Egid von Filek
Wachtmeister Pummer
Egid von Filek

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4.

Der Wachtmeister trug sein ernsthaftes Amtsgesicht durch diesen ganzen lustigen Tag. Er pendelte zwischen den Buden hin und her, prüfte da und dort die Lizenzen der Verkäufer und fand alles in Ordnung. Dann sah er zu, wie die Musikanten nach altem Brauch, als der Segen zu Ende war, auf dem Hauptplatz herumzogen, um vor den Häusern der Würdenträger ihr Ständchen zu bringen. Der Pfarrhof kam zuerst dran, dann das Gendarmeriekommando, das Bürgermeisteramt und das Haus des Herrn Kerzendocht. Wie das Moos um die Waldbäume, so wuchs um die blasenden, fiedelnden und trompetenden Männer ein Schwarm von Kindern, der nicht von ihrer Seite wich.

Beim Bürgermeister floß der Strom der Silber- und Nickelmünzen am reichsten. Der Lux Ferdl, 73 mit seinem besten Sonntagsstaat angetan und eine rote Nelke zwischen den Zähnen, warf das Geld nur so zum Fenster heraus. Damit wollte er auch den Pfarrer ein bißchen ärgern, der als filzig galt.

Dann zog die Bande ins Moserwirtshaus und besetzte ihr Podium auf dem Tanzplatz, und dort schlug die Lust immer höhere Flammen, dem Festtag zu Ehren, der mit Frömmigkeit, Weihrauch und Orgelbrausen beginnen und mit Fraß und Völlerei enden mußte, sonst war's kein richtiger Kirchtag.

Gegen Abend kamen die Honoratioren nach altem Brauch zum Moser. Es kam der Pfarrer, mit rotem Gesicht und guter Laune, die lange Pfeife im Mund; hinter ihm der schmale Kaplan; es kam Herr Kerzendocht mit Frau und Töchtern, artig und händereibend; der Kirchtag bedeutete jedes Jahr für ihn ein gutes Geschäft. Es kam der Lehrkörper der Volksschule, zwei Mann und eine Frau hoch: Herr Wimmer, Herr Gärtner und Fräulein Theresia Koppensteiner, die 74 Handarbeitslehrerin; sie traten genau nach der Rangordnung ein, voran der Oberlehrer mit seiner jungen Frau am Arm, und nahmen unter vielen steifen Komplimenten zwischen dem Pfarrer und dem Förster Platz. Auch der alte Lux, als Bürgermeister, wurde an den großen runden Tisch herangebeten, in dessen Mitte ein riesiger Buschen Astern, Levkojen, Monatsrosen und Reseda aus einer mächtigen Porzellanvase emporstieg. Aber der Lux hielt es nur eine Pfeife lang dort aus, dann zog es ihn hinunter zu den Bauern; dort fühlte er sich unter seinesgleichen.

Und ganz zuletzt kam das Fräulein Mariann, die Wirtschafterin und Nichte des Herrn Pfarrers, mit allen ihren Zahnlücken lächelnd, und begann sofort ein eifriges Gespräch mit der Frau Kerzendocht und der Jungfrau Theresia Koppensteiner, die ebenso mager, altjüngferlich und spinnenfingrig war wie sie und das Mundwerk mit gleicher Geschwindigkeit laufen lassen konnte, nickte auch der Frau Oberlehrer mit verwandtschaftlicher Herzlichkeit zu, einem jungen, rosigen 75 Frauchen, viel zu jung und zart für den dicken Oberlehrer, der im aufquellenden Johannistrieb der vierziger Jahre die Kleine vor Jahresfrist aus dem Pfarrhof herübergeheiratet hatte. Denn auch Frau Rosel war eine Nichte des Herrn Pfarrers und hatte ihm bis zu ihrer Verehelichung die Wirtschaft geführt. Er nahm, um übler Nachrede zu steuern, grundsätzlich nur Verwandte ins Haus.

Wachtmeister Pummer schob sich langsam durch das Gedränge. Er war heute schief gewickelt wie immer, wenn ihn die tanzwütige Lebenslust der Jugend umtollte, für die er zu alt und schwerfällig war. Bei den Alten aber mochte er schon gar nicht bleiben. Wohin er trat, dort wurde das Gespräch leiser oder stockte ganz; man scheute den berufsmäßigen Beobachter.

