Joseph Smith Fletcher
Der Verschollene
Joseph Smith Fletcher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

17

Atherton, der bereits die Klinke in der Hand hatte, wandte sich rasch um, als er die letzte Bemerkung Pykes hörte.

»Das läßt sich nur so verstehen, daß Sie ihm mitteilten, er könnte unter der Anklage der Scheckfälschung verhaftet werden, wenn er sich sehen ließe.«

Wieder wechselten die Brüder einen Blick, bevor sie etwas erwiderten.

»Wir können Ihnen nicht mehr sagen, als wir Ihnen vorher mitteilten«, entgegnete dann Daniel Pyke. »Wir haben Ihnen einen klaren Bericht über Richard Malverys Anwesenheit hier gegeben und haben dem nichts zuzufügen. Und Sie wissen ja sehr wohl«, fuhr er mit einem bezeichnenden Lächeln fort, »daß diese Sache hiermit nicht zu Ende ist. Wenn Richard Malvery tatsächlich das Opfer eines Anschlages geworden ist, so müssen Sie sich ja auch amtlich mit der Sache befassen, und wir müssen unsere Aussagen vor Gericht machen.«

»Die Sache ist bereits offiziell in meinen Händen«, erwiderte Atherton, »aber ich wollte Ihnen Gelegenheit verschaffen, mir auch private Nachrichten zu geben, wenn Sie es wünschten. Natürlich betrachte ich unsere Unterhaltung hier als vertraulich. Aber bedenken Sie, daß ich die Mitteilung von Mr. Newman Cuffe offiziell erhalten habe. Er machte sie mir gegenüber in meiner amtlichen Eigenschaft. Ich möchte Sie bitten, sich die Sache noch zu überlegen und dasselbe zu tun. Wenn Sie mir jetzt im Augenblick nichts weiter sagen wollen, dann will ich Sie auch nicht drängen. Kommen Sie, Blake.«

Aber Blake brach zuletzt doch noch sein bisheriges Schweigen.

»Ich wäre Ihnen zu allergrößtem Dank verbunden«, sagte er plötzlich, »wenn Sie mir noch eine Frage beantworten würden. Sie werden auch gleich merken, warum ich sie stelle. Ich habe zwei Jahre lang mit Malvery zusammengearbeitet und ihn als absolut ehrlichen und geraden Mann kennengelernt. Die Antwort auf meine Frage bedeutet mir daher sehr viel. Hat Dick Malvery Ihnen gegenüber zugegeben, daß er den Scheck fälschte? Oder ich könnte auch fragen, hat er in Abrede gestellt, daß er den Scheck fälschte? Es kann doch Ihnen und auch sonst niemand schaden, wenn Sie mir darauf Antwort geben.«

Stephen und Daniel sahen sich fragend an, dann winkte Stephen seinem Bruder, ihm aus dem Zimmer zu folgen.

»Entschuldigen Sie, meine Herren«, wandte er sich an seine Besucher, »ich möchte mich erst mit meinem Bruder besprechen, bevor wir Mr. Blake eine Antwort geben.«

Als die beiden gegangen waren, schüttelte Atherton den Kopf.

»Ich weiß nicht, mit diesem Resultat bin ich nicht zufrieden. Die beiden wissen mehr – bedeutend mehr, als sie uns gesagt haben. Vielleicht nicht über Richard Malverys Verschwinden, aber über die Vorgeschichte. Und ich habe keine Handhabe, um sie zum Sprechen zu zwingen; ich sehe nicht einmal die Möglichkeit, sie unter Eid Zeugenaussagen machen zu lassen. Bis jetzt können wir ja noch keine Anklage wegen Mordes an Dick Malvery erheben. Seine Leiche ist nicht gefunden, also kann keine Totenschau abgehalten werden. Vielleicht ist er auch noch am Leben und –«

In diesem Augenblick kamen die beiden Brüder zurück, und Stephen wandte sich an Blake.

»Wir wollen Ihnen eine Antwort geben, obwohl wir damit von unserer eigentlichen Absicht abweichen. Richard Malvery hat uns feierlich geschworen, daß der Scheck nicht von ihm gefälscht worden ist, und daß er von der ganzen Sache nichts wußte, bis ich ihm im Minerva-Hotel in London davon erzählte.«

Blake schwieg.

