dann wieder meiner selbst bewußt, als ich mich auf dem Marktplatze befand. Trine saß zwischen ihren beiden großen Körben, die nun nicht mehr durch die furchtbaren Stöße des Karrens erschüttert wurden. Ich erhob ein wenig meinen immer noch schmerzenden Kopf und schaute um mich.

Der Markt wurde auf einem großen, rings von Häusern umgebenen Platze abgehalten; mir gegenüber sah ich eine altertümliche Kirche; vor einem Hause stand ein Brunnen, dessen Wasser ich hervorsprudeln sah und rauschen hörte. Das vermehrte noch meinen Durst, der mir fast die Kehle zusammenschnürte.

Eine dichte Masse drängte sich zwischen den Händlern und Händlerinnen, und es lief stets ein Schauder über meinen Rücken, so oft ein Käufer bei Trine stehen blieb. Meine Gefährten betrachteten stumpfsinnig den Markt, und ein dummer Truthahn lenkte durch sein Geschrei die Aufmerksamkeit eines wohlbeleibten Mannes, der wie Sansibar eine weiße Mütze und eine weiße Schürze trug, auf sich.

Er begann zu feilschen und betastete mich plaudernd mit seiner großen, fleischigen Hand.

»Was ist das für eine Drossel?« sagte er, »die ist auch nicht in Burbach gefüttert worden!«

»Doch, mein guter Herr; aber es ist ein boshaftes Salontier, ein verwöhntes Ding, das nicht fressen will wie die andern. Sie hat mir genug Mühe gemacht; nehmet sie, ich würde mich wahrhaftig freuen, sie in der Bratpfanne zu wissen.«

»Aber nicht in der meinigen; reden wir von den andern, von den Enten, von dem Truthahn, den ich schreien gehört habe.«

Sie stritten um den Preis, und schließlich kaufte der dicke Wirtskoch meine sämtlichen Gefährten.

»Niemand will dich, du verwünschtes Vieh«, sagte Trine, und warf mir einen verächtlichen Blick zu, »aber ich will dich eher wegschenken, ehe ich dich auf das Herrenhaus zurückbringe. He, Sie! Fräulein Luise! Wollen Sie nicht dieses Hühnchen für das Pfarrhaus kaufen?«

Fräulein Luise war eine kleine, runde Person und sah trotz ihrer weißen Haare recht frisch aus. Sie trug die landesübliche Bauerntracht, aber diese stand ihr viel besser und würdevoller als den andern. Eine Person, so alt wie sie und gekleidet wie sie, nur etwas einfacher, trug einen Sack von feiner weißer Leinwand auf ihrer Schulter und folgte ihr.

Sie näherten sich und betrachteten mich freundlich.

»Welch ein liebes Hühnchen«, sagte diejenige, die offenbar die Herrin war; »wie ist es komisch buntscheckig.«

»Es heißt auch Buntscheckchen.«

»Es hat einen Namen?«

»Ei ja, Fräulein Kamilla liebt es, allen ihren Tieren Namen zu geben.«

»Gerade wie beim Herrn Pfarrer. Die junge Wachtel, die er aufzog, hat auch einen Namen.«

»Kaufen Sie mir das Huhn ab, Fräulein Luise; irgend jemand muß es doch nehmen; es ist schon spät, ich habe nur noch das eine und gebe es billig.«

»Wie teuer?«

»Geben Sie mir eine Mark und zwanzig Pfennig; dafür sollen Sie es haben.«

»Das ist nicht teuer«, sagte Fräulein Luise; »das Hühnchen ist lieb.«

»Es ist nicht teuer«, wiederholte Kreszenz.

»Meinst du? Nun, so geben Sie es her, ich nehme es.«

Trine faßte mich rauh an.

Fräulein Luise hatte den Linnensack geöffnet, der auf dem Rücken ihrer Magd hing.

