Egid von Filek
Wachtmeister Pummer
Egid von Filek

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8.

Der Wachtmeister saß mit gesträubtem Schnurrbart und dampfender Zigarre in seinem kahlen Zimmer und schrieb eifrig an einem Bericht.

Es war ein klarer Sonntag anfangs Oktober, von den Fäden des Altweibersommers durchsponnen, von der milden Herbstsonne mehr durchleuchtet als erwärmt; die fernen Höhenzüge lagen in einem tiefen, nachdenklichen Purpurviolett, und weit, weit draußen am Horizont bezeichnete eine Perlenschnur von silbergrauen Wolken den Lauf der Donau. Die Sonne neigte sich zum Untergang. Mädchen in Sonntagskleidern, unter denen das gestärkte Leinenzeug raschelte, gingen vor der Bassena auf und ab und neckten sich mit den Burschen herum. Gelächter 160 flatterte auf und Scherzworte, der Heilige Florian sah freundlich zu, und die Alten hockten mit der Pfeife auf den Bänken vor ihren Häusern und sprachen ernsthaft von Vieh- und Getreidepreisen.

Pummer hatte noch keinen Blick durch das kleine trübe Fenster seines Zimmers getan. Die Erscheinungen des Himmels und der Erde schienen heute nicht für ihn zu existieren. Er schrieb und schrieb.

Der Rauch der Zigarre stieg in blauen Wolken an seinem wie aus Bronze gemeißelten Schädel empor und sammelte sich droben an der geschwärzten Zimmerdecke zu dichten Schwaden. Und in seinem Innern schwelte die Sehnsucht, sich einmal als Herr zu fühlen, Gewalt in der Hand zu spüren, frei zu sein wie diese Bauern da um ihn. Er, der arme Teufel, der nichts sein eigen nannte als dieses armselige gemietete Zimmer, die paar altmodischen Möbel, den großen Arbeitstisch voll von Briefen, Zeitungen, Aschenschalen und Zigarrenstummeln. Die zerlesenen Hefte des Herrn Wasservogel türmten 161 sich zu einem grünen Berg empor; ein Stück einer krepierten Granate diente als Briefbeschwerer. Es war eine Erinnerung an den bosnischen Feldzug; der Vater hatte es durch einen verwundeten Kameraden heimgeschickt.

Endlich war der Bericht fertig.

Ein kniffliges Durcheinander von erstarrten Phrasen im Amtsstil, von Mutmaßungen und Beobachtungen, von Indizienbeweisen und feinen juristischen Schlüssen – ein Meisterwerk in seiner Art; so erschien er wenigstens dem Wachtmeister.

Zweimal überlas er sein Schriftstück, dann steckte er's mit einem Lächeln der Befriedigung in seine lederne Diensttasche und sperrte sorgsam zu.

Aber so gut auch der Verschluß war: irgend etwas von den darin verwahrten Geheimnissen mußte doch in die Außenwelt gedrungen sein.

Es gibt keine Geheimnisse in einem kleinen Nest, wo einer dem andern nicht bloß in den Topf, sondern auch in die Seele gucken kann. Und so schwirrten denn schon seit längerer Zeit in Kasdorf die Gerüchte hin und her wie die Schwalben 162 zu Mariä Geburt um die Turmspitzen; es wisperte in stillen Ecken, es raunte auf der Wirtshausbank, es ging hinüber und herüber mit bedeutungsvollem Blick und halbem Wort: der Wachtmeister Pummer plant etwas.

Und dazu kam, daß er einmal im Wirtshaus öffentlich gesagt hatte, er wolle es den Leuten schon zeigen, Ordnung muß sein und er werde niemanden schonen, niemanden! Und mit der Faust schlug er dabei auf den Tisch, und seine kurzen schwarzen Kopfhaare sträubten sich wie Igelborsten. Die Bauern saßen da, hörten zu und lächelten ironisch. Man erforschte sein Gewissen und warf mißtrauische Blicke nach dem lieben Nächsten, denn geteilte Schuld ist halbe Schuld. Aber alle diese Gefühle mündeten doch zuletzt in einen Strom von Abneigung gegen den Ortsfremden.