So lehnte er sich endlich mit dem breiten Rücken an einen Türpfosten und streckte seine Zigarre in die Luft. Seine Blicke suchten heimlich eine Bauernpfeife nach der andern ab, ob nicht irgendwo das geheimnisvolle Goldknöpfchen 76 fehle, das er beständig mit sich trug. Man kann ja nie wissen, was der Zufall auf seiner Geige für seltsame Stückeln spielt.

Aber bald gab er die Hoffnung auf, diese immer dichter und schwerer werdenden Wolken von Tabaksqualm, Bier und Weindunst zu durchdringen.

Ob es nicht am Ende das gescheiteste war, wenn er heimging und sich schlafen legte? Morgen früh hieß es wieder Dienst machen, schweren Dienst.

»Kommen Sie doch an unsern Tisch, Herr Pummer,« rief eine scharfe Stimme in seiner Nähe. Es war die Mariann.

Eigentlich hätte der Wachtmeister noch der Mirzl auflauern wollen, die mit Tellern und Gläsern herumlief; aber die hatte jetzt wirklich keine Zeit für ihn. Also folgte er der Mariann und wurde zwischen sie und die junge Frau Rosel verstaut, der das Eheglück so sichtbar aus dem frischen Gesichtchen lachte, daß er bald wieder seinen guten Humor bekam. Es fehlte nicht 77 an allerlei mehr oder minder zarten Anspielungen, und die Weiber redeten ihm gehörig zu, seinem unfruchtbaren Junggesellenstand so bald wie möglich ein seliges Ende zu machen.

Die Mariann hatte den Wachtmeister nicht aus bloßer Höflichkeit an den Tisch geladen.

Sie wollte die Sache mit der Mirzl nun endlich ins reine bringen. Das Mädel zögerte ihr zuviel herum. Das tat nicht gut. Worauf wartete man noch? Wenn der Kirchtagsrummel vorüber war, wollte sie in aller Form beim Alten für Herrn Pummer die Brautbitterin machen und dann gleich das Aufgebot bestellen. Ob es ihm so recht wäre?

Sie sprachen eifrig und halblaut miteinander, während am Nachbartisch ein »Königrufer« in Gang kam, mit dem Pfarrer, dem Förster, dem Oberlehrer und dem Kaufmann als Teilnehmern und dem Kaplan und Herrn Gärtner als Kiebitzen. Vom Tanzboden herüber klang die Musik gedämpft in ihr Gespräch. Die Mariann klopfte manchmal mit dem knochigen Fuß, der in einem viel 78 zu jungen, ausgeschnittenen Halbschuh steckte, den Dreivierteltakt. Ein paar fuchsige falsche Haarsträhnen schimmerten verräterisch zwischen ihren dünnen Zöpfen. Ach – so um fünfzehn, sechzehn Jährchen hätte sie jünger sein wollen; damals, als der hübsche Forstadjunkt durch die Wälder ihres Heimatdorfes pirschte, der Herrn Pummer ein bißchen ähnlich sah – halt ja, das war eine schöne Zeit. Und Augen hatte er, noch feuriger als der Wachtmeister, die brannten ihr wie schwarze Kohlen ins Herz. Aber die Männer sind so schlecht. Er küßte sie ab und ging – der andern entgegen, bei der Geld und Gut zu holen war. Und die Mariann hatte wenig mehr als ihre heiße Liebe.

Na schön! Sie hat's verwunden und grollt dem Schicksal nicht. Beim Herrn Onkel Wirtschafterin sein ist auch gut. Und viele ihrer Freundinnen beneiden sie drum, ehrlich und aufrichtig. Hat auch gar manche von ihnen keinen Mann gefunden, oder wenigstens nicht den. der nach ihrem Herzen war. 79

Die Mädchen da droben sind herb und kühl; stürmisch zu lieben, ist ihnen nicht gegeben. Aber auch diese Waldviertler Blumen haben ihren keuschen Reiz, der vielleicht länger dauert und sich dem Mann, wenn sein Gemüt danach veranlagt ist, tiefer und inniger ins Herz schmeichelt als der heiße, sündhaft süße Duft prangender Treibhausblüten. Die Mariann indessen hatte nie die Männer zu fesseln gewußt. Es gibt eben Mädchen, die als alte Jungfern zur Welt kommen.

