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Nochmals der Autor des Buches «J'accuse»

Eben, da der Druck dieses Buches abgeschlossen scheint, kommt ein neues Werk des Verfassers des Buches «J'accuse» heraus, das noch um ein volles Hundert Seiten umfangreicher als das erste ist. Es ist «das Verbrechen» betitelt und stellt im wesentlichen eine Polemik gegen die Anfang 1915 erschienene kurze Schrift des deutschen Staatssekretärs Dr. Helfferich über die Entstehung des Weltkrieges dar.

Er kann hier nicht meine Absicht sein, auf diese Polemik einzugehen, und etwa die Thesen Helfferichs aufzunehmen und sie gegen den Verfasser zu verteidigen. Es ist klar, dass ein Mann, dessen Unkenntnis und Gewissenlosigkeit in solcher Weise aufgedeckt worden sind, wie es in meiner Schrift geschehen, gar nicht in der Lage ist, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit irgendwelcher Thesen über den Krieg zu beurteilen und für oder gegen irgend eine Ansicht zu schreiben; wenn ihn auch niemand verhindern kann, sich darüber auszulassen und dicke Bücher mit seinen Auslassungen anzufüllen und drucken zu lassen.

Da er zudem selbst darin sagt, dass «sein zweites Buch nur eine Fortsetzung und Ergänzung des ersten sei», und «die Kenntnis des ersten Buches beim Leser vorausgesetzt werden muss», so fällt folgerichtig mit dem ersten das zweite von selbst.

Seine Methode ist auch durchaus die gleiche geblieben, sein Material ist so dürftig, wie vorher, sein Wissen ist um nichts vertieft oder bereichert, und wenn er infolge wiederholten Lesens die Texte der amtlichen Veröffentlichungen etwas besser kennt und sie nicht so oft falsch zitiert, so gilt auch das nur vom Wortlaut; das Verständnis liegt ihm so fern wie je. So wenn er auf Seite 171 die perfiden – auf Seite 296/97 erörterten – Depeschen Nr. 112 und 113 des Gelbbuchs als «Taten für den Frieden» rühmt.

Die ganze Oberflächlichkeit jener Halbbildung, die eben zum erfolgreichen Schwadronieren am Kaffeehaustisch ausreicht und gar nicht einmal ahnt, was Wissen und Vorbereitung heisst, verrät er an einer Stelle, – auf Seite 88/89 des neuen Werkes – an der er einem holländischen Professor auf den Vorwurf, über die Beziehungen zwischen Serbien und Russland geschichtlich falsches geschrieben zu haben, folgendes erwidert:

«Erstens habe er keine russisch-serbische Geschichte schreiben wollen!»

Dass in jedem Fall das, was er in einem Kapitel über Russland und Serbien aus der Geschichte anführt, richtig sein muss, wenn seine Ausführungen nicht allen Wert verlieren sollen, dieser Gedanke scheint dem Toren gar nicht gekommen zu sein; er scheint es für vollkommen unerheblich zu halten, ob die geschichtlichen Behauptungen, die er aufstellt, den Tatsachen entsprechen oder nicht!

«Wenn er gewollt», sagt er zweitens, «hätte auch er im Konversations-Lexikon über die russisch-serbischen Beziehungen nachlesen und sich Kenntnis verschaffen können».

Er hält also das Konversations-Lexikon für die Quelle, aus der man sich die nötigen Kenntnisse verschafft, um über weltgeschichtliche Fragen zu schreiben, hat es aber unterlassen, sich auch nur jene armselige Sachkenntnis anzueignen, die das Konversations-Lexikon gewährt. Sie wäre immer noch besser gewesen, als seine vollkommene Unwissenheit: sie hätte ihn einige der plumpen Schnitzer vermeiden lassen, die er auf jeder Seite begeht.

Der Kritiker hatte ihm vorgeworfen, dass er einmal von den «hundertjährigen» und ein andermal von den «zweihundertjährigen» serbisch-russischen Beziehungen spricht. Das ist auch sehr begreiflich, denn er weiss gar nichts darüber; und so schreibt er einmal aus eigener Phantasie von «hundert» und ein andermal, dem gleichfalls nicht sehr geschichtskundigen Verfasser des englischen Blaubuchs nachschwatzend, von «zweihundert» Jahren. In seiner Erwiderung aber sagt er unverfroren, es käme «drittens» nicht darauf an, er habe nur überhaupt eine lange Zeit gemeint, es «könnten auch 99 oder 150 oder 180 Jahre sein».

Hat je ein naiverer Narr in historischen Fragen den Mund zu öffnen gewagt? Welchen verlogenen Unsinn er bei solchen Vorkenntnissen im Buch «J'accuse» an vielen Stellen über die russisch-serbischen Beziehungen geschrieben hat, ist auf Seite 132 ffg. dieser Schrift gezeigt worden.

