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Sechstes Kapitel.

Prächtiges Leben. – Mein Bild. – Abermals die Politik.

 

Welch glückliches Leben führte ich bei Kamilla Dauler!

Das Vogelhaus, in welchem ich mich befand, war ein Bauer von dünnen, zum Teil vergoldeten Drähten; obwohl es so groß war, daß ich bequem darin herumhüpfen konnte, war es doch so leicht, daß man es ohne sonderliche Mühe von einem Platz zum andern brachte. In der Regel stand dasselbe in der Ecke eines breiten, schönen Balkons auf einem dort angebrachten Tische. Ich hatte da freie Luft und konnte alles sehen, was auf der Straße vorging. Des Nachts oder bei ungünstigem Wetter wurde das Vogelhaus in das an den Balkon stoßende Zimmer gebracht, einen sehr schönen Saal, an dessen Wänden mannshohe Spiegel hingen. Ich freute mich sehr darüber, daß alle Spiegel mein Bild wiedergaben, und ich muß gestehen, daß ich häufigen Anwandlungen von Eitelkeit unterlag. Ich wuchs aber auch heran, mein Äußeres war sehr nett, und ich unterschied mich durch eine gewisse Vornehmheit der Bewegungen von den Hühnern, die ich unten auf der Straße sah. Mein stolzes Köpfchen zierte ein brennend roter, zart gekräuselter Kamm; ich hatte glänzende Augen, einen fein geschnittenen Schnabel und kleine Füßchen. Mein Gefieder war zwar nicht mehr wollig, aber noch bunter gesprenkelt als früher, und den Schweif spreizte ich fächerartig auseinander.

Eines Tages überraschte mich Kamilla, als ich mich eben wohlgefällig betrachtete und ernsthaft vor dem Spiegel auf und ab schritt, um meine Haltung und meine Bewegungen zu bewundern.

»Ei, ei, wirst du eitel, Buntscheckchen?« rief sie, »das ist aber gar nicht schön!«

Sie sagte dies lächelnd, ich begriff jedoch die Lehre und ahmte von nun an meiner jungen Herrin nach, die niemals vor den Spiegeln stehen blieb, um sich zu betrachten, wie dies verschiedene kleine Mädchen, ihre Freundinnen, taten. Diese bemerkte ich gar häufig, wie sie vor dem Spiegel die Bänder ihres Haarschmuckes ordneten, oder prüften, wie das Kleid ihnen saß, oder ihre Gesichtchen betrachteten, von denen doch keines so lieb war wie das Gesichtchen Kamillas.

Meine ausnahmsweise Lage brachte es mit sich, daß ich im innigsten Verkehr mit der Familie Dauler lebte. Vom Balkon aus, wo, wie bemerkt, des Tages über mein Vogelhaus stand, konnte ich alles sehen, was im Salon vorging. Ich hörte jedes Wort, das dort gesprochen wurde, und am Tage, nachdem ich mich dort endgültig eingerichtet hatte, erkannte ich schon, daß der Vater Kamillas an demselben Übel litt, wie die Schreiber und wie die Bier- und Schnapstrinker.

Indes war Herr Dauler ein Mann, dessen Auftreten beim ersten Blicke seine ungewöhnliche Bildung sowie seine liebenswürdigen Sitten verriet. Er war noch jung, hatte eine hohe, geistreiche Stirne, graue, tiefliegende Augen und eine Achtung gebietende Gestalt. Ich sah ihn gerne, wenn er im Salon mit sinnender Miene und gemessenem Schritt auf und ab wandelte. Ich hörte gerne seine ruhige Stimme; aber am liebsten war es mir, wenn ich ihn in seinem Arbeitskabinett an seinem großen Schreibtische von Eichenholz lesen oder schreiben sah. Nur war es mir selten vergönnt, bis in dies Zimmer zu gelangen; manchmal aber vergaß Kamilla, daß ich auf ihrem Arme saß, wenn sie die Türe des Kabinetts öffnete, in welchem man nichts hörte als das Geräusch der Feder auf dem Papier.

»Ah«, sagte sie dann, »Väterchen arbeitet!«

Sie schlich auf den Fußspitzen vor, bis er sich umwendete, lächelte und sie auf die Stirne küßte, worauf wir dann wieder verschwanden.