Herr Pummer vernahm mit Staunen, was das Heiraten für eine verwickelte Sache ist. Sein einfaches Junggesellengemüt hatte sich das anders vorgestellt. Aber da ihn das Thema doch sehr interessierte und er der Mariann für ihre Mühe und Förderung dankbar war, so hörte er gern zu. Und sie hatte sich's nun einmal in den Kopf gesetzt, sein Glück zu begründen, vielleicht ans reinem Mitleid für den armen, einsamen Junggesellen, oder weil er sie irgendwie an ihren ungetreuen Liebsten von damals erinnerte, oder aus einer andern Ursache der unergründlichen Weibsnatur. 80

»Eigentlich paßt der Wachtmeister viel besser zur Mariann als wie zur Mirzl,« sagte die Oberlehrerin der Jungfer Theresia Koppensteiner ins Ohr. Die seufzte. Sie seufzte immer, wenn von Liebe oder Ehe die Rede war.

»Freilich, freilich. Die Mirzl ist ja doch für ihn zu jung. Und ich sag's immer, man soll seine Jugend genießen. Zum Heiraten hat's noch allweil Zeit.«

»Halt ja,« lächelte die junge Frau und streifte die dürre Figur der Lehrerin mit einem Seitenblick voll gutmütigen Spottes.

Es war spät geworden. Die Frauen machten sich auf den Heimweg und überließen den trinkenden und kartenspielenden Männern das Feld. Jedes Fest muß mit einem Räuschchen oder einem Kartenspiel enden, das ist seit Menschengedenken im Waldviertel geheiligte Tradition.

Zärtlich wickelte der Oberlehrer seine Frau in den mitgebrachten Mantel. »Du darfst dich um Gottes willen nicht verkühlen, Roserl – denk an deinen Zustand,« sagte er so laut. daß alles ringsum lachte. 81

Der Lehrer Gärtner, dessen Wangen von dem bißchen Wein, das er getrunken hatte, schon brannten, und der Kaplan hatten sich vom Tarockieren ausgeschlossen und disputierten in einem stillen Winkel über Mystik und Religionsphilosophie.

Der Gärtner war ein merkwürdiger Mensch und gar nicht nach dem Sinne der hohen Vorgesetzten von der löblichen Schulbehörde, die mit merkwürdigen Menschen nichts anfangen kann; so hatte man ihn denn in diesen abgelegenen Winkel gesteckt. Außer der Schwindsucht zehrte auch die Musik an seinem Leben. Klavier und Cello handhabte er mit nicht gewöhnlicher Meisterschaft. Da kam es oft zu Streitigkeiten zwischen ihm und dem Herrn Oberlehrer, der als Vorgesetzter in allem recht haben wollte. »Sie nehmen ja das Tempo bei der Mondscheinsonate ganz falsch, Herr Kollega,« hatte der ihm erst gestern gesagt. »Bitte, das ist mein Beethoven,« war die Antwort. Er war nicht zu bekehren, der Herr Gärtner . . . Am liebsten 82 unterhielt er sich mit dem Kaplan über Philosophie. Der war noch nicht lange genug vom Seminar losgelassen, um nicht gerne zu disputieren, und freute sich über den aufmerksamen Zuhörer. Und der arme Schwindsüchtige schöpfte Trost und Beruhigung aus dem Gedanken einer ewigen Einheit von Tod und Leben.

So störte denn bald niemand mehr die Mariann und den Wachtmeister in ihren Erwägungen und Berechnungen. Denn die Ehe, meinte die Wirtschafterin, ist eine Sache, die genau, o sehr genau berechnet sein will.

Drüben bei den Bauern und auf dem Tanzboden ging's hoch her. In der großen getäfelten Trinkstube bildete der Totengräberlippl den Mittelpunkt der Unterhaltung. Gerade unter dem Kronleuchter hatte er sich auf den Boden gesetzt und sang die unverschämtesten Vierzeiler, aus dem Stegreif gedichtet und von solcher Derbheit, daß die hartgesottensten Weiber dabei rot wurden. Hinter ihm stand der dicke Gendarm Griensteidl, der ihm unaufhörlich Wein in alle Löcher 83 seines borstigen Schädels goß, um sein Gedächtnis zu stärken. Von jedem und von jeder, die er in diesem Jahr begraben hatte, wußte der Lippl etwas Kreuzfideles oder Boshaftes und arbeitete so in seiner Weise an der Unsterblichkeitsidee. Und je toller er log, desto größer wurde der Kreis des dankbaren Publikums, das mit seinem Beifall nicht kargte. Es war eben Kirchtag, und da nahm man es mit nichts so genau – nicht mit der Wahrheit, nicht mit der Moral und am allerwenigsten mit dem Saufen.