»Ich danke Ihnen vielmals«, erwiderte er. »Das genügt mir. Wenn Dick sagte, daß er den Scheck nicht gefälscht hat, dann hat er es auch nicht getan. Die ganze Angelegenheit wird dadurch allerdings nur noch geheimnisvoller. Aber mit der Zeit wird die Wahrheit schon herauskommen.«

Die beiden Brüder begleiteten ihre Besucher noch bis zur Tür und verabschiedeten sich dann. Atherton blieb ruhig, solange die beiden noch in Hörweite waren. Erst auf der Straße nach Shilhampton sprach er wieder zu Blake.

»Diese letzte Antwort von Stephen ist von größter Bedeutung. Haben Sie die Worte behalten?«

»Nein, auf den genauen Wortlaut habe ich nicht geachtet, mir lag nur an der Sache selbst.«

»Stephen Pyke sagte, daß Richard keine Ahnung von der Scheckfälschung hatte. Ich nehme deshalb an, daß er den Scheck nicht direkt von Boyce erhielt und vollkommen unschuldig war. Wenn er den Scheck direkt von Boyce bekommen hätte, würde er es gesagt haben. Dann hätte er wahrscheinlich erklärt: ›Ich habe doch selbst gesehen, wie Boyce den Scheck ausstellte‹ oder ›Boyce hat ihn mir selbst gegeben‹. Statt dessen sagte er, er hätte keine Ahnung, daß der Scheck gefälscht war. Er kann ihn also nur von einer Zwischenperson erhalten haben!«

»Da haben Sie recht! Wir müssen also diese Zwischenperson finden!«

»Ich besinne mich noch, daß Cuffe uns sagte, der Scheck sei auf den Überbringer ausgestellt gewesen. Wir sind in der Nähe seines Hauses und können ihn fragen.«

*

Mr. Cuffes Haus war viel größer und schöner als die kleine Villa von Stephen Pyke. Ein Mädchen führte die beiden sofort in ein prachtvoll eingerichtetes Speisezimmer, wo sie der Hausherr empfing. Er sagte ihnen, daß er mit seinen beiden Töchtern im Wohnzimmer Radio höre, wozu er sie einladen wollte.

Atherton hatte aber keine Lust, sich länger aufzuhalten, sondern drängte auf Eile.

»Ich wollte nur eine Frage an Sie richten. Wir haben die beiden Pykes eben gesprochen, und sie haben ohne weiteres zugegeben, daß Richard Malvery am Abend des 27. Februar in Stephens Haus war und ungefähr um halb elf von dort nach Malvery Hold ging. Sie gaben auch zu, daß sie sich über den Scheck unterhalten haben, den Sie einkassierten, und daß Richard feierlich in Abrede stellte, ihn gefälscht zu haben. Richard hat im übrigen die wichtige Bemerkung gemacht, daß er keine Ahnung von einer Fälschung gehabt hätte. Daraus kann man nun eigentlich nur folgern, daß Richard den Scheck nicht direkt von Boyce Malvery, sondern von einer Zwischenperson erhalten hat. Und Sie haben uns ja selbst versichert, daß der Scheck auf den Überbringer ausgestellt war.«

»Ja, das stimmt«, entgegnete Mr. Cuffe.

»Erinnern Sie sich noch an das Aussehen des Schecks?« fragte Atherton.

»So genau wie an das Bild dort an der Wand!«

»War er vollständig in der Handschrift von Boyce Malvery ausgefüllt?«

Cuffe schüttelte entschieden den Kopf.

»Nein. Die Worte ›Überbringer‹ und ›einhundert Pfund‹ waren nicht von ihm geschrieben, sondern wahrscheinlich von einem seiner Büroangestellten. Es war eine etwas charakterlose Schönschrift. Und die Unterschrift von Boyce Malvery sah so aus wie immer.«

»Sehr schön«, meinte Atherton befriedigt. »Sie haben doch nichts dagegen, Mr. Cuffe, diese Aussagen auch in der Öffentlichkeit zu wiederholen? Das wird bald nötig sein.«

»Nein, durchaus nicht, das halte ich im Gegenteil für meine Pflicht. Ich sagte Ihnen ja schon heute morgen, daß man meiner Meinung nach dem armen Richard Malvery übel mitgespielt hat. Und dann noch eins: die Pykes sagten, daß er abends um halb elf von ihnen fortging und den Uferweg einschlug? In der Gegend wohnen sonderbare Leute, Captain! Ich nenne keinen Namen, aber Sie verstehen schon!«

Mr. Cuffe begleitete diese Bemerkung mit bezeichnenden Gesten. Dann versuchte er noch einmal, seine Besucher zu längerem Bleiben aufzufordern, aber Atherton und Blake verabschiedeten sich.

