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Elftes Kapitel.

Bittere Enttäuschung. – Auf dem Pachthofe. – Heinrich und sein Flinte.

 

Meine Enten wuchsen heran und gaben mich mit einer Leichtigkeit auf, welche mich einen Blick in die Tiefe des zwischen Tieren und Menschen bestehenden Abgrundes werfen ließ. Ich sah, wie Kamilla Vater und Mutter mit den zartesten Rücksichten ihrer Ehrfurcht umgab; sie blieb gerne in ihrer Abhängigkeit und bewies ihnen überall die herzlichste Dankbarkeit. Meine tölpelhaften Jungen bewiesen mir weiter nichts als den schwärzesten Undank. Eines nach dem andern entfernte sich von mir und kam nicht mehr von der Pfütze weg. Das Schwächste blieb bis zuletzt; es schlüpfte jeden Abend unter meine Flügel, um sich da zu wärmen, und ich war einfältig genug, dies seiner Zuneigung zu mir zuzuschreiben; aber es dauerte nicht lange, bis ich diesem mir teuren Irrtum entrissen wurde.

Eines Morgens lockte ich es, um ein schönes Stück Brot, das ich entdeckt hatte, mit ihm zu teilen. Es lief herzu und verschlang gierig seinen Teil; als ich aber am andern herumpickte, richtete es sich auf feinen breiten Füßen auf und stieß mir mit dem Schnabel ins Auge; ich trug eine gefährliche Verletzung davon, und wenn dieselbe auch heilte, so büßte ich doch dabei eines meiner Augen ein, auf deren Schönheit ich seither so stolz war. Ich kränkelte eine Weile damit herum, aber nach Ablauf von drei Wochen war ich auf dem verletzten Auge blind.

Der körperliche Schmerz und das Herzweh, das ich darüber empfand, nahmen wir jeden Appetit, und ich sah traurig zu, wie die Ente ihre Gefräßigkeit befriedigte. Sie zeigte nicht einmal den Schatten einer Gewissensregung. Damals begriff ich, daß das, was ich für Zuneigung gehalten, weiter nichts war als elender, selbstsüchtiger Eigennutz. Das eine Auge im Schmerz geschlossen, das andere von Tränen gefüllt, flog ich in den großen Hof der Pächterei, wo ich mich unter der Menge andern Geflügels verlor.

Ich verließ also freiwillig den Hof des Herrenhauses, den schön eingerichteten Hühnerstall, die reichen Mahlzeiten, um dafür das dunkle Landleben auf dem an das Herrenhaus stoßenden Wirtschaftshofe einzutauschen; aber ich hatte vorher alles ausgekundschaftet, und es war mir längst klar, welche Seite mir die meisten Vorteile biete.

In meiner neuen Umgebung mußte ich freilich manchmal zeigen, daß ich auch Schnabel und Klauen hatte; aber ich sah doch Trine nicht mehr. Hier führte der kleine Jakob, der Hirtenbube, welcher munter war wie ein Buchfink, die Aufsicht über das Federvieh. Ich stand bald mit ihm sehr gut; wenn er sich unter den Schatten eines Holunders auf die Böschung setzte und dann ein abgegriffenes Büchlein aus seiner Tasche zog, hüpfte ich zu ihm und schwang mich ihm zutraulich aufs Knie.

»Ach, wie bist du so glücklich, Buntscheckchen!« sagte er dann, mit beiden Händen in seinen blonden, wirren Haaren wühlend; »du brauchst keine Aufgaben zu lernen; du bist einmal glücklich!«

Ich sah ihn zweifelnd an; denn ich hielt es im Gegenteil für ein Glück, wenn man sich unterrichten lassen konnte, ich hatte begriffen, daß mir darin etwas fehle. Für ein Huhn war ich keineswegs dumm; ich besaß Fähigkeiten, die andere nicht hatten; aber ich hatte kein Wissen, ich hatte weder Kenntnis des Lebens noch des Todes. Ach, ich war nur ein Tier. Wenn Jakob dann laut seine Aufgabe hersagte, wobei er sich die Hände vor die Augen hielt, damit er nicht in das Buch sah, dann war ich immer erstaunt über die schönen Worte, die aus seinem Munde kamen, und doch war er nur ein armer Junge, der nicht einmal eine ordentliche Kopfbedeckung hatte – denn dazu diente ihm ein altes, schwarzes Stück Filz – und er trieb weiter nichts, als daß er auf den Wiesen die Kühe hütete.

Übrigens gab ich mich mehr und mehr philosophischen Studien hin, welche den Geist lebhaft in Anspruch nahmen und mich verhinderten, daß ich mich allzusehr in nebensächliche Dinge verlor. Gegenstände für meine Studien mangelten mir nicht. In jeder Tierart fand ich gewisse komische Seiten, die ich auch bei den Menschen antraf.