Aber, wie bereits gesagt, auch er entging nicht der Politik.

Auch ihm verursachte dieses unglückliche bedruckte, zusammengefaltete Papier Zornanfälle.

Dieses arme Blatt sah ich mit vielen andern Papieren in den stillen, freundlichen Salon bringen, woselbst Frau Dauler und Kamilla arbeiteten; man warf es da auf ein Nebentischchen, worauf eine blaue Samtdecke lag. Dort blieb es ruhig unter seinem Streifbande. Herr Dauler trat ein, umarmte Frau und Kind und plauderte einige Minuten, während er die Handschuhe auszog, in liebenswürdigster Weise. Sobald er aber das besagte Papier erblickte, stürzte er eilig nach dem Tischchen, ergriff es und faltete es auseinander.

Und nun sah ich ihn rot und blaß werden; bald lachte er, bald fuchtelte er mit den Armen wütend durch die Luft. Er forderte seine Frau auf, ihm zuzuhören, und las ihr dann mit höhnischer oder mit donnernder Stimme ganze Artikel vor.

Kamilla tat alles mögliche, um ihn zu beruhigen. Sie hing sich an seinen Arm, so daß er sein zorniges Herumfuchteln mäßigen mußte; sie las lachend, was ihn erzürnt hatte; sie strich das Haar, das sich auf seiner Stirne gesträubt, wieder glatt; aber es half alles nichts, und Frau Dauler rief sie häufig mit einer Miene zu sich, welche sagen zu wollen schien: »Laß ihn gehen!«

Es ging auch allerdings schnell vorüber, und das war das Beste bei der Sache; denn sobald Herr Dauler sich in die Fragen dieser unglücklichen Politik vertiefte, war es nicht gut, ihm nahe zu kommen.

Eines Tages hatte der arme Sansi den unglücklichen Einfall, irgendwelche Krämerrechnung aufklären zu wollen, und kam gerade nach der verhängnisvollen Lesung. Ich wußte schon aus früheren Unterhaltungen, daß Frau Dauler die Tochter eines Schiffskapitäns war, und dieser hatte Sansi auf seinem Schiffe aus Afrika mitgebracht. Der Neger hatte dann die Kochkunst erlernt, einzig, um im Dienste der Tochter seines Wohltäters verbleiben zu können. Auch wurde er mit allen seiner Anhänglichkeit gebührenden Rücksichten behandelt. Er war daher nicht wenig überrascht, als Herr Dauler barsch das Haushaltungsbuch, das er ihm reichte, nahm und in ärgerlichem Tone sagte:

»Du machst nichts mehr als Dummheiten: das ist nun schon das dritte Mal, daß ich deine Krämerrechnungen nachsehen muß.«

»Hermann, gib mir das Buch mit den Rechnungen«, sagte Frau Dauler in ihrem versöhnlichen Tone. »Du hast eben keine Zeit, dich mit diesen Nebensachen zu beschäftigen. Ich will nachsehen und, wenn nötig, die Rechnung berichtigen.«

»Durchaus nicht, Cäcilie, ich will das selbst tun. Der Voranschlag eine Nebensache! Da sieht man, daß du dich mit dem Voranschlag des badischen Landes nicht zu beschäftigen hast.«

»Gott sei Dank, nein; ich habe genug an dem meinigen. Da du dich aber pflichtmäßig mit dem des Landes befassen mußt, so hole dir keinen Ärger an dem unsrigen.«

»Wovon lebt denn ein Mann, der sich mit öffentlichen Angelegenheiten befaßt, als vom Ärger? Laß mich das nur mit unserem Küchenmeister ausmachen. Ich kann diese Irrtümer in der Rechnung nicht leiden, weder bei mir noch beim Ministerium. Der Voranschlag!«

Er ging hastig im Zimmer auf und ab und murmelte dabei beständig. »Der Voranschlag!« Plötzlich blieb er stehen und sagte ernst:

»Von einem Voranschlag, der wohl im Gleichgewicht ist, hängt das Aufblühen eines Landes ab und auch, verstehst du mich, Cäcilie, das Aufblühen eines Hauses.«

Dann warf er abermals einen Blick auf die Rechnungen und bemerkte kopfschüttelnd:

»Um 200 Mark geirrt ... man sollte es nicht für möglich halten ... du kannst gar nicht mehr rechnen ... woher kommt denn das?«

Der arme Sansi betrachtete mit seinen weißen Augen unverrückt die Zimmerdecke.

