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Ich bekomme Arbeit

1

Als es gegen den Herbst ging, füllte sich die große Stadt mit Arbeitslosen, die Preise wurden höher und unsere Aussichten, ein paar Mark zu verdienen, geringer. Da beschlossen Willi und ich, in eine kleinere Stadt zu gehen: Wir wählten Altholm. Dort war eine Holzwarenfabrik, in der Willi einmal im Akkord Kisten genagelt hatte. Er hatte damals gut verdient, er erinnerte sich dessen gern, er hoffte, es würde wieder klappen mit solcher Arbeit. Bei mir war der Fall schwieriger, ich war zu körperlicher Arbeit untüchtig, aber auch für mich würde sich schon etwas finden.

Wir schickten unsere Sachen in einem Korb mit Fracht voraus und walzten die hundertfünfzig Kilometer. Es war ein schöner, windiger, sonniger Herbst, es tat uns gut, ein paar Tage draußen zu sein und nicht nach Arbeit zu krampfen. Das Essen kostete uns fast nichts: Äpfel gab es genug an den Bäumen, und Brot schnorrte Willi bei den Landbäckern. Wir paßten stets ab, daß eine Frau im Laden war, dann ging Willi hinein und stellte sich hin. Er hatte eine spaßige Art, mit seinem kugeligen Seehundskopf die Frauen anzusehen, sie lachten und gaben ihm, soviel er wollte. Um Geld baten wir nie, wir waren noch gut im Zeug, hatten unsere schönen blauen Anzüge an, dazu ich einen Gummimantel und Willi seine Windjacke.

Mit Äpfeln und Brot kann man gut bestehen, wir hatten übrigens schon seit einem halben Jahr nicht mehr warm gegessen und fanden uns wohl dabei. Nachts schliefen wir für zehn Pfennig bei den Bauern im Stroh. Ehe wir schlafen gehen durften, suchten sie immer unsere Taschen nach Streichhölzern und Rauchbarem ab. Sie gaben uns das dann am andern Morgen wieder, einer schenkte uns sogar einmal ein paar Zigarren dazu.

So kamen wir in sechs oder sieben Tagen nach Altholm und fanden in der Starenstraße bei einem Lederarbeiter ein Zimmer für sechs Mark die Woche. Es hatte nur Tisch, Stuhl und ein Bett, in dem wir zusammen schliefen, aber die Nächte waren jetzt schon kühl, und so war das nur angenehm. Willi hatte wirklich Schwein, er bekam schon den dritten Tag Arbeit in seiner Holzwarenfabrik. Diesmal nagelte er Fallennester für Hühner, auch Akkord, und brachte die Woche fünfundzwanzig, manchmal auch dreißig Mark nach Hause. Es war eine kleine Fabrik, die nur mit ungelernten Leuten ohne Tarif arbeitete. Wir wußten, es war unrecht, da mitzumachen, aber wir hatten zu lange Kohldampf geschoben, um wählerisch zu sein.

 

2

Stellen für mich waren nie in der Zeitung ausgeschrieben, aber ich lief viel in der Stadt umher und sah, wo ich zufassen konnte. War in einem Geschäft einmal rechter Andrang, ging ich hinein und fragte, ob ich helfen dürfte. Manchmal bekam ich eine Stunde Pakete zu packen und brachte einen Fünfziger nach Haus. Zuerst lungerte ich auch viel auf dem Bahnhof herum, weil den Menschen, wenn sie reisen, das Geld lockerer sitzt, und richtig durfte ich auch mal einen Koffer tragen. Aber ein Dienstmann hatte mich gesehen und lief hinter mir und dem Reisenden her und schimpfte mich Schwarzarbeiter. Er nannte mich mit allen möglichen Namen, Streikbrecher, Stempelbruder, Wohlfahrtskrebs, und von da an, wenn er mich nur von weitem sah, fing er schon an, mich zu beschimpfen. Ich paßte sehr auf, daß ich ihn möglichst wenig traf, und ging auch nicht wieder auf den Bahnhof.