Was der Kerschbaum Poldl einem Kreis von älteren Burschen in einer abgelegenen Ecke des Zimmers im Flüsterton erzählte, schien nicht so harmlos zu sein wie die Aufschneidereien des Lippl. Sie steckten die Köpfe zusammen und horchten mit offenen Mäulern. Von Zeit zu Zeit erdröhnte ihr breites Gelächter.

Und der Moser ging durch alle Zimmer wie der Geist des Hauses, redete ernsthaft mit den Alten und lustig mit den Jungen und mahnte überall zum fleißigen Trinken. 84

Auch der Kaplan und der Herr Gärtner hatten das Wirtshaus verlassen, dessen Dunst und Qualm dem Lehrer das Atmen immer schwerer machte. Sie setzten im tiefen, köstlichen Schatten der Lindenbäume ihr Gespräch noch eine Zeitlang fort; aber der Pater Balduin war zerstreut und horchte auf den Ländler, der gedämpft durch die Fenster in den schönen stillen Abend hinausklang; er dachte an die Zeit – nahe genug lag sie hinter ihm –, wo er als flotter Gymnasiast, knapp nach der Matura, zu demselben Ländler getanzt hatte, mit einem lieben, schlanken und lachenden Mädchen, das nun schon lange die Frau eines behäbigen Gutspächters und Mutter von drei strammen Buben war; und er dehnte seine Brust und straffte die Arme, als beenge ihn das geistliche Gewand. Als der Herr Gärtner merkte, daß der Pater Balduin von der Mystik wieder einmal genug hatte, empfahl er sich artig und steuerte der Schule zu, wo er in sein Zimmerchen im ersten Stock hinaufstieg. Eng und schmal war's dort, kaum daß Bett, Tisch, Kasten und 85 Sofa Platz fanden zwischen den weißgetünchten Wänden; da hing an der Wand ein Bild von Böcklin, das Selbstporträt mit dem geigenden Tod, in einem einfachen billigen Rahmen, und eine kleine Bibliothek der Klassiker im Wandregal aus Eichenholz. Und ein Notenpult stand da, das Cello lehnte am Ständer. Wie lange hatte man darben und knausern müssen, bis man sich all das kaufen konnte bei der großen Teuerung und dem elenden Gehalt eines Landlehrers!

Er zündete die Lampe an, legte sich zu Bett und las wieder einmal Schillers Gedicht: Ideal und Leben.

Auf dem Tanzboden aber beim Moser zitterten die Bretter von den stampfenden Hufen der Burschen, die Musikanten fiedelten drauf los, blaue und rote Mädchenkittel flogen, mancher schwang seine Tänzerin in die Luft und brüllte Juh! Juchuh! Der lange Stiegler drückte etwas Schwarzes, Rundes, Siebzehnjähriges an sein Herz, das ihm sehr gefiel. Andere saßen in stillen Ecken mit ihren Mädchen beim gezuckerten 86 Wein und redeten ihnen heimlich und eindringlich zu. Und über dem Ganzen breiteten sich die Silberschleier einer lauen Mondnacht aus und dämpften Roheit zur Leidenschaft, Genußsucht zur Lebensfreude.

Die Mirzl saß mit verschränkten Armen auf einer Notbank aus zwei leergetrunkenen Bierfasseln und einem darüber gelegten Brett; alle anderen Sitzgelegenheiten brauchte man heute im Haus. Nun war die stille Stunde für sie gekommen, so mild es auch drinnen zuging – sie hatten alle ihren Wein, die meisten mehr als genug, und was noch verlangt wurde, konnte die Kellnerin besorgen. Es war ein heimliches, lauschiges Plätzchen am Gartenzaun, eine kleine Laube; Geißblatt nickte von oben, links und rechts wucherte ein Wald von steifen Georginen und dichtes Resedengebüsch; die grünen, bescheidenen Blüten dufteten stärker als bei Tag, und so waren auch die Gedanken des Mädchens voll verhaltener Sehnsucht und unklarer Wünsche, und eigentlich war ihr weh und einsam zumut. 87

