Egid v. Filek
Ein Narr des Herzens
Egid v. Filek

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Georg schritt in die blaue Sommernacht hinaus. Eine Flut von wirren Empfindungen schlug über ihm zusammen.

Nun hatte er Daisy doch gar nichts von alledem gesagt, was er ihr gestehen wollte. Kein Wort von Liebe war gefallen – war das Liebe, was er in ihren Armen gefühlt hatte? Oder nicht vielmehr ein schmerzhaftes Durcheinander von Angst und Glück, von Furcht und Hoffnung?

An einer Biegung der Straße blieb er stehen und atmete tief auf.

Sie war doch so gut zu ihm gewesen. Ja, sie liebte ihn – vielleicht noch nicht so recht von ganzem Herzen – aber das würde kommen, das mußte kommen, wenn sie erst sah, wie treu und fest er zu ihr halten würde. Sie würde ihn dann belohnen für seine Treue – so wie in alten Zeiten die holden Frauen taten, für die ihre Ritter hinauszogen in den heiligen Krieg, umgürtet mit bunten 190 Seidenschärpen, in den Farben der angebeteten Dame!

Und er fühlte sich als einer von denen, die einst mit dem blutigen Schwert ein fremdes Land erobern wollten – ein fremdes Land, umflossen von dem Strahlenglanz, der aus alten frommen Legenden schimmerte. Er dachte an die vielen Geschichten, die so hübsch zu erzählen wußten von weichen Armen, die den Heimgekehrten umfingen, daß er gesund wurde von allem Leid des Leibes und aller Sehnsucht des Herzens. Aber er dachte nicht an die, deren dunkles Blut aus tödlichen Wunden floß, die einsam und verlassen sterben mußten im brennenden Wüstensand von Palästina.

Weit, weithin dehnte sich die Wiese vor seinen Augen. Am Waldrand stieg der Nebel empor; es war, als liege dort hinter den wallenden Dünsten noch eine andere Welt. Das Zirpen der Grillen klang unaufhörlich durch die Stille.

Jetzt bewegte sich in der Ferne, hinter dem Heuschober, eine dunkle Gestalt. Sie ging mit langsamen Schritten auf die Seitenmauer des Parkes zu und verschwand bei dem kleinen Eingangspförtchen. 191

Georg sah verständnislos hinüber. Zu dieser Tür, die fast niemals benutzt wurde, hatte nur der Vater den Schlüssel, der in der Kanzlei neben dem Barometer hing. Wer mochte sich da in der nächtlichen Einsamkeit herumtreiben?

Er ging am Wiesenrand entlang auf den Heuschober zu. Es war ihm, als habe er dort ein Geräusch gehört.

Plötzlich hob sich, wie aus der Erde gewachsen, der Oberkörper eines kräftigen Weibes empor. Es war die Justina.

Sie erkannte Georg, warf sich vor ihm auf die Knie und griff nach seiner Hand: »Junger Herr! Um aller Heiligen willen verraten Sie mich nicht!«

Eine furchtbare Aufregung schüttelte ihren Körper. Wirr hingen die dunkeln Haarsträhnen um die Augen, in denen die flehentliche Bitte um Schonung lag.

Georg sah sie erstaunt an. Er begriff ihre Angst nicht. Nun ja, sie war hier mit irgendjemandem zusammengekommen, der sie gern hatte – was war weiter dabei?

Er zog seine Hand aus der ihrigen und sagte: »Warum soll ich dich verraten? Wenn 192 mich jemand aufs Gewissen fragt, so muß ich freilich reden – aber sonst –«

Sie schien noch nicht beruhigt. An allen Gliedern zitternd stieß sie hervor: »Es ist eine Sünde – ich weiß es – ich hätt' es nicht tun sollen – aber schauen Sie, junger Herr, sie täten mich fortjagen – und die Schande – die Schande!«

»Aber so schweig still, du hörst ja, ich werde keinem Menschen sagen, daß ich dich hier gesehen habe.«

Das Weib sah ihn mit scheuem Blick an, drückte einen Kuß auf seine Hand und sprang auf. Mit ein paar Sätzen war sie schon am Rand der Wiese.

Kopfschüttelnd sah ihr Georg nach.

Was sollten ihre wirren Reden bedeuten? Sünde? Schande? Er kam doch selbst von einer, die er liebte – das war doch keine Sünde!

Und er scheuchte den Gedanken an das Weib, das dort bittend vor ihm auf den Knien gelegen hatte, zurück.

Er wandte sich zum Park, erstieg die Mauer an einer Stelle, die ihm aus früherer Zeit wohl bekannt war – ein paar Steine waren 193 da herausgefallen, und die Löcher stellten eine Art Treppe dar, auf der er aufwärts steigen konnte.