Vor allem hatte ich Willi zu besorgen. Morgens stand ich zeitig auf, machte ihm Kaffee, schmierte seine Stullen und weckte ihn dann. War er fort in die Fabrik, räumte ich das Zimmer auf, wusch auch die Wäsche, dann ging ich los auf Arbeit. Um drei mußte ich wieder im Haus sein und sein Essen kochen. Jetzt, wo er wieder Arbeit hatte, wollte er warm essen, mit viel Fleisch. Ich selbst blieb bei meiner alten Diät: Brot mit Margarine und mittags ein Bückling, aber es wurde mir manchmal verflucht schwer, sein Fleisch zu braten, und dann naschte ich. Er merkte es fast immer, er wußte genau, wieviel ein halbes Pfund Fleisch war. Dann stritten wir uns.

Wir stritten uns überhaupt viel mehr als damals, wo wir beide keine Arbeit hatten. Das kam natürlich daher, daß er jetzt das Gefühl hatte, mein Ernährer zu sein, immerfort mußte er an mir rummäkeln und kritteln. Ein paarmal kam er auch am Freitag, dem Lohntag, angetrunken nach Haus, dann war das Bett natürlich für uns zu klein, und er schmiß mich raus. Ich war auch verärgert und gereizt durch meine ständige Erfolglosigkeit, darum hielt ich den Mund nicht, so ging unser Streit oft stundenlang.

Am meisten ärgerte er sich immer darüber, daß ich Kragen trug, steife, gestärkte Stehkragen. Darin war er wie ein Kind, er sah nicht ein, daß ich nie eine Bürostellung kriegen würde, wenn ich ohne Kragen herumlief. Seiner Ansicht nach trug man nur sonntags Kragen, alltags mit einem Kragen zu laufen war Fatzkerei. Ich konnte ja meine Kragen nicht selbst stärken und bügeln, aber dafür wollte er mir nun nie Geld geben. Ich stahl es ihm dann aus der Tasche, wenn er angetrunken war, aber er merkte es ja doch, wenn ich wieder einen frischen umband, und dann ging es erst recht los.

Einmal hatte ich gar keinen mehr, und ich band seinen Sonntagskragen um. Ich dachte, den Tag bestimmt eine Stellung zu kriegen. Aus der Stellung wurde zwar nichts, aber ich kam mit dem Kragen in den Regen, und ausgerechnet den Abend wollte er mit einem Mädchen ausgehen und fand seinen Kragen aufgeweicht. Er kriegte einen Wutanfall, wir brüllten uns an, und er schmiß mich aus dem Zimmer. Er hätte es mit mir satt, und ich könnte wohnen, wo ich wollte. Schließlich nahm mich der Lederarbeiter in sein Zimmer, ich schlief auf dem Sofa, seine Frau und er schliefen im Bett.

Am andern Morgen kochte ich wie immer für Willi Kaffee, und er sagte auch keinen Ton, wir schwiegen uns an. Als er aus der Tür ging, blieb er noch einmal stehen und sagte, ich sollte es doch einmal bei den Pfarrern versuchen, in seiner Fabrik sei auch einer durch die Pfaffen untergekommen. Dann ging er. Es war das seine Art, sich versöhnlich zu zeigen, schließlich konnte ich ihm nicht böse sein. Es ist nicht leicht, wenn einer endlich mal ein bißchen Geld verdient, jemanden durchzufüttern, der einen eigentlich nichts angeht.

 

3

Die Adressen von den Pfarrern besorgte ich mir auf der Zeitung. Es gab zwei Zeitungen am Ort, eine große und eine kleine. Bei der großen war ich nur einmal gewesen, da waren sie mächtig hochnäsig und bellten einen an, wenn man um eine Auskunft bat. Bei der kleinen aber waren sie sehr nett, hatten immer Zeit zu einem Klön und rieten einem, was sie konnten. Es gab fünf Pastoren im Ort, ich brachte einen ganzen Tag damit hin, sie aufzusuchen und mein Anliegen vorzutragen. Sie hörten mich alle sehr freundlich an, fragten mich dies und das, aber im Grunde machten sie mir den Eindruck von Leuten, die ganz anderes Elend gewöhnt waren, als ich ihnen berichten konnte. Sie suchten mich denn auch möglichst schnell loszuwerden, Arbeit wußte keiner für mich.

