Egid von Filek
Wachtmeister Pummer
Egid von Filek

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6.

Der Herr Oberlehrer Wimmer hatte seinen lang gehegten Lieblingswunsch, die Gründung einer Volksbücherei für Kasdorf und Umgebung, nach vielen vergeblichen Versuchen endlich seufzend zu Grabe tragen müssen.

Nicht daß die Abneigung des Pfarrers gegen die Konfession des Herrn Wasservogel, mit dem sich der Oberlehrer brieflich in Verbindung setzte, unüberwindlich gewesen wäre – aber in den breiten Schichten der Waldviertler Bevölkerung bestand kein Bedürfnis nach einem solchen Luxus. Die verlockendsten Offerten des Agenten scheiterten am Starrsinn der Ortsbewohner. Für eine so total überflüssige Sache wie eine Bibliothek wollte niemand einen Groschen hergeben.

Allein der stille Ehrgeiz des Oberlehrers, der es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, Kultur 115 zu verbreiten, bekam unerwartete Nahrung durch eine neue und großartige Idee, deren Geburtsstätte der Stammtisch beim Moser war, von dem schon viel Segensreiches seinen Ausgang genommen. Die große Idee aber ging vom Herrn Pfarrer aus, der in seinen vielen Mußestunden mit ziemlicher Fertigkeit die Bratsche zu spielen pflegte. Und sie betraf die Gründung eines kleinen Streichorchesters mit dem Programm: Pflege der guten, klassischen, geistlichen und weltlichen Musik.

Der Vorschlag fand die begeisterte Zustimmung des Lehrkörpers. Die Friedhofsrosen auf den Wangen des armen Herrn Gärtner glühten im dunkleren Rot, als er sein Cello stimmte, und der Oberlehrer, der Primgeiger und Dirigent sein sollte, musterte mit Feldherrnblick seine Geigen.

Nur die ehrsame Jungfrau Theresia Koppensteiner war anfangs verschnupft, weil der bissige Kaplan auf ihre Frage, was für ein Instrument ihr zugedacht sei, geantwortet hatte: Die Maultrommel. Sie ließ sich indessen bald wieder 116 versöhnen und übernahm bei den Proben die Klavierbegleitung. Als der Kaplan fleißig zu üben versprach, um die Zweite Violine spielen zu können, und Herr Kerzendocht sich und seine Baßgeige zur Verfügung stellte, war ein Streichquintett beisammen, wie es in Kasdorf noch nie gehört worden war.

Die Wünsche des dicken Oberlehrers flogen aber noch viel höher. Er gedachte die Bläser des Kirchenorchesters sowie sämtliche sangeskundige Männer der Nachbarorte unter seinem Dirigentenstab zu vereinigen und aus ihnen einen großen Musikverein zu bilden, der auch die Sangeskunst pflegen sollte. Die patriotischen Festlichkeiten aller Art, dann die vielen Veteranen-, Turner- und Feuerwehrkränzchen, die Faschingsunterhaltungen im Umkreis von vielen Meilen in der Runde: sie alle mußten durch die Darbietungen seiner Künstler aus gewöhnlichen Freß- und Saufgelegenheiten zu wirklichen, erhebenden Festen werden. So führte er nun unter Mithilfe Herrn Gärtners eine lebhafte Korrespondenz, 117 um den neuen Verein ins Leben zu rufen, und freute sich wie ein belobtes Schulkind, wenn er am Schlusse des Schreibens den schönen neuen Kautschukstempel aufdrücken konnte, auf dem in zierlicher Schrift das Kindlein beim Namen genannt war: »Männergesangs- und Orchesterverein Kasdorf.« War das im Grunde nicht noch schöner als eine Volksbücherei?

Der Oberlehrer Wimmer stand also an einem nebligen, unfreundlichen Septemberabend an seinem Geigenhimmel. Das war ein Holzgestell, in etwas über Mannshöhe an der warmen Wand angebracht, die die Küche vom Wohnzimmer trennte; denn in der feuchten, kühlen Luft des Waldviertels sind besondere Vorkehrungen nötig, um das edle Geigenholz vor der so schädlichen Nässe zu hüten.