Ein junger Truthahn z. B., der sich gewaltig brüstete, erinnerte mich an das eitle Kind, das ich gesehen, wie es sich selbstgefällig im Spiegel des Salons bei Daulers betrachtete; niemand sprach hier von Politik oder von der Regierung, aber gleichwohl zerfleischte man sich untereinander, und zwar oft in unnötigster Weise.

Eines Tages strich ich durch einen schattigen Nebenweg, als ich plötzlich einen furchtbaren Lärm hörte. Ich schwang mich auf eine Böschung und bemerkte nun das ganze Geflügelvolk um einen Gegenstand versammelt, der mir wie ein großer, schmutziger Kuchen vorkam. Ein solcher Kuchen kann wohl den Appetit eines an gröbere Kost gewöhnten Magens reizen; aber ich begriff nicht, wie man darüber in solche Wut kommen könne. Denn um den Kuchen wurde eine schreckliche Schlacht geliefert. Da flog man wütend gegeneinander, teilte gefährliche Schnabelhiebe aus; man hörte nur wildes Glucksen, und sah aufgeblasene Kröpfe und gesträubtes Gefieder. Dieser Kuchen regte alle Leidenschaften des ganzen Volkes auf, und da man doch auf dem Pachthofe eigentlich keinen Hunger litt, so mußte eilt gutes Stück Eigenliebe dabei mit im Spiele sein. Ich setzte mich vorsichtig auf einen Zweig des alten Holunders und sah nun von diesem erhabenen Standpunkte aus dem Kampfe zu, welcher sich immer noch in die Länge zog. Die geflügelte Schar wälzte sich durcheinander von einem Ende des Hofes zum andern, und dabei ging die Beute beständig aus einem Schnabel in den andern. Endlich packte ein junger Hahn mit blutrotem Kopf den Kuchen und ging mit solcher Raschheit davon, daß die Kämpfer, die größtenteils außer Atem waren, ihm nicht zu folgen vermochten. Der junge Hahn durchmaß eiligst den Hof, wobei der Kuchen auf dem Boden schleifte. Er brachte ihn glücklich weg und ließ ihn endlich gerade unter meinem Baume fallen. Dann setzte er den einen Fuß auf den Kuchen und stimmte ein triumphierendes »Kikeriki« an.

Nachdem er so seinen eigenen Sieg verkündet, nahm er seine Beute in Angriff. Da stellte sich dann heraus, daß es das alte Stück Filz war, das der Hirtenbube gewöhnlich auf dem Kopfe trug. Wahrscheinlich hatte er dasselbe in eine nahe Pfütze geworfen, und dort war der Filz, als das Wasser vertrocknete, mit grauem Schlamme überzogen zum Vorschein gekommen. So sah er dann fast aus wie ein im Schmutz herumgewälzter Kuchen. Mein junger Hahn hatte von seinem glänzenden Siege keine andere Frucht als einen völlig unnützen Fetzen.

Ich mußte darüber herzlich lachen und dachte, daß meinesgleichen auch nicht klüger wie die Menschen seien, welche ebenfalls oft genug über Dinge in die Hitze kommen, die nicht der Mühe verlohnen.

Mein Landleben entfernte mich ein wenig von Sansibar und Kamilla, welche mir ebenfalls eine besondere Aufmerksamkeit nicht mehr schenken konnten, seitdem zahlreiche Gäste auf dem Herrenhause eingetroffen waren.

So oft ich auf der Schwelle der Küche erschien, widmete Sansi seine ganze Aufmerksamkeit den Kochtöpfen, so daß er meine Gegenwart nicht bemerkte. Ich wäre über diese Gleichgültigkeit empfindlich gewesen, wenn nicht der gute Neger mir anderweite reichliche Beweise seiner Freundschaft gegeben hätte. Aber am Herde hatte er außer dem Kochen für nichts Sinn. Dagegen ging er nie über den Hof, ohne mich mit den Augen zu suchen oder mir zu rufen. Einmal sogar hatte er um meinetwillen einen sonderbaren Kampf mit Trine zu bestehen, die keine Gelegenheit außer acht ließ, ihre Tücke an mir auszulassen. Wenn irgend möglich, machte ich mich aus dem Staube, aber immer brachte ich das nicht fertig, es kam zuweilen vor, daß wir uns begegneten. So begab sie sich eines Morgens von der Tenne nach dem Pachthofe; das Stückchen Land war ziemlich uneben, und ihr Weg führte sie auf dem Rücken einer Erhöhung dahin. Sie trug einen Korb mit einigen Eiern, welche sie in den Nestern gesammelt hatte. Als sie mich am Fuße der Böschung gewahrte, stellte sie rasch ihren Korb neben sich, nahm eine Handvoll Sand und warf mir denselben gerade ins Gesicht.

Aber in demselben Augenblick sah ich sie von der Böschung herunterkugeln: Sansi war nämlich so unerwartet auf derselben erschienen, daß Trine unwillkürlich einen Schritt zurückweichen wollte, und da sie am Rande der Böschung stand, verlor sie den Boden unter den Füßen.

