Egid v. Filek
Ein Narr des Herzens
Egid v. Filek

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Heinrich stützte die Arme auf das Fensterbrett und blies den Rauch einer Zigarette von sich.

Das Kursbuch lag vor ihm. Er studierte die Verbindung Schönau-Lindenburg-Wien.

»Also Schönau ab fünf Uhr – Grünwald ab acht Uhr zehn – Wien an elf Uhr fünf – das geht. Der Anna wird ein Stein vom Herzen fallen, wenn der liebe Schwager fort ist.«

Sein Urlaub dauerte noch über eine Woche. Aber in Lindenburg durfte er nicht länger bleiben. Lieber in Wien ein paar Schlendertage verbringen, bevor man ins Joch des Amtes mußte; sehen, was es Neues gab bei Miethke und in der Sezession; oder in der Hofoper Vergessenheit trinken aus dem wunderbaren Strom, den die Menschen Tristan und Isolde nennen.

Vergessenheit! 162

Er konnte sich nicht darüber täuschen; er hatte hier wieder eine jener Wunden empfangen, deren rote klaffende Ränder man lächelnd mit dem Mantel der Konvention verhüllt und die doch in stillen und einsamen Stunden immer wieder zu bluten anfangen.

Nun sah er klar: es war ihm unmöglich, die Ketten zu zerreißen, die Georg an die Eltern fesselten. Heinrich war keine Kampfnatur. Dieser junge Mensch, in dessen Herzen ein starkes weibliches Element lag, mußte mit Gewalt herausgerissen werden aus seiner Umgebung. Und eben das durfte Heinrich nicht. Was konnte er ihm bieten? Welches Anrecht hatte er an ihn?

Die Eltern besaßen ältere, stärkere Rechte – und sie würden sie geltend machen, rücksichtslos. Das wußte er seit dem abendlichen Gespräch auf der Veranda.

Er hatte sich das so schön gedacht, Lehrer zu sein in jenem höchsten Sinne, der ein Leben bedeutet; kein bezahlter Mietling, vom Staat gedrillt und für den Staat drillend um elenden Lohn – o nein, er wollte Georgs Lehrer sein, um ihm den Weg zu bereiten, seinen Weg zu 163 ebnen wie der Rufende in der Wüste den des Heilands!

Das war das Glück und das Leid der großen Lehrer; Vorläufer waren sie, Johannesnaturen – und wenn der Größere kam, dessen Schuhriemen sie nicht auflösen durften, so starben sie still den Märtyrertod.

Da waren sie wieder, die schönen Worte, die hübschen Gedankenbilder, in denen er so gern schwelgte. Und dann kam die Wirklichkeit mit ihren plumpen Füßen und dem brutalen Dirnengesicht, und alles verschwand wie eine Fata Morgana!

Ein Schiebkarren kreischte im Hof. Der Knecht, der ihn schob, hielt einen Augenblick still und wandte sich der Eingangstür zu. Zwei Männer kamen heraus, die einen schweren, weißen Gegenstand trugen.

Heinrich wurde aufmerksam.

Die Knechte keuchten mit ihrer Last in den Hof und warfen sie neben dem Schiebkarren nieder. Der eine streifte die Ärmel auf, während der andere aus der Werkzeugkammer eine Axt brachte.

Jetzt erkannte Heinrich den Gegenstand. Die Marmorstatue des Idolino. Er rief in 164 den Hof hinab: »Wohin führt ihr denn das Ding da?«

»Zum Kalkofen. Der Herr Oberverwalter hat's befohlen.«

»Zum Kalkofen,« wiederholte Heinrich mechanisch.

Die Statue fand keinen rechten Platz in dem viereckigen Kasten des Schiebkarrens. Der Knecht, der seine Ärmel emporgestreift hatte, nahm dem andern die Axt ab und begann das Marmorbild zu zerschlagen.