Willi war sehr nett, als ich ihm meinen Mißerfolg erzählte, er nahm mich zum Trost sogar ins Kino mit; um mich dankbar zu zeigen, ging ich ohne Kragen. Abends im Einschlafen sagte er noch, ich sollte doch morgen zum katholischen Pfarrer gehen, die Katholischen hätten die Macht. Ich wollte nicht dagegenreden, ich wollte es auch tun, und so besorgte ich mir die Adresse. Der Geschäftsführer auf der Zeitung war wieder sehr nett, ich mußte ihm von den Pastoren erzählen und ihm versprechen, daß ich am nächsten Tage Bericht über den katholischen Pfarrer machen würde.

Da empfing mich eine Nonne oder was das war, man sah fast nichts von ihrem weißen Gesicht unter der großen Haube, und schließlich kam auch der Pfarrer. Er war ein großer starker Mann mit ganz weißen Haaren, sehr langsam und leise im Sprechen, sicher ein Bauernsohn von der Wasserkante, da sind sie so leise und stark. Er hörte mich lange an, fragte auch dazwischen, man merkte, er verstand, wie unsereinem zumute ist, der schon über vier Jahre nach Arbeit krampft. Schließlich sagte er ganz kurz: »Ich gebe Ihnen ein Schreiben an den Prokuristen von der Lederfabrik. Ich sage nicht, daß das Schreiben Ihnen was nützt. Aber ich gebe es Ihnen.« Er setzte sich hin und schrieb, einmal sah er hoch und fragte: »Von meiner Konfession sind Sie nicht?« Ich hatte mit Willi besprochen, daß ich ihn auf diese Frage belügen sollte, aber ich sagte doch die Wahrheit, als er mich ansah. Er sagte bloß »gut« und schrieb weiter.

Ich gab den Brief in der Wohnung des Prokuristen ab und wurde auf den nächsten Tag bestellt. Als ich dann kam, gab mir das Dienstmädchen dreißig Pfennig und sagte, ich brauchte nicht noch einmal zu kommen. Ich stand ziemlich traurig auf dem Treppenabsatz. Als ich sie dann wieder in der Küche hantieren hörte, steckte ich die dreißig Pfennig durch den Briefkastenschlitz und lief schnell die Treppe hinunter, als die Groschen im Kasten klapperten.

 

4

Ich ging zu meinem Freund auf der Zeitung und erzählte ihm alles. Er meinte, er hätte nichts anderes erwartet, und ich sollte in seine Wohnung gehen und seiner Frau helfen, die Möbel zu rücken. Sie hatte großes Reinemachen, ich half ihr tüchtig, klopfte die Teppiche, scheuerte und bohnerte – und am Abend kam der Geschäftsführer, und ich durfte mit ihnen essen. Er sagte, er hätte mit dem Besitzer der Zeitung gesprochen, und wenn ich für sie Abonnenten werben wollte, so wäre er einverstanden. Ich fragte gar nicht nach den Bedingungen, ich sagte gleich ja, so sehr freute ich mich. Ich hörte dann, daß ich einen Quittungsblock kriegen würde mit Abonnementsquittungen auf einen Monat. Den ersten Monat sollte ich gleich kassieren, und das Geld durfte ich als meine Provision behalten. Das war eine Mark fünfzig jedesmal. Ich sollte vor allen Dingen erst einmal zu den Handwerksmeistern gehen, denn das Blatt brachte jede Woche einen Artikel von dem Innungssyndikus über Handwerkerfragen. Den Frauen sollte ich sagen, daß die Romane in der »Chronik« anerkannt besser seien als die in den »Nachrichten«. Ich sollte mir den neuen Roman durchlesen. Dann war noch zu beachten, daß den Leuten, die um den Fünfzehnten herum abonnierten, die Zeitung für den Rest des Monats umsonst geliefert würde. Ich fand das alles sehr gut, kam ganz begeistert nach Haus und erzählte Willi davon. Der war erst stinkwütend, daß ich ihm sein Mittagessen nicht gemacht hatte, aber schließlich fand er es auch gut und meinte, ich müsse eine Masse Geld verdienen.

