Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil IV
Henry Fielding

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Erstes Kapitel.

Zeigt, was bei einem modernen Schriftsteller als Plagiat, und was als eine erlaubte Aneignung zu betrachten ist.

Der gelehrte Leser muß die Bemerkung gemacht haben, daß ich im Verlaufe dieses bedeutenden Werkes oft Stellen aus den besten alten Autoren übersetzt habe, ohne das Original anzugeben, oder ohne die geringste Notiz von dem Buche zu nehmen, aus dem sie entlehnt waren.

Dieses Verfahren beim Schreiben ist von dem geistreichen Abbé Bannier, in der Vorrede zu seiner Mythologie, einem durch Reichthum an Gelehrsamkeit und Gediegenheit des Urtheils gleich ausgezeichneten Werke, sehr sorgfältig beleuchtet worden. »Es wird dem Leser schwerlich entgehen können,« sagt er, »daß ich auf ihn häufig größere Rücksicht genommen habe, als auf meinen Ruf: denn ein Schriftsteller beweist ihm sicher eine große Höflichkeit, wenn er 73 seinetwegen gelehrte Citate, die sich ihm darbieten und die ihm weiter nichts als die Mühe des Abschreibens gekostet haben würden, unterdrückt.«

Ein Buch mit solchen Schnitzeln anzufüllen, kann in der That als ein offenbarer Betrug gegen die gelehrte Welt gelten, der dadurch zugemuthet wird, in Fragmenten und im Einzelnen zum zweitenmale zu kaufen, was sie schon im Ganzen, wo nicht in ihrem Gedächtnisse, so doch in ihren Bücherschränken hat; und noch weit schlimmer ist es für die Nichtgelehrten, welche verleitet werden, etwas zu bezahlen, was ihnen auf keine Weise nützen kann. Ein Schriftsteller, der seine Werke mit einer Menge griechischer und lateinischer Brocken durchspickt, verfährt mit den Damen und feinen Herren auf die nämliche erbärmliche Weise wie ein Auctionator, der oftmals mehrere Gegenstände zusammennimmt, damit der Käufer genöthigt wird, mit dem, was er braucht, gleichzeitig das zu kaufen, woran ihm nichts gelegen ist.

Da nun aber kein Verfahren so schön und uneigennützig ist, daß es nicht von der Unwissenheit mißverstanden und von der Bosheit gemißdeutet werden könnte, so bin ich zuweilen versucht gewesen, meinen Ruf auf Kosten des Lesers zu wahren und das Original abzuschreiben, oder wenigstens Kapitel und Vers anzugeben, wenn ich mich entweder des Gedankens oder des Ausdrucks eines Andern bediente. Ich bin in der That einigermaßen in Sorgen, mir durch die entgegengesetzte Methode öfters geschadet und mich durch Nichtnennen des Autors eher des Plagiats verdächtig gemacht, als mir den Ruf erworben zu haben, daß ich aus dem eben angeführten schönen Beweggrunde jenes mit Recht berühmten Franzosen so gehandelt hätte.

Um nun jedem Vorwurfe dieser Art für die Zukunft zu begegnen, will ich hier meine Ansicht von der Sache 74 feststellen. Die Alten können als ein reicher Anger betrachtet werden, wo jeder, der ein wenn auch noch so winziges Grundstück auf dem Parnaß hat, berechtigt ist, seine Muse zu weiden. Oder, um mich deutlicher auszusprechen, wir Modernen verhalten uns gegen die Alten, wie die Armen gegen die Reichen. Unter den Armen verstehe ich hier jene große und ehrenwerthe Körperschaft, welche wir Pöbel nennen. Wem nun aber jemals die Ehre einer gewissen Vertraulichkeit von Seiten dieses Pöbels zu Theil wurde, der muß wohl wissen, daß es einer ihrer feststehenden Grundsätze ist, ihre reichen Nachbarn ohne Scheu auszuplündern und zu berauben; und daß dies bei ihnen weder für eine Sünde noch eine Schande gilt. Und an diesem Grundsatze halten sie so fest und handeln so beständig danach, daß fast in jeder Gemeinde des Königreichs eine Art Verschwörung unterhalten wird gegen eine gewisse wohlhabende Person, Squire genannt, dessen Eigenthum allen seinen armen Nachbarn für gute Prise gilt; und da sie solche Plünderungen für gar kein Verbrechen halten, so betrachten sie es als eine Ehrensache und moralische Verpflichtung, einander bei solchen Gelegenheiten nicht zu verrathen, um der Bestrafung zu entgehen.

Auf gleiche Weise sind die Alten, wie Homer, Virgil, Horaz, Cicero und die Uebrigen als so viel reiche Squires zu betrachten, von denen wir, die Armen vom Parnaß, nach einem seit undenklichen Zeiten bestehenden Herkommen uns so viel aneignen als wir habhaft werden können. Auf diese Freiheit mache ich Anspruch und bin dagegen bereit, sie auch meinen armen Nachbarn zuzugestehen. Alles, was ich von meinen Brüdern verlange, ist, daß dieselbe strenge Ehrlichkeit unter uns beobachtet werden möge, wie sie der Pöbel unter sich übt. Einander zu bestehlen ist wirklich höchst strafbar und ungebührlich; denn das hieße 75 streng genommen nichts anderes als den Armen um das Seine bringen (was bisweilen einen treffen könnte, der ärmer ist als wir selbst), oder, um es mit dem stärksten Ausdrucke zu belegen, das Armenhaus berauben.

Während nun mein Gewissen, nach der genauesten Selbstprüfung, mir keinen so erbärmlichen Diebstahl zur Last legen kann, räume ich ruhig die erste Beschuldigung ein, werde auch niemals anstehen, jede für meinen Zweck passende Stelle, die ich bei einem alten Schriftsteller finde, zu benutzen, ohne den Namen des Autors, von dem sie entlehnt ist, darunter zu setzen. Ja, ich betrachte alle solche Gedanken von dem Augenblicke an, wo ich sie in meine Schriften aufnehme, durchaus als mein Eigenthum, und erwarte von allen meinen Lesern, daß sie dieselben gleichfalls als solches ansehen. Diesen Anspruch soll man mir jedoch nur unter der Bedingung zugestehen, daß ich die strengste Ehrlichkeit gegen meine armen Brüder beobachte, und daß ich jedesmal, so oft ich von dem Wenigen, das sie besitzen, etwas entlehne, ihren Namen beisetze, damit es allezeit dem rechten Eigenthümer gesichert bleibe.

Einen gerechten Vorwurf verdiente, weil er dies zu thun unterließ, ein Herr Moore, der, nachdem er schon zuvor einige Zeilen von Pope und Compagnie entlehnt hatte, sich die Freiheit nahm, sechs derselben in sein Schauspiel the Rival Modes überzutragen. Herr Pope war indessen so glücklich, sie darin wieder zu finden, machte sein Eigenthumsrecht an ihnen geltend und führte sie in seine Werke zurück; auch bestrafte er genannten Moore noch dadurch, daß er ihn in den scheußlichen Kerker the Dunciad einsperrte, worin sein unglückliches Andenken nun fortlebt und für immer fortleben wird zur gerechten Strafe für sein ungebührliches Treiben in poetischen Dingen.


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