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Eine schlimme Nacht

Wrede kam in mein Zimmer und fragte böse: »Warum sind Sie noch nicht unterwegs? Es ist nach acht.«

Ich nahm ein neues Butterbrot. »So früh gehen die Leute noch nicht klauen. Im Dorf brennt noch zu viel Licht.«

»Wenn der Rittmeister sieht, daß Sie noch nicht weg sind«, sagte Wrede, »macht er einen Heidenstunk.«

»Das Mädchen hat mir ja eben erst das Essen gebracht.«

»Ich will, daß Sie pünktlich losgehen!« schrie er. »Sie haben um acht loszugehen. Jetzt ist es halb neun. Wenn Sie nicht tun, was ich Ihnen sage, sorge ich, daß Sie rausgeschmissen werden.«

»Sorgen Sie man, daß Sie nicht rausgeschmissen werden«, sagte ich böse.

Wrede ging und warf die Tür. Ich aß mein Brot weiter. Als ich mit Essen fertig war, holte ich die Pistole aus dem Schrank und putzte und fettete sie. Das war grade erledigt, da kam Wrede wieder. »Ich geh schon!« sagte ich eilig und zog meinen Wachtpelz an.

Aber er war jetzt freundlich. »Was haben Sie denn da?« fragte er. »Donnerwetter, eine Kavalleriepistole! Wo haben Sie denn die her?«

»Vom Herrschaftskutscher«, sagte ich. »Er hat sie aus dem Feld mitgebracht. Hundertfünfzig Schuß Munition sind auch dabei.«

»Was haben Sie dafür gegeben?«

»Zwanzigtausend.«

»Zwanzigtausend Mark!« schrie er. »Das sind noch keine vierzig Pfund Roggen, kein Dollar. Den haben Sie schön reingelegt.« Ich lachte. »Wissen Sie, Mensch«, bat er plötzlich, »verkaufen Sie mir das Dings. Sie haben doch Ihre nette kleine Ortgies, was brauchen Sie das olle schwere Dings. Ich gebe Ihnen vierzigtausend.«

»Ausgeschlossen«, sagte ich. »Ich verkauf die noch nicht für vierhunderttausend.«

Wrede überlegte einen Augenblick. »Ich gebe Ihnen fünfhunderttausend«, sagte er feierlich.

Ich hielt den Atem an. »Gleich?« fragte ich dann.

»Gleich!« sagte er.

Fünfhunderttausend Mark, dafür bekam ich, wenn ich morgen früh sofort in die Stadt fuhr, einen Anzug und Schuhe. Und ich brauchte sie nötig. Ich war ganz abgebrannt. »Ist gemacht«, sagte ich.

»Gut«, sagte er. »Ich hole das Geld.«

Ich hörte, wie er ins Büro ging. Er konnte noch so leise schließen, die Geldschranktür ächzte doch. Bequem, dachte ich. Na, mir soll es gleich sein, woher er das Geld nimmt, ich habe sie rechtmäßig verkauft. – Ich holte die Munition aus dem Schrank, legte sie auf den Tisch, füllte das Magazin, schob es ein und sicherte die Pistole.

Wrede kam und gab mir das Geld. »Da«, sagte er, »zählen Sie nach.« Er war schon wieder schlechter Laune. »Zählen Sie genau nach, daß Sie mir morgen früh nicht vorjammern, es hat nicht gestimmt.« Er hantierte auf der andern Seite vom Tisch mit der Pistole.

»Es stimmt schon«, sagte ich. »Wer es so bequem hat, da stimmt es immer.«

Er sah hoch. »Wie meinen Sie das? Sagen Sie mir sofort, wie Sie das meinen!«

»Gar nicht meine ich das!« lachte ich. »Weil Sie immer passendes Wechselgeld haben, meine ich das. Wie soll ich nun die Fünfzigtausender kleinkriegen? Die wechselt mir doch keiner.«

»Sie Schwein«, sagte er. Plötzlich merkte ich, er hatte getrunken. Eine ganze Welle von Schnapsgestank kam über den Tisch. »Wrede!« rief ich. »Die Pistole ist geladen, nehmen Sie sich in acht. Wie der Hebel jetzt liegt, ist sie ungesichert.«

»Gesichert ist sie!« rief er wütend. »Wenn ›S‹ zu lesen ist, ist sie gesichert.«

»Quatsch«, sagte ich. »Wenn der Hebel das ›S‹ verdeckt, dann ist sie gesichert. Jetzt ist sie ungesichert.«

»Quatsch?« schrie er. »Was haben Sie Quatsch zu sagen zu mir? Ich will Ihnen was mit Quatsch. Jetzt ist sie gesichert. Das will ich Ihnen zeigen.« Er hob die Pistole und legte sie auf mich an.