Schwermütig und süß tönten die Klänge eines Cellos vom oberen Stock; dort übte Herr Gärtner eine Sonate, die klang so traurig wie der Abschied eines Todgeweihten vom lichten Leben, und plötzlich stand die Melodie still, und man hörte das heftige, stoßweise Husten des armen 118 Teufels. Aber der dicke Oberlehrer horchte kaum hin; der Herr Gärtner hustete seit Jahren, man war daran gewöhnt . . .

Von dem hölzernen Gestell hing es gar bunt und lustig herab wie reife, saftige Früchte; rötliche, gelbe, braune und schwarze Geigen von mancherlei graziösen Formen baumelten leise hin und her und gaben beim sanften Anstoßen zarte Töne wie Schwalbengezwitscher; man konnte mit Fug und Recht sagen, daß beim Oberlehrer Wimmer der Himmel voller Geigen hing. Und sorgsam wählte er aus: für sich eine dunkelbraune mit prächtig gewölbter Brust, die sprach besonders leicht an und konnte singen wie eine Nachtigall; dann die hellgelbe mit dem Löwenkopf, deren Ton klang wie Lerchenruf. Das war die Zweite Geige für den Kaplan, dessen zweifelhafte Kunst so ein Ding eigentlich gar nicht verdiente. Indem kam schon der Herr Gärtner mit seinem Cello, hustete ein wenig und sah auf die Uhr; denn heute sollte drüben im Pfarrhof gemeinsame Musikprobe sein. 119

Der Oberlehrer küßte seine Rosel zärtlich zum Abschied: »Gute Nacht, mein Kind. Und warte nicht auf mich, sondern schone dich und geh bald schlafen. Bedenke, daß wir auch Pflichten gegen die nächste Generation . . .« Er sprach die schöne Phrase nicht zu Ende. Die kleine Frau schloß ihm mit einem Kusse den lehrhaften Mund.

Schweigend schritten die Männer über den großen Platz dem Pfarrhof zu. Die lange Koppensteiner hatte sich ihnen angeschlossen und trug die Noten. Gärtner drückte das Taschentuch vor Nase und Mund. Die kalte Herbstluft war Gift für seine wunden Lungen.

Aber drin im Pfarrhof war's gemütlich; der Pfarrer empfing seine Gäste in der Säulenhalle – so nannte man den großen Raum im Erdgeschoß, in dessen Mitte eine Säule zur gewölbten Decke emporstieg, wo durch die weiße Tünche noch Spuren von bunten Freskomalereien schimmerten Im ersten Stock gab's luftige, große Repräsentationszimmer mit Stuckdecke und Tapeten, aber am schönsten war's doch in der Halle, bei dem 120 mächtigen Ofen mit den grünen, halbkugeligen Kacheln, der einer ungeheuren Traube glich, von einer breiten Holzbank umgeben und von außen zu heizen war. Auf der Holzbank stand ein großer Tabaktopf in der Form eines Pudelkopfes aus Ton, darin war die Pfeifenmischung des Herrn Pfarrers, geheiligt durch langjährigen Gebrauch: ein Packel Knaster, ein Packel Dreikönig, ein Packel Ordinären.