»Da, gehe hinein, Buntscheckchen«, sagte Trine spöttisch, und stieß mich in den Sack. »Jetzt werde ich nichts mehr mit dir zu schaffen haben und bin auch gar nicht bös darüber.«

Fräulein Luise machte mir meinen Platz im Sacke zurecht. Dann hob Kreszenz den Sack wieder auf ihre Schulter, und ich befand mich nun wie in einem kleinen tragbaren Zelte.

Meine neuen Eigentümer entfernten sich von Trine, der ich, wäre ich ein Mensch gewesen, zum Abschiede alles Böse an den Hals gewünscht hätte, und durchzogen den Markt von einem Ende zum andern.

Sie kauften dies und jenes, beratschlagten zusammen und sagten jedesmal: »Aber der Herr Pfarrer wird das alles viel zu teuer finden.«

Das leichte, regelmäßige Schwanken, das ich in meinem Sacke empfand, wiegte mich allmählich in einen Halbschlummer, aus welchem mich plötzlich der Ton einer klangvollen, mir wohlbekannten Stimme weckte. Ich streckte den Kopf aus dem Sack und bemerkte einen vornehmen jungen Mann, der einen großen Korb voll Hühner durchwühlte, eines nach dem andern betrachtete und dann wieder zur Seite schob. Es war Heinrich, der Vetter Kamillas, und ich fragte mich, was er wohl auf dem Markte suche, als er plötzlich durch einen andern jungen Mann angestoßen wurde, der lachend die nämliche Frage an ihn richtete.

»Ich suche Buntscheckchen«, erwiderte Heinrich.

»Wer ist Buntscheckchen?«

»Das ist ein Hühnchen, auf welches meine Cousine Kamilla viel hält. Es ist das die sonderbarste Geschichte, die man sich vorstellen kann, und ich kann dir versichern, das Tierchen hat eine wahrhaft wunderbare Probe seiner geistigen Fähigkeiten gegeben.«

»Nun?«

»Meine Cousine war auf einem Heubündel eingeschlummert und wurde plötzlich durch einen heftigen Schmerz geweckt; ihre Hand war voll Blut: das Huhn, das mit gesträubtem Gefieder wie wütend um sie herumraste, hatte ihr mit dem Schnabel fast den Finger durchgestoßen.«

»Und du suchst es auch noch, Heinrich? Ich dächte, das geeignetste wäre ein gute Schrotladung.«

»Geduld; mein Onkel ist natürlich im höchsten Grade aufgebracht und wirft das Huhn auf den Karren, der gerade zu Markte fährt. Eine halbe Stunde später entdeckten der Pächter und Sansibar, welcher die Wiese noch nicht verlassen hatte, in dem Heuhaufen, auf welchem Kamilla geschlummert, eine in ihrem Neste zusammengerollte Viper. Nun erklärte sich alles, da der Pächter die Gewohnheiten dieser Tiere kannte; das Huhn hatte die Viper gespürt, allen möglichen Lärm gemacht, um die Aufmerksamkeit der Leute zu erregen, und als alles vergeblich war, schließlich Kamilla verwundet, um sie zu retten. Ist das nicht wahrhaft rührend?«

»Ich kann's nicht leugnen.«

»Das arme Buntscheckchen wurde also ungerechterweise zur Strafe des Marktes verurteilt, und als der wahre Beweggrund seines Handelns aufgedeckt wurde, verwandelte sich der Zorn in desto größere Zuneigung. Kamilla weint um ihr Huhn, daß es einen Stein erbarmen möchte, und da ich nun Buntscheckchen kenne, so habe ich mich mit Sansibar auf die Suche gemacht. Die Magd des Hühnerhofes, die es bereits verkauft, sucht es ebenfalls; aber sie scheint mir keinen besondern Eifer zu entwickeln.«

»Sansibar! Ist das nicht der alte Neger, den ich da unten bemerkte? Ja, gewiß ist er's, er sieht wahrhaft köstlich aus.«