»Machen Sie keinen Unsinn«, schrie ich. »Sie ist ungesichert!« Ich warf mich zur Seite. Der Schuß krachte im Zimmer wie der Donner, er war über meinen Kopf fortgegangen. Ich rannte zum Fenster. Gardine und Scheiben waren glatt durchschossen, gegenüber mußte es in die Scheunenwand gegangen sein.

Ich stand einen Augenblick am Fenster und atmete. Die Leute schimpften auf dem Hof, aber keiner kam. Sie waren es gewöhnt von uns. Wir hatten schon ein paarmal, wenn wir angetrunken waren, von unserm Zimmer zum Büro Scheibenschießen gemacht. Daß Wrede noch mal schießen würde, darum hatte ich keine Angst.

Als ich wieder ganz ruhig war, drehte ich mich um. Wrede stand am Tisch, die Pistole hatte er noch in der Hand, er war weiß wie ein Tuch. Ich nahm meine Ortgies, steckte sie in die Pelztasche und ging ohne ein Wort hinaus. Mochte er dort stehen bleiben, mir war es egal.

Draußen war es kalt, windig und dunkel, es lag noch kein Schnee. Ich ging quer über den Hof, im Kuhstall war es schon finster, in den Pferdeställen brannte noch Licht. Vor dem Schlößchen hielt das Auto vom Chef, der Chauffeur Siebert rannte auf und ab, um sich die Beine zu vertreten. »Wo soll's denn noch hingehen?« fragte ich.

»Die wollen ja ins Theater. Und die Gnädige ist wieder nicht fertig. Warum haben Sie denn geschossen?«

»Ich nicht. Wrede. Nur so.«

»Ihr ballert euch was zurecht. Daß ihr noch immer lebt.«

»Gute Ware hält sich.«

»Und Unkraut vergeht nicht.«

Der Rittmeister kam mit der Gnädigen aus dem Portal. Sie war in ihrem Pelz, über den Haaren nur ein Seidentuch. In den großen plumpen Überschuhen lief sie hastig über die Stufen hinab, der Rittmeister hielt sie, daß sie nicht fiel. Ihr Hals sah sehr weiß aus.

Der Chef und Siebert verstauten sie unter Decken. Der Chef sagte dabei, er solle fahren wie der Teufel, damit sie wenigstens zur Pause zurechtkämen. Ich wäre für die Welt gerne mitgefahren, statt die lange kalte Nacht Wache zu schieben. Die ganze Auffahrt roch nach dem Parfüm der Gnädigen.

Dann rief der Rittmeister mir zu: »Passen Sie besser auf. Letzte Nacht sind wieder zwei Kartoffelmieten offen gewesen. Los, Siebert!« Und das Auto surrte ab.

Ich ging langsam weiter in der entgegengesetzten Richtung, auf die Felder, gegen den Wald. Es war ganz dunkel, der Wind pfiff nur so über die leeren Schläge. Ich hielt mich immer auf der Mitte vom Weg und suchte die Schatten von den Alleebäumen auszumachen. Alle zwanzig Schritt knipste ich die Blendlaterne an und leuchtete ein Stück Weg ab, so gut es ging.

Jetzt war es neun. Bis morgen früh sechs mußte ich hier rumlaufen, in der Nacht, nach Felddieben, mir war trostlos zumute. Wrede würde mich heute sicher nicht ablösen, ich hatte ihn zu sehr geärgert. Zwei Mieten offen gewesen, das war ein Vorwurf vom Rittmeister. Er sollte hier mal Wache schieben. Da konnte man gar nichts machen.

»Hallo! Hallo!« Es war der alte Förster Maison, den ich angeleuchtet hatte. Er kam langsam gezockelt, als er mit mir auf gleicher Höhe war, blieb er stehen. Er war zwei Schritt von mir, trotzdem war er nicht mehr als ein dunkler Fleck. »Sie sind das, Maison?« fragte ich.

