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Der Gänsemord von Tütz

Geht man die Straße vom Dorf her, so kommt erst das Schloß mit dem großen, alten Park. Da sitzt der Ritterschaftsdirektor von Pratz. Dann folgt der Gutshof mit seinen Ställen, Scheunen und dem Beamtenhaus, wo ich, der Rendant, hause. Die Straße geht weiter, und was folgt, ist erst einmal wieder ein ganzes Stück Park, der also im Halbkreis die Hofstätte umschließt, und dann die Villa des jungen Herrn, des Rittmeisters.

Die Sache ist so, daß vor ein paar Jahren der alte Herr das Gut an Tochter und Schwiegersohn übergab. »Wirtschaftet, junge Leute«, sagte er. »Ich habe genug Kartoffeln gebaut in meinem Leben.« Für sich behielt er Schloß, Park und Forsten. In die fährt er täglich mit seinem Jagdwagen, und er ist ein alter Rauschebart der Art, daß er von jeder Ausfahrt mit einem Bündel Reisig heimkommt. »Zu schade zum Verfaulen«, sagt er. »Damit kann ich im Winter heizen.« Auf die jetzt schwiegersöhnlichen Felder geht der alte Pratz, v. Pratz bitte, nicht gern. »Hat Landwirtschaft studiert, der junge Herr«, sagt er zu Elias, seinem Kutscher. »Merkst du was?« Elias merkt was, und die beiden lachen.

Wenn nun auch der Rittmeister von der Landwirtschaft nichts verstehen soll, seine Felder liebt er doch. Er hört nicht gerne über sie lachen. »Der Alte ist ja ein Rest aus der Steinzeit, Fallada«, sagt er zu mir, wenn wir ihn mit seinen Knüppeln aus dem Wald kommen sehen. Und dann lachen wir beide.

Der Gänsekrieg jedoch, der mich stellungslos machte, wurde gar nicht zwischen dem alten und dem jungen Herrn geführt, sondern zwischen dem jungen Herrn und der gnädigen Frau. Die gnädige Frau ist natürlich die Frau vom alten Herrn. Die Frau vom Rittmeister heißt die junge Frau. Jeder, der einmal in hinterpommersche Rittergüter gerochen hat, weiß das. So daß im Grunde dieser Gänsekrieg der uralte Krieg zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn war. Nur war ich, der Rendant, der Leidtragende. Nebst sieben Gänsen. Davon ist nun zu erzählen.

Es ist schon gesagt worden, daß der Schloßpark alt war. Er war sogar uralt und besaß als Prachtstück einen viel bewunderten Tulpenbaum. Ich fand immer, der Tulpenbaum war ein Versager. Gradeheraus gesagt war er langweilig; seine Blüten hatten nicht die Idee einer Ähnlichkeit mit Tulpen. Aber bei den alten Herrschaften konnte solch Ausspruch von mir nicht überraschen. Ich war anrüchig, seit Elias, das Faktotum, mich mal erwischt hatte, wie ich die Geflügelmamsell abküßte.

Ich bin schon auf dem rechten Wege mit meiner Geschichte. Es geht alles der Reihe nach. Die Geflügelmamsell zum Beispiel war eine Angestellte der gnädigen Frau; sie hatte die Hühner unter sich und die Gänse. Wenn die alten Herrschaften auch das Gut abgegeben hatten, den Wunsch nach einem frischen Ei hatten sie doch. Die Hühner liefen auf dem Gutshof; auf der Dungstätte und in den Scheunen wurden sie satt: Dagegen sagte auch der Rittmeister nichts.

Die Gänse aber ergingen sich offiziell im Park, jenem großen Park mit den uralten Bäumen. Nun ist es mit den Gänsen so, daß die Gans ein delikater Vogel ist, nicht nur, wenn man sie ißt, sondern grade auch, wenn sie frißt: Das Beste ist ihr kaum gut genug. Die Gans, ein heiliger, schwieriger, kapriziöser Vogel, ist scharf auf junges, delikates Grün. Und gab es das in diesem uralten Park? Man kann das eine haben, man kann das andere haben, man kann nicht beides haben. Uralte Bäume und junges Grün, das verträgt sich nicht. Im Schatten wächst altes, saures, schlampiges Gras.

