Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil IV
Henry Fielding

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Zweites Kapitel.

Was Herrn Jones bei seiner Ankunft in London begegnete.

Der gelehrte Doctor Misaubin pflegte zu sagen, die richtige Adresse an ihn sei: An Dr. Misaubin in der Welt; wodurch er zu verstehen gab, daß es wenig Leute in der Welt gäbe, denen sein Ruf unbekannt geblieben wäre. Und wenn wir die Sache sehr genau untersuchen, so werden wir finden, daß dieser Umstand keinen kleinen Theil von den vielen Segnungen der Größe ausmacht.

Das große Glück, von der Nachwelt gekannt zu werden, an dessen Hoffnung wir uns im vorigen Kapitel 160 ergötzten, wird wenigen zu Theil. Daß die Bestandteile unserer Namen, wie Sydenham sich ausdrückt, nach tausend Jahren noch wiederholt werden, das ist eine Gunst, die Titel und Reichthum nicht zu verleihen vermögen und die kaum anders als mittelst des Schwerts und der Feder erkauft wird. Aber dem schmachvollen Vorwurfe zu entgehen, während wir noch leben einer zu sein, den niemand kennt (eine Schmach, die beiläufig so alt ist, als Homer jetzt sein würde)S. Odyssee II, 175., das wird stets das beneidete Loos derjenigen sein, die einen rechtsgültigen Anspruch entweder auf Ehre oder auf Reichthum haben.

Aus der Art und Weise daher, wie der irische Peer, welcher Sophien zur Stadt brachte, in dieser Geschichte aufgetreten ist, wird der Leser ohne Zweifel schließen, es müsse ein leichtes gewesen sein, sein Haus in London aufzufinden, ohne gerade die Straße oder den Platz zu kennen, wo er wohnte, weil er einer von denen sein mußte, die jedermann kennt. Die Wahrheit zu sagen, so würde das für keinen jener Gewerbsleute, welche gewohnt sind, die Regionen der Großen im Auge zu haben, von Schwierigkeit gewesen sein; denn die Thüren der Großen sind gemeiniglich nicht minder leicht zu finden, als es schwierig ist, durch dieselben eingelassen zu werden. Allein Jones war, eben so wie Partridge, gänzlich fremd in London; und da es sich zufällig traf, daß er zu einem Stadtviertel hereinkam, dessen Bewohner mit den Hausvätern von Hanover oder den Grosvenor-Squares in sehr spärlichem Verkehr stehen (denn er kam durch Gray's-inn-lane), so mußte er einige Zeit herumlaufen, ehe er nur den Weg zu jenen glücklichen Wohnungen fand, wo die Glücksgüter edle Heroen, die Abkömmlinge der alten Briten, Sachsen 161 oder Dänen, deren Vorfahren, in besseren Tagen geboren, durch mannichfaches Verdienst Reichthum und Ehre auf ihre Nachkommen gebracht haben, von dem gemeinen Volke scheiden.

Jones, der endlich in diesem irdischen Elysium angekommen war, würde nun auch des Lords Wohnung bald gefunden haben; allein der Peer hatte unglücklicherweise vor seiner Abreise nach Irland sein früheres Haus verlassen, und da er das neue so eben erst bezogen hatte, so hatte der Glanz seiner Equipage seinen Ruf noch nicht hinlänglich in der Nachbarschaft verbreitet, weshalb Jones, nachdem er seine Nachforschungen bis elf Uhr vergebens fortgesetzt hatte, endlich Partridge's Rathe folgte und nach Holborn in den Ochsen und die Ziege, den Gasthof, in welchem er abgestiegen war, zurückkehrte, um der Ruhe zu genießen, wie sie Personen in seiner Lage gewöhnlich zu Theil wird.

Mit dem frühen Morgen machte er sich wieder auf, um Sophien aufzusuchen und legte manchen ermüdenden Weg zurück, ohne glücklicheren Erfolg als zuvor. Endlich, war es nun, daß das Schicksal milder gegen ihn wurde, oder daß es nicht länger in seiner Macht stand, ihn irre zu leiten, gelangte er wirklich in die Straße, die der Lord mit seiner Residenz beehrte; und nachdem man ihn zu dem Hause hingewiesen, klopfte er leise an die Thür.

Der Portier, dem das bescheidene Klopfen keine hohe Idee von dem Kommenden beigebracht hatte, faßte keine viel günstigere nach dem äußern Ansehen Jones', der eine Barchentkleidung und an der Seite den Degen trug, den er von dem Sergeanten gekauft hatte, und dessen Griff, wenn auch die Klinge vom besten Stahl sein konnte, blos aus Messing bestand und nicht einmal dem glänzendsten. Als Jones daher nach der jungen Dame fragte, die mit 162 dem Lord zur Stadt gekommen, antwortete ihm der Bursche in mürrischem Tone, daß hier keine Damen wären. Jones verlangte nun den Herrn vom Hause zu sprechen, wurde aber bedeutet, daß der Lord diesen Morgen niemanden sehen wolle. Und wie Jones dringender wurde, sagte der Portier, er hätte ausdrücklichen Befehl niemanden einzulassen; »wenn Sie es aber für gut befinden,« setzte er hinzu, »Ihren Namen zurückzulassen, so will ich den Lord davon unterrichten; und wenn Sie dann wieder kommen, sollen Sie erfahren, zu welcher Zeit er Sie sehen will.«