»Ah, da hat er eine 3 für eine 5 genommen, das wird's sein«, sagte Herr Dauler und rechnete nach. »Ja freilich; welche Eselei!«

»Gib mir das Buch, Hermann«, begann aufs neue Frau Dauler. »Ich zweifelte gleich, daß eine wirkliche Überschreitung unserer gewöhnlichen Kosten stattgefunden habe. Sansi hat ja immer undeutliche Ziffern gemalt.«

»Nun, Donnerwetter, dann soll er sie deutlich machen lernen. Das ist ja zum Wahnsinnigwerden, solche Rechnungen zu erhalten. Hier nimm dein Buch, Sansi; wenn du mir aber in Zukunft wieder solche Geschichten machst, dann nehme ich dir die Rechnungen ab. Ich sage dir schon lange, daß du zum Buchführen nichts taugst, und ich mag keine untauglichen Leute.«

Damit ging Herr Dauler fort und ließ den armen Sansi in schmerzlicher Verblüffung stehen.

Wenn es irgend etwas gab, worauf Sansi hielt, so war es der Beweis des Zutrauens, den man ihm dadurch gab, daß Herr Dauler ihm die Führung des Haushaltungsbuches überließ. Er machte zwar die Ziffern undeutlich, das stand fest, aber er war stolz darauf, sie machen zu dürfen.

Kamilla war mit den Augen diesem kleinen Auftritte gefolgt. Als ihr Vater weggegangen, eilte sie zu dem alten Neger und legte ihm freundlich die Hand auf die Schulter:

»Mache dir weiter keinen Kummer, lieber Sansi«, sagte sie, »Vater hat dir nur eine kleine Lehre geben wollen; er wird dir schon das Rechnungsbuch lassen, sei darüber ganz ruhig.«

Aber Sansi blieb niedergeschmettert; sein Buch in den Händen, betrachtete er mit düsterer Miene die geschmähten Ziffern, die ihn doch eine so große Mühe gekostet hatten.

»Rechnet er wirklich schlecht, Mutter?« fragte Kamilla.

»Durchaus nicht, er rechnet ganz gut zusammen, denn er zählt an seinen Fingern; aber er schreibt undeutliche Zahlen.«

»Weiter nichts, Mutter?«

»Weiter nichts, aber du siehst, daß dies gerade genug ist; denn infolge dieser undeutlichen Ziffern gibt es beständig Irrtümer in der Rechnung.«

»Nun denn, Mutter, wenn ich ihn aber lehre, seine Ziffern gut zu machen, wie sie der Vater selbst macht? Du weißt ja, daß er mich das gelehrt hat. Ich höre immer meinen armen Sansi wegen dieser Ziffern auszanken, und so möchte ich einmal den Versuch machen, ihm eine bessere Schreibweise beizubringen. Ich versichere dir, das wird mir leicht sein.«

»Leicht? Kamilla! du täuschest dich, mein Kind; du hast ja selbst so viele Unterrichtsstunden, und Sansi ist sehr beschäftigt.«

»Nun, Mutter, ich bitte dich, ja nur um deine Erlaubnis. Das andere wird sich schon finden.«

»Die sollst du haben«, erwiderte Frau Dauler lächelnd.

Kamilla tat einen Freudensprung, und Sansi, der endlich das Vorhaben seiner kleinen Herrin begriffen, lächelte auf seine Weise. Er öffnete seine Lippen und zeigte dabei die bekannten zwei Reihen Zähne, bei deren Anblick mich immer ein leichter Schauder überlief.