Der andere stand dabei und zündete seine Pfeife an. »Eigentlich ist's doch schad drum,« meinte er. »Wie ich beim Militär war, in Wien, da hab ich gehört, daß solche Sachen furchtbar viel Geld kosten. Warum verkauft der Berghof das Zeug nicht?«

»Wer soll's ihm abkaufen,« erwiderte der andere. »Übrigens hat der Herr Pfarrer gesagt, daß das was Sündhaftes ist – ganz nackt, schau nur.«

Heinrich stand oben und rührte sich nicht. Er fühlte, wie alles Blut aus seinem Gesicht strömte.

Jetzt zerbrachen die Arme krachend in Stücke. Ein furchtbarer Hieb zermalmte das 165 Haupt. Scharfe kleine Splitter flogen bis zu ihm empor. Ruhig sah er zu, wie die Trümmer auf den Karren geworfen wurden, wie sich das Rad zu bewegen begann, wie sie langsam zum Tor hinausfuhren, dem Kalkofen entgegen.

Dann strich er sich über die feuchte Stirn.

»Vorbei! Vorbei!« murmelte er. Er atmete tief auf. Einen langen Blick sandte er aus dem Fenster über die weichen Konturen der fernen Berge, auf die weißen, langsam durch das tiefe Blau des Himmels segelnden Wolken. Es war ein Abschied.

Hierher würde er niemals wieder in seinem Leben kommen. Das fühlte er.

Beim Mittagessen bat er um einen Wagen zum Fünfuhrzug.

Berghof war erstaunt. »Du willst also heute schon fort?«

»Ich muß, Karl. Eine Menge Kanzleiarbeit wartet auf mich.«

Er hatte einige der artigen Phrasen erwartet, die ihm so widerlich waren – die Einladung, noch zu bleiben, oder unaufrichtige Worte des Bedauerns. Das floß von den Lippen dieser Menschen immer so leicht und 166 mechanisch herunter, schnurrte ab wie eine Phonographenwalze – aber er atmete erleichtert auf, als alle schwiegen. Nur Georg sah ihn zweifelnd an.

»Es ist besser so – besser für uns alle,« raunte er ihm zu, als man sich vom Tisch erhob.

Man machte ihm den Abschied leicht. Frau Anna sprach von baldigem Wiedersehen, aber sie konnte es nicht verbergen, daß sie über die Wendung der Dinge erfreut war.

Die Bequemlichkeit der Alltagsgedanken und Alltagsgefühle sollte wieder zurückkehren, die Heinrichs Besuch so unliebsam unterbrochen hatte. Und sehr befriedigt von dieser Aussicht schnitt sie dem Schwager im Garten einen riesigen Strauß von purpurroten Georginen und weißen Nelken ab und fügte ein paar wunderschöne Rosen bei.

Karl streckte ihm die breite Hand hin: »Also auf Wiedersehen im Herbst, in Wien! Ich komme bestimmt mit Georg, da wollen wir ein paar lustige Tage verleben! Leider kann ich nicht zur Bahn mitfahren, es gibt schrecklich zu tun. Aber Georg soll mit.«

Sie gaben ihm das Geleite bis zum Wagen. Es tat ihm wohl, daß auch die Schwägerin 167 nicht mitkam; grüßend winkte er mit der Hand, bis bei einer Biegung der Straße die weiße Schürze Frau Annas verschwunden war.

Georg saß an seiner Seite und blickte ernst und sinnend in die Landschaft hinaus.

Weithin dehnten sich die Stoppelfelder zu beiden Seiten der Straße. Die Erdspinne zog ihre luftigen Netze darüber hin; in der Ferne sah man hie und da bläulichen Rauch. Bauernjungen saßen um die Erdäpfelfeuer. Müde und verdrossen kroch die Rauchsäule am Boden hin, ballte sich zusammen und löste sich wieder auf in ziehende, dünne Nebel. Und uralte Volkslieder klangen hier und dort, von den unreifen Kinderstimmen gesungen; es war, als stiegen sie mit dem Rauch aus der Erde empor.

»Die Störche ziehen schon. Sieh nur!«

Georg deutete zum Himmel. In weiten Kreisen, die langen Körper wie Striche ausgestreckt, flogen die Tiere dahin. Es war so wunderbar, dieses ruhige, stille und ernste Hinstreben aller nach einer Richtung, nach einem unsichtbaren Ziel.

