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Neuntes Kapitel.

Ich verlasse Mannheim. – Wunder über Wunder. – Trine.

 

Ein tüchtiger Schnupfen, welchem ein Pipsanfall folgte, verhinderte mich eine ganze Woche hindurch, dem Gange der Ereignisse zu folgen, bis ich eines Tages in einen kleinen Käfig gesteckt und nach dem Bahnhof gebracht wurde, ohne daß ich mir irgend einen Begriff über mein Reiseziel oder mein künftiges Los machen konnte. Endlich wurde ich durch einige Leute, welche denselben Zug benutzten und mit der Familie Dauler bekannt waren, aus meiner Unruhe gerissen. Die Ständekammer hatte sich vertagt; das beständige Hin- und Herreisen zwischen Mannheim und Karlsruhe hatte daher aufgehört, und Herr Dauler beeilte sich, sein geliebtes Gütchen Burbach im Schwarzwald aufzusuchen. Er war ganz glücklich, wegzukommen, und ich war nicht minder glücklich, nichts mehr von Politik sprechen zu hören. Jetzt sollte ich also das Land kennen lernen, dessen Reize man mir so oft geschildert und welches, wenn ich darin den Menschen Glauben beimessen darf, der natürliche Aufenthaltsort der Tiere ist.

Dem Menschen ist es eigentümlich, daß er alles, wie es ihm in den Sinn kommt, anordnet, und daß er die Geschöpfe einer niederen Ordnung ganz nach seinem Belieben verwendet. Ich fühlte instinktmäßig, daß ich nicht geschaffen sei, um zwischen Mauern und Straßen zu leben; ich hatte oft einen heftigen Drang, zu laufen und zu fliegen. Meine Flügel wurden größer, meine Füße stärker, aber ich hatte keinen Raum; es mangelte mir an Freiheit.

Ich wurde in meinem kleinen Käfig in einem Wagen dritter Klasse untergebracht. Dorthin trug mich Sansi, der Neger, der sehr munterer Laune war. Das schwarze Gesicht machte, daß man es mit ihm nicht so genau nahm, und diesem Umstande habe ich es wohl zu verdanken, das ich bei ihm im Wagen dritter Klasse bleiben durfte; sonst wäre ich, wer weiß wo, untergebracht worden.

Die Bewegung im Eisenbahnwagen erzeugte in mir eine dumpfe Betäubung; ich bemerkte nur wie in einem Nebel das schloßartige Herrschaftshaus Burbach und fiel dann in eine Art Bewußtlosigkeit, aus welcher ich erst beim Grauen des folgenden Tages erwachte. Als ich munter wurde, wie groß war da – ich kann nicht einmal sagen meine Freude, sondern – meine Verblüffung! Ich saß auf einer sauberen Stange mitten unter zahllosem Geflügel aller Art, und wir alle waren frei. Die außerordentlichen Fähigkeiten, womit ich begabt war, zogen freilich in gewissem Sinne einen Abgrund zwischen mir und meinesgleichen; aber deshalb kamen sie mir doch nicht verächtlich vor, ja sie waren mir auch keineswegs nur gleichgültig. Ich warf auf meine neuen Gefährten, die noch in tiefem Schlafe lagen, einen wohlwollenden Blick, benutzte aber auf der Stelle die mir gewährte Freiheit. Ein Dachfenster stand oberhalb meiner Stange offen; ich schwang mich hinauf und befand mich auf dem Dache. Welch Schauspiel erwartete mich da! Nie werde ich den ersten Eindruck einer weiten Aussicht, die ich hatte, vergessen.

Burbach mußte an einem Ausläufer des Gebirges liegen, denn vor mir senkte es sich zum Tale hinab, und ich sah eine weite, weite Ebene mit Bäumen, Feldern und Gebüschen bedeckt, und da und dort ragten aus dem dunkel Grün mehrere rote oder braune Dächer, und in ihrer Mitte erhob sich ein hoher Turm.

Auf die Gefahr hin, das Gleichgewicht zu verlieren, grüßte ich entzückt das weite vor mir liegende herrliche Land. Ich breitete die Flügel aus und ließ mich von dem Winde tragen, wohin er wollte; es ging rasch abwärts, und ehe ich mich versah, befand ich mich am Fuße des Hügels, auf welchem das Herrenhaus stand. Ich hatte bei dem raschen Flug, an welchen ich noch nicht gewohnt war, als ich zur Erde kam, den Fuß ein wenig verstaucht, und nun aufwärts blickend, dachte ich mit einigem Unbehagen an den Weg, der mir bevorstand. Indes besann ich mich nicht lange, sondern machte mich auf den Rückweg, wobei ich freilich alle Augenblicke ausruhte. So kam ich denn langsam zu dem Herrenhaus.