Die eine Hälfte des Fußbodens war um eine Stufe erhöht und trug einen breitbeinigen Tisch mit geschnitzten Holzstühlen. Dort nahmen die Herren mitsamt ihren Instrumenten Platz, stimmten mit leisem Plim-plum die Saiten und redeten davon, wie garstig das Herbstwetter sei; der Pfarrer klopfte seine Pfeife aus und stellte sie in einen Winkel, und die Mariann, angetan mit blühweißer Schürze, ging mit einem wuchtigen Bierkrug aus braunem Steingut rundum und schenkte fleißig ein. Aber unter der weißen Schürze des alten Mädels war ein feines Sonntagskleid, und unter diesem klopfte ein aufgeregtes 121

Herz, geschwellt von einem großen, wichtigen Entschluß. Heute – ja, heute wollte sie zum Moserwirt hinüber als Brautbitterin für den Wachtmeister, wie es die Sitte gebot. Ablehnende Antwort schien ausgeschlossen. Seit dem Tod der Moserin geschah drüben nur das, was die Mirzl wollte. Und die mußte ja doch jetzt Ernst machen. So eine Partie bot sich ihr nicht wieder.

Die Mariann wollte also abwarten, bis die Musik recht im Gange war, und dann hinüberhuschen; der Honoratiorentisch war ja heute verödet, der Moser hatte Zeit genug für Privatangelegenheiten, und auch die Mirzl war zu Haus.

Ein bißchen weh war ihr doch zumut', wenn sie auch keine Eifersucht gegen die hübsche Wirtstochter empfand; dazu war zuviel Mütterlichkeit in ihrem Herzen, das dem ungeschickten, gutmütigen Mann das Beste gönnte und sich freute, daß gerade sie die Vermittlerin seines Glückes war. Aber irgendwo in ihrer Seele brannte eine leise Traurigkeit wie die Narbe einer längst geheilten Wunde. 122

Die Notenblätter wurden verteilt; Herr Kerzendocht, der etwas weitsichtig war, setzte seine Brille mit den schwarzgefaßten Gläsern auf, der Oberlehrer klopfte auf den Geigenboden, und nach ein paar falschen Ansätzen quoll es hell und klar unter den Bogen hervor. Das leise Knistern der brennenden Holzscheite im Ofen gab die stimmungsvollste Begleitung.

Es ging überraschend gut, obwohl sie erst wenige Proben gehabt hatten. Denn die Lehrer spielten ihren Part mit der ganzen gewissenhaften Pedanterie ihres Amtes, die den Komponisten auch nicht um eine Zweiunddreißigstelnote betrog, und Herr Kerzendocht führte seine Melodie auf der Baßgeige so sicher wie die Eintragungen im Hauptbuch.

Nur der Pater Balduin irrlichtelierte ein wenig hin und her. Aber der Pfarrer hielt ihn streng im Takt und meinte während einer Pause mit seinem Lächeln, daß er nach der Ordensregel seinem geistlichen Oberen Gehorsam schulde – auch beim Streichquartett! 123

Sie spielten etwas von den kleinen Sachen des göttlichen Wolfgang Amadeus. Und dann kam das Largo von Händel, mit seinen wundervoll breiten, pastosen Geigenstrichen, bei denen man das goldene Licht eines sonnigen Feiertags durch klare Kirchenfenster hereinfluten sieht – und eine Streichmusik von Franz Schubert, dem armen verbummelten Schulmeistersohn; und es war ein wunderbares Leuchten in dem schlichten, weiten Raum, das die Seelen dieser einfachen Menschen durchdrang und erfüllte, wie die geheimnisvollen Strahlen, die neueste Wissenschaft entdeckt hat, den Körper durchdringen. Als schwebe ein Unsichtbarer durch den Äther und spräche zu aller Herzen das Bibelwort: Wo zwei oder drei beisammen sind in meinem Namen, so bin ich mitten unter ihnen. Und so spielten sie sich selbst zur Feier, von keinem sensationsgierigen Publikum mit albernem Lob und dummer Kritik beunruhigt, bis jene wunderselige, weltentrückte Versunkenheit über sie kam, die nur der Künstler kennt; bis die blonden, braunen 124 und schwarzen Geigen ganz von selber sangen und Herr Kerzendocht seinen Kramladen, der Pfarrer seine Amtswürde und der Oberlehrer sogar seine Sendung als Kulturträger vergaß.

