Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil IV
Henry Fielding

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Jones' und seines Gefährten weitere Reiseabenteuer.

Unsere Reisenden marschirten jetzt so tapfer zu, daß ihnen sehr wenig Zeit oder Athem zur Unterhaltung übrig blieb. Jones dachte den ganzen Weg über an Sophien und Partridge an die Banknote, die, wenn sie ihm auch einiges Vergnügen machte, ihm dennoch gleichzeitig Anlaß zur Unzufriedenheit mit seinem Schicksale gab, das ihm auf allen seinen Wegen nie eine solche Gelegenheit, seine Ehrlichkeit zu zeigen, dargeboten hatte. Sie hatten über drei Meilen zurückgelegt, als Partridge, unfähig länger gleichen Schritt mit Jones zu halten, diesem zurief und ihn bat, etwas langsamer zu gehen; dazu verstand er sich auch um desto bereitwilliger, da er seit einiger Zeit die Spuren der Pferde verloren hatte, die ihn vorher der Thau unterscheiden ließ, und sie sich jetzt auf einer großen Trift befanden, wo verschiedene Wege waren.

Hier stand er daher still, um zu überlegen, welchen von den Wegen er wählen sollte, als sie plötzlich in einiger 93 Entfernung den Lärm einer Trommel hörten. Dies setzte Partridge in Schrecken und er rief aus: »Daß sich Gott erbarme! da kommen sie gewiß.« – »Wer kommt?« fragte Jones, denn die Furcht hatte bei ihm schon längst sanfteren Gefühlen Platz gemacht, und seit seinem Abenteuer mit dem lahmen Manne ging sein einziges Trachten dahin, Sophien einzuholen und er dachte mit keinem Gedanken mehr an einen Feind. »Wer?« rief Partridge: »nun die Rebellen; aber warum sollte ich sie Rebellen nennen? sie können ganz rechtliche Leute sein, soweit ich das Gegentheil nicht kenne. Hol' der Teufel den, der sie beleidigt, sag' ich; so viel weiß ich, daß ich, wenn sie mir nichts zu sagen haben, gern nichts zu ihnen sagen will, und dann nur höflich. Ums Himmels willen, beleidigen Sie sie nicht, wenn sie kommen sollten, da thun sie uns vielleicht nichts zu leide; aber wäre es nicht vielleicht klüger, dort hinter jene Büsche zu kriechen, bis sie vorüber sind? Was vermögen zwei Mann ohne Waffen gegen vielleicht funfzigtausend? Wahrlich, nur ein Verrückter – ich hoffe, Sie nehmen es nicht übel – aber wahrlich keiner, von dem man sagen kann, er hat mens sana in corpore sano – –« Hier unterbrach Jones diesen Strom von Beredtsamkeit, indem er sagte, das Rühren der Trommel lasse ihn schließen, daß sie sich in der Nähe einer Stadt befänden. Er schlug dann gerade die Richtung ein, aus welcher der Lärm herkam, bat Partridge, Muth zu fassen, denn er werde ihn keiner Gefahr aussetzen, und fügte hinzu, es sei unmöglich, daß die Rebellen sich in der Nähe befänden.

Partridge fühlte sich durch die letzte Versicherung ein wenig aufgerichtet, und ob er gleich lieber den entgegengesetzten Weg gegangen wäre, so folgte er doch seinem Führer nach; dazu schlug sein Herz den Takt, aber nicht, wie dies bei Helden der Fall zu sein pflegt, nach dem Takte der 94 Trommel, die sie noch hörten, nachdem sie die Trift überschritten hatten und in [eine] enge Gasse eingetreten waren.

Und jetzt sah Partridge, der mit Jones gleichen Schritt hielt, ganz nahe etwas Buntes in der Luft flattern, was er für die Fahne des Feindes hielt und brüllte daher: »O Gott, da sind sie! – O Gott! so was schreckliches habe ich nie gesehen; und wir sind schon in Schußweite gerathen.«

Jones blickte nicht sobald auf, als er deutlich erkannte, was Partridge so irre geleitet hatte. »Partridge,« sagte er, »ich glaube, Du wirst im Stande sein, es mit dieser ganzen Armee aufzunehmen; denn die Fahne läßt mich errathen, was für eine Bewandtniß es mit der Trommel hatte, die wir vorhin hörten; sie ruft Recruten zu einem Puppenspiele zusammen.«