Am nächsten Morgen ging ich zeitig auf die »Chronik«, so hieß meine Zeitung, um mir die Handwerkeradressen herauszusuchen. Es war aber noch zu früh, um loszugehen, vor halb zehn dürfte ich die Leute nicht stören, meinte der Geschäftsführer. So las ich erst noch einen Artikel von dem Syndikus, den ich sehr langweilig fand, und ein Stück Roman, der in den höchsten Sphären spielte. Um halb zehn ging ich los.

Mir klopfte doch das Herz, als ich vor der Tür meines ersten Kunden stand. Ehe ich die Klingel zog, wartete ich, daß es ruhiger ging, aber es ging nur immer stärker. Ich klingelte, und ein junges Mädchen machte mir auf. Ob ich Herrn Malermeister Bierla sprechen könnte? »Bitte schön«, und »Vater, da ist jemand.« Ich kam in ein großes Zimmer, am Tisch saß eine nette ältere Frau und schnitt Kohl. Der Meister stand mit einem andern Herrn im Gespräch am Fenster. »Bitte schön«, und was ich wünsche. Ich verbeugte mich hübsch, auch vor der Frau, auch vor dem Gast. »Guten Morgen«, und ich käme von der Redaktion der »Chronik« mit der Anfrage, ob Herr Malermeister Bierla sich nicht entschließen könnte, unser Blatt vielleicht erst einmal probeweise zu beziehen. Ich hatte mir eine richtige kleine Rede ausgedacht, daß »wir« ja immer grade für die Interessen des Handwerks kämpften, daß das Handwerk in diesen schweren Zeiten zusammenhalten müßte, dann kam der Syndikus, seine wichtigen Aufsätze, und schließlich, mit einem Seitenblick auf die Frau, unsere anerkannt guten Romane.

Plötzlich war meine Rede zu Ende, ich wußte nichts mehr, keiner hatte ein Wort gesagt, es war still. Es war so still, daß ich noch einmal loslegte, aber ich verfing mich gleich, stotterte und schwieg wieder. Dann sagte die Frau vom Tisch her: »Wir können's ja mal versuchen, Vater«, und er: »Was kostet denn die ›Chronik‹?« Nun hatte ich wieder zu reden, es kam die Gratislieferung, der eine Monat Abonnement, ich schrieb das Zettelchen aus und gab es dem Meister, der mich damit aber zu seiner Frau schickte. Er redete schon wieder mit dem Gast. Ich bekam mein Geld, eine Mark fünfzig für fünf Minuten reden! Als ich auf der Straße war, ging ich auf die andere Seite und sah das Haus an. Es war ein gutes Haus, ein brauchbares Haus, ich mochte es gern. Es war schön unter Farbe gehalten, das verstand sich bei einem Malermeister von selbst, im Erdgeschoß war ein Laden mit Räucherwaren von Johannsen. Ich hatte einen Augenblick den Gedanken, auch zu Johannsen hineinzugehen, aber ich entschloß mich, nicht aus der Reihe zu tanzen, sondern bei meinen Handwerkern zu bleiben. Ich warf noch einen Blick auf das Haus und ging weiter.

Der nächste Meister war nicht zu Haus, auch nicht seine Frau. Der nächste war böse auf den Syndikus, der sei ein Klugschnacker, kriege das viele Geld von den Innungen und tue nichts dafür. Dann der nächste war sehr zufrieden, daß ich kam, er hatte schon immer die »Chronik« abonnieren wollen. Die »Nachrichten« hätten ganz falsch über ihn berichtet, als er wegen ein paar Überstunden, die sein Lehrling gemacht hatte, zu einer Geldstrafe verdonnert worden war. So ging es weiter. Manchmal mußte ich lange Strecken durch die Stadt gehen, die Sonne schien noch schön, die letzten Blätter fielen von den Bäumen.