Teufel hinein, das war nicht die Art, die Kasdorfer zu behandeln. Wer war er denn eigentlich, dieser Wachtmeister Pummer? Ordnung wollte er machen! Mochte er fahrendes 163 Zigeunervolk verfolgen, die Kerls kamen oft in ganzen Trupps aus Böhmen herüber und stahlen wie die Raben; oder verdächtige Landstreicher oder in Gottes Namen Leute, die ohne Erlaubnis badeten oder fischten, das setzte keine großen Strafen. Dafür bezahlt man schließlich seine Steuern, damit Mein und Dein gesichert ist. Aber was sich da vorbereitete, war ganz aus der Weis'!

Es hatte genug Gendarmen in Kasdorf gegeben, und man war mit allen gut ausgekommen; die einen nahmen es strenger, andere leicht, aber schließlich ließen alle mit sich reden. Der Vorgänger des Pummer, der Wachtmeister Bürstenbinder, machte seinem Namen alle Ehre und saß die ganze dienstfreie Zeit im Wirtshaus, und trotzdem wurde nicht mehr gestohlen und gewildert als unter dem Regiment seines Nachfolgers.

So ballte sich ein unbestimmter Haß gegen den Pummer zusammen wie Gewitterwolken. Er merkte es wohl. Aber er trotzte: alles war ihm gleich, wenn er nur endlich den Brandstifter, den Wilderer zur Strecke brachte, um dessen Hals 164 sich die Schlinge seines lückenlosen Beweises schon zusammenzog. Eine Ahnung sagte ihm, daß er auch nach anderem Wild pirschte als nach den Rehböcken im Stiftswald, daß er noch mehr in Brand gesteckt als einsame Heustadeln. Aber er wies den Gedanken von sich. Nicht aus persönlicher Rache verfolgte er die Spur des Frevlers. Heiß und mächtig sehnte er sich nach einer Tat, die ihn emporhob über die anderen, wie einst den Vater sein Todesmut über Tausende von friedlichen Bürgern erhoben. Wie sie ihn dann alle beneiden würden um die Anerkennung und Auszeichnung, die er doch zweifellos bekommen mußte!

So fest hatte sich dieser harte und knorrige Mensch in seinen Ehrgeiz verbissen, daß er nicht hören und sehen mochte, was um ihn vorging. Nur eines tat ihm weh: das Verhalten der Mirzl.

Warum war sie seit einiger Zeit immer so beschäftigt, wenn er kam? Und wo war das silberne Medaillon vom Kirchtag? Warum trug sie es nicht? Wenn er allein mit ihr in der Wirtsstube war, warum lief sie ihm immer davon? Ach, er 165 dachte noch immer an die freundliche, sonnige Stunde droben in ihrem kleinen Zimmer, als er zum letztenmal den vollen, weichen Arm an seiner Brust gefühlt, und es dämmerte ihm, daß er damals ungeschickt gewesen, sehr ungeschickt . . .

Es stand um diese Zeit eine neue Kellnerin beim Moserwirt ein, die hieß Zenzi Naderer und war noch viel dümmer, als eine Landkellnerin gemeiniglich sein darf. Und diese Zenzi bediente jetzt statt der Mirzl den Wachtmeister, vielmehr sie bediente ihn nicht oder nur sehr nachlässig; sie stellte ihm sein schönes Stammkrügel immer so schroff und geschäftsmäßig vor die Nase, daß es schon zwei Sprünge hatte, deren einer mitten durch seinen Namenszug ging. Und früher hatte doch immer an seinem Platz eine kleine Vase mit Blumen gestanden, auch seine eigene Aschenschale hatte er gehabt; nun wurde er behandelt wie ein anderer zufälliger Gast. Was hatte das alles zu bedeuten?

Einmal an einem Sonntag nach dem Hochamt traf es sich, daß er mit der Mariann zusammen aus der Kirche ging. Und da faßte er sich ein 166 Herz und fragte sie, was denn das wär' mit der Mirzl, und ob sie ihn nimmer wollte oder gar stolz geworden sei – er, der Wachtmeister, sei niemals den Weibern nachgelaufen, niemals! Und bitten und betteln könne er nicht; er gewiß nicht.

Aber die Mariann redete so herum von Zeitlassen und Überlegen – man dürfe das Mädel nicht drängen, sie sei doch noch so jung. Die Mädeln hätten halt so ihre Launen, und es werde noch alles ins Geleise kommen. Und ob er nicht nachmittags zum Kegelschieben kommen wolle; die Kegelbahn im Pfarrhof sei sehr gut, viel besser als die beim Moserwirt, und sie, die Mariann, werde sich sehr freuen – wirklich, sehr. Und dabei tat sie so nett mit ihm und drückte ihm beim Abschied zweimal die Hand.