Jones erklärte, daß er der jungen Dame sehr wichtige Angelegenheiten mitzutheilen hätte und bevor er sie gesehen nicht fortgehen könne. Worauf ihn der Portier mit nicht besonders freundlicher Stimme und Miene versicherte, daß keine junge Dame im Hause wäre und folglich keine sehen könnte, und mit den Worten schloß: »Sie sind wahrhaftig der wunderlichste Mann, der mir je vorgekommen ist, da Sie keine Antwort annehmen wollen.«

Ich habe oft daran gedacht, daß Virgil durch die merkwürdige Beschreibung des Cerberus, des Wächters der Hölle, in seiner Aeneide, vielleicht die Thürsteher der Großen seiner Zeit habe satirisiren wollen, das Gemälde paßt wenigstens auf diejenigen, welche die Ehre haben, die Thüren unsrer Großen zu bewachen. Der Portier in seiner Clause entspricht genau dem Cerberus in seiner Höhle und muß, gleich diesem, durch ein beruhigendes Mittel besänftigt werden, ehe man Zutritt zu seinem Herrn erlangen kann. Vielleicht, daß er Jones in dem nämlichen Lichte erschien und ihm die Stelle einfiel, wo die Sybille, um Aeneas Eintritt zu verschaffen, dem Wächter des Eingangs zum Styx ein solches Besänftigungsmittel darreichte. Jones bot nun diesem Cerberus 163 in Menschengestalt auf gleiche Weise ein Geschenk an, was nicht sobald ein Bedienter hörte, als er sogleich herzutrat und sich geneigt erklärte, Herrn Jones zu der Dame zu führen, wenn letzterer das Trinkgeld ihm geben wolle. Jones willigte augenblicklich ein und wurde sofort nach der Wohnung der Madame Fitzpatrick geleitet und zwar durch den nämlichen Burschen, der die Damen Tags zuvor hierher begleitet hatte.

Nichts macht das Mißlingen einer Sache empfindlicher, als wenn man schon die nahe Aussicht auf das Gelingen hatte. Der Spieler, der seine Partie Piket durch einen einzigen fehlenden Point verliert, beklagt sein Unglück viel mehr, als der, welcher gar keine Hoffnung auf Gewinn hatte. Eben so halten sich die Lotteriespieler, welche die nächsten Nummern neben dem, auf welches das große Loos fiel, besaßen, für weit unglücklicher als ihre Mitverlierenden. Kurz das Verfehlen des Ziels, wenn man es fast mit der Hand greifen kann, kommt uns vor wie eine Beleidigung vom Schicksale, indem es uns necken und sich muthwillig auf unsere Kosten über uns lustig machen zu wollen scheint.

Jones hatte bereits mehr als einmal diese Launenhaftigkeit der heidnischen Göttin erfahren und war jetzt wiederum verurtheilt, auf ähnliche Weise geneckt zu werden; denn er stand vor der Thür zu Madame Fitzpatrick's Wohnung etwa zehn Minuten nachdem Sophie dieselbe verlassen hatte. Er wendete sich jetzt an Madame Fitzpatricks Kammermädchen, von dem er die unangenehme Neuigkeit erfuhr, daß die Dame fort wäre; wohin konnte sie ihm nicht sagen; die nämliche Antwort erhielt er später von Madame Fitzpatrick selbst, denn da die Dame Jones für eine von ihrem Oheim Western zur Aufsuchung seiner Tochter 164 abgeschickte Person hielt, so war sie so großmüthig, sie nicht zu verrathen.

Obgleich Jones niemals Madame Fitzpatrick gesehen hatte, so hatte er doch gehofft, daß eine Cousine von Sophien mit einem Manne dieses Namens verheirathet wäre. Dies fiel ihm indessen in seinem gegenwärtigen aufgeregten Gemüthszustande nicht im entferntesten ein; erst als der Bediente, der ihn hergeführt hatte, ihm erzählte, wie vertraut die beiden Damen mit einander wären und daß sie sich Cousinen nennten, erinnerte er sich der früher gehörten Heirathsgeschichte wieder; und da er jetzt überzeugt war, daß sie die nämliche Dame sei, so verwunderte er sich um so mehr über die empfangene Antwort und bat sehr dringend um die Erlaubniß, ihr aufwarten zu dürfen; aber sie schlug ihm diese Ehre auf das bestimmteste ab.