Es schmeckte den Gänsen nicht, und eine Gans denkt natürlich nicht daran, sich mit schlechtem Futter abzufinden. Die Ganter mit den vergißmeinnichtblauen Augen führten ihre Schönen zielbewußt durch den ganzen Park. Dann durchstieß die dreidutzendköpfige Schar den Zaun, überquerte in der nächsten Nähe der rittmeisterlichen Villa den Weg, flatterte durch den Graben – welch Geschnatter, welche Aufregung! –, und siehe da, Kanaan ist erreicht, das gelobte Land, die Gras- und Schnabelweide! Sie sind im Wickgemenge, wo sie gar nichts zu suchen, noch weniger zu finden haben. Es war ein delikates Wickgemenge. Sie dachten hierzubleiben. Der Park konnte ihnen gestohlen werden.

Sechsunddreißig Gänse haben einen beträchtlichen Appetit; sie verdrücken was. Es hätte nicht des Geschnatters bei der Grabenüberquerung bedurft, um den Rittmeister auf den Einbruch in seine Felder aufmerksam zu machen. Es ist schon gesagt, daß er seine Felder liebte, und nun war es eine Schande, wie dies Gemenge aussah, und grad an dem Wege, den all seine Gäste fuhren!

Es fing wie alle Kriege mit Verwahrungen, Einsprüchen, kleinen Reibungen an. Der Rittmeister sagte zu mir: »Hören Sie mal, Fallada, das können Sie aber der Geflügelfee ausrichten: Mit den Gänsen, das geht unmöglich. Sie sollen ja da Beziehungen haben ...«

Ich sagte es ihr.

Der Rittmeister sprach: »Herr Fallada, die Schweinerei mit den Gänsen hört mir auf! Wozu stichelt denn meine Schwiegermutter ewig über Sie und die Mamsell, wenn Sie das nicht mal erreichen?«

Ich sagte es ihr.

Die Dörte sah mich an mit ihren schönen, dummen Kirschenaugen und klagte: »O Gott, Hannes! Die Gnädige hat doch gesagt, daß die Gänse sich schon mal in den Wicken satt fressen dürfen. Wozu steckst du ewig mit dem Rendanten zusammen, hat sie gesagt. Du sollst ja sogar auf seinem Zimmer gewesen sein, hat sie mich gefragt.«

Die Dörte weinte. Sie war auf meinem Zimmer gewesen. Machtlos war ich. Der Rittmeister sagte ..., vieles sagte er. Dann sagte er nichts mehr. Er schritt zur Selbsthilfe. »Unser« Kutscher, Kasper, erzählte mir, daß der Rittmeister wie der Teufel aus dem Wagen zwischen die Gänse gesprungen war und sie mit der Fahrpeitsche verdroschen hatte.

Am Abend weinte Dörte. Die Gnädige hatte sooo gescholten: Eine Gans war lahm!

Nun kann man Gänse einmal verdreschen, man kann sie auch zweimal verdreschen, dreimal aber bestimmt nicht. Sie kannten ihren Rittmeister. Kam der Wagen leer, so ästen sie weiter; kam er gefüllt mit der jungen Frau, so ästen sie weiter; kam er gefüllt mit dem Rittmeister, so breiteten sie ihre Flügel. Unter wildem, höhnischem Geschnatter zerstreuten sie sich über den ganzen Gemengeschlag. Der Rittmeister probierte es mit einem Reitpferd und einer Reitpeitsche. Das Gansgetier zerstreute sich einzeln in alle Himmelsrichtungen, dem Tobenden zu entgehen. Der Rittmeister ritt seinen Gaul schäumend naß und sein Blut ins Sieden. Das Geschrei der Gänse gellte höhnisch in seinen Ohren: Er erreichte nichts.

