Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil IV
Henry Fielding

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149 Vierzehntes Kapitel.

Was sich mit Herrn Jones auf seiner Reise nach St. Albans zutrug.

Sie waren etwa zwei Meilen über Barnet hinaus und es fing an dunkel zu werden, als ein elegant aussehender Mann auf einem desto erbärmlichern Pferde auf Jones zugeritten kam und ihn fragte, ob er nach London reise. Als Jones bejahend geantwortet hatte, sagte jener: »Sie würden mich verpflichten, mein Herr, wenn Sie mir gestatteten, in Ihrer Gesellschaft zu reisen; denn es ist sehr spät und ich bin mit der Straße nicht bekannt.« Jones gab gern seine Einwilligung und so ritten sie zusammen und unterhielten sich in der Weise, wie es bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich ist.

Räubereien waren in der That das Hauptthema, und der Fremde gab zu erkennen, daß er große Furcht davor habe; Jones hingegen erklärte, daß er wenig zu verlieren und folglich auch eben so wenig zu fürchten habe. Hier konnte sich Partridge nicht enthalten, ihm ins Wort zu fallen. »Ew. Gnaden,« sagte er, »mag das nicht viel dünken, aber wahrhaftig, wenn ich eine Banknote von hundert Pfund in der Tasche hätte, wie Sie haben, es würde mir doch leid thun, sie zu verlieren; aber ich für meinen Theil war nie in meinem Leben weniger in Furcht; denn wir sind unser vier, und wenn wir alle zusammen halten, kann der stärkste Mann in England uns nicht berauben. Lassen Sie ihn auch ein Pistol haben, so kann er doch nur einen von uns tödten, und ein Mensch kann nur einmal sterben – das ist mein Trost; ein Mensch kann nur einmal sterben.«

Außer der Zuversichtlichkeit, welche aus dem Gedanken 150 an die Ueberzahl entsprang, eine Art Muth, die eine gewisse Nation in der neuern Zeit auf einen hohen Gipfel des Ruhms erhoben hat, gab es noch einen andern Grund für die außerordentliche Herzhaftigkeit, welche Partridge jetzt an den Tag legte; er besaß nämlich gegenwärtig gerade so viel von jener Eigenschaft, als die Wirkung geistiger Getränke zu verleihen vermag.

Unsere Gesellschaft war jetzt nur noch eine Meile von Highgate entfernt, als sich der Fremde plötzlich gegen Jones kehrte und, indem er ein Pistol herauszog, ihm jene kleine Banknote, deren Partridge erwähnt hatte, abforderte.

Jones war Anfangs über diese unerwartete Forderung etwas betroffen; er sammelte sich jedoch sogleich wieder und sagte zu dem Räuber, alles Geld, das er in seiner Tasche hätte, stünde ihm zu Diensten; dabei zog er über drei Guineen heraus, die er ihm anbot; aber jener antwortete, und bekräftigte seine Antwort durch einen Schwur, daß es damit nicht abgethan sei. Jones erwiederte kalt, daß ihm das sehr leid thue, und steckte das Geld wieder in seine Tasche.

Der Räuber drohte nun, ihn zu erschießen, wenn er nicht augenblicklich die Banknote herausgebe, und setzte ihm gleichzeitig die Pistole auf die Brust. Jones erfaßte sogleich des Mannes Hand, die so zitterte, daß sie kaum das Pistol erhalten konnte und wehrte die Mündung von sich ab. Hierauf entspann sich ein Kampf, in dem der erstere seinem Gegner das Pistol entwand und beide von ihren Pferden zusammen herabfielen, so daß der Räuber auf den Rücken und der Sieger Jones auf ihn zu liegen kam.

Der arme Teufel begann nun den Sieger um Gnade anzuflehen; denn, die Wahrheit zu sagen, er war Jones an Kraft durchaus nicht gewachsen. »Ich konnte wirklich nicht die Absicht haben,« sagte er, »Sie zu erschießen; 151 denn Sie werden finden, daß das Pistol nicht geladen war. Dies ist der erste Raub, den ich je versuchte, und Unglück hat mich dazu getrieben.«

Während dies vorging, lag etwa hundert und funfzig Schritte davon eine andere Person am Boden und schrie weit jämmerlicher als der Räuber um Gnade. Dies war niemand anders als Partridge, der bei seinem Versuche, vom Kampfplatze zu entfliehen, vom Pferde gefallen war, platt auf der Erde lag und ohne daß er sich umzusehen wagte, jeden Augenblick erschossen zu werden fürchtete.

In dieser Stellung blieb er liegen, bis der Führer, der nur für seine Pferde besorgt gewesen war, das humpelnde Thier aufgefangen hatte, zu ihm herankam und ihm sagte, daß sein Herr den Räuber überwältigt hätte.