Und doch hatten sie stilles und dankbares Publikum. Die Mariann saß auf ihrem breiten, niedrigen Nähschemel, die Hände um die spitzen Altjungferknie geschlungen, und lauschte aus tiefster Seele. Tipferl, der kleine schwarze Rattler, lag eingerollt zu ihren Füßen. Sie sah ihn nicht. Sehnsüchtige Wünsche und Erinnerungen regten sich leis in ihr, von der Musik aus verstaubten Winkeln des Herzens hervorgeschmeichelt. Das tat weh und wohl zugleich. Fast hätte sie darüber ihren großen Entschluß vergessen.

Wenn nur die Koppensteiner, die beim Streichquartett unbeschäftigt war, nicht immerfort dazwischen geredet hätte von den Adressen, die sie für den neuen Verein schreiben mußte, und vom Herrn Gärtner, daß er doch sehr krank sei, und vom Pater Balduin, den die Buben in der Schule zum Narren hielten, und dergleichen Zeug, das 125 die Mariann gegenwärtig aber schon gar nicht interessierte!

Gottlob, daß sie endlich mit dem harten, festen Tritt aller Lehrerinnen zum Klavier ging. Die Mariann erhob sich leise, sah nach, ob der Bierkrug voll war, gab in der Küche draußen der Magd noch einige Aufträge und band ihre Schürze ab. Dann schlüpfte sie in ihr Ankleidezimmer, nahm Tuch und Mantel und verließ auf den Zehenspitzen das Haus. Vor dem Spiegel war sie noch einen Moment stehengeblieben und hatte sich forschend betrachtet. Ihre Wangen glühten vor Aufregung; in dem weiten Gewand, das alle ihre Eckigkeiten gefällig umhüllte, sah sie recht gut aus. Sie seufzte; mein Gott, war es denn so ganz unmöglich, daß auch zu ihr noch einer kam . . . wirklich ganz unmöglich? Ein schwermütiges Lächeln flog über ihr Gesicht; man sah die schlechten, braunen Zähne mit den großen Lücken dazwischen. Ob sie nicht doch einmal in die Stadt gehen sollte, zum Zahnarzt? Aber sie hatte so viel Angst! 126

Dann schüttelte sie energisch den Kopf und verscheuchte die unpassenden Gedanken.

Der Moserwirt kam just mit einem gefüllten Heber die Kellertreppe heraufgetappt, hinter ihm Donar. Als er die Mariann sah, bot er ihr etwas erstaunt den Pfarrhofsgruß: »Gelobt sei Jesus Christus.« Dann leerte er den Heber in eine große Flasche, wischte sich die Hände und bat den seltenen Gast hinauf in sein Zimmer.

Die Mariann sagte ihren Spruch wie der beste Bittelmann, und der Moser hörte zu, regungslos gleich einem Steinbild. Sein linker Arm lag auf dem Tisch, die Finger der knochigen Rechten krallten sich wie Raubvogelfänge um den Wassersack seiner braunen Holzpfeife. Das grobe blaue Fürtuch fiel in starren, eckigen Falten um seine mageren Beine, die leicht nach einwärts gekrümmt waren. Genau so saß er immer vor den Weinreisenden, die ihm ihre Ware aufschwatzen wollten; und wenn es dann zum Kauf kam, haute er sie regelmäßig übers Ohr. Er war ein guter Geschäftsmann und großer Phlegmatiker. 127

Als die Mariann zu Ende war, blieb der Alte noch eine halbe Minute lang stumm. Dann klopfte er mit dem Weichselrohr die Asche aus dem Pfeifenkopf, setzte die beiden Stücke sorgfältig wieder zusammen und begann:

Natürlich wär' es ihm eine große Ehre, daß so ein Herr anklopfen tät wie der Herr Wachtmeister – eine große Ehr', versteht sich. Aber die Mirzl, die wär' halt da in seinem öden, alten Haus wie der liebe Sonnenschein. Und so oft er sie ansehe, müsse er an seine arme Frau denken, die ihm unser Herrgott so bald genommen hätte, die Marie Theres . . .