Es ist morgens, so um fünf; die Knechte füttern; vor einer Viertelstunde ist auch das Geflügel aus dem Stall gelassen. Zwei Schüsse tönen. Nanu! denke ich. Der Förster schon im Gang? Und so dichtebei?

Dann geht bei mir das Telefon. Der Rittmeister sagt atemlos: »Fallada, kommen Sie gleich rüber zu mir.«

»Ja, Herr Rittmeister«, sage ich.

»Bringen Sie 'nen Jungen mit«, sagt er. »Irgend jemand, der die Leichen trägt.«

»Ja«, sage ich.

Der Pott ist entzwei, denke ich. Ich hole mir einen Pferdeknecht aus dem Stall, und wir tippeln los. Vor der Villa im Vorgarten liegen sie gewissermaßen aufgebahrt, sieben Stück, so jung noch, so mager noch, in der Blüte ihrer Wochen dahingerafft. »Warten Sie, Karl«, sage ich und gehe ins Haus.

Der Rittmeister sitzt in einem Sessel und trinkt Kognak, am frühen Morgen, auf nüchternen Magen. Das Mordgewehr liegt noch auf der Fensterbank. Vom Fenster aus hat er sie geschossen, sieben junge Gänse, vielversprechend.

»Morjen«, sagt er. »Sie haben wohl schon den Salat gesehen. Meine Frau weint. Finden Sie, daß das ein Grund zum Weinen ist? Über meine Wicken hat sie nicht geweint.«

»Die Frau Mutter wird ungehalten sein«, sage ich.

»Wird sie«, bestätigt er. »Also, bestellen Sie ihr einen schönen Gruß von mir. Und es täte mir ja leid. Aber sie wäre an allem schuld.«

»Ja«, sage ich.

»Geben Sie ihr die Gänse«, sagt er. »Sie soll sehen, was sie damit macht. Und sagen Sie ihr, ich wollt sie ihr bezahlen. Sie soll sagen, was sie dafür haben will.«

»Ja«, sage ich.

»Kein angenehmer Auftrag, Fallada«, sagt er. »Trinken Sie 'nen Kognak. Nehmen Sie 'ne Zigarette. Das Leben ist kompliziert.«

»Ja«, sage ich.

Um halb sechs kann ich nicht mit den Gänsen ins Schloß rücken, ich komme um halb acht. Da weiß die gnädige Frau schon alles; sie hat sicher in der Küche auf mich gelauert. »Nehmen Sie die Tiere wieder mit«, weint sie. »O Gott, ich kann sie nicht sehen. Zwei Zuchtgänse sind dabei. Dörte, sieh nur, die mit dem grauen Stoß am Flügel ist auch dabei, o Gott!«

Dörte sah mich an wie ein flammender Engel. Die Gnädige weinte haltlos. Ich komme mir ziemlich schäbig vor. »Sagen Sie meinem Schwiegersohn, daß er ein schlechter Mensch ist, ein Mörder ...«

Durch den Sonnenschein gehe ich mit meinem Stalljungen und den sieben Gänsen zur Villa. Siehe da, mein Chef ist nicht aufs Feld geritten; er hat auf mich gewartet. Er verfinstert sich, als er die Leichen sieht. »Sie haben die Gänse immer noch? Habe ich Ihnen nicht ausdrücklich befohlen ...?«

Er sagt »befohlen«, er sagt überhaupt sehr viel, und kleinlaut berichte ich.

»Alles Unsinn! Wie können Sie sich von Weibern düsig weinen lassen! Grüßen Sie meine Schwiegermutter und bestellen Sie ihr, die Gänse gehörten ihr, nicht mir. Daß Sie mir nicht wieder mit den Gänsen kommen!«

»Nein, Herr Rittmeister«, sage ich.

Kehrt! Ein Rendant, ein Stallbursche, sieben tote Gänse in die Schloßküche. Heißer Empfang. Die Tränen sind versiegt. »Ich verbiete Ihnen das Haus, verstehen Sie! Es ist Hausfriedensbruch, wenn Sie noch mal mit den Gänsen kommen! Sagen Sie meinem Schwiegersohn ...«

Ich werde mich hüten. Wieder stehen wir auf dem Hof. »Wat moken Se nu, Herr Rendant?« lacht der Stallbursche.