»Die Wachteln und Grasmücken sind schon fort,« sagte Georg. »Gestern hab ich ein paar 168 s ingen hören – so fein und leise, gleichsam traurig. Im Frühling singen sie ganz anders.«

»Und in den fremden Ländern gar nicht,« bemerkte Heinrich nachdenklich. »Alles hat seine Wurzeln in der Erde, im heimatlichen Boden – Pflanze, Tier und Mensch.«

Georg seufzte leise. »Ich bin dir so großen Dank schuldig, Onkel,« sagte er einfach, mit einem innigen Ausdruck im Gesicht.

Heinrich schüttelte den Kopf. »Dank? Wie meinst du das? Wir haben einfach aneinander Gefallen gefunden und uns verstanden. Und ich hätte dir nichts sein können, wenn ich bei dir nicht soviel Teilnahme gefunden hätte.«

»Und wenn ich dir wirklich ein anderes Land gezeigt habe,« fuhr er nachdenklich fort, »so bedeutet das noch gar nichts – die Brücke, die dort hinüber führt, die mußt du selbst finden, du ganz allein.«

»Ich weiß es,« sagte Georg ruhig.

Und wieder stand das Schweigen zwischen ihnen, unsichtbar wie eine Gottheit, und segnete beide.

Aber noch etwas anderes stand da, eine 169 Gestalt, gewoben aus den silbernen Fäden des Nachsommers, unfaßbar und körperlos; sie borgte ihre Linien von der Wirklichkeit und war doch nichts als ein Schaumbild, emporsteigend aus dem Herzen dieses reifenden Menschen.

Anadyomene!

Heinrich hatte das Spiel Daisys wohl bemerkt. Mochte sie ein wenig mit Georg flirten – früher oder später mußte er ja merken, daß sie nur tändelte. Dann gab es ein paar Tage oder wochenlang stillen Kummer, schlaflose Nächte, dann trübe Resignation – und dann lachte ihm das Leben wieder, ihm, dem hübschen, frischen Menschen, den der kleine Gott nur mit seinem Probepfeil ein wenig verwundet hatte. Er dachte an die verstohlenen Blicke, die ihm die kleine Wetti nachsandte. In seiner Jugend besaß er den Talisman, der ihm die Frauen zu Füßen zauberte. Du glückliches Alter!

Er ahnte nicht, wie tief jener Probepfeil im Herzen des Knaben saß.

Der Wagen hielt vor dem Bahnhof still. Die roten Ziegelmauern trugen in großen schwarzen Buchstaben die Aufschrift: 170 »Schönau-Lindenburg«. Der Stationsvorstand stand im Schmuck seiner brandroten Kappe breit in der Tür und gab dem Diener einen Befehl. Langsam schlich eine Katze an der Wand entlang, streckte ihren Körper und wand sich zwischen den Stangen des Blitzableiters hindurch. Mit leichtem Sprung setzte sie über den Graben.

Sie ließen sich auf einer Bank nieder, im Schatten der Linden, mit denen der schmale Bahnsteig bepflanzt war.

»Was wirst du nun tun, wenn du heimkommst?« fragte Heinrich leicht, mit einem Versuch zu scherzen, der ihm nicht gelang.

»Den Idolino will ich wieder ansehen – und dabei an all das denken, was du mir gesagt hast von der griechischen Kunst.«

Es zuckte wie verhaltener Zorn in Heinrichs Gesicht. Georg wußte also noch nichts.

»Was hast du?«

Er schüttelte den Kopf. »Nichts.«

Warum sollte er dem Jungen einen neuen Schmerz bereiten? Daheim erfuhr er alles noch früh genug.

Die Signalglocken begannen zu spielen; mit einem Male wurden auch die kleinen 171 Läutewerke lebendig; ihr Trillern rief den Stationschef in die Kanzlei, wo der Telegraphenapparat schon seit einer Minute klapperte.

Mit keuchenden Stößen rollte die große Maschine heran. Heinrich schwang sich auf das Trittbrett eines Wagens zweiter Klasse und streckte Georg noch einmal die Hand hin.