Hier machte der Moser eine Pause, um Rührung zu markieren. Aber das war Komödie. Er hatte sie schlecht behandelt, die Maria Theres, und wäre die Mirzl nicht so scharf auf das ihrige gewesen, er hätte längst zum zweitenmal geheiratet.

Aber das Dirndl wär' halt noch so jung. Einundzwanzig auf Lichtmeß – ob das wohl gut tät, so jung heiraten – hm? 128

Als die Mariann darauf das sagte, was alle Frauen in solchem Falle sagen, daß jung gefreit noch niemand gereut habe, da lächelte der Alte seltsam in sich hinein und sah sie mit einem so verschmitzten Blick an, daß sie die Fassung verlor.

Und weil es just vor der Tür raschelte wie von Frauenkleidern, rief er laut:

»Mirzl!«

Sie trat gleich darauf ein, rot und verlegen. Tausend Kronen hätte die Mariann gewettet, daß sie schon längst draußen gestanden.

»Du, Mirzl, die Fräulein Mariann hätt' was zu reden mit dir – a ernstes Wörtl, verstehst. Los gut zu und überleg's fein . . . gut Ding braucht Weil. I muaß mich pfüaten – drunten warten die Leut'.«

Und er bot dem Gast seine haarigen Krallenpfoten und ging.

Drunten auf der Kellerstiege, wo ein müdes Allerseelenlichtlein die glitschigen, ausgetretenen Stufen matt erleuchtete, blieb er stehen und stopfte sich eine frische Pfeife. 129

Der Wachtmeister als Schwiegersohn . . . hm, hm. Er rieb ein Streichholz an der Hose, zündete an und paffte vor sich hin – etwas hastiger, als sonst seine Gewohnheit war.

Der Pummer! Warum just der Pummer? Konnte es denn nicht einer von den Bauernsöhnen sein, so einer mit einem hübschen Gütel, mit Wald und Wiesen und einem ordentlichen Stall voll Vieh? Er hätte sein Mädel gern besser versorgt gewußt. Aber du lieber Gott – wenn die Weiber einmal ans Heiraten denken, so macht man die Sach' durchs Abmahnen nur schlimmer. Aber vielleicht mochte die Mirzl den Pummer gar nicht. Einerlei – das sollten sich die Weiber droben allein ausmachen. Früher oder später kam das Mädel ja doch aus dem Haus. Und dann war er frei und konnte sich selbst um was umschauen. Mit fünfzig Jahren sieht man beim Heiraten auf andere Dinge als ein glattes Gesichtel und runde Wangen . . .

Der Moser wußte eine Viehhändlerswitib in Zwettl. Was Tüchtiges zum Wirtschaften, so 130 zwischen Dreißig und Vierzig; ohne Kinder, aber mit einem hübschen Vermögen; der Selige mußte im Verlauf eines langen und gottgesegneten Erwerbslebens den Bauern ein gutes Stück Geld abgenommen haben.

Ja, die Müllnerin, die wär schon die rechte . . .

Es war eigentlich eine alte Liebe des Moser, die Müllnerin, und er war in längstvergangenen ledigen Tagen so lange um sie herumgeschlichen, ohne sich entschließen zu können, bis es dem resoluten Ding zu dumm wurde und sie ihm den Laufpaß gab.

War übrigens noch immer sauber . . . noch immer. Breite Schultern, lachendes Gesicht, schwarze Haare und kein einziges graues darunter. Der Moser hatte auf seinen häufigen Geschäftsfahrten nach der Stadt das alles mit großer Bestimmtheit feststellen können.

Vielleicht wußte die Mirzl davon. Es gab genug alte Weiber in Hosen und Kitteln im Ort. Und das hat noch kein Kind gern gesehen, daß der Vater zum zweitenmal heiratet . . . 131

Wenn er nun aber eine Frau im Geschäft notwendig brauchte? Wenn er – halt. das war ein Ausweg! Ja, so ging die Sache. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und lächelte befriedigt über seine eigene Schlauheit. Er wollte dem Mädel ein paar Felder verschreiben als Heiratsgut – auf der Lehne beim Luxhof lagen sie, der beste Ackerboden in der ganzen Gemeinde. Man mußte nur mit dem Dirndl reden, ernst und vernünftig.