»Ja. Gehen Sie jetzt los? Verdammtes Wetter.«

»Es wird wieder kälter.«

»Ja. Der Roggen wintert schon aus. Es müßte Schnee kommen. Passen Sie auf«, sagte er. »Im Jagen 73 habe ich einen Haufen Kartoffeln gefunden, mit Tannenzweigen zugedeckt. Den haben sich die Diebe da sicher versteckt. Sehen Sie ein bißchen dahin.«

»Verdammt will ich sein, wenn ich in solcher Nacht allein in den Wald gehe«, rief ich. »Mache ich die Laterne an, bin ich das beste Schußziel für die Brüder, und geh ich im Dunkeln, seh ich nichts und kriege plötzlich einen über den Ballon.«

»Kommt Wrede nicht?«

»Ich weiß nicht.«

»Hören Sie«, knarrte Maison geheimnisvoll mit seiner alten Stimme aus dem Dunkel. »Der Wrede redet schlecht von Ihnen im Dorf. Haben Sie sich gezankt?«

»Nichts Besonderes. Wieso redet er schlecht von mir?«

»Na ja, wegen seinem Geld. Er sagt, seine Kasse stimmt immer nicht.«

»Und –?«

»Na, Mensch, Sie verstehen doch!«

»Ich will Ihnen was sagen«, sagte ich, und mir war plötzlich heiß. »Ihr könnt mir alle den Buckel runterrutschen mit dem Wrede seinem Geschwätz. Wenn seine Kasse nicht stimmt, dann sollten Sie mal den Krüger und sein Weibsbild fragen, wieviel er jeden Abend da läßt. Und dann sehen Sie mal in seinen Schrank, wieviel Anzüge er da hängen hat. Und fragen Sie mal in Stettin, womit er sein Motorrad bezahlt hat.«

»Ich sage nur, was er geredet hat. Ich habe nicht gesagt, daß ich das glaube.«

»Aber Sie schwatzen es weiter. – Guten Abend, Herr Förster Maison, am besten gehen Sie jetzt gleich aufs Rentamt und erzählen dem Wrede, was ich gesagt habe. Und dann können Sie ihm auch sagen, wenn er noch mal schießt, schieße ich wieder. Sie verstehen nicht? Er wird schon verstehen, 'n Abend!«

Ich lief los. Er brabbelte noch was. Mochte er brabbeln, ich hatte es dicke. Der Wrede war ein großer Mann, er ließ sie alle mitsaufen, und das taten sie, als glaubten sie, er könne das alles mit seinem bißchen Inflationsgehalt ehrlich und anständig beschicken. Und krochen vor ihm, weil er vor dem Rittmeister kroch und dessen Ohr hatte. Ich schob die Nacht Wache, und wenn der Monat um war, dann war mein Gehalt nicht so viel, daß ich mir die Schuhe besohlen lassen konnte. Aber jetzt hatte ich Geld, und wenn der Wrede mir heute Nacht dumm kam, dann haute ich ab, dann war ich morgen früh nicht mehr hier, mochten die sehen, wie sie die Stettiner von ihren Kartoffelmieten fernhielten.

Das konnte ich übrigens auch nicht. Zwei Kartoffelmieten offen gewesen, das wollte ich wohl glauben. Da lagen sie im Dunkeln wie endlos lange, noch viel dunklere Tiere, ein Regiment von langen Erdwällen, jeder zweihundertzwanzig Meter lang, anderthalb Meter hoch, an die dreißig Stück, achtundzwanzigtausend Zentner Kartoffeln, die dort gegen den Frost mit Stroh und Erde eingepackt waren. Nun, es kamen genug Leute nachts die fünfzehn Kilometer Weg her von Stettin mit ihren Handwagen und Säcken, um sich in diesen teuren Zeiten Kartoffeln billig zu besorgen. Wie sollte man sie kriegen? Das Stück Feld, auf dem die Mieten lagen, stieß auf zwei Seiten an den Wald. Aus dem kamen sie. Und dann wühlten sie an den Mietenenden wie die Maulwürfe. Kam man die lange Seite herunter, so huschten sie hinter den nächsten Wall, sie spielten im Dunkeln Schabernack mit einem. Meistens bekam man gar nichts von ihnen zu sehen oder nur ein paar Schatten, die liefen.

Aber am nächsten Morgen, wenn der Rittmeister kam, der sah es. Dann war hier eine Miete offen und dort. Und das Schlimme waren nicht die drei oder vier Zentner, die sie gestohlen hatten, nein, das Schlimme war, daß in die offenen Mieten Frost eingedrungen war. Die erfrorenen Kartoffeln, die faulten, und die Fäulnis steckte die andern an und fraß weiter in der großen Miete, und am Ende blieb fürs Frühjahr nichts als ein Berg Fäulnis auf dem Komposthaufen.