»Darf ich dir schreiben?«

»Selbstverständlich, Georg. Halte aus, mein Junge, nur bis zum Herbst! In Wien werden wir uns ja öfter sehen, werden miteinander Bilder studieren und Musik hören. Leb wohl!«

Der Zug setzte sich in Bewegung.

Heinrich beugte sich aus dem Wagenfenster. Er sah die schlanke Gestalt noch immer auf demselben Platze stehen und dem Zug nachblicken. Noch einmal winkte er mit der Hand.

»Wie werden wir uns wiedersehen?« murmelte er. »Welche fremden Mächte werden dann Besitz ergriffen haben von dir? Wenn die Kraft nicht aus dir selbst kommt . . .«

Er wandte sich vom Fenster ab. Das Abteil war ganz leer. Den mächtigen Blumenstrauß der Schwägerin warf er in das 172 Gepäcknetz zu seiner Reisetasche. Langsam schaukelte der Wagen auf seinen mächtigen Federn auf und nieder. Telegraphenstangen flogen vorbei; die freundliche Landschaft lag im Licht des späten Nachmittags vor ihm ausgebreitet.

Und wie er so dastand und in die rötlichen Wolken am Westhimmel blickte, kam eine große Traurigkeit über ihn.

Und es war ihm, als könne er in diesem Augenblick tiefer hineinsehen in das bunte Treiben der Menschen und in die Welt, die so groß und so reich ist und von Ewigkeit her so viele Schätze birgt, und die sie sich doch alle so erbärmlich klein und elend machen und mit tausend Schranken und mit hohen Mauern umgeben, daß kaum ein Stückchen blauen Himmels hineinscheinen mag.

Warum konnten sie ihre Kinder sich nicht entfalten lassen, ruhig und selbstverständlich, wie die Bäume im Wald? Warum sie treiben und drängen in die engen Palisaden des Drills und der Abrichtung zu einem Beruf?

Und sie hasteten und jagten und stießen sich in brutalem Kampf mit vor Gier verzerrten Gesichtern herunter von den schmalen, schwankenden Leitern, die hinaufführten zu den 173 sogenannten Gütern des Lebens – zu Geld und Macht und Erfolg und wie sie alle ihre Idole nannten, die elenden Götzendiener! Nach der Zukunft griffen sie mit blutigen, zuckenden Fingern – und das Leben, das schöne, rote, leuchtende Leben ließen sie verrinnen, verströmen ohne Freude, ohne wahren Genuß!

Der Zug begann zu rasen. Fünfzehn Minuten Verspätung. Immer schneller zuckten die Telegraphenstangen. Ein langgedehnter heulender Pfiff – das Echo gab Antwort. Durch das offene Fenster am andern Ende des Wagens quoll die frische, würzige Waldluft herein. Hohe Stämme mit langen grauen Moosbärten leuchteten durch das dunkle Grün; die sinkende Sonne tauchte sie in rötliche Glut. Kinder krochen gebückt durch den Wald und sammelten Holz. Ein kleines Mädel winkte dem Zug mit der Hand; durch das Rattern der Maschine klang ihr fröhliches Jauchzen.

Und vor dem Auge des einsamen Mannes zogen die Bilder der Vergangenheit vorüber.

Er sah sich im Alter von zwanzig Jahren, erfüllt von dem, was er damals seine Ideale nannte. Damals! Da wollte er ein Weib gewinnen, das einzige Weib seiner Träume. 174 Und er rang sich die Arme blutig in stiller Sehnsucht, wollte um sie dienen sieben Jahre lang und merkte nicht, daß sie längst einem andern gehörte, daß die hastigen, heimlichen, jagenden Worte, in denen ihr dieser unreife Mensch seine unreife Leidenschaft gestand, nur ein leiser Kitzel für ihre Nerven waren. Er hatte das schlummernde Feuer in ihr geweckt – aber die entzündete Flamme brannte nicht für ihn, sondern für den andern. Den andern, der mehr galt im Leben, mehr Geld hatte als der kleine Beamte.

Das war seine erste große Enttäuschung.