Er nickte zwei-, dreimal vor sich hin, stieg in den Keller hinab und wirtschaftete zwischen seinen Fässern mit der Miene eines Mannes, der das Leben kennt und sich in alles gut zu schicken weiß.

Inzwischen saßen droben die zwei sich schweigend ein paar Sekunden lang gegenüber. Das Summen der Gaststube klang leise und gedämpft herauf. Der matte Schimmer des Kerzenlichtes machte das Gesicht des Mädels noch weicher und hübscher und verschärfte die kleinen Falten um die Lippen der Mariann. 132

Wenn die Mirzl auch nicht gehorcht hätte . . . auf den Zügen der Patin lag ein solcher Abglanz von Feierlichkeit, daß sich der Zweck ihres Besuches leicht erraten ließ.

Und gerade diese Feierlichkeit machte sie unsicher und scheu. Sie konnte der Mariann nicht gerad' ins Gesicht sehen. Ihre Augen flogen unstet in den Winkeln des Zimmers herum wie gefangene Vögel im Käfig.

Die Mariann aber war verdrießlich.

Sollte sie jetzt die ganze Litanei vor dem jungen Ding wieder ableiern? Sie fand es höchst unpassend und ganz aus der Weis', daß der Alte davongegangen war, statt mit seiner väterlichen Autorität ihre Werbung zu unterstützen.

Endlich preßte sie mit heiserer Stimme heraus:

»Alsdann, Mirzl, du weißt ja, warum ich da bin . . .«

Das Dirndl zuckte die Achseln:

»In keiner Weis' nöt, Frau Godl.«

Sie spielte nervös mit ihren Schürzenbändern. Die Mariann sollte nur ein wenig zappeln. Eine 133 plötzliche Furcht vor dem bindenden Wort hatte sie ergriffen, das auf ihren Lebensweg niederfallen wollte wie ein Schlagbaum.

Die Mariann bekam ein ganz rotes Gesicht:

»Geh, tu nöt so. Bist ja doch bei der Tür g'standen, du – du Falsche.«

Die Mirzl tat beleidigt. Nie in ihrem Leben hätte sie gehorcht, niemals. Was denn die Frau Godl von ihr dächte!

Das klang wie Spott. Und mit einemmal reckte sich in der Mariann der Stolz empor. Schließlich war sie eine Frau von Rang und Würden, eine der ersten hier im Ort. Und was da vor ihr saß, ein junges unreifes Ding. Sollte sie sich bei dem einen Korb holen?

Und hochmütig gab sie zur Antwort:

»Ich hab's deinem Vater schon g'sagt, was zu sagen is. Kannst ihn ja fragen. Und kannst dir's noch überlegen.«

Die Mirzl zuckte die Achseln. Sie ärgerte sich über den Wachtmeister. Konnte er nicht selber sein Heil versuchen? Was ein richtiger Mann ist, 134 muß einen packen und zwingen und braucht keine alte Jungfer zur Vermittelung.

Die Mariann stand auf und strich ihre Schürze glatt, als wollte sie sagen: Diese Sache ist erledigt. Es war ein kühler Abschied.

Wie verloren ging sie durch den Nebel und schüttelte ein paarmal den Kopf. Nein, wie anders die Mädeln jetzt waren als zu der Zeit, da sie jung war. Eine solche Partie auszuschlagen! Denn daß die Mirzl den Pummer zurückwies, war sonnenklar. Sonst hätte sie sich wahrhaftig anders benommen. Mein Gott, so ein Mann! Zehn, zwölf Mädeln im Ort konnte der haben, wenn er wollte. Nein, sie verstand die Welt nicht mehr. Zorn und Groll gegen das dumme, leichtsinnige Ding da drüben flammte in ihr auf. Wart' nur, vielleicht kommt einmal der Tag, wo du deinen Stolz bereuen wirst!

