Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil IV
Henry Fielding

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Viertes Kapitel.

Der Besuch.

Herr Jones war den ganzen Tag, der, obschon einer der kürzesten, ihm einer der längsten im ganzen Jahre zu sein schien, im Angesichte einer gewissen Thür auf- und abgegangen. Endlich schlug es fünf Uhr und er begab sich wieder zu Madame Fitzpatrick, die ihn, ob er gleich eine volle Stunde vor der schicklichen Besuchzeit kam, sehr artig empfing, aber noch eben so wie zuvor auf ihrem Vorgeben beharrte, von Sophien nichts zu wissen.

172 Jones hatte bei seiner Erkundigung nach der Geliebten das Wort Cousine fallen lassen, worauf Madame Fitzpatrick sagte: »Sie wissen also, daß wir Verwandte sind; und da wir es sind, so werden Sie mir das Recht zugestehen, nach der Art des Geschäfts fragen zu dürfen, das Sie veranlaßt, meine Cousine aufzusuchen.« Hier zögerte Jones eine gute Weile und antwortete endlich, er hätte eine ansehnliche Summe Geld von ihr in Händen, das er ihr zu übergeben wünschte. Er zeigte dann Madame Fitzpatrick die Brieftasche, und erzählte ihr von dem Inhalte derselben und wie sie in seine Hände gelangt war. Er war kaum zu Ende, als ein gewaltiger Lärm durch das ganze Haus erschallte. Es würde eine vergebliche Mühe sein, diesen Lärm denjenigen beschreiben zu wollen, die ihn gehört haben; und noch vergeblicher würde es sein, wollte man versuchen, denjenigen eine Vorstellung davon beizubringen, die ihn nicht gehört haben; denn es läßt sich mit Recht davon sagen:

—   —   Non acuta
Sic geminant Corybantes acra.

Nicht so laut tönte das Erz der Corybanten.

Kurz, ein Bedienter klopfte, oder donnerte vielmehr, an die Hausthür. Jones war ein wenig erschrocken, denn er hatte so etwas nie zuvor gehört; aber Madame Fitzpatrick sagte sehr ruhig, daß sie ihm, da eben Gesellschaft komme, jetzt keine Antwort geben könne; wenn es ihm indessen gefalle, so lange zu verweilen, bis sie sich wieder entfernt habe, so wolle sie ihm etwas mittheilen.

Die Thür des Zimmers that sich jetzt auf und herein trat, nachdem sie ihren Reifrock vor sich hergeschoben, Lady Bellaston. Sie machte zuerst eine sehr tiefe Verneigung gegen Madame Fitzpatrick und eine eben so tiefe gegen 173 Herrn Jones und wurde dann nach dem obern Ende des Zimmers geführt.

Wir erwähnen dieser geringfügigen Umstände zu Nutz und Frommen einiger Landdamen unserer Bekanntschaft, welche es den Regeln des Anstandes für zuwider halten, vor einem Manne ihre Kniee zu beugen.

Die Gesellschaft hatte sich kaum ruhig niedergelassen, als die Ankunft des Peers eine neue Störung und eine Wiederholung der Ceremonien veranlaßte.

Nachdem diese vorüber waren, fing die Conversation an (wie man zu sagen pflegt), äußerst brillant zu werden. Da jedoch nichts darin vorkam, was für diese Geschichte oder auch überhaupt von erheblichem Interesse sein könnte, so werde ich mir den Bericht derselben ersparen; und zwar um so mehr, als ich gefunden habe, daß sich manche recht artige Conversation ungemein langweilig ausnahm, wenn sie zu Papiere gebracht oder auf der Bühne wiederholt wurde. Ueberhaupt ist dieser geistige Schmauß eine Leckerei, die sich solche Personen, welche von seinen Gesellschaften ausgeschlossen sind, eben so wohl versagen müssen als so mancherlei Leckerbissen der französischen Kochkunst, die nur auf die Tafeln der Großen kommen. Da sie übrigens beide nicht einem jeden Geschmacke zusagen, so dürften sie vielleicht oftmals gering geschätzt werden.

Der arme Jones gab bei dieser eleganten Scene mehr einen Zuschauer als eine handelnde Person ab; denn wenn auch zuerst Lady Bellaston und dann Madame Fitzpatrick während der kurzen Zeit vor des Peers Ankunft einige Male ihr Gespräch an ihn gerichtet hatten, so war doch kaum der edle Lord eingetreten, als er auch die ganze Aufmerksamkeit der beiden Damen für sich in Anspruch nahm.; und da er von Jones nicht mehr Notiz nahm, als ob eine solche Person gar nicht da gewesen wäre, ausgenommen 174 daß er ihn dann und wann starr ansah, so thaten die Damen desgleichen.

Die Gesellschaft war jetzt so lange beisammen, daß Madame Fitzpatrick die volle Ueberzeugung gewann, daß jedes des andern Entfernung abwarten wollte. Deshalb suchte sie Jones los zu werden, weil sie ihm die geringste Rücksicht schuldig zu sein glaubte. Sie benutzte dazu eine Pause im Gespräch und sagte in vornehm ernstem Tone zu ihm: »Mein Herr, es wird mir heut nicht möglich sein, Ihnen in Bezug auf jene Angelegenheit eine Antwort zu geben; aber wenn es Ihnen gefällig wäre, mir Ihre Adresse da zu lassen, so daß ich morgen zu Ihnen schicken könnte –«

Jones hatte eine natürliche gute Erziehung, in der nichts Erkünsteltes war. Anstatt daher das Geheimniß seiner Wohnung einem Diener anzuvertrauen, theilte er es der Dame ausführlich selbst mit, und verabschiedete sich bald darauf in höflichster Form.

Er war nicht sobald hinaus, als die vornehmen Herrschaften, die sich während seiner Gegenwart nicht um ihn bekümmerten, anfingen, sich sehr viel mit ihm zu beschäftigen; wenn jedoch der Leser uns den Bericht des glänzenderen Theils dieser Conversation bereits erlassen hat, so wird er uns gewiß auch die Wiederholung desjenigen, was eine gemeine Klätscherei genannt werden kann, gern erlassen. Nur eine Aeußerung der Lady Bellaston dürfte in wesentlicher Beziehung zu unsrer Geschichte stehen und deshalb einer Erwähnung verdienen. Als sich diese Dame nämlich wenige Minuten nach ihm verabschiedete, sagte sie im Weggehen zu Madame Fitzpatrick: »Im Betreff meiner Cousine bin ich beruhigt: dieser Mensch kann ihr nicht gefährlich werden.«

Unsere Erzählung soll Lady Bellaston's Beispiele folgen und die gegenwärtige Gesellschaft, welche jetzt auf zwei 175 Personen reducirt war, verlassen; denn da zwischen ihnen nichts vorfiel, was uns oder unsern Leser im Entferntesten berührt, so werden wir uns dadurch nicht von Dingen abziehen lassen, die allen denjenigen, welche an den Angelegenheiten unsres Helden Interesse nehmen, viel wichtiger erscheinen müssen.


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