Dort war man inzwischen munter geworden, und Kamilla hatte, sobald sie aufgestanden war, nach mir gesehen. Sie fand mich nicht, und nun wurde das ganze Haus aufgeboten, um mich zu suchen. Endlich, da ich müde und hungrig des Weges daherkam, bemerkte mich Kamilla und eilte auf mich zu.

»Da bist du ja, da bist du ja!« sagte sie. »Armes Buntscheckchen! Man meint, du frierst, und wie du müde aussiehst! Warte, ich will dich Trine empfehlen.«

Damit nahm sie mich auf die Arme und kehrte in das große Hühnerhaus zurück. Ich bemerkte jetzt erst, daß dasselbe nicht unmittelbar mit dem herrschaftlichen Hause zusammenhing, sondern zu einer dicht daranstoßenden und zu demselben gehörigen Meierei oder einem Pachthofe oder dergleichen gehörte. Doch sah ich auch, daß der Geflügelhof unmittelbar an das Herrenhaus stieß und in demselben gewissermaßen die bevorzugten Tiere untergebracht waren. Es gab außerdem noch einen größeren Hof, in welchem sich das geringere Vogelvolk herumtrieb, und der nicht so bequem und schön eingerichtet war wie jener bevorzugte Raum. Dort fand ich eine behäbige Person mit schielenden Augen und einem rohen Gesichtsausdruck. Wie ich sie so dastehen sah, ihre geradezu männlichen Arme in die Seite gestemmt und mit weit geöffnetem Munde, empfand ich vor ihr einen unerklärlichen Widerwillen, und die Erfahrungen, welche ich später machte, rechtfertigten denselben nur zu sehr.

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»Trine, da ist Buntscheckchen!

»Trine, da ist Buntscheckchen«, sagte Kamilla mit ihrer sanften Stimme. »Es ist ganz gewiß, wie ich dir sagte, aus dem Dachfenster hinausgeflogen. Ich muß es jetzt laufen lassen; denn Papa findet es zu groß, um es noch im Zimmer zu halten; aber ich binde es dir aufs Herz. Sansi weiß, daß es mir gehört, und wird es deshalb nie für die Küche verlangen. Ich werde es oft selbst füttern, aber sorge, daß es einen schönen Platz hat. Setze es ein wenig von den andern weg und namentlich nicht zu dem alten Truthahn; den kenne ich noch vom vorigen Jahre, er ist bissig. Nicht wahr, liebe Trine, du nimmst es in deinen Schutz? Und jetzt laß es mit den andern frühstücken!«

Ich ging aus den zarten Händen Kamillas in die schwieligen Fäuste der schielenden Magd über, die mich mit den Worten in Empfang nahm: »Sie können ganz ruhig sein.« Dann kehrte sie in den Hühnerstall zurück, warf mich roh auf den Boden und sagte dabei einem Kinde, welches einem ganzen Volke von Geflügel Körner hinstreute:

»Das ist das Mistvieh, wegen dessen ich schon heute Morgen von der Herrschaft ausgezankt worden bin.«

»Das ist also das Huhn des Fräuleins, von welchem mir der alte Neger Sansi gesprochen?« fragte das Kind.

»Nun, ist's vielleicht ein besonderes Vieh? Soll ich jetzt nicht alle Tage die Leiter hinaufsteigen und das Dachfenster zumachen, damit das Tier an den Beinen nicht friert! ... Ich weiß nicht«, fuhr sie in ihrem halben Selbstgespräche fort, »was Fräulein Kamilla an all diesen dummen Tiere hat; aber sobald sie kommt, werde ich ganz sicher deswegen ausgezankt; bald ist es eine Katze, bald ein Vogel; einmal wurde ich beinahe fortgeschickt, weil ich dem alten Esel eines versetzte ... und ihr alter, schwarzer Waldteufel ist geradeso wie sie .... Fort, Hund, was hast du hier zu schaffen?

Mit diesen Worten erhob sie ihren mit einem schweren Holzschuh ausgerüsteten Fuß und trat damit nach einem alten Hunde, der herumstrich und einen Augenblick in der unschuldigsten Weise von der Welt an der Türe des Hühnerstalles stehen geblieben war.

Ich brauche wohl das bittere Gefühl, welches mich in diesem Augenblicke überkam, nicht zu schildern.

Aus den Wohnzimmern verbannt, kam ich nun mit lauter plumpen, unbeholfenen Leuten in Berührung und verfiel vor allem der Obhut dieser boshaften Magd. Ach, meine Ahnung hatte nur zu wahr gesprochen, und wäre mein Los mir völlig klar gewesen, ich hätte diese Stunde kaum überlebt. Ich konnte mich nicht bei meiner lieben Kamilla beklagen, sondern war mit gebundenen Füßen dieser schrecklichen Trine überliefert, und all mein Geist war nicht im stande, mich vor ihrer törichten Bosheit zu schützen.

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