Armer Wachtmeister Pummer! Hätte er nur eine Ahnung von den Weibern gehabt, so hätte er sich sagen müssen, daß die Mariann so ziemlich der allerschlechteste Anwalt war, den er bei der Mirzl finden konnte. Aber der Dienst fürs Vaterland hatte ihm eben niemals Zeit gelassen zum 167 Studium der Weiber, in deren Dienst ein ganz anderes Reglement gilt. Und so faßte er denn einen großen und mannhaften Entschluß: mit einer Tat wollte er ihre Liebe wieder zurückgewinnen, nicht mit albernem Süßholzgeraspel wie die unreife Jugend. Und bis dahin mochte sie Launen haben, so viel sie wollte.

Dann ging er aber doch in den Pfarrhof zur Kegelpartie und ließ sich von der Mariann den Hof machen; sie ging um ihn herum wie eine Katze und zeigte Samtpfoten.

Der Stammtisch, als Barometer der in der Allgemeinheit herrschenden Stimmung, war seit einiger Zeit dem Wachtmeister auch nicht so freundlich gesinnt wie sonst. Wenn er kam und sich an seinem geheiligten Platz beim Kaiserbild niederließ – der Pfarrer saß immer unter dem Kruzifix, der Pater Balduin unter den armen Seelen im Fegefeuer und der Förster unter dem Hirschgeweih – dann stand das lebhafteste Gespräch plötzlich still. Ein untrügliches Zeichen, daß von ihm die Rede gewesen war. 168

So geschah es auch an jenem Abend, als der Wachtmeister, zufrieden mit seinem Tagewerk, den Bericht an die Behörde in eine Ledertasche verschlossen hatte und zum Nachtmahl geeilt war. Die Zenzi stellte ihm ein Schnitzel mit Kartoffeln hin und brachte sein Stammkrügel. Er aß mit gutem Appetit und schob dann den Teller beiseite. Die Zenzi stampfte dienstbeflissen herbei und räumte ab, und daß sie bei dieser Gelegenheit den Teller fallen ließ und der Wachtmeister einen Fleck auf die Hose bekam, war sicher nicht ihre Absicht; aber der Pummer ärgerte sich doch darüber.

»Dumme Gans,« sagte er. Sonst nichts.

Als die Zenzi und der Moser draußen waren, fragte der Oberlehrer: »Du, Wachtmeister, möchtest du nicht in unseren Gesangverein eintreten? Wir brauchen einen Zweiten Baß.«

Pummer schüttelte den Kopf. Der Dienst, meinte er, lasse ihm keine Zeit zu solchen Vergnügungen.

Der Oberlehrer war schwer gekränkt. »Sehr höflich bist du, das muß man schon sagen.« Er 169 paffte zornige Wolken aus der Pfeife und sprach kein Wort mehr.

»Allen Leuten kann ich's nöt recht machen,« erwiderte der Wachtmeister gereizt und sog heftig an seiner langen, schweren Zigarre.

»Man darf sich aber doch nicht mit den Menschen verfeinden, die . . . nun ja . . . die nun einmal unsere Umgebung bilden,« meinte Herr Kerzendocht vorsichtig.

»So, so. Und Sie glauben, daß ich das tue?« Der Wachtmeister sah sein Gegenüber starr an mit seinen großen, ruhigen Augen, in deren Blick etwas Eigensinniges lag.

Eisiges Schweigen ging um den Tisch herum.

Der Pfarrer suchte zu begütigen: »Unser alter Lateinprofessor im Seminar hat immer gesagt: Fortiter in re, suaviter in modo. Wir sind ja alle arme Sünder, und in der Schrift heißt es: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.«

Das Gesicht des Wachtmeisters färbte sich dunkler. Am liebsten hätte er auf den Tisch geschlagen und sich Luft gemacht wie damals 170 unter den Bauern. Aber hier ging das doch nicht. So schwieg er still, nur der arg zerbissene Zigarrenstummel in seiner Hand zitterte wie eine Kompaßnadel beim Gewitter.

Der Pfarrer! Der konnte leicht reden. Wenn er auf der Kanzel stand und predigte, Sünden vergab und Bußen verschrieb, war er der Stellvertreter des lieben Gottes. Und der Kerzendocht, der sich ein hübsches Vermögen erwirtschaftet, der Oberlehrer mit seiner Vereinsgründung, sogar der Gärtner, der arme Teufel, dem die Musik sein bißchen Lebenskraft verzehrte: sie alle waren besser dran als er. Sie waren was, sie schafften was, sie hatten was. Alles begegnete ihnen mit Achtung und Vertrauen. Aber sein Leben war ein ewiges Sichherumschlagen mit einer Welt von stillen Feinden.