Konnte ich es ändern? Nein, ich konnte es nicht ändern. Ich lief auf und ab, ich ließ es mir sauer werden, und am Ende wurde ich doch angebrüllt.

Ich war traurig diese Nacht, wie ich da Wache schob, ich war wütend über den Wrede, den Förster, den Rittmeister. Aber ich war doch nicht ganz verzweifelt traurig wie sonst, in meiner Wut war etwas Wurstigkeit. Ich hatte fünfhunderttausend Mark in der Tasche, das war ein bißchen Freiheit. Während ich lief und die Blendlaterne ab und zu aufleuchten ließ, dachte ich mir aus, was ich mit dem Geld alles anfangen könnte. Und als ich es verbraucht hatte, bekam ich neues. Ich fand es in einem Eisenbahnabteil und kaufte mir noch mehr. Und schließlich richtete ich mir eine ganze kleine Wohnung ein.

Als das besorgt war, war es nach zwölf. Ich stellte mich unter die Bäume in den Windschutz, packte mein Brotpaket aus und fing an zu essen. Jetzt quälte mich wieder die Geschichte mit Wrede. Es konnte ja sein, daß er absichtlich auf mich geschossen hatte, aber wahrscheinlich war er nur betrunken gewesen und hatte mit der Sicherung nicht Bescheid gewußt. Also hätte ich dem Förster nichts sagen sollen. Ich überlegte mir, wie ich mich morgen rausreden könnte, wenn der Wrede mich zur Rede stellte, denn der Förster tratschte sicher, aber ...

Meine Gedanken waren fort. Ich hatte ein Geräusch gehört. Ich stand ganz still, und nun hörte ich es deutlich, immer wiederholt und dumpf: Jemand ging mit einer Hacke auf die gefrorene Miete los. Es war ein Stück ab, die sechste oder siebente Miete von hier, auf dem Kopfende nach dem freien Feld zu, ein verrücktes Ende, damit anzufangen, denn wenn der die Waldseite nahm, konnte er immer unter den Bäumen untertauchen, wenn ich kam.

Ich trank einen tüchtigen Schluck von dem Viertelliter Korn, den ich jede Nacht bekam, nahm die entsicherte Pistole in die eine, die Blendlaterne in die andere Hand und ging los. Das Hacken war ganz deutlich zu hören. Ich kam gut vorwärts, machte auch kein übertriebenes Geräusch, man kann natürlich nicht über den scholligen hartgefrorenen Boden wie über Parkett laufen. Das Klopfen war immer näher. Nun war ich ziemlich dran, nur noch um einen Mietenkopf, und der Kerl war drei Meter von mir ab. Ich wollte ihn gleich mit der Laterne blenden.

Ich horche auf das nächste Hacken. Aber es bleibt still. Ich denke, die Zeit kommt dir nur so lange vor, gleich hackt er wieder. Aber er hackte nicht. Hat er mich gehört?

Endlich entschließe ich mich. Ich mache die drei Schritte um die Miete herum und knipse an. Nichts! Bin ich betrunken? Nichts ist zu sehen. Hier hat er eben fünf Minuten mindestens gehackt, und die Miete ist heil. Was ist los? An der Miete ist nichts zu sehen. Hier hat er gehackt. Was?

Es klopft wieder. Am andern Ende der Miete, zweihundertzwanzig Meter weiter, auf dem Kopfende am Wald. Ich bin doch nicht betrunken. Hier ist doch was nicht in Ordnung. Ach was, ich gehe nach Haus. Hier stinkt doch etwas. Es sind schließlich meine Knochen, die ich riskiere, nein, danke, ich nicht.

Und doch gehe ich ganz langsam die Miete entlang gegen den Wald. Es klopft, es klopft immer stärker, immer lauter, alle zwanzig Schritt bleibe ich stehen und lausche. Dann merke ich, daß auch mein Herz klopft. Ich kann immer noch umkehren, es sind noch fünfzig Meter. Es klopft. Diese verdammte Dunkelheit. O Gott, eigentlich habe ich Angst. Es klopft noch. Zehn Meter.

Es ist still. Ich lausche. Es ist still. Dann gehe ich langsam die letzten Schritte, richtig, hier hat einer zehn Minuten in der Miete herumgehackt, und es ist nichts zu sehen. Die Miete ist heil.

Es war mehr eine Ahnung als ein gehörtes Geräusch; ich lasse die Blendlaterne fallen und mache einen Riesensatz zur Seite. Der Schuß donnert, das Echo wirft der Wald zurück. Ich laufe. Den Knall kennst du doch. Ich renne um mein Leben. Schon wieder knallt es. Es ist Irrsinn, die lange Miete entlangzulaufen, das ist zu leichtes Ziel. Ich werfe mich gegen eine Wand.