Seit es sich herumgesprochen, daß der Pummer ein Auge auf sie geworfen hatte, zogen sich die Burschen von ihr zurück; aber warum kam er nicht und holte sie zum Tanz oder wenigstens zum Plaudern? Droben in den schönen, freundlichen Zimmern war Platz genug, wenn er schon vor den Bauern seine Würde wahren mußte. War ihm das interessanter, was er drinnen mit der Mariann besprach, die ihr oft genug auf die Nerven ging mit ihren mütterlichen Ermahnungen zur Ordnung und Sparsamkeit und weiß Gott was noch . . .

Plötzlich stampfte ein Fuß neben ihr den Boden; ein rotes Gesicht starrte sie an. Der Lux Ferdl. Er hielt ihr ein leeres Weinglas entgegen und herrschte:

»A Viertel Alten. Aber g'schwind.«

Sie sah ihn trotzig an und rührte sich nicht.

»Bist leicht derrisch?« rief er. »Meinen Wein will ich haben, und schnell!«

»Dort steht die Kellnerin, mit der kannst herumschaffen, mit mir nöt.« 88

Und sie blieb mit verschlungenen Armen ruhig sitzen und sah an ihm vorüber in den Mond.

Der Ferdl winkte die Kellnerin herbei und riß ihr einen Weinstutzen aus der Hand. Er trank einen Schluck:

»Der Wein ist gepantscht.«

Sie zuckte die Achseln:

»So paßt er um so besser für den Lux Ferdl, denn der ist schon betrunken.«

Der Bursch wurde blaurot vor Zorn:

»So, und ich soll ihn zahlen, wie wenn er echt wär'? Was?«

Und er warf das volle Glas mit furchtbarer Wucht gegen einen Stein, daß es in tausend Scherben zersplitterte.

Jetzt fuhr das Mädel empor. Alle die heimliche Enttäuschung des Vormittags, der verhaltene Mädchenschmerz darüber, daß sie hier still sitzen und Mauerblümchen machen mußte, während die jüngsten Dirndln leidenschaftlich tanzten, und nicht zuletzt ein lange zurückgehaltener Groll gegen den Lux vereinigten sich zu einem 89 Aufflammen von Wut: sie stürzte auf den stämmigen Burschen los und gab ihm einen wuchtigen Schlag auf die Wange.

Der Lux schien so was geahnt zu haben. Blitzschnell griff er nach ihrer durch die Luft sausenden Hand und schwächte dadurch den Hieb wenigstens so sehr, daß er nicht zu fürchten brauchte, er könnte sichtbare Spuren ihrer Schneidigkeit mit sich herumtragen.

»Sakra, sakra,« meinte er, plötzlich milder gestimmt, »du bist aber gar a Scharfe, Mirzl.«

Und er fing sich auch die zweite Hand und hielt sie fest wie in einem Schraubstock.

»Loslassen, du!« zischte sie ihn am Ihre Augen sprühten Funken.

»Ah beilei nöt,« erwiderte der Ferdl gemütlich.

Das Mädel krümmte und wand sich und suchte mit Aufbietung aller Muskelkraft seine Hände zu befreien. Vergebens.

»O ja, ich weiß schon, du bist stark, Mirzl,« sagte er. »A kernigs, gsundes Dirndl, wirst mal a riglsames Weib. Drum hast dir auch an 90 Starken ausgsucht, gelt? Geh, ruf ihn her. Drin sitzt er bei der Pfarrermariann und redt von deiner Hochzeit. Aber schau, Dirndl: i bin noch viel stärker wie er. Viel stärker. Kann sein, daß wir amal ananand g'raten, er und ich . . . kann sein!«

Und es flog wie Wetterleuchten über sein Gesicht.

Da geschah etwas Unerwartetes. Das Mädchen wehrte sich nicht mehr; es senkte den Kopf gegen die Brust und brach plötzlich in ein bitterliches Weinen aus.

»Oha – blast der Wind von der Seiten?« murmelte der Lux verwirrt und ließ ihre Hände los. Weibertränen waren ihm höchst zuwider. »So geh!«

Aber sie ging nicht, schlug vielmehr die Hände vors Gesicht und weinte erst recht.