Wie hieß doch gleich jene Stelle in Cyrano von Bergerac? . . . »Mein Los ist, einzublasen und still beiseite zu treten . . .«

Im Lauf der Jahre vernarbte die Wunde. Aber damals wurde Heinrich Berghof zum Erotiker. Nun liebte er das ganze Geschlecht. Er lernte all die tausendfältige Schönheit der Frauen mit den feinsten Spitzen der Nerven genießen. Er konnte ein Glück, voll und stark wie ein körperliches Wonnegefühl, empfinden, wenn er eine Krone blonden Haares auf dem Haupt eines Mädchens sah, oder einen feinen schmalen Fuß, oder wenn er 175 den sehnsüchtigen Klagen einer vollen Altstimme lauschte. Er genoß die weibliche Schönheit als feinster Epikuräer. Aber er ging dem Weibe gegenüber nie mehr aus seiner Reserve heraus.

Der Maschinenführer bremste. Eine Station kam in Sicht. Nur eine Minute Aufenthalt. Rufen, Schreien, Glockensignale; drei Pakete flogen aus dem Wagen in den bereitstehenden Postkarren. Die Beamten salutierten – fertig! Der Zug brauste weiter.

Heinrich lehnte sich in die Lederkissen zurück. Er ging wieder auf den halbverwehten Spuren seines vergangenen Lebens. Als er dreißig Jahre alt war, da stieg ein neues Ideal, glänzender als das erste, vor ihm auf. Sein Werk wollte er vollbringen – das Werk seines Lebens. Die Welt wollte er zwingen, seinen Worten zu lauschen – der Drang nach Ruhm und Ehre hatte ihn erfaßt. Er begann mit einem großangelegten Roman.

Aber je weiter er kam, desto mehr erlahmte seine Kraft. Oft warf er die Feder hin und fragte. spottend, ob er sich wirklich vermessen durfte, Gleiches zu leisten wie die Meister der Vergangenheit. War es nicht 176 besser, man blieb da unten in der unendlichen Schar Namenloser, die ihr kleines Glück und Leid durch den Alltag schleppten und dann dem Tod das Haupt entgegenneigten, damit er den unvollkommenen Stoff umschmelze und höhere Menschen daraus knete?

Und so blieb der Roman im Pulte und kam nicht über die ersten drei Kapitel. Und Heinrich flüchtete sich auf die stille Insel des Beamtenberufs und verrichtete mechanisch seinen Dienst.

Das war die zweite große Illusion, die er begraben mußte. Nun wurde er Ästhet – ging den Spuren vergangener Schönheit nach in stillen Museen und auf den Marktplätzen antiker Städte; stand auf dem Forum, von den Schauern der Vergangenheit durchzittert, und sah hinüber nach der heiligen Quelle, aus der die Dioskuren nach der Schlacht am See Regillus ihre Rosse tränkten.

Und Jahr um Jahr schwand dahin und zog ihn tiefer in die Träumerei, zog ihn immer mehr vom eigenen Schaffen ab.

Und endlich, als er gegen vierzig war, da erfaßte ihn eine tiefe Sehnsucht nach dem Kinde. Nach einem Menschen, den er formen 177 dürfte nach seinem Ebenbild. Vielleicht konnte man so eine Spur seines Wirkens auf der Erde zurücklassen, die nicht zugrunde ging mit dem eigenen Leib, die über den Tod hinaus dauerte.

Und er lernte Georg kennen, er glaubte, jetzt gefunden zu haben, wonach er sich sehnte.

Und ward wieder enttäuscht und betrogen. Wie würde er das nun verwinden?

Es wurde dunkel. Die Sonne sank hinter dem letzten Purpurstreifen hinab. Und das Stoßen und Rollen der Räder summte unaufhörlich, unaufhörlich dieselbe Melodie: »Einzublasen – einzublasen – und still beiseite zu treten . . .«

Um dieselbe Stunde stand Georg in der Kammer neben den Vorratsräumen und fragte die Stasi: »Wo ist denn die Marmorstatue hingekommen?«

»Das nackte Zeug, das sündhafte?« fragte die Magd, »der Herr Oberverwalter hat's zum Kalkofen führen lassen. Is eh nöt schad drum. Wenigstens gibts an guten Kalk.« 178



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