»Ein Puppenspiel!« rief Partridge in der höchsten Freude. »Und ist es wirklich nichts weiter? Ich habe die Puppenspiele über alle Maßen gern. Ach, lassen Sie uns verweilen und es ansehen. Ich sterbe ohnedies fast vor Hunger; denn es ist jetzt beinahe dunkel und ich habe seit drei Uhr Morgens keinen Bissen gegessen.«

Sie kamen jetzt bei einem Gasthofe oder eigentlich einer Schenke an, wo sich Jones um so leichter bewegen ließ einzukehren, als er nicht mehr wußte, ob er sich auf dem rechten Wege befand. Sie gingen beide gerade in die Küche, wo Jones nachfragte, ob nicht diesen Morgen Damen hier vorübergereist wären, und Partridge eben so eifrige Nachforschungen im Betreff des Mundvorraths anstellte; und er trug wirklich von seinen Erkundigungen das bessere Resultat davon; denn Jones konnte über Sophien nichts erfahren, aber Partridge erhielt zu seiner großen Freude die angenehme Aussicht auf ein treffliches Mahl von dampfenden Eiern mit Speck.

Auf kräftige und gesunde Constitutionen übt die Liebe 95 einen ganz andern Einfluß, als auf den schwächern Theil des Menschengeschlechts. Bei dem letztern unterdrückt sie gewöhnlich allen jenen Appetit, der auf die Erhaltung des Individuums gerichtet ist; bei den ersteren aber bewirkt sie zwar wohl auch, daß das Einnehmen von Nahrung wie jedes andere Geschäft vergessen und vernachlässigt wird; allein man setze einem hungrigen Liebhaber nur ein gutes Stück Fleisch vor und er wird selten ermangeln, seine Schuldigkeit zu thun. Dieser Fall ereignete sich jetzt; denn obgleich Jones jemandes bedurfte, der ihn erinnerte, und wäre er allein gewesen, mit leerem Magen wohl immer weiter gereist sein würde, so hatte er sich doch kaum an den Tisch gesetzt, als er dem Speck und den Eiern eben so eifrig zusprach wie Partridge selbst.

Ehe unsere Reisenden noch mit ihrem Mahle zu Ende waren, war der Abend hereingebrochen, und da der Vollmond vorüber war, so wurde es sehr finster. Partridge überredete daher Jones dazubleiben und das Puppenspiel mit anzusehen, das so eben seinen Anfang nehmen sollte, und zu dem sie sehr dringend von dem Besitzer eingeladen wurden. Dieser erklärte ihnen auch, daß seine Puppen die schönsten wären., die die Welt bis jetzt hervorgebracht, und daß sie sich in allen Städten Englands den Beifall aller hohen Personen erworben hätten.

Das Puppenspiel wurde mit großer Ordnung und vielem Anstande aufgeführt. Es stellte vor, wie es auf dem Zettel hieß, den schöneren und ernsten Theil des beleidigten Ehemanns; und es war in der That eine sehr ernste und feierliche Unterhaltung, ohne einen derben Witz oder Humor oder Possen; oder um dem Stücke nichts weiter als Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ohne alles, was nur irgend Lachen erregen konnte. Die Zuhörer waren alle sehr befriedigt. Eine ernsthafte Matrone sagte dem Besitzer des 96 Puppentheaters, sie werde zum folgenden Abende ihre beiden Töchter mitbringen, da er nichts Anstößiges aufführe; und ein Kopist und ein Steuereinnehmer erklärten, daß die Charaktere von Lord und Lady Townly gut und höchst natürlich wiedergegeben gewesen wären. Partridge stimmte dieser Ansicht gleichfalls bei.

