Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil IV
Henry Fielding

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwölftes Kapitel.

Mit welchem das dreizehnte Buch schließt.

Der elegante Lord Shaftsbury erklärt irgendwo, daß man auch im Wahrheitreden zu weit gehen könne, woraus sich natürlich schließen läßt, daß das Lügen in manchen Fällen nicht bloß verzeihlich, sondern empfehlenswerth ist.

Aber sicher giebt es niemand, der diese empfehlenswerthe Abweichung von der Wahrheit so eigentlich als ein Recht in Anspruch nähme, als junge Frauenzimmer in Liebesangelegenheiten; wofür sie Unterricht, Erziehung und vor Allem die Sanction, ja man könnte sagen, die Nothwendigkeit des Gebrauchs anzuführen haben, wodurch sie abgehalten werden, nicht den löblichen Trieben der Natur zu folgen (denn das wäre thöricht), sondern von deren Eingeständniß.

Wir dürfen daher ohne Scheu sagen, daß unsere Heldin jetzt die Lehren des oben erwähnten großen Philosophen befolgte. Sie war nämlich sehr erfreut darüber, daß Lady Bellaston nicht wußte, wer Jones gewesen war und beschloß daher, sie in dieser Unwissenheit zu erhalten, wenn auch ein wenig auf Kosten der Wahrheit.

Jones war nicht lange fort, als Lady Bellaston 225 ausrief: »Fürwahr ein allerliebster junger Mann, ich möchte wohl wissen, wer er wäre; denn ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals gesehen zu haben.«

»Auch ich nicht, Madame,« erwiederte Sophie. »Ich muß sagen, er benahm sich sehr hübsch hinsichtlich der Banknote.«

»Ja; und er ist ein ganz hübscher Mann,« sagte Lady; »meinen Sie nicht auch?«

»Ich habe ihn nicht so sehr betrachtet,« antwortete Sophie; »aber er schien mir doch etwas linkisch und unbeholfen.«

»Sie haben darin ganz Recht,« rief Lady Bellaston: »Sie können aus seinen Manieren sehen, daß er sich nicht in guter Gesellschaft bewegt hat. Ja, im möchte trotz dem, daß er Ihnen Ihre Banknote zurückgegeben und keine Belohnung dafür gewollt hat, fast die Frage aufwerfen, ob er wohl ein Gentleman ist. Ich habe stets die Beobachtung gemacht, daß Personen von guter Familie etwas an sich haben, was andere sich nie aneignen können. Ich werde wohl Befehl geben müssen, daß ich für ihn nicht zu Hause bin.«

»Nein, sicher kann man,« entgegnete Sophie, »nach dem, was er gethan hat, keinen Argwohn hegen; – überdies, wenn Sie ihn beobachteten, es lag eine Eleganz in seinen Worten, eine Zierlichkeit und Anmuth in seinem Ausdrucke, daß, daß – –«

»Ich gestehe es,« sagte Lady Bellaston, »es fehlte ihm nicht an Worten – – Und in der That, Sophie, müssen Sie mir vergeben, ja Sie müssen.«

»Ich Ihnen vergeben?« sagte Sophie.

»Ja, ja, das müssen Sie!« antwortete sie lachend; »denn ich hatte einen schrecklichen Verdacht, als ich zuerst in das Zimmer trat – – Ich gestehe, Sie müssen es mir 226 vergeben, aber ich dachte, es wäre niemand anders als Herr Jones.«

»Wahrhaftig, dachten Sie das?« rief Sophie erröthend und ein Lachen affectirend.

»Ja, ich gestehe, ich dachte es,« antwortete sie. »Ich kann mir nicht erklären, wie ich auf den Gedanken kam; denn, das müssen Sie sagen, der junge Mann war fein gekleidet, was, liebe Sophie, wohl bei Ihrem Freunde nicht gewöhnlich der Fall ist.«

»Dieser Scherz,« rief Sophie, »ist ein wenig grausam, Lady Bellaston, nach dem Versprechen, das ich Ihnen gegeben habe.«

»Durchaus nicht, Kind,« sagte die Lady. »Zuvor würde er grausam gewesen sein; aber nachdem Sie mir versprochen haben, nie ohne Ihres Vaters Einwilligung zu heirathen, was sich also auch auf Jones erstreckt, können Sie schon einen kleinen Scherz über eine Leidenschaft hinnehmen, die bei einem jungen Mädchen vom Lande ziemlich verzeihlich ist, und deren Sie, wie Sie mir sagen, so vollkommen Herr geworden sind. Was müßte ich denken, wenn Sie nicht einmal einen kleinen Scherz über seinen Anzug vertragen könnten? Ich möchte beinahe fürchten, daß es sehr weit mit Ihnen gekommen ist, und fragen, ob Sie auch aufrichtig gegen mich gewesen sind.«

»Wirklich, Madame,« rief Sophie, »Sie beurtheilen mich falsch, wenn Sie glauben, daß ich mich irgend um ihn bekümmere.«

»Um ihn!« entgegnete die Lady: »Sie müssen mich mißverstanden haben; ich sprach bloß von seiner Kleidung, denn ich wollte Ihrem Geschmack nicht zu nahe treten durch eine andere Vergleichung. Ich glaube nicht, liebe Sophie, wenn Ihr Herr Jones so ein Mann gewesen ist wie dieser –«

227 »Ich dachte,« sagte Sophie, »Sie hatten zugegeben, daß er hübsch ist.«

»Wer denn, ich bitte?« rief die Dame rasch.

»Herr Jones,« antwortete Sophie; – und indem sie sich sogleich besann: »Herr Jones! nein, nein! ich bitte um Verzeihung; – ich meine den Herrn, der so eben hier war.«

»O Sophie! Sophie!« rief die Lady; »dieser Herr Jones, fürchte ich, spukt noch immer in Ihrem Kopfe.«

»Auf meine Ehre, Madame,« sagte Sophie, »Herr Jones ist mir ganz eben so gleichgültig wie der Herr, der uns so eben verlassen hat.«

»Auf meine Ehre,« entgegnete Lady Bellaston, »ich glaube es. Vergeben Sie mir daher einen kleinen unschuldigen Scherz; dagegen verspreche ich Ihnen, seinen Namen nie wieder nennen zu wollen.«

Die beiden Damen trennten sich darauf, mehr zur Freude Sophiens, als der Lady Bellaston, die ihre Nebenbuhlerin gern noch länger gepeiniget hätte, wäre sie nicht durch ein wichtigeres Geschäft abgerufen worden. Sophie war nicht ganz ruhig und ihre Gedanken konnten sich von dem Gegenstande nicht wieder abwenden. Sie vermochte die ganze Nacht die Augen nicht zu schließen.


 << zurück