»Nun, Sansi, wäret Ihr glücklicher als ich?«

Diese Frage richtete sich an den alten Neger, der langsam herbeikam. Er war in seiner städtischen Tracht, und sein Aussehen rechtfertigte in der Tat, was Heinrichs Freund geäußert; denn er trug einen schwarzen Rock mit breiten Schößen, einen ungeheuern Hut, eine himmelblaue Weste und eine rosenrote Halsbinde. Dabei hielt er in seiner dicken, schwarzen Hand ein sehr dünnes Spazierstöckchen. Wenn er so ausging, bildete er sich nicht wenig darauf ein, daß alle Leute ihm nachsahen.

»Nichts, junger Herr«, sagte er entmutigt, »es ist nicht mehr auf dem Markte; vielleicht nicht einmal mehr in der Stadt.«

»Habt Ihr denn Eure Küchenkollegen auf dem Markte gefragt?«

»Natürlich; da entschlüpfte mir keiner; ich habe mich nicht darauf beschränkt, sie zu fragen, ich habe auch alles, was sie aufgekauft, durchgestöbert. Buntscheckchen ist nicht dabei.«

»Also müssen wir darauf verzichten, Sansi?«

»Nein! Nie!« sagte der alte Neger, dessen Hitze plötzlich wieder erwacht war; »suchen wir immer weiter.«

»Nun denn, vorwärts«, wiederholte Heinrich; »Kamilla wäre glücklich, wenn sie ihr Huhn wiedersähe.«

In welche Aufregung mich dieses Gespräch versetzte! Ich streckte meinen Hals, so weit ich konnte; ich krähte mit einer Energie, daß ich mich wunderte, als nicht der ganze Mark darüber in Aufruhr kam.

»Ach, es war alles umsonst! Heinrich kannte meine Stimme nicht hinreichend, um dieselbe unterscheiden zu können Sansibar war ein wenig taub, und im Augenblicke, mit seinem großen Hut, seiner rosenroten Schleife und seinem Spazierstöckchen, fürchte ich, war er noch etwas tauber als gewöhnlich.

Sie entfernten sich dann wieder, und ich ließ den Kopf vor Ermüdung hängen; ich zog mich in mein Zelt zurück – wie Achilles, hätte Heinrich gesagt, der solche klassischen Vergleiche liebte.

Es gereichte mir zum großen Troste, daß meine Unschuld anerkannt wurde, aber dabei war ich so niedergeschlagen von dem Laufe meines Schicksals, daß ich mich um die Zukunft nicht bekümmern mochte. Ich ließ mich durch das Städtchen bringen, ohne weiter auf die Worte zu hören, die außerdem nur undeutlich in meinen Linnensack drangen. Erst da erwachte ich aus meiner Niedergeschlagenheit, als an Stelle des seitherigen Schwankens kräftige Stöße getreten waren. Da mußte ich doch wissen, welche Veränderungen inzwischen meine Lage erfahren hatte.

Ich suchte eine Weile die Öffnung des Sackes und schob dann meinen Kopf ins Freie. Vor mir sah ich die rauhhaarigen Ohren eines kleinen Pferdes, das einen leichten, grün angestrichenen Karren zog; die beiden Alten, welche gleich gutmütige Gesichter hatten, saßen auf einer hölzernen Wagenbank; die eine hielt die Zügel und eine große Peitsche, von welcher sie aber keinen Gebrauch machte; die andere murmelte eintönige Worte, die ich nicht verstehen konnte, nur sah ich, daß sie eine Schnur mit kleinen, runden Kügelchen dabei in der Hand hielt, und von diesen Kügelchen schob sie manchmal eines von der linken Seite auf die rechte. Ich saß ganz bequem in einem Korbe, auf welchen Kreszenz ihre Füße stützte.