Um halb zwei machte ich Schluß. Ich merkte, ich war nicht mehr frisch, leierte nur noch meinen Spruch, außerdem kam ich den Leuten ins Essen. Ich hatte in vier Stunden sechs neue Abonnenten geworben von einundzwanzig, die ich besucht hatte. Neun Mark hatte ich in der Tasche. »Das ist kein schlechter Anfang«, sagte der Geschäftsführer, dem ich die Adressen der neuen Leser gab, damit sie gleich am nächsten Tag die Zeitung bekämen. Dann besorgte ich etwas Essen, kochte und briet, aber auch für mich diesmal. Als Willi kam, war alles fertig, er freute sich auch. »Da kannst du ja auf sechzig Mark die Woche kommen! Manning! Manning!« Wir machten haushohe Pläne, dann wuschen wir uns und gingen gemeinsam ins Kino.

 

5

Der zweite Tag war nicht so gut wie der erste, und der dritte war viel schlechter als der zweite. Ich begriff, daß ich meinen besten Tag gehabt hatte und daß er nicht wiederkommen würde. Es lag nicht daran, daß die Maler nun alle waren und ich erst an die Schmiede, dann die Bäcker geriet, die ganz andere Leute waren. Es lag daran, daß ich den Schwung verloren hatte und leierte. Man muß zum Werber geboren sein, den fünfzigsten Kunden muß man mit demselben Eifer werben können wie den ersten. Man muß glauben an das, was man sagt, oder man muß zum mindesten die Leute glauben machen, daß man daran glaubt. Wenn mir gesagt wurde: Aber wir lesen seit zehn Jahren die »Nachrichten«, und die »Nachrichten« sind besser als die »Chronik«, warum sollen wir wechseln? – so mußte ich ihnen innerlich recht geben. Mein Widerspruch war kümmerlich. Eigentlich begriff ich nie, warum die Leute sich entschlossen, die »Chronik« zu halten. Die »Nachrichten« waren immer vier, oft acht, oft zwölf Seiten stärker, sie umbrachen vierspaltig, was viel lebendiger aussah als unser dreispaltiger Umbruch. Sie hatten alle Familienanzeigen und dreimal soviel Geschäftsanzeigen wie wir. Sie sahen sauber aus, denn sie waren richtig gesetzt, während wir zum größten Teil gematert aus Berlin kamen. Auf all dies lernte ich achten, der Meister meckerte dies und jener das. Wenn ich dann mit dem Geschäftsführer darüber sprach, wurde er oft ärgerlich: »Wenn wir die ›Nachrichten‹ wären, brauchten wir Sie nicht auf Werbung zu schicken.«