An jenem Abend begleitete der Förster den Wachtmeister heim.

Der Mond stand hoch am Himmel und schien dem Heiligen Florian in sein Wasserschaff und auf die Helmspitze, die frisch vergoldet war. Von 171 den Lindenbäumen sanken die letzten Blätter herunter. Weiß und bleich starrten die Wände der Häuser mit den schwarzen, toten Fenstertafeln.

Es war eine beschaulich-schweigsame Wanderung. Der Förster war kein Redner und der Wachtmeister noch weniger. Aber als sie vor dem Wohnhaus Pummers standen und sich die Hände entgegenstreckten, da tat der Förster seinen Mund auf und sprach: »Du, Pummer.«

Der sah ihn an. Der Förster räusperte sich, spuckte aus, räusperte wieder und sagte abermals: »Du, Pummer, hörst, nimm mir's nöt für ungut, aber wenn ich der Pummer wär, möcht ich jetzt nöt allein im Wald auf Streifung gehen. I glaub' allweil, dö Leut haben was gegen dich.«

Der Wachtmeister stieß ein kurzes, verächtliches Lachen aus.

»Was geht das mich an. Ich geh meinen graden Weg und schau nöt links und nöt rechts. Da sollen die Leut machen, was sie wollen.«

»Is schon gut. Aber manchmal soll eins halt doch auch hinter sich schaun, was dort g'schieht, hm?« 172

»Meinst, Förster, daß sich der Pummer fürcht? Vor den Kasdorfern vielleicht? Ha, ha, ha!«

Der Förster blieb ernst:

»Weißt, Wachtmeister, unserans kommt mehr mit dö Leut z'samm wie du. Und da hört ma halt so allerhand. Und ich sag dir's: Nimm dir den Stiegler und den Griensteidl auf die Streifung mit. Pfüat Gott!«

Pummer war allein.

Kopfschüttelnd betrat er sein Zimmer. Da lag der Arbeitstisch im Mondlicht gebadet, und mitten in der papierenen Sündflut ragte der Zackenfels des Granatensprengstücks empor, beleuchtet vom Mondlicht, ein mahnendes Symbol, das in stummer Sprache von Krieg und Heldenmut redete.

Aber der Wachtmeister war viel zu müde, um ein längeres Gedankengarn zu spinnen. Er zog sich aus und schlief bald den Schlaf eines gerechten und pflichtgetreuen Gendarmen. –

Ein paar Tage später gab's große Aufregung in Kasdorf. 173

Ein Wagen rollte auf den breiten Platz und hielt nach mancherlei Hott und Öha des ungeschickten Kutschers mit tiefer Verbeugung vor dem Moserwirtshaus. In dem Wagen saß der Untersuchungsrichter aus der Kreisstadt, ein dicker blonder Vierziger mit goldener Brille, dann ein diensthöflicher Herr, dem ein Zwicker auf der Nase balanzierte, und ein grauer, stichelhaariger Schnauzer, der beständig knurrte und böse Blicke um sich warf. Das war Strick, der berühmte Polizeihund, in drei Ausstellungen prämiiert und auf tausend Kronen geschätzt.

Auf den Gesichtern der beiden Herren stand mit großen Lettern der Unmut geschrieben, in den sie diese nach ihrer Meinung höchst überflüssige Amtshandlung versetzte.

Der Richter kletterte schnaufend vom Wagen.

»A Straßel habt's ihr aber da, Leutln – das beutelt einem ja die Seel aus dem Leib,« knurrte er verdrießlich. »Wenigstens a Viertel Wein muß ich trinken auf die Strapaz hinauf. He, Wirtshaus!« 174