So trabten wir langsam eine endlose Zeit dahin. Fräulein Luise trieb das Pferdchen durchaus nicht; im Gegenteil, sie ließ es manchmal eine Weile halten, damit das arme Tier doch auch ausschnaufen könne, wie sie sagte.

Erst mit Einbruch der Nacht kamen wir in einem freundlichen Dorfe an; wir fuhren über einen Hof und hielten vor einem niedrigen Hause, dessen Vorderseite fast gänzlich mit Schling- und Kletterpflanzen bewachsen war. Auf einer Holzbank vor dem Hause saß ein hochgewachsener Greis mit schneeweißen Haaren, der ein langes, schwarzes, mit unzähligen kleinen Knöpfen besetztes Gewand trug. Er las in einem mit schwarzem Ledereinbande versehenen Buche, und zu seinen Füßen wälzte sich im Sande ein junger Pudel, welcher bei unserer Ankunft ein Freudengekläff erhob.

»Nun, siehst du, Luise, ich bin doch vor euch heimgekommen«, sagte der Greis, sich erhebend; »der Markt hat wohl heute den ganzen Tag gedauert?«

»O, Herr Pfarrer, was für Leute, was für Leute!« rief Kreszenz, welche mit vieler Mühe den Korb von dem Wagen heruntergebracht; »das ganze Land fand sich zusammen.«

»Um so besser; dann haben auch meine Pfarrkinder Gelegenheit gefunden, ihre kleinen Geschäfte abzumachen. Was ist denn in diesem Korbe? Aber, Luise, woher nimmst du denn das Geld, um all diese Dinge zu kaufen?«

»Es ist ja fast nichts darin«, sagte Luise mit einer Entschiedenheit im Tone, welche jede weitere Erörterung verbieten zu wollen schien, und als ob sie darüber übereingekommen seien, breiteten nun Kreszenz und sie alles, was im Korbe enthalten war, auf einem Tische im Hofe aus, wobei sie um die Wette die Notwendigkeit, die Billigkeit und die Schönheit der gekauften Dinge anpriesen. Der Pfarrer besah sich eines nach dem andern und machte, wie es eben zum Vorschein kam, eine ernste oder komische Bemerkung.

»Da ist ein guter Regenschirm, lieber Bruder: schöne Seide, festes Gestell, auch nicht teuer, weil das Seidenzeug einen Fehler hat.«

»Ein Regenschirm? Nun, und dieser da?«

Mit diesen Worten spannte der Pfarrer einen großen, neben ihm stehenden Schirm von bräunlicher Farbe auf, dessen Holzgriff vom vielen Gebranch wie ein Spiegel glänzte.

»Weißt du, daß es eine wahre Schande ist, diesen verschossenen Alpaka-Schirm aus dem vorigen Jahrhundert zu tragen? Aber du weißt gar nicht, was sich schickt; alle Herren tragen eben seidene Regenschirme. Da sieh einmal den schönen Käse!«

»Wir haben ja Butter, Luise!«

»Ich weiß, was wir haben, lieber Bruder, besser als du«, sagte Luise mit ungemein geläufiger Zunge. »Meinst du, auf einem ordentlichen Tische schicke sich Auslaßbutter? Ich hatte es mir schon lange vorgenommen, diesen Sommer werden wir Holländer Käse bekommen, da ist er!«

»Da ist er!« wiederholte die alte Kreszenz und hob den roten, kugelrunden Käse mit beiden Händen in die Höhe.