Jones, der, ohne jemals an einem Hofe gelebt zu haben, besser erzogen war als die Meisten, die sich viel dort aufhalten, war keines groben oder trotzigen Betragens gegen eine Dame fähig. Nachdem er also eine ausdrückliche Abweisung bekommen hatte, beruhigte er sich für den Augenblick dabei, indem er zu dem Kammermädchen sagte, er wolle, wenn dies eine ungelegene Zeit für die Dame sei, den Nachmittag wieder kommen und hoffe, daß er dann die Ehre haben werde, von ihr angenommen zu werden. Die höfliche Weise, in der diese Worte gesprochen wurden, verbunden mit seiner angenehmen Persönlichkeit, machten auf das Kammermädchen einen Eindruck und sie konnte nicht umhin, zu antworten: »Vielleicht wohl;« und sie erzählte dann wirklich alles ihrer Herrin, die sie sehr leicht dahin bestimmen zu können glaubte, daß sie einen Besuch von dem hübschen jungen Herrn, wie sie ihn nannte, annähme.

165 Jones hegte den argen Verdacht, daß Sophie selbst in diesem Augenblicke bei ihrer Cousine wäre und sich verläugnen ließe, um ihm das, was zu Upton geschehen war, entgelten zu lassen. Nachdem er daher Partridge fortgeschickt hatte, damit er eine Wohnung miethe, blieb er den ganzen Tag auf der Straße, um das Haus zu bewachen, in welchem er seinen Engel verborgen glaubte, aber er sah außer einem Bedienten keinen Menschen herauskommen und den Abend kam er zurück, Madame Fitzpatrick seinen Besuch zu machen, den diese gute Dame endlich auch so herablassend war anzunehmen.

Es giebt eine gewisse Art von natürlichem Anstand, den die Kleidung weder zu verleihen noch zu verbergen vermag. Jones besaß denselben, wie bereits erwähnt worden ist, in einem sehr hohen Grade. Er fand daher bei der Dame eine Aufnahme, die von derjenigen, welche sein Aeußeres zu beanspruchen schien, etwas verschieden war, und wurde, nachdem er ihr seine Höflichkeit bezeigt hatte, zum Niedersetzen eingeladen.

Der Leser wird, glaube ich, nicht begierig sein, die Einzelheiten dieses Gesprächs zu erfahren, das den armen Jones sehr wenig befriedigte. Denn obgleich Madame Fitzpatrick bald den Liebhaber entdeckte (wie denn alle Frauen in dieser Beziehung Falkenaugen haben), so hielt sie ihn gleichwohl für einen solchen, dem sie, als eine edelmüthige Freundin des Fräuleins, dieses nicht verrathen dürfe. Kurz, sie argwöhnte, daß er niemand anders als Herr Blifil sei, vor dem Sophie geflohen war; und alle Antworten, die sie Jones in Bezug auf Allworthy's Familie abzulocken wußte, bestärkten sie in dieser Vermuthung. Sie läugnete daher auf das Bestimmteste, den Aufenthalt Sophiens zu kennen und Jones konnte von ihr nichts 166 weiter erlangen, als die Erlaubniß, ihr den nächsten Abend wieder aufwarten zu dürfen.

Als er fort war, theilte Madame Fitzpatrick ihre Vermuthung hinsichtlich Blifil's ihrem Kammermädchen mit, das darauf antwortete: »Er ist aber doch in meinen Augen ein zu hübscher Mann, als daß irgend ein Frauenzimmer auf der Welt vor ihm davon laufen sollte. Ich hätte eher gedacht, daß es Herr Jones ist.« – »Herr Jones?« sagte die Dame; »was für ein Jones?« Sophie hatte nämlich in ihrer Erzählung einer solchen Person mit keiner Sylbe gedacht; dagegen war Mamsell Honour mittheilender gewesen und hatte ihrer Freundin die ganze Geschichte von Jones erzählt, die diese jetzt ihrer Herrin wiederholte.

Madame Fitzpatrick hatte nicht sobald diese Mittheilung erhalten, als sie mit der Ansicht ihres Mädchens sogleich vollkommen einverstanden war, und, was sehr sonderbar ist, an dem galanten glücklichen Liebhaber Reize auffand, die sie an dem verschmähten Squire übersehen hatte. »Betty,« sagte sie, »Du hast wirklich Recht: er ist ein sehr hübscher Mann, und es wundert mich nicht, daß Dir das Mädchen meiner Cousine erzählt hat, daß so viele Frauen in ihn verliebt seien. Es thut mir jetzt leid, ihm nicht gesagt zu haben, wo meine Cousine ist; und gleichwohl, wenn er ein so schrecklicher Lüstling ist, wie Du mir sagst, wäre es schade, wenn sie ihn jemals wieder zu sehen bekäme; denn was anderes als ihr Ruin könnte es sein, wenn sie einen Lüstling und einen Bettler gegen ihres Vaters Willen heirathete. Ich gestehe, daß, wenn er so ist, wie ihn Dir das Mädchen beschrieben hat, es nur ein Liebesdienst ist, ihn fern von ihr zu halten; ja es würde unverzeihlich von mir sein, wenn ich anders 167 handelte, ich, die ich das Unglück einer solchen Ehe so bitter empfunden habe.

Hier wurde sie durch die Ankunft eines Besuchenden unterbrochen, der niemand anders war als der Lord; und da bei diesem Besuche weder etwas Neues, noch etwas Außerordentliches, noch was wesentlichen Bezug auf unsere Geschichte hatte, vorkam, so werden wir hier dieses Kapitel beschließen.


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