Der Moserwirt kam katzbuckelnd aus der Tür und nahm die Bestellung eines Mittagessens für ein Uhr entgegen. Inzwischen war eine unter dem Zeichen des Rassenhasses stehende, äußerst lebhafte Meinungsverschiedenheit zwischen Strick und Donar entstanden, der sich durch das anmaßende Benehmen des Polizeihundes in seinem Hausrecht verletzt fühlte. Das schrille, gehässige Bellen vermengte sich mit Donars lautem Brummen, und als Strick einen scharfen Angriff unternahm. bekam er einen Hieb mit der Tatze, daß er gegen die Wand flog. Ein Haufe von Weibern, Kindern und Müßiggängern sammelte sich vor dem Wirtshaus und sah dem Kampfe zu. Natürlich standen ihre Sympathien nicht auf seiten des Eindringlings. Der Spektakel wurde immer toller, und die Parteinahme der Ortsbewohner für den Leonberger war so lebhaft, daß der Richter sich beeilte, seinen bissigen Polizeidiener wieder auf den Wagen zu laden. Sie fuhren gegen den Klosterwald. Außerhalb des Ortes erwartete sie der Wachtmeister, salutierte und stieg ein. 175

»Hören Sie, Pummer, der Bericht, den Sie uns da geschickt haben, das ist ja wie ein Kapitel aus einem Detektivroman.«

Der Wachtmeister machte staunende Glotzaugen:

»Ich denke doch, bei der Wichtigkeit der Sache –«

»Wichtigkeit – mein Gott, glauben Sie, wir werden diesen Bauernlümmeln da heroben ihre Unarten abgewöhnen? Wenn nichts Ärgeres vorkommt, können wir Gott danken. Wegen dem bissel Wildern . . . Und dann: Sie geben lauter vage Anhaltspunkte, aber Beweise, Beweise – wo sind die? Wie gesagt: eine spannende Detektivgeschichte für einen schmierfertigen Schriftsteller, weiter nichts. Na, wir werden ja sehen.«

Pummer schwieg, im Innersten seiner Berufsseele gekränkt und verletzt.

Man war bei dem Heustadel angekommen. Dort herrschte noch das wüste Durcheinander der Brandnacht: verkohlte Balken, angesengte Bäume, geschwärzte Felsblöcke. Der Richter zeichnete sich eine Skizze der Umgebung. 176

»Also in dieser Richtung hörten Sie das verdächtige Geräusch?«

»Jawohl. Ich habe mich nicht getäuscht.«

»Und dann begann der Stadel zu brennen?«

»Ja. Und ich habe die feste Überzeugung, daß der Wilddieb und der Brandstifter eine und dieselbe Person ist, und zwar . . .«

Der Richter winkte ab.

»Lassen wir das. Es gibt nichts Gefährlicheres für die gerichtliche Untersuchung als eine vorschnell gefaßte Idee. Wir wollen jetzt den Hund auf die Spur schicken.«

Der Schnauzer wurde losgelassen. Er schnüffelte eifrig die Umgebung der Brandstätte ab, stand still, witterte in die Luft, senkte die Schnauze wieder zu Boden und schlug dann eine ganz bestimmte Richtung ein, so schnell, daß ihm die drei Männer kaum folgen konnten.

Der Protokollführer patschte ärgerlich durch die feuchte Wiese dem Hund nach. Er hatte dünne Stadtschuhe an und fürchtete einen gehörigen Schnupfen. Der Kneifer glitt ihm beständig 177 von dem schwitzenden Nasenrücken. Auch auf der Stirn des Untersuchungsrichters vermehrten sich die Falten. Nur der Wachtmeister triumphierte. Denn es ging in gerader Richtung auf den Luxhof zu.

Aber tausend Schritt vom Hause entfernt blieb das Tier plötzlich stehen, bellte heftig und schlug den Weg nach dem Ort ein.

Der Richter lächelte überlegen.

»Wer wohnt in diesem kleinen Haus dort, auf das der Hund zuläuft?«

»Der Totengräber, Herr Richter,« erwiderte Pummer.

»Hm, hm. Die Gendarmen Stiegler und Griensteidl sagten aus, daß der Sohn des Totengräbers auf dem Kirchweihfest in Kasdorf im Rausch allerhand verdächtige Äußerungen gemacht hat. Hörten Sie etwas davon?«

Pummer verneinte.

»Sie hätten damals besser aufpassen sollen. Der Kerl ist ohnehin schon einmal wegen Übertretung des Waffenpatents vorbestraft.« 178

Dem Wachtmeister schoß dunkle Röte ins Gesicht. Durfte er dem Richter sagen, daß er damals mit der Mariann über sein Heiratsprojekt gesprochen hatte?

Ein kleiner sandiger Fahrweg ging zum Haus des Totengräbers. Ahnungslos saß der Lippel im Hof und dengelte seine Sense, bis der Hund an ihm hinaufsprang und ihn wütend zu verbellen begann.

»Aha!« rief der Protokollführer.