Der Director des Puppentheaters wurde durch diese Lobeserhebungen so stolz gemacht, daß er nicht umhin konnte, denselben selbst noch einiges hinzuzufügen. Er sagte, das gegenwärtige Zeitalter sei in keinem Stücke so weit fortgeschritten als im Puppenspiele, das durch die Verweisung des Hanswursts und seiner Frau, Hanne, und was dergleichen Plunder mehr wäre, endlich zu einer vernünftigen Unterhaltung ausgebildet worden sei. »Ich erinnere mich noch,« fuhr er fort, »daß, als ich dieses Geschäft anfing, eine Menge gemeiner Possen mit vorgebracht wurde, die das Publikum lachen machten, aber nimmermehr darauf berechnet waren, die Sitten der jungen Leute zu veredeln, was doch ohne Zweifel der Hauptzweck jedes Puppenspiels sein sollte; denn warum sollten nicht gute und heilsame Lehren eben sowohl auf diesem Wege verbreitet werden, wie auf jedem andern? Meine Puppen haben Lebensgröße und sie stellen das Leben in allen seinen Beziehungen dar; und mir liegt blos daran, daß die Leute aus meinem kleinen Theater eben so viel Gewinn für ihre Vervollkommnung ziehen als aus dem großen.« – »Ich will Ihren Ansprüchen keineswegs zu nahe treten,« entgegnete Jones, »aber ich würde bei alledem meinen alten Bekannten, Meister Hanswurst, gern gesehen haben; und weit entfernt zu glauben, daß Ihr Puppenspiel durch die Verbannung desselben so wie seiner lustigen Frau Hanne gewonnen habe, glaube ich vielmehr, daß es verloren hat.«

Dem Puppentanzmeister flößten diese Worte sogleich eine 97 tiefe Verachtung gegen Jones ein, und mit einer Miene, in der sich dieses Gefühl abspiegelte, erwiederte er: »Sehr wahrscheinlich, mein Herr, daß das Ihre Ansicht ist; aber ich habe die Genugthuung, daß die besten Kunstrichter eine andere haben, und es ist unmöglich, es jedem nach seinem Geschmack einzurichten. Ich gestehe freilich, daß vor zwei bis drei Jahren zu Bath einige Vornehme den Hanswurst mit aller Gewalt wieder auf der Bühne haben wollten. Ich glaube, daß ich Geld eingebüßt habe, weil ich ihnen nicht willfahrte, aber mögen andere machen was sie wollen; ich lasse mich durch eine Kleinigkeit nicht bestechen, mein Geschäft herunterzubringen; auch gebe ich nicht zu, daß der Anstand und die regelmäßige Haltung auf meiner Bühne durch Einmischung so gemeiner Possen verletzt werden.«

»Recht so, Freund,« rief der Copist, »Sie haben ganz Recht. Vermeiden Sie stets, was gemein ist. Da sind einige meiner Bekannten in London, die haben beschlossen, alles, was gemein ist, von der Bühne zu verbannen.« – »Nichts kann zweckmäßiger sein,« rief der Steuereinnehmer, indem er seine Pfeife aus dem Munde nahm. »Ich erinnere mich,« setzte er hinzu, »daß ich zu der Zeit, wo ich noch bei meinem Herrn in Diensten stand, den Abend, als dieses Stück, der Beleidigte Ehemann, zuerst gegeben wurde, auf der Bedientengallerie war. Da war viel gemeiner Unsinn darin von einem Landedelmann, der in die Stadt kam, um in das Parlament einzutreten: und da brachten sie einige von seinen Bedienten auf die Bühne, seines Kutschers erinnere ich mich besonders noch; aber die Herren auf unserer Gallerie konnten solche Gemeinheit nicht mit ansehen und pfiffen das Stück aus. Sie, Freund, haben das alles weggelassen, wie ich bemerke, und sind darum zu loben.«

»Nein, meine Herren,« rief Jones, »ich kann nimmermehr meine Meinung gegen so viele durchsetzen; wenn freilich die 98 Mehrzahl der Zuschauer den Hanswurst nicht leiden kann, dann mag der gelehrte Herr, der das Schauspiel dirigirt, ganz Recht haben, ihn aus seinen Diensten zu entlassen.«

Der Director fing dann an, eine zweite Rede zu halten, worin er viel von der großen Macht des Beispiels vorbrachte und wie sehr die niedre Classe von Menschen von der Ausübung des Lasters abgeschreckt werde, wenn sie sähe, wie häßlich es ihren Oberen anstehe, als er leider durch ein Ereigniß unterbrochen wurde, das wir, so gern wir es auf eine andere Zeit verschoben hätten, nicht umhin können, sofort zu erzählen, aber nicht in diesem Kapitel.


 << zurück weiter >>