Da kommt er gelaufen, ich kann seinen Schatten ganz gut sehen, er funkt wieder, das Mündungsfeuer beleuchtet sein Gesicht, er schießt noch einmal. Er läuft an mir vorbei, denkt mich vor sich.

Ich drücke mich tief in die Mietenwand hinein, er bemerkt mich nicht, nun schießt er noch einmal, schon dreißig Meter von mir ab. Dann wird alles still.

Ich bewege mich nicht, es ist wie eine Erstarrung über mir, plötzlich ist die Angst da, die ich den ganzen Abend nicht gespürt. Wieder sehe ich das Mündungsfeuer aufleuchten, sehe sein blasses, verzerrtes Gesicht, vom Suff verzerrt, von der Wut auf mich verzerrt. Und doch ist nicht er es, vor dem ich mich ängstige, es ist dies Leben, dieses trostlose schmutzige Durcheinander, das mir plötzlich angst macht. Diese nächtlichen Wachtgänge nach kleinen armen Dieben, diese tollen Saufereien, dies sinnlose Schießen, diese Vorgesetzten, die immer schimpfen, diese Jagd nach ein paar Geldscheinen, die, kaum in der Hand, wertlos geworden sind – nein, nichts mehr von der Art.

Die Schritte kommen zurück. Nun entscheidet alles der erste Augenblick. Ich löse mich ganz rasch aus dem Schatten, ich sage: »Guten Morgen, Herr Wrede!« und trete dicht an ihn heran. Er macht eine Bewegung, aber ich sage schnell: »Sie haben geschossen? Es waren Diebe da? Haben Sie getroffen?«

Er sagt nichts. Ich nehme noch einen Anlauf: »Ich will weg, Wrede. Sie müssen mir helfen. Ich will noch heute nacht weg. Ich habe das alles so über. Wollen Sie mir nicht helfen?«

Er sagt: »Gehen wir nach Haus.« Er räuspert sich. Wir setzen uns in Marsch.

Ich sage: »Helfen Sie mir?«

Er schweigt eine Weile, dann fragt er: »Was würden Sie beispielsweise anfangen?«

»Ich fahre zu einem Freund. Da kann ich bleiben, bis ich eine neue Stellung habe.«

»Und was würden Sie dem Rittmeister schreiben?«

»Was soll ich ihm schreiben? Ich bin weggelaufen aus dem Dienst, da ist doch nichts mehr zu schreiben.«

»Gut«, sagt er. »Ich werde Ihnen ein Zeugnis über Ihre Zeit hier geben.«

»Danke, Wrede«, sage ich.

»Sie werden also nicht schreiben?« fängt er nach einer Weile wieder an. »Niemandem ein Wort schreiben?«

»Warum?« sage ich. »Wenn Sie mir ein Zeugnis geben.«

»Ihr Ehrenwort?«

»Mein Ehrenwort«, sage ich. Seine Hand sucht die meine, wir schütteln sie uns.

Dann sind wir auf dem Hof. »Packen Sie schnell Ihre Sachen«, sagt er. »Ich spanne die Senta vor das Gig. Ich fahre Sie selbst runter.«

»Danke, Wrede!« sage ich wieder.

Schließlich steht er am Zuge, ich sehe noch aus dem Fenster. Er sagt: »Lassen Sie es sich gut gehen. Sie werden schon wieder eine Stellung bekommen.« Er sieht nach dem Mann mit der roten Mütze. »Geld gebe ich Ihnen nicht mehr. Sie haben genug. Sonst machen Sie noch Dummheiten.« Er ist ganz ernst.

Plötzlich frage ich: »Sagen Sie mal, Wrede, wie haben Sie denn das gemacht mit den Mieten, daß Sie da gehackt haben und sie blieben doch heil?«

Er zuckt mit keiner Wimper. »Mit einem Brett habe ich draufgeschlagen«, sagt er. »Einfach geklopft, nicht wahr?«

»Ich Idiot!« sage ich.

»Ja«, sagt er.

Der Zug fährt an. Er steht noch am Bahnhof und sieht mir nach. Einmal winkt er kurz mit der Hand. Dann sehe ich ihn nicht mehr. – Ich habe ihn nie wiedergesehen und wüßte doch gern, was aus ihm geworden ist. Er war ein kurzer, untersetzter Mann, sah ganz aus wie ein töffliger Bauer.


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