Vom Ast des Nußbaumes schwang er sich auf das Fensterbrett und glitt leise in das Zimmer.

Der Mond zeichnete die Figur des Fensterkreuzes scharf und klar auf den weißen Fußboden. In alle Winkel floß das grünliche Licht.

Er warf sich in den großen Lehnstuhl. An Schlafen war nicht zu denken.

Wie ein Elfenreigen auf einer dampfenden Waldwiese, so schwirrten die Gedanken umher in seinem Hirn. Ein langsames und unaufhörliches Drehen und Kreisen, eine Flucht von ziehenden Gewändern, von weißen Armen, die emporstiegen ins Mondlicht. Und ein Singen und Klingen wie von Silberglocken, ein flüsterndes Kichern leiser Mädchenstimmen dazwischen.

Ein paar Stunden mochte Georg so gelegen haben in einem Zustand zwischen Träumen und Wachen. Da brachte ihn ein ungewohntes Geräusch plötzlich zum klaren Bewußtsein.

Von unten kam es. Zwei Männer standen wartend auf der Straße vor dem Parkgitter. 194 Jetzt erkannte er die Stimme des Juden. »So reden Sie doch, Herr Oberverwalter!«

Keine Antwort. Nur ein dumpfer Ton, wie wenn ein schwerer Männerfuß gegen den Boden stampft.

Georg erhob sich schlaftrunken und trat zum Fenster. Die weißen Vorhänge verbargen ihn. Er hörte jedes Wort.

»Es tut mir leid, Herr Oberverwalter, aber Sie müssen mir mehr geben. Sie gewinnen so viel bei dem Handel. Warum verkürzen Sie einem armen Schnorrer den kleinen Rebbach?«

»Sie kriegen doch Ihre Provision. Und die ist, hol' mich der Teufel, groß genug,« knurrte Berghof.

»Aber, Herr Oberverwalter, ist es das erste Mal, daß wir zwei teilen einen Gewinn? Solang arbeiten wir miteinander und haben uns immer verstanden. Wollen Sie helfen dem Herrn Grafen sparen?«

»Ich brauche im Herbst Geld für Georg. Das wissen Sie.« Berghof sah ungeduldig nach dem Kutscher aus. Das Thema war ihm peinlich.

»Ich weiß, Herr Oberverwalter, Sie sorgen 195 für Ihre Familie. Sie sind ein guter Ehemann, ein guter Vater zu Ihrem Kind. Aber, schauen Sie, meine Tochter, die Sara, will heiraten den Poppitz, den Kaufmann in Grünwald. Und ich brauche das Geld auch für mein Kind.«

Berghof brummte: »Das war ein böser Tag, an dem ich mich mit Ihnen eingelassen habe, Porges. Sie wissen zu viel, leider, leider. Kommt denn der Kerl von einem Kutscher noch immer nicht?«

»Aber, Herr Oberverwalter,« meinte der andere in unterwürfigem Ton. »Wo werd ich Sie verraten, Gott soll beschützen –«

»Gott wird nicht beschützen, aber ich werde mich selber beschützen. Ich weiß von Ihnen auch so Verschiedenes.«

»Nu also,« rief der andere erleichtert. »Also – wir machen halbpart –«

Ein leises Stöhnen klang durch die Stille. Es schien aus der Höhe zu kommen. Die beiden Männer sahen sich einen Augenblick an.

Jetzt rollte der Wagen daher. »Endlich kommt die Schlafmütze! Also vorwärts!«

Porges nahm auf dem Rücksitz Platz. Die Pferde schnaubten und schüttelten sich in der 196 kalten Luft; ein kühler Hauch kam vom Park herüber, der erste Gruß des Morgens.

»Schnell, Johann, wir versäumen sonst den Zug!«

Der Wagen bog um die Ecke.

Georg kniete auf dem Fußboden und vergrub sein Gesicht in den Händen.

Also war es doch wahr, was der betrunkene Michel Kern damals in seiner Wut gesagt hatte!

Der Vater war zum Betrüger an der Herrschaft geworden Zum Betrüger. Es gab kein anderes Wort dafür. Er hatte es ja selbst gehört. Ein Zweifel war undenkbar. Der Jude war sein Hehler dabei.

Sein Vater ein Betrüger! Nicht aus bitterer Not, um des Lebensunterhalts willen, sondern jahrelang, in listig vorbedachter Weise betrieb er das schnöde Geschäft. Geld und wieder Geld wollte er anhäufen. Für wen . . ?

Und siedend heiß lief es an ihm herab.