Ich ging nicht mehr an einem Tage zu einundzwanzig Kunden, manchmal wurden es zehn, manchmal nur drei. Hatte ich gleich am Morgen zwei Mißerfolge hintereinander, so traute ich mich nicht weiter. Ich ging dann lange vor einer Schmiede auf und ab, die hämmerten drinnen, das Feuer warf einen roten Schein auf die Fenster, schließlich entschloß ich mich und trat ein. Der Meister schnitt einem Pferd den Strahl aus und probierte das Eisen auf den Huf, zwei Gesellen waren dabei, auf die Felgen eines Rades den Reifen zu treiben. Ich stand unter der Tür und wartete. Ich hatte gelernt, daß man die Leute bei der Arbeit nicht stören durfte, man mußte unter der Tür stehen und warten. Während ich dastand und das stiebende Feuer ansah und dem Fauchen des Blasebalges lauschte, hörte ich, daß sie von mir redeten. »Is nichts«, rief der eine Geselle zum Meister. »Wieder ein Nichtstuer.« – »Geht spazieren, statt zu arbeiten«, verkündete der andere Geselle. Und der Lehrling rief schrill: »Kauft Hosenträger, Knöpfe, Sicherheitsnadeln! Leute kauft!« – Dann wurde es wieder ruhig, die Gesellen hatten mit ihrem Reifen zu tun, der Meister gab dem Hufeisen auf dem Amboß die rechte Paßform. Der Lehrling hielt das Eisen mit der Zange auf dem Amboß. Der Kutscher hatte den Huf des Pferdes hochgehoben, er lag auf seinem Oberschenkel. Die arbeiteten alle, sie hatten ihr Brot. Ich dachte daran, daß auch ich einmal zu bestimmter Stunde auf ein schönes sauberes Büro gekommen war und schöne saubere Arbeit geleistet hatte. Jetzt lief ich rum und war den Leuten lästig. Am ersten Tage der Werbung hatte ich es gekonnt, da kam ich in das Zimmer des Malermeisters wie ein leutseliger Fürst, der Abgesandte der Großmacht Presse, aber das konnte ich nicht mehr. Jetzt war ich ein kleiner Stadtreisender, der den Leuten etwas aufschnacken wollte, was sie nicht wollten.

Die Tür ging auf hinter mir, und jemand kam herein. Ich sah ihn an: Es war noch ein Reisender. Er stellte sein Köfferchen neben sich, rief laut »Guten Morgen« und sah mich forschend an, ob ich Konkurrenz sei. Ich bewegte verneinend den Kopf. Die Gesellen fingen wieder an zu schimpfen: »Laß sie stehen, Meister, bis das Dutzend voll ist, und schick sie dann weg. Es ist zu arg!« Der Meister kam zu uns. »Was wollen Sie?« Nach drei Worten unterbrach er mich: »Abonnieren, weil ihr fürs Handwerk eintretet? Habt ihr gesorgt, daß die Steuern niedriger werden? Euer Syndikus, das ist ja lachhaft, was der schreibt! Der ist ja dicker Freund von dem Rat im Finanzamt. Nein. Ist erledigt. Sie brauchen nichts mehr zu sagen. Danke!« Er wandte sich an den andern: »Und was wollen Sie?«

Ging es zweimal nacheinander so, traute ich mich oft den ganzen Tag zu keinem mehr, sondern ging stundenlang im Stadtpark spazieren. Dann träumte ich davon, daß ich Geld finden würde, viel Geld. Ich ging stets mit gesenktem Blick und suchte die Wege ab, aber ich fand nie etwas außer einem Taschentuch und abgeplatzten Knöpfen. Es gab viele Tage, an denen ich überhaupt kein Geld nach Haus brachte. Willi war längst wieder mürrisch geworden.

Eine ewige Hoffnung von mir war ein Bäckermeister in der Lohstedter Straße. Er sagte nie ganz nein, er sagte: »Kommen Sie noch einmal vor. Ich will es mir überlegen.« Und wenn ich dann wiederkam, mußte er es sich wieder überlegen. Er begrüßte mich immer freundlich mit Handschlag, er sagte: »Na, junger Mann, ist Ihnen noch ein Grund eingefallen, daß ich die ›Chronik‹ abonnieren könnte? Die alten reichen nicht ganz. Beinahe, aber nicht ganz.« Dann quälte ich irgendwas heraus. Es dauerte sehr lange, bis ich merkte, daß ich zu seinen Hofnarren gehörte, die ihm die Zeit vertreiben mußten. Sicher hatte er viele, die so zu seiner Belustigung beitrugen, es liefen unser ja genug in der Stadt herum.