Der Lux Ferdl war von allen Burschen des Ortes vielleicht der ärgste Leichtfuß. Als er vor einem Jahr mit dem Mädchen angebandelt, war es ihm ein Spaß gewesen, ein Zeitvertreib 91 und vielleicht auch die Befriedigung seiner männlichen Eitelkeit, weil er auf das hübsche Kind Eindruck gemacht hatte. Jetzt aber, als er sie still vor sich sitzen und weinen sah, dämmerte zum erstenmal eine Ahnung in ihm, als sei das mit der Moser Mirzl vielleicht doch ein anderes Ding als mit den vielen anderen Mädchen, die sich dem hübschen, lustigen Hofbauernsohn zum gefälligen Spielzeug überließen.

Nach einer langen Verlegenheitspause, die er mit dem umständlichen Stopfen und Anzünden seiner Pfeife ausfüllte, sagte er begütigend:

»Wegen dem brochenen Glas da mußt nöt weinen – dös zahl i schon. Was ist denn da dabei . . .«

Sie lächelte ein wenig durch Tränen. Wie dumm doch die Männer sind. Als ob sich's um das alberne Glas gehandelt hätte. Wenn nur nichts Kostbareres zerbrochen war . . .

Mochte ihrethalben noch ein Dutzend in Scherben gehen.

Scherben bringen Glück! 92

Und so blieb sie sitzen, versteckte weiter ihr Gesicht hinter den Händen und ließ sich trösten – über das zerbrochene Glas.

Und während das Juchzen und Stampfen auf dem Tanzboden immer toller ward, die Musikanten schon ganz falsch bliesen und der Stiegler mit seiner schwarzen Siebzehnjährigen erhitzt und atemlos auf die Wiese hinter dem Haus wanderte, über die der laue Wind den einschläfernden Duft des Heus herübertrug; während der Moser in der Küche den Gewinn des Abends überschlug, der arg betrunkene Totengräberlippl in der Gaststube unter Tränen und Umarmungen jedem der Bauern das allerschönste Grab versprach; während die Mariann mit dem Wachtmeister das Schlafzimmer der Jungvermählten einrichtete und des Pfarrers Haupt tief auf den Tisch herabsank: während all das geschah, saßen die Mirzl und der Ferdl draußen in der kleinen, versteckten Laube und sprachen kein Wort; und wieder drückte der Bursch mit seinen eisernen Fingern die Hand des Mädchens so fest, daß 93 sie hätte schreien mögen; aber sie schrie nicht und genoß mit zusammengebissenen Zähnen die Wollust des Schmerzes.

Und der Mond lachte dazu.

Er wanderte seinen durch das Gravitationsgesetz vorgeschriebenen Himmelsrayon ab; er tat seine Pflicht mit Leuchten und Durchdringen des feuchten Nebeldunstes, so gut er konnte, und zur Erholung spielte er manchmal mit dem silbernen Ding, das vor dem Halsgrübchen der Mirzl hing.

Endlich zog er sich hinter die dunklen Wolken zurück wie ein diskreter Kammerherr, der seinem Königspaar ins Schlafgemach geleuchtet hat.

Das Medaillon mit der Madonna von Mariazell wurde am nächsten Morgen von Hüterbuben neben einem Heuschober am Rande des Waldes gefunden. Auch die Kette lag dabei, aber in zwei Stücke zerrissen, wie von einer kräftigen Faust. Rund herum war das Heu durchwühlt und der Schober arg zerzaust. Da jeder von den drei Kerlen behauptete, das Kleinod zuerst 94 gesehen zu haben, entstand eine furchtbare Keilerei, in deren Verlauf ein vierter Kühjunge herbeikam und das blitzende Ding, um das der Kampf hin- und herwogte, ungesehen in der Hosentasche barg; dann rannte er davon. Als die drei Helden genügend Haarbüschel verloren und blaue Flecken gewonnen hatten, gingen sie auf die Suche nach dem Gegenstand ihres Streites, fanden aber nichts. Der unrechtmäßige Besitzer aber sah hämisch von ferne zu, freute sich des Schatzes und hütete sich wohl, ihn fremden Augen zu zeigen. 95

 


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