»Sonderbare Leute leben dort, sagte eben Mr. Cuffe«, bemerkte Atherton, als sie zu ihrem Auto zurückgingen. »Er denkt natürlich wie alle anderen an die Clents. Was meinen Sie dazu, wenn wir denen einmal einen Besuch machten?«

»Daran habe ich auch schon die ganze Zeit gedacht, besonders seit ich Bruder und Schwester gesehen habe.«

»Sie sind wirklich sonderbare Menschen, und sie wohnen auch in einem sonderbaren Haus.«

»Nun, ich glaube, ich bin in merkwürdigeren Gegenden schon merkwürdigeren Leuten begegnet«, erwiderte Blake kurz. »Das möchte ich auch von Dick behaupten. Es kommt mir so seltsam vor, daß er gerade hier in seiner alten Heimat zu Schaden gekommen sein sollte! Er wußte sich drüben aus den schwierigsten Situationen zu helfen.«

»Ja, aber Sie wissen nicht, wie eng und verbaut ein Ort sein kann«, meinte Atherton. »Wir wollen den Uferweg an der Bucht entlang gehen. Der Mond scheint gerade hell, und wir können dann die ganze Gegend besser übersehen.«

In dem blassen Mondlicht sah die Küste verlassen und einsam aus. Blake konnte sich deutlich vorstellen, wie Dick Malvery in der Februarnacht hier entlangging und vielleicht den Tod fand. Er fuhr schaudernd zusammen, aber dann lachte er.

»Ist es Ihnen kalt?« fragte Atherton.

»Nein, es überlief mich nur eben, als ich daran dachte, wie geeignet dieser Platz für einen Mord ist. Und dann mußte ich auch an den Strudel denken, aus dem nie wieder etwas zum Vorschein kommt«, fügte er mit einem grimmigen Lachen hinzu.

»Das hatte ich im Augenblick ganz vergessen«, entgegnete Atherton nachdenklich. »Gewiß kann man darin allerhand verschwinden lassen, und er liegt auch in der Nähe des Clentschen Hauses. Ich habe die Leute schon früher einmal besucht. Das ganze Haus macht mehr den Eindruck einer kleinen Festung. Hier biegt der kleine Weg ab, wir wollen das Auto hier stehen lassen.« Atherton lenkte den Wagen zu einer kleinen Böschung und führte Blake dann auf den schmalen Pfad, der zu der Bucht hinunterging. Plötzlich faßte er seinen Begleiter am Arm und hielt ihn an.

»Werfen Sie erst einen Blick auf den Platz, bevor wir weiter gehen«, sagte er leise. »Haben Sie schon jemals einen Ort gesehen, der sich besser zu einem Schmugglernest eignete? Das Haus liegt auf einem kleinen Vorsprung, der in die Bucht hineinragt. Und am Ende der Landzunge erhebt sich eine Gruppe von Felsen, an die sich das Haus der Clents anlehnt. Briscoe hat mir einmal erzählt, daß die Felsen dort von Höhlen durchzogen und daß dort Keller und Gänge vorhanden sind, zu denen man von dem Haus aus gelangen kann. Ich würde gern einmal den ganzen Platz systematisch durchsuchen, aber ich habe wahrscheinlich niemals Gelegenheit dazu. Der Grund und Boden gehört den Clents, und sie achten eifersüchtig darauf, daß ihn niemand betritt.«

Plötzlich hörten sie das heisere Bellen eines Hundes und Kettenrasseln in ihrer Nähe.

»Sehen Sie, das ist die Schildwache. Die Kette ist so lang, daß niemand hier vorübergehen kann.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und ein breiter Lichtschein fiel quer über den Weg. Gillian Clent stand im Eingang, und ihre Gestalt hob sich von dem hellen Hintergrund ab.

 


 << zurück weiter >>