Als das mächtige, eisenbeschlagene Tor des Pfarrhofs mit dumpfem Dröhnen hinter ihr ins Schloß fiel, wurde sie ruhiger. Sie schritt über den grasbewachsenen Hof und blieb 135 aufatmend vor den hellen Fenstern stehen, durch die man hineinsah in eine stille, heitere Welt; sie hörte heiße, süße Klänge, die nicht recht passen wollten zum rauhen Hauch des Herbstes, zur kargen Natur dieses herben Stückes Heimatland.

Denn was sie jetzt da drinnen spielten, war das Sextett aus »Lucia«, vom Oberlehrer mit ein paar Versündigungen gegen Kontrapunkt und Harmonielehre für die vorhandenen Instrumente umgearbeitet; jenes Sextett aller Sextette, so veraltet und doch noch immer schön . . . Der tiefblaue Himmel Italiens leuchtet darin, und auf und nieder rauscht die ewige Melodie des Meeres und des Herzens:

»Ja, zwischen Tod und zwischen Leben
Seh ich dich, Geliebte, schweben . . .«

Der kranke Herr Gärtner umklammerte den Hals seines geliebten Cellos; die mageren Finger kletterten an den Saiten auf und nieder wie Äffchen an den Schlingpflanzen im Urwald, und die Flecken auf seinen Wangen brannten lichterloh. 136

Und draußen drückte die Mariann das Gesicht an die Scheiben. Wie schön das war, ach wie wunderschön! Es ging so zu Herzen. Die Spannung löste sich, und mit bangem Entzücken fühlte sie, wie bei diesen schmeichelnden Melodien im heimlichsten Winkel ihres Gemüts etwas keimte wie eine leise, leise Hoffnung. Viel zu zart und scheu, als daß man es mit dem scharfen Licht eines klaren Gedankens hätte beleuchten dürfen. So zarte Pflanzen brauchen das Dunkel . . .

Die Mariann fuhr sich mit der Hand über die heiße Stirn. Erinnerung an ein kleines Erlebnis huschte durch ihren Sinn. Die Rose von Jericho . . .

Da hatte der Herr Pfarrer vor Jahren, als er noch schlanker und beweglicher war, eine Pilgerfahrt nach dem Heiligen Lande unternommen. Das Grab des Heilands ward besucht und der See Genezareth, das Tote Meer und der Berg Karmel. Und außer einer Unzahl von Lichtbildern, ein paar Brocken Erdpech vom Toten Meer, einem Fläschchen Jordanwasser und dergleichen Andenken brachte er ein 137 sonderbares braunes Ding mit, einen vertrockneten Knollen, das hieß die Rose von Jericho. Der Oberlehrer sprach gelehrt über das Gewächs und sagte, es heiße Anastatica und gehöre zu den einjährigen Cruciferen; der Pfarrer aber legte den Knollen in eine Schüssel mit warmem Wasser, und alle standen herum und sahen staunend auf das kleine Wunder, wie die dürren Zweige sich bewegten, wie kleine Rautenblättchen aus ihnen sproßten und rötlich weiße Blüten. Und er erzählte alte Pilgerlegenden, daß in der heiligen Nacht der Geburt des Heilandes das wunderbare Gewächs ganz von selbst zu blühen beginne und das Haus, dessen Mauern es beschirmen, vor Brand und Blitzschlag schütze; so sei es ein Sinnbild für die Auferstehung des Fleisches und das ewige Leben. Das alles hörte die Mariann gar seltsam bewegt und bückte sich hinab und roch zu den dürftigen roten Blüten – aber sie waren trocken und spendeten keinen Duft mehr; und damals wie heute merkte sie nicht, wie ihr die warmen Tränen über die Wangen liefen. 138

 


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