Da ihm nun ein anderer bereits seine Unwissenheit vorgehalten, erwidert er «viertens», die russisch-serbische Vorgeschichte, – auf der er im betreffenden Kapitel des Buches «J'accuse» seine ganze These aufgebaut hat! – sei überhaupt gleichgiltig. Denn es handle sich gar nicht darum, ob Russland ein Recht hatte, für Serbien einzuschreiten, sondern um eine «Tatsache». Ein Recht komme bei internationalen Konflikten in der Regel gar nicht in Frage, sondern massgebend sei nur Russlands Interesse gewesen. Das glauben wir allerdings auch; und wenn der Autor noch mit unzähligen Zitaten nachzuweisen sucht, dass dieses Interesse Russlands den deutschen und österreichischen Staatsmännern bekannt war, so ist das nur ein Narrenstreich mehr, denn er rennt damit weit offen stehende Türen ein.

Russlands Interesse stand gegen Oesterreichs Interesse; nur dass Oesterreichs Interesse ein Defensivinteresse, eine Lebensfrage an seiner Grenze, eine Reaktion auf furchtbarste Herausforderung war, während Russlands Interesse ein Konquistadoreninteresse auf dem Balkan, der Schutz eines viele hundert Kilometer von seiner Grenze entfernten Aussenpostens war. Darüber ist bereits genug gesagt worden. Und so handelt es sich dennoch um eine Rechtsfrage, freilich nicht um eine juristisch-formelle, sondern um eine sittliche, um die Frage, ob Russland das Recht hatte, um dieses im Verhältnis zu seinem riesigen Reich winzigen Interesses, den Weltkrieg hervorzurufen. So wirft der Autor überall mit neuen Worten um sich, wo ihm die Gründe fehlen, oder wo ihm einer die Hohlheit seines Geschreibes vorhält, und hat auch diese neuen Worte keinen Augenblick überdacht.

Im übrigen findet man dieselben juristischen Spielereien, denselben eiteln Grössenwahn, wenn er etwa an die von ihm gefälschten «Schuldsprüche» erinnert, die er «leider nicht zurücknehmen könne». Er wiederholt all den Unsinn und die Fälschungen des ersten Buches über die Konferenz, über den Grey'schen Vorschlag, über die direkten Verhandlungen, über die Mobilisierungen und fügt gelegentlich, so insbesondere in seiner «Widerlegung» des deutschen Reichstagsabgeordneten Dr. David, neue Fälschungen hinzu.

Nichts ist ihm zu sinnlos, nichts widerspricht den offenkundigsten Tatsachen so sehr, dass er es nicht verwegen und unbedenklich hinschreiben würde. Auf Seite 233 des neuen «Werkes» sagt er gelassen: «Der serbischen Regierung fehlte bis zum 25. Juli jeder sichere Nachweis von der Teilnahme serbischer Beamten und Offiziere an der Propaganda gegen Oesterreich-Ungarn.» Nein, sie ahnte nichts davon. Sie dachte, Offiziere und Beamte beteiligen sich in Serbien nicht an der Politik. König Peter und seine Minister wussten nicht einmal, dass sie einer Offiziersverschwörung gegen die frühere Dynastie Thron und Regierung verdankten. So kann man politische Thesen ohne Ende hecken und in die Welt rinnen lassen wie Fischlaich. Die österreichische Regierung ahnte nichts vom Nationalitätenstreit; die irische in Dublin dachte nicht, dass es eine Homerule-Bewegung gebe; die französische hatte das Wort Revanche noch nie gehört; die russische wusste nichts von einer panslavistischen Bewegung. All diese Sätze sind genau so wahr und so wahrscheinlich wie jener erste.

Es ist zwecklos darauf einzugehen. Auf diese Weise lassen sich Bücher ohne Mühe und ohne Ende schreiben. Und so wird der Autor zweifellos fortschwatzen. Und er wird eine Zeitlang auch Erfolg haben. Er selbst beruft sich auf die geschichtskundigen norwegischen Bauern, die alle sein Buch in ihrer Stube liegen haben. Ja, vor Richtern von solchem Wissen kann er bestehen.

Er beruft sich auch auf Frederik van Eeden, der die Einleitung zur holländischen Ausgabe seines Buches geschrieben hat. Das ist freilich traurig. Aber schliesslich muss ein feiner Dichter weder Geschichtskenner sein, noch politisches Verständnis haben, wenn es auch bedauerlich ist, dass er diesem völlig hohlen Geschreibe aufsitzen konnte.

Der Autor wird fortfahren und weiter dicke Bücher veröffentlichen, so lange der Papiervorrat reicht. Und er hat nach dem Goethe'schen Wort auch «sogleich den Lohn davon und schwimmt in seinem Pfuhl obenauf». Die Unwissenden und jene, die an der Täuschung ein Interesse haben, werden ihm zujubeln, bis sein Tag zu Ende ist ...

«... Es geht, wenn du dich frech erkühnst!
Doch treten, wenn's die Menschen spüren,
Sie dich in Quark, wie du's verdienst.»

 

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Druckfehler-Berichtigung

 

S. 23 Zeile 6 oben statt «an» lies: «nichts an»

S. 45 Zeile 1 unten lies: «auf anderem Wege lägen.»

S. 95 Zeile 4 oben lies: «so war, zum mindesten nach»

S. 161 Zeile 10 unten statt «bewiesenen Telegramm» lies: «bewiesenen – Telegramm»

S. 224 Zeile 5 unten statt «Franksreichs» lies: «Frankreichs»

S. 253 Zeile 12 unten statt «4. August» lies: «1. August»


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