»Und das da, das geht dich nichts an«, begann Luise wieder; »das ist für meine kleine Hausapotheke.«

»Was?« erwiderte der Pfarrer lächelnd, »das geht mich gerade an. Warte, ich will nur meine Brille aufsetzen. So, jetzt laß mich einmal sehen: Wein mit Chinarinde, gut; Magnesia, auch gut; Zinksalbe, ausgezeichnet; Anistropfen, sehr erwünscht; da will ich noch heute abend etwas dem Kinde des Webers geben, bei dem es mir gar nicht nach Wunsch geht. Was ist denn in diesen Paketen?«

»Das sind kleine Toilettengegenstände für uns.«

»Nun, und Peter? Habt ihr denn Peter vergessen?«

»O warum nicht gar, Herr Pfarrer!« sagte seine Schwester mit einem entrüsteten Knix, »da ist ein Geographiebuch für ihn und ein neuer Hut.«

Der Pfarrer sah sich das Buch genauer an, stellte den Hut auf den Kopf seines alten Regenschirmes und rief, so laut er konnte: »Peter!«

An einem kleinen, hinter Blätterwerk versteckten Fenster kamen plötzlich zwei Hände zum Vorschein, die ein großes Buch hielten, und hinter demselben erschien ein mutwilliges Gesicht.

»Komm her und hole die Geschenke der Tante«, sagte der Pfarrer gutmütig.

Das Gesicht und die Hände verschwanden, aber bald darauf öffnete sich die Türe, und ein kleiner, blonder, gewandter Bauernjunge trat heraus. Er eilte jubelnd herzu; mit der einen Hand ergriff er das Buch, das der Pfarrer ihm hinhielt, und mit der andern stülpte er den Hut auf seine von Natur krausen Haare.

Alle standen um ihn herum und bewunderten ihn.

»Er sieht aus wie ein Mann«, sagte der Pfarrer.

»Er sitzt ihm wie angegossen«, fügte Luise bei.

»In ganz Lohstadt gibt es keinen schöneren Hut!« rief Kreszenz.

Da nun Peter selbstgefällig den Kopf hin und her wiegte und nach allen Seiten drehte, bemerkte er auch mich in einer Ecke des im übrigen leeren Korbes.

Alsbald sprang er zu mir und nahm mich auf die Hand.

»Welch ein liebes Huhn, Tante Luise!« rief er.

»Auch noch ein Huhn!« sagte der Pfarrer. »Aber Luise, du verlierst doch an den Markttagen jedesmal den Kopf.«

»Aber hast du denn nicht am nächsten Montag Gäste eingeladen?«

»O Tante«, sagte Peter und hielt mich fest in seinen Armen, »es ist so lieb, so buntscheckig.«

»Es heißt auch Buntscheckchen, Kind. Es kommt von dem Herrenhause in Burbach und war das Huhn des jungen Fräuleins.«

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»Man könnte es für ein Rebhuhn halten«, sagte der ehrwürdige Pfarrer.

»Man könnte es für ein Rebhuhn halten«, sagte der ehrwürdige Pfarrer, mir den Kopf streichelnd.

»Man könnte es aber doch nicht ins Kraut setzen«, sagte Kreszenz mit einem bedeutungsvollen Gesicht.

»Oh, oh, du!« rief Peter; »du hast immer eine Bratpfanne bei der Hand, in welche du alles tun willst!«

»Still jetzt«, sagte der Pfarrer; »gib das Huhn Kreszenz und mache deine Übersetzung fertig; und du, Luise, räume mir das alles weg. Solche Luxusgegenstände gereichen wirklich zum Ärgernis, wenn man sie bei einem armen Pfarrer sieht.«

Peter überließ mich zögernd Kreszenz, und diese brachte mich in einen kleinen, vorn mit einem Holzgitter geschlossenen Kasten.

»Es ist ein wenig mager«, sagte sie, mich unter den Flügeln befühlend, »man muß ihm die sechs Tage gutes und reichliches Futter geben.«

Mit diesen Worten verließ sie mich.

Ich begann nun mit großer Bestürzung zu begreifen, welches eigentlich die verhängnisvolle Bestimmung meinesgleichen sei, und als ich diesen Abend im Pfarrhaus von Lohstadt einschlief, da wußte ich, daß ich nur noch sechs Tage zu leben hätte.

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