Partridge sprang bei dieser Nachricht auf und lief zurück zu dem Platze, wo Jones mit dem Degen in der Hand den armen Teufel bewachte. Kaum hatte Partridge dies erblickt, als er ausrief: »Stoßen Sie den Schurken nieder; rennen Sie ihm den Degen durch den Leib; immer nieder mit ihm.«

Glücklicherweise war jedoch der Unglückliche in gnädigere Hände gefallen; denn da Jones bei der Untersuchung des Pistols wirklich fand, daß es nicht geladen war, so fing er an alles zu glauben, was ihm der Mann vor Partridge's Ankunft gesagt hatte, nämlich, daß er noch ein Neuling in diesem Gewerbe wäre und daß ihn die Noth dazu getrieben hätte, und zwar die größte, die man sich nur denken könne und in der mit ihm fünf hungrige Kinder und ein mit dem sechsten in den Wochen liegendes Weib schmachteten. Der Räuber versicherte hoch und theuer, daß alles, was er gesagt, wahr wäre und erbot sich, Herrn Jones davon zu überzeugen, wenn er sich die Mühe geben und ihn in seine nicht über eine Stunde entfernte Wohnung 152 begleiten wolle; ja er machte gar keinen Anspruch aus Gnade, als bis er die Wahrheit seiner Aussage nachgewiesen haben würde.

Jones stellte sich Anfangs, als wollte er den Mann beim Worte nehmen und mit ihm gehen, indem er erklärte, daß einzig und allein von dem Befunde der Sache sein Schicksal abhängen sollte. Darüber äußerte der arme Mann eine solche Freude, daß Jones von der Aussage vollkommen überzeugt wurde und Mitleid für ihn zu fühlen begann. Er gab dem Manne sein ungeladenes Pistol zurück, rieth ihm, auf ehrenvollere Mittel zur Minderung seiner Noth zu denken und schenkte ihm zur augenblicklichen Abhülfe seines Mangels zwei Guineen, indem er sagte, er wünsche um seinetwillen mehr zu besitzen, denn die erwähnten hundert Pfund wären nicht sein Eigenthum.

Unsere Leser werden wahrscheinlich in ihren Ansichten über diese Handlung getheilt sein; die einen billigen sie vielleicht als einen Akt ungewöhnlicher Humanität, während andere, von einem finsterern Charakter, in ihr einen Mangel an Rücksicht gegen die Gerechtigkeit und den Staat erblicken werden. Partridge erschien die Sache in diesem Lichte; denn er bezeigte sich sehr unzufrieden damit, citirte ein altes Sprichwort und sagte, es solle ihn nicht wundern, wenn der Landstreicher sie noch einmal anfiele, ehe sie London erreichten.

Der Räuber konnte nicht Worte genug finden, um seinen Dank auszudrücken; ja er vergoß wirklich Thränen, wenn es nicht Verstellung war. Er betheuerte, er würde augenblicklich nach Hause gehen und nie ein solches Verbrechen wieder begehen; ob er Wort hielt oder nicht, werden wir vielleicht späterhin sehen.

Unsere Reisenden ritten weiter und kamen in der Stadt an, ohne daß ihnen ein neuer Unfall begegnet wäre. Unter 153 Weges fand zwischen Jones und Partridge über ihr letztes Abenteuer ein sehr komisches Gespräch statt, in welchem der erstere diejenigen Straßenräuber sehr bedauerte, welche zu solchen ungesetzlichen Handlungen, die ihnen in der Regel einen schmachvollen Tod bringen, durch unvermeidliches Unglück gleichsam getrieben werden. »Ich verstehe darunter,« sagte er, »blos diejenigen, deren Verbrechen sich nicht weiter als auf Raub erstreckt und die sich nie einer Grausamkeit gegen die Beraubten oder des Mordes schuldig machten, was, wie man zur Ehre unseres Vaterlandes bekennen muß, die Räuber Englands von denen aller übrigen Nationen unterscheidet, denn bei diesen ist Mord von Räuberei fast unzertrennlich.«

»Es ist,« erwiederte Partridge, »ohne Zweifel besser, einem das Geld zu nehmen als das Leben; gleichwohl ist es sehr schlimm für ehrliche Leute, daß sie nicht in ihren Geschäften reisen können, ohne durch diese Schurken gefährdet sein. Und es wäre wahrlich besser, es würden alle Schufte aufgehängt, als daß ein ehrlicher Mann Schaden litt. Ich für meine Person möchte freilich das Blut eines solchen Menschen nicht mit eigener Hand vergießen; aber fürs Gesetz ist es sehr gut, wenn sie alle gehangen werden. Welches Recht hat denn ein Mann, mir mein Geld, und wenn es nur ein Paar Groschen wären, abzunehmen, wenn ich sie ihm nicht gebe? Ist das etwa Ehrlichkeit?«

»Wahrhaftig nicht,« rief Jones, »ein solcher ist nicht ehrlicher als der einem andern die Pferde aus dem Stalle wegnimmt, oder der gefundenes Geld zu seinem Nutzen verwendet, wenn er den rechten Eigenthümer kennt.«

Diese Anspielungen stopften Partridge den Mund, und er öffnete ihn nicht eher wieder, als um sich, nachdem Jones einige sarkastische Scherze über seine Feigheit gemacht 154 hatte, mit dem Mißverhältniß der Feuergewehre zu entschuldigen, indem er sagte: »Tausend nackende Männer sind nichts gegen ein Pistol; denn wenn es gleich wahr ist, daß ein einzelner Schuß nur einen tödten wird, so kann doch keiner sagen, ob dieser eine nicht er selbst sein werde.«


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