Aber die meisten liebten das gar nicht, daß so viele Reisende zu ihnen kamen, für die meisten waren wir eine Landplage. Manchmal hörte ich schon, wenn ich ins Haus trat, klingeln, ich hörte von unten den andern Reisenden reden, manchmal lebhaft aufmunternd, mal demütig bittend. Dann wartete ich, bis der Kollege wieder runterkam, und wir gingen ein Stück gemeinsam und schimpften. Alle schimpften, das war nun ganz gleich, ob sie als feine Leute mit Staubsaugern gingen oder einen Bauchladen mit Heftpflaster und Wäscheknöpfen trugen. Wir schimpften, wie häßlich wir behandelt würden, und nach einer Weile gaben wir dann zu, daß die Leute »eigentlich« recht hatten, daß viel zuviel herumliefen und namentlich manche, die nur Gelegenheit zum Klauen suchten.

Ich fand es immer besonders bitter, wenn ich für so einen gehalten wurde. Ich hatte geklingelt und stand vor der Tür, und nach einer Weile hörte ich einen Schritt schlurfen, und in dem Guckloch erschien ein Auge. Es sah immer sehr dunkel mit sehr viel Weiß aus, man konnte auch nie herauskriegen, ob es ein Männer- oder ein Frauenauge war. Da stand man dann, eine lange Weile schien es, und wurde betrachtet, und dann fiel mit einem leisen Klick die Klappe vor das Guckloch, und der Schlurfeschritt entfernte sich wieder. Oder die Tür ging auf, aber die Kette blieb davor, und man fing an zu reden durch den Spalt, und plötzlich, mitten im Satz, fiel die Tür wieder zu, und man stand und würgte an dem angefangenen Satz und schlich dann leise die Treppen hinunter.

Manchmal hatte ich das Gefühl, als sammelten sich all diese Demütigungen in meiner Brust und ich würde nie mit ihnen fertig werden und eines Tages würden sie mich erdrücken. Ich verstand es immer besser, daß fast jeder Reisende irgendwann einmal explodierte, mit geballten Fäusten brüllend gegen eine besonders häßlich geschlossene Tür trommelte oder eine kurz angebundene Hausfrau mit Beleidigungen überhäufte. Ich verstand es gut, aber ich meinte, davor sicher zu sein, da mir dies alles immer noch nur wie ein Übergang erschien: Schließlich würde ich doch wieder auf einem hellen sauberen Büro sitzen.

 

6

Dann kam auch mein Tag.

Ich war nun bei den Schneidermeistern angelangt. Unter denen gab es auch eine Meisterin, ein Fräulein Kehding. Der Geschäftsführer auf der »Chronik« hatte mich gewarnt: »Das ist keine Frau, das ist ein Teufel. Die ist das bösartigste Frauenzimmer in ganz Altholm. Gehen Sie lieber nicht hin zu ihr.« Nun, ich ging doch, es war immer eine Abwechslung nach so vielen Männern.

Von der Treppe kam man gleich in die Schneiderstube. Es war hier nicht alles in Ordnung, das eine Nähfräulein weinte herzzerbrechend, die andern saßen gedrückt und wußten nicht, was sie für Gesichter machen sollten. Die Meisterin lief in der Stube hin und her und hörte erst mit Schelten auf, als sie mich sah. »Was wollen Sie denn?« fragte sie mich, aber nicht unfreundlich. Eigentlich enttäuschte sie mich, für einen Teufel sah sie ganz manierlich aus mit der langen graden Nase, den hellen Augen und den frischen Farben. Während ich mein Sprüchlein sagte, stand sie, die Hände auf dem Rücken, und sah mich an. Sie war eine, zu der sich gut sprechen ließ, hörte zu und sagte auch einmal ein Wort: »Ach, unser Syndikus schreibt für Sie?« – »Richtig, das Handwerk muß zusammenhalten.«

Als ich fertig war, hatte ich einen neuen Abonnenten geworben. Alles ging glatt, und ich schrieb schon die Quittung. Fräulein Kehding stand etwas zur Seite, zwischen dem Schreiben sah ich hinüber zu den Nähmaschinen, grade zu dem verheulten Nähmädchen. Es war ein hübsches Mädchen, zwischen ihren Tränen lächelte sie mich an. Ich lächelte zurück.