Der Richter begann drinnen im Hause sein Verhör. Nach einer halben Stunde kam er sehr zufrieden wieder heraus und rieb sich die Hände:

»Nun, die Sache geht ja ganz prächtig. Freilich verhält es sich anders, als Sie glaubten, mein lieber Pummer – ganz anders. Na, das tut ja nichts. Fiat justitia, pereat mundus.«

Und er klopfte ihm mit der wohlwollenden Überlegenheit des Höhergestellten auf die Achsel. »Sie sind voreingenommen gegen eine bestimmte Person. Das darf die Justiz nie sein. Na ja. Also gehen wir jetzt zum Bürgermeister.« 179

Der Luxhof wurde auf das genaueste durchsucht, alle Dienstleute verhört und ein langes Protokoll aufgenommen. Der Alte führte die ungebetenen Gäste selbst im Hause herum und war von ausgesuchter Höflichkeit.

»Man merkt halt gleich, daß man beim Ortsvorstand ist,« flüsterte der Protokollführer dem Richter ins Ohr. Dann wurde das Gesinde fortgeschickt, und es begann eine lange Besprechung zwischen dem Richter und dem Bürgermeister in der Kanzlei. Die Uhr zeigte dreiviertel auf Eins, als er wieder auf den Hof hinaustrat, wo der Wachtmeister auf ihn gewartet hatte.

»Also wie gesagt – was ich hier erfahre, genügt vollkommen, um die Untersuchung gegen die Schuldigen einzuleiten. Herr Wachtmeister, die drei hier notierten Burschen müssen sofort verhaftet werden. Sehen Sie auch genau nach, ob sich in ihrem Besitz Gewehre finden, und nehmen Sie sie ihnen ab. Jetzt wollen wir aber essen. Mein Magen ist sehr an Regelmäßigkeit gewöhnt. Ich habe die Ehre, Herr Bürgermeister.« 180

Grüße und Händeschütteln. Der Alte geleitete die Herren hinaus. Mit verschränkten Armen stand der Ferdl im Hof und sah dem Wachtmeister nach, der sich in der Richtung nach dem Ort entfernte. In seinen Augenwinkeln glomm ein seltsames Licht.

Als die beiden Herren eine halbe Stunde später im Extrazimmer beim Moserwirt saßen, von der glotzäugigen Zenzi aufmerksam bedient und lebhaft, aber mit ganz unzureichendem Erfolg bemüht, ein Stück echt waldviertlerisches Kuhfleisch so weit zu zerkauen, daß es halbwegs verdaulich wurde, begann der Herr mit dem Zwicker plötzlich zu lachen.

»Was amüsiert Sie denn so sehr, Herr Kollega?« fragte der Richter. »Ich finde, offen gesagt, unsere Spritzfahrt durchaus nicht unterhaltend – äh.«

»Na – ich auch nicht. Aber ich dachte eben an den Pummer, an den – hä, hä, hä – an den Sherlock Holmes von Kasdorf. War er nicht zu komisch?« 181

Jetzt lachte der Richter mit seinem breiten Bierbaß die zweite Stimme zu dem Gemecker des andern.

»Sehr gut – äh – sehr gut. Sind doch ein famoser Witzbold, Doktor. Der Sherlock Holmes von Kasdorf – wirklich ausgezeichnet. Wissen Sie, woran mich die Sache erinnert?«

Der Doktor schüttelte den Kopf, mit vollen Backen kauend.

»Da hab ich einmal in meiner Jugend – später kommt man ja vor lauter Aktenschmieren nimmer dazu – eine Geschichte gelesen von einem Roßhändler, der mit seiner dummen Ehrlichkeit und Gerechtigkeitsprotzerei sich selbst aufs Schafott bringt – mein Gott, wie war denn nur der Titel –«

»Ach ja – der Michael Kohlhaas von Kleist, nicht wahr?«

»Ganz richtig. Ja – Michael Kohlhaas heißt der Unglücksmann. Er verfeindet sich mit allen möglichen einflußreichen Leuten und wird zum Schluß gar zum Mordbrenner – aus lauter 182 Pflichtgefühl. Und mir scheint, dieser Pummer hat etwas von so einem Menschen an sich. Haben Sie seine Augen gesehen, wie wir die Brandstätte untersuchten?«

Der Doktor spülte das letzte Stück Fleisch mit einem mächtigen Schluck Wein hinunter.

»Toller Kerl,« brummte er. »Vielleicht juckt's ihn nach einer Auszeichnung.« 183

 


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