Ich fragte mich in meinem Käfig, woher denn wohl Kamilla die nötige Zeit nehmen werde, um Sansi ordentliche Ziffern schreiben zu lehren; denn sie ging aus einer Lehrstunde in die andere. War die Klavierstunde vorüber, dann kam die Literatur, und so ging das immer fort. Ich wußte das ganz genau; denn zwischen jedem Ausgange kam Kamilla zu mir, streichelte oder neckte mich, und dann hieß es: »Buntscheckchen, ich gehe in den Kursus – Buntscheckchen, ich muß zeichnen – Buntscheckchen, mein Musiklehrer wartet auf mich.«

Wenn auch zuweilen einige Spielgefährtinnen kamen, so hatte sie doch niemand ihres Alters beständig um sich, und ich wurde infolge davon die Vertraute ihres Herzens; freilich konnte ich diese Vertraulichkeit nicht erwidern, aber ich konnte ihr doch in jeder Weise, deren ich fähig war, meine Anhänglichkeit bezeigen. Ich kann es wohl sagen, ich war ihr gegenüber die verkörperte Liebenswürdigkeit; kam sie in den Salon, dann wendete ich kein Auge von ihr; näherte sie sich dem Vogelhause, so zwängte ich mein Köpfchen durch die Gitterstäbe ihr entgegen; nahm sie mich auf ihren Arm, so schloß ich meine Flügel fest an meinen Körper, um so wenig Platz als möglich einzunehmen, und nahm mich sorgfältig in acht, daß ich sie mit meinen Klauen nicht verletzte.

Wir waren endlich sehr vertraut miteinander, und davon gab sie mir am Abend dieses Tages einen überzeugenden Beweis.

Jeden Abend begleitete sie nämlich ihre Eltern zu einer kleinen Freundin namens Toni, welche sie sehr gern hatte. An diesem Abend sagte sie:

»Ich bin müde; laßt mich hier bleiben, ich will mit Buntscheckchen spielen.«

Herr Dauler wollte Einwendungen machen, aber seine Frau nahm seinen Arm und sagte lächelnd:

»Lassen wir sie doch in ihrer Weise sich vergnügen. Kamilla und ihr Huhn sind die besten Freundinnen von der Welt.«

Wahrhaftig, in diesem Hause hörte ich nur freundliche Worte.

Kaum waren Herr und Frau Dauler weg, so öffnete Kamilla meinen Käfig und nahm mich auf den Arm. Sie ging dann mit mir in das Erdgeschoß, woselbst sich die Küche befand. Ich kam nicht oft in dieses Gelaß, in welchem Sansi, umgeben von hellblinkendem Geschirr, herrschte.

»Hast du Zeit, Sansi?« fragte Kamilla.

Der Neger wies mit der Hand auf einen großen Topf, aus welchem eine duftige Dampfwolke aufstieg.

»Ich muß darauf achtgeben«, sagte er.

»Kannst du nicht mit mir in mein Arbeitszimmer kommen?«

»Nein, Fräulein.«

»Aber du hast doch nichts in der Küche zu tun?«

»Ich habe weiter nichts zu tun, nur muß ich darauf achtgeben.«

»Nun denn, wir können auch hier unsere Rechenstunde nehmen. Komm mit, wir wollen eine Tafel holen.«

Wir stiegen wiederum in das Zimmer, woselbst Kamilla ihre Stunden nahm. Der Neger bekam eine schwarze Holztafel und eine Schiefertafel. Sie suchte Kreide und Griffel hervor, und so stiegen wir denn wieder in die Küche hinunter.

Hier wurde die Holztafel aufgestellt, und Kamilla machte mit Kreide große Ziffern auf dieselbe. Sansi versuchte dann diese Ziffern auf die Schiefertafel zu schreiben, und oft genug führte das weiße Händchen meiner jungen Gebieterin die schwere schwarze Hand Sansis.

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»Laß mich deine Hand führen, Sansi.«

»Man muß ganz von vorn anfangen zu lernen«, sagte sie, »laß mich deine Hand führen, Sansi, als ob du nie Ziffern gemacht hättest.«

Er ließ alles mit sich machen, und ich hatte ungemeinen Spaß daran, zu sehen, wie aufmerksam er seiner Lehrerin folgte. Von Zeit zu Zeit mußte er freilich den Deckel seines großen Topfes aufheben und darunter schauen. Dann kam er aber stets eilig zur Tafel zurück.

Die Lehrstunde endigte, als die Klingel an der Pforte die Rückkehr der Eltern Kamillas andeutete. Die letztere hielt mir den Arm hin, ich schwang mich auf denselben, und dann ging's im Sturm die Stiege hinauf.

»Nun?« fragte Frau Dauler ganz leise, als sie Kamille umarmte.

Da ich auf dem Arme Kamillas saß, so entging mir kein Wort.

»O Mutter, es geht ganz gut, wir sind schon bei 3.«

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