»Was habt Ihr mir da für einen Schrecken eingejagt, Ihr alter Schuft!« schrie sie ihn wütend an.

Sansis Auge funkelte vor Zorn, und er wäre rot geworden, wenn er nicht schwarz gewesen wäre. Einen Schuft ließ er sich nicht gerne bieten.

»Was quält Sie des Fräuleins Henne? Sie boshafte Weib!« schrie er und rollte dabei gräßlich die Augen.

»Geht es dich etwas an? Soll ich nicht einmal diesem Vieh eine Handvoll Sand hinwerfen dürfen?« erwiderte Trine frech.

»Nein, und wenn Sie es wieder tut, sage ich es dem Fräulein.«

Statt irgend einer Antwort bückte sich Trine, nahm abermals eine Handvoll Sand und warf nach mir. Da aber der Zorn blind macht, so traf mich nicht ein einziges Körnchen.

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Im Nu durchschnitt ein Ei zischend die Luft und zerschellte an Trinens Kopf.

Dagegen wurde Sansi durch diese Herausforderung aufs neue gereizt. Ohne sich zu besinnen, bückte er sich auch griff in den neben ihm stehenden Eierkorb, im Nu durchschnitt ein Ei zischend die Luft und zerschellte an Trinens Kopf. Die gelbe Brühe lief ihr über das ganze Gesicht und sie suchte sich mit der Schürze abzutrocknen, wobei sie wütend schrie:

»Du alter Tölpel! Willst du mich wohl in Ruhe lassen, du alter Schuft! du alter Wolf! du alter Affe! du alter Teufel!«

Bei jedem Ausrufe kam ein neues Ei geflogen, und schließlich, als keine Eier mehr da waren, warf er ihr den leeren Korb an den Kopf und ging dann majestätisch weiter. Ich machte ebenfalls, daß ich wegkam; denn ich hegte nicht unbegründete Besorgnisse für den Fall, daß Trine mich bemerken sollte. Übrigens glich ihre Haube einem prachtvollen Eierkuchen, und ihr ganzes Gesicht schimmerte gelb wie der Vollmond.

Die Freundschaft, welche der gute Sansi mir bei besagter Gelegenheit bewies, schützte mich vor Mißhandlung; aber meine liebe Kamilla war doch noch viel freundlicher gegen mich. Aus ihrem eigenen Munde wußte ich, daß sie es durchaus nicht billige, wenn ich das Herrenhaus mit dem Pachthofe vertauschte; aber sie setzte freundlich bei:

»Indes muß man das arme Buntscheckchen nach seiner Weise gewähren lassen; es ist ein wenig wild, und ich will nicht, daß man es quäle.«

Sie hatte damals den Gedanken, mir die Federn an der Halskrause zu schneiden, damit die Leute auf dem Pachthofe mich kennten.

Obschon ich nicht mehr im Herrenhause wohnte, richtete ich es doch ein, daß ich Kamilla häufig begegnete, und ich sah sie oft mit ihrer Tante und ihrem Vetter Heinrich vorübergehen; der letztere war ein hübscher junger Mann, dem ich eines Morgens feierlich vorgestellt wurde.

»Du hast mir schon oft von deiner Freundschaft für dieses Hühnchen gesprochen, Kamilla«, sagte Heinrich lächelnd, »es gleicht so sehr einem Rebhuhn, daß es wirklich hätte ein Unglück geben können, wenn ich mit ihm auf freiem Felde zusammengetroffen wäre.«

Ich begriff nicht, was Heinrich damit sagen wollte. Ich hatte bereits früher bemerkt, daß Heinrich fast jedesmal, wenn er ausging, einen glänzenden Stab, dessen unteres Ende von dunkelm Holze breit auslief, auf der Schulter hatte. Nach seiner mir unverständlichen Rede beobachtete ich ihn genauer und fand allerdings bald, welch schrecklicher Gefahr ich entgangen war. Wenn er irgend ein Tier bemerkte, z. B. einen Vogel, der auf einem Zweige saß, dann nahm er diesen Stab, den er eine Flinte nannte, rasch von der Schulter in die Hände; er legte das breite Ende an seine Wange, auf einmal gab es einen donnerartigen Krach, und der Vogel oder was es sonst für ein Tier war, fiel wie vom Blitze getroffen zu Boden. Der junge Mensch hatte darin eine so auffallende Gewandtheit, daß ich mich wohl hütete, den Hof zu verlassen, wenn er allein mit seiner Flinte fortging. Er schätzte diese Waffe sehr hoch und legte sie nur dann weg, wenn er Kamilla ein Vergnügen machen wollte; denn diese schalt ihn wegen seines Zerstörungstriebes oft aus.

Ich war so glücklich, allen Gefahren, denen die unglücklichen Tiere ausgesetzt sind, zu entgehen, und hoffte bereits, mein Leben friedlich auf dem Pachthofe beschließen zu können, als ein neues Ereignis mich plötzlich in eine neue Umgebung versetzte, und damit ging ich neuen Abenteuern entgegen.

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