Da hörte ich so etwas wie ein Fauchen neben mir, einen unterdrückten Wutlaut, ich sah zur Meisterin. Sie war weiß vor Zorn, es gefiel ihr wohl nicht, daß ich mit ihrem Mädchen lächelte. Vorsichtig hielt ich ihr die Quittung hin. »Bitte, eine Mark fünfzig.«

Sie nahm die Quittung, sah sie an. »Ist das eine Quittung?« fragte sie. »Solche Dinger kann sich jeder machen lassen.«

»Es sind die Quittungen von der ›Chronik‹«, sagte ich. »Die sind so.«

»Sind die so?« fragte sie höhnisch und kam immer mehr in Fahrt. »Die lassen Sie sich selbst machen und bringen die Leute um ihr Geld, und eine Zeitung kriegt man nie. Wo haben Sie Ihren Ausweis?«

»Ich habe keinen Ausweis, die Quittung ist Ausweis«, sagte ich.

»Wo haben Sie Ihren Wandergewerbeschein?« schrie sie. Nun schrie sie schon. »Sie müssen einen Wandergewerbeschein haben, wenn Sie so in die Häuser laufen.« Ich hatte keinen, ich wußte auch nicht, ob ich einen brauchte. »Ein Betrüger sind Sie!« schrie sie. »Aber bei mir kommen Sie an die Unrechte. Elfriede, sofort läufst du zu Wachtmeister Schmidt herum! Hier wäre ein Betrüger.« Die Verheulte stand ängstlich auf und ging gegen die Tür. »Fräulein«, sagte ich, »hier sehen Sie meinen Quittungsblock, die Abschnitte, das sind alles Namen von Ihrer Innung.«

»Gehst du, Elfriede!« schrie sie. »Soll ich dir Beine machen?! Das paßte dir wohl so, daß der Lump ausreißt, der Betrüger?!« Die Kleine lief, ich wurde auch heiß. »Fräulein«, sagte ich, »geben Sie mir meinen Quittungsblock wieder. Ich will Ihr Geld gar nicht. Lassen Sie mich gehen.«

»Nichts!« rief sie. »Daß Sie ausreißen, was? Toni, schließ die Tür ab.«

»Fräulein«, rief ich, »Sie sind gemein. Ich weiß wohl, warum Sie das machen: weil ich Ihr Fräulein angelacht habe. Sie müssen nicht alle Hübschen weinen machen, weil Sie keinen abgekriegt haben!«

Es wurde eine schöne Brüllerei zwischen uns, der Wachtmeister Schmidt verstand kein Wort, sicherheitshalber nahm er mich mit auf die Wache. Als ich dort auf der Pritsche saß, kam rasch die Ernüchterung. Ich bereute, daß ich so hitzig geworden war. Außerdem hatte ich Abonnenten zu werben und nicht Mädchen anzulächeln, und die Kehding hatte »eigentlich« recht.

 

7

Nachdem sich die von der Polizei erkundigt hatten, ließen sie mich laufen. Ich ging langsam zur »Chronik«, mir war trübe zumute. Es überraschte mich nicht, daß die Meisterin schon dort gewesen war und sich beschwert hatte. »Schluß«, sagte der Geschäftsführer. »Die macht das ganze Handwerk gegen uns rebellisch, wenn ich Sie weiter werben lasse. Sie hätten nicht hingehen sollen, ich habe es Ihnen gleich gesagt.«

Er schenkte mir noch fünf Mark, er war immer ein anständiger Kerl. Als ich in die Starenstraße kam, war Willi noch nicht zu Haus. Es ekelte mich schon, wenn ich an seine Vorwürfe dachte. Ich tat meine Sachen in den Koffer und gab ihn der Wirtin in Verwahrung. Ich würde danach schreiben. Dann ging ich aus dem Haus, aus der Stadt, auf die Landstraße. Es war erstes Drittel Dezember, leichter Frost, etwas Schnee. Ich hatte noch neun Mark. Ich wollte in eine größere Stadt und sehen, ob ich dort irgendwie unterschlüpfen könnte.


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