Für ihn hatte er gesammelt. Von dem unrechtmäßig erworbenen Gut sollte der Sohn zehren, die Freuden des Daseins genießen, den Grund zu seiner Lebensstellung legen. 197

Nie, nie würde er einen Kreuzer nehmen von dem Gelde – immer und ewig würde es ihm in den Ohren klingen wie ein Fluch: der Vater ist ein Betrüger.

Georg schlug sich mit der geballten Faust vor den Kopf und stöhnte. Alles drehte sich im Kreise um ihn. Von der kalten Morgenluft durchschauert, zitterte er wie im Fieber.

Jeder Maßstab zum Vergleich fehlte ihm. Er wußte nicht, daß man in den Kreisen hart und schwer erwerbender Menschen, die den Kampf mit der Erde führen, das, was hier geschah, mit einem gleichgültigen Achselzucken abtat.

Das war ja weiter nichts als die alte Bauernmeinung: dem Ochsen, der drischt, darf man das Maul nicht verbinden. Das Holz, die Jagd, die Fische in den Gewässern, der Halm auf dem Feld – das galt als Gemeingut. Uralte Überzeugung war's, die den Bauernburschen, der im Bettstroh seinen Stutzen versteckt hielt, mitten in der Nacht zum Wildern in den Wald trieb; die vor Jahrhunderten den Krieg der Bauern gegen die Herren entfesselt hatte, um freie Holzung, Jagd und Fischerei zu erkämpfen. 198

Aber Georg empfand anders. Die starren spröden Formen, in denen man ihm die sittliche Weltordnung gezeigt hatte, duldeten kein Zugeständnis. Das Gute – das Böse – das war von Ewigkeit her fest und unzweifelhaft geschieden.

An Kirchendogmen in dem starren Sinn des Fanatikers hatte er nie geglaubt, auch in den Zeiten des beseligendsten Kinderglaubens nicht. Aber das Recht und das Unrecht – das stand ebenso vor ihm wie ein Dogma.

Anathema sit! –

Und das furchtbare Wort richtete in diesem Augenblick das ganze Leben des Vaters. Es sprach ihn schuldig, es brach den Stab über ihn; für das Herz des Kindes war er tot.

Draußen begannen die Sterne zu verblassen. Im Osten brauten dunkle Wolken; fahles Licht stieg hinter ihnen auf. Bleich und müde hing der Mond am Himmel. Jetzt hob sich der Wind. Er fuhr durch die Kronen der Bäume; sie bewegten schlaftrunken die Äste, seufzten leise auf wie ein Mensch, der eben erwacht.

Georg blickte auf die Felder hinaus. Wie hatte er sich bei dem Gedanken gefreut, daß 199 alles, was da gesät und geerntet wurde, wenigstens zu einem kleinen Teil sein eigen war – jetzt graute ihm vor dem Segen. Er war zu teuer erkauft. Nie konnte er seiner froh werden. Untreue hatte gesät und gepflanzt, Betrug geerntet.

Er warf sich auf das unberührte Bett und schluchzte in die kühlen Kissen hinein.

Das Licht im Osten schwoll an. Ein Hahn krähte in der Ferne; ein zweiter gab Antwort, dann noch ein dritter mit hoher, dünner Stimme, ein ganz junges Tier.

Aus einem der Häuser kam Hundegebell; langsam ging die Tür auf, eine Magd trat heraus; sie dehnte die Arme und gähnte; ihre Haare gingen zerzaust um das rote Gesicht.

Die Rinder im Stall witterten den Morgen und brüllten. Eine Lerche stieg auf und begann zu trillern; höher und höher hob sie sich in die Luft.

Der Wind wurde stärker. Er trieb den Staub der Straße vor sich her, fegte über die Stoppelfelder und rüttelte an den Bretterzäunen der Bauerngärten, riß da und dort einen Fensterflügel auf und zerblies die dünne Rauchsäule, die sich aus dem Schornstein der Schloßküche 200 hob. Die Stasi stand mit verschlafenen Augen am Herde und bereitete das Frühstück.

Breit und zottig stand Treff in der Haustür und gähnte. Dann trottete er langsam nach der Mitte des Hofes und schnupperte behaglich die frische Luft ein.

Und jetzt hob sich die Sonne hinter dem Berge. Die Fanfaren der Morgenröte verkündeten ihre Ankunft. Wolken schwebten auf und nieder um den flimmernden Ball, bis er sich endlich losriß und langsam emporstieg, um Besitz zu ergreifen von der Erde. Millionen Tautropfen leuchteten in Regenbogenfarben aus dem Gras des Parkes auf.

Und nun war der Tag da, der harte, klare Tag, der erbarmungslos enthüllte, was die Nacht bedeckt hielt mit gütigen Schleiern; der Tag, der keine Lüge duldet, der alles Glück und alles Elend zeigt in der Welt und im Herzen. 201



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