»Grien du und der Affe«, sage ich wütend. »Schmeiß die Biester hier ins Büro hinter meinen Schreibtisch. Schmeiß 'nen Sack drüber. Am Ende wird doch einer Vernunft annehmen.«

Die Stunden gehen dahin. Um zwölf kommen die Knechte vom Feld, ich geh auf den Boden, gebe Pferdefutter aus. Als ich wieder aufs Büro komme, steht der Rittmeister hinter dem Schreibtisch. Den Sack hat er mit dem Fuß weggeschoben, starrt auf den Salat.

»Was heißt das?« fragt er scharf. »Haben Sie nicht verstanden, was ich Ihnen befohlen hatte, Herr?!!!!«

Jawohl, ich hatte verstanden. Und ich erkläre.

»Quatsch! Hausfriedensbruch! Bestellen Sie meiner Schwiegermutter, sie hat 'nen Vogel. Hysterische Schraube. Wegen ein paar dammlichen Gänsen sich so zu haben. Ich will die Biester nicht mehr sehen. Verstanden?!!«

»Jawohl, Herr Rittmeister«, sage ich und mach mich wieder auf den Weg. Mönchlein, du gehst einen schweren Gang. Und ganz nutzlos. Elias hat auf der Lauer gelegen, er verpfeift mich. Gleich ist die Gnädige da. Man trägt mir wieder Bestellungen an den Rittmeister auf, dann stehe ich wieder draußen ...

»Und nun?« fragt der Stallbursch.

»Das will ich dir erzählen«, sag ich wütend. »Die Gänse können mir den Puckel runterrutschen. Komm mit.«

Ich geh gar nicht erst mit ihm auf den Hof; heimlich gehen wir hintenrum in die große Scheune. »Da! Steck die Biester unters Stroh. Gut tief rein. Gottlob, nun sind sie weg.«

»Dat's gaud«, sagt er. »Nu denkt die Gnädige, er hat se, und er denkt, die Gnädige hat se.«

»Richtig, mein Sohn«, sage ich und gehe aufs Büro.

Gegen Abend besucht mich der Rittmeister. Wir klönen über dies und das. »Übrigens«, sagt er im Gehen, »die Sache mit den Gänsen ist erledigt?«

»Ist erledigt«, sage ich.

»Gut«, sagt er und geht.

Eigentlich ist längst Feierabend, aber ich habe viel Zeit versäumt; ich muß noch Löhne eintüten. Das Telefon rasselt. »Ja? Hier Fallada!«

»Sie haben die Gänse meiner Schwiegermutter gebracht, was? Sie haben meinen Befehl erledigt, wie? Belogen haben Sie mich, Herr!!! Auf der Stelle bringen Sie die Gänse der gnädigen Frau! Sie will sie nun doch haben, der Federn wegen. Auf der Stelle ...«

Diesmal hole ich mir nicht erst jemand. Ich stürze allein in die Scheune. Ich wühle im Stroh. Nein, hier ist es nicht gewesen, mehr links. Verdammt dunkel ist das hier. Rechts? O Gott, nur schnell ... Eine Stallaterne ... Licht. Rechts. Links. Oben. Unten. Hier. Dort. Nichts. Ins Dorf. »Jung, wo haben wir die Gänse hingesteckt? Rasch!«

Am Büro vorbei, ich höre das Telefon drinnen schreien, brüllen, ächzen, gellen. »Nur rasch, Jung!«

Wir suchen zu zweit. Der Junge läßt die Hände sinken. »Hier waren sie bestimmt, Herr Rendant. Sehen Sie, hier ist noch blutiges Stroh.«

Stimmt. Wir sehen uns an.

»Da hat einer aufgepaßt, wie wir hier rein sind, und hat die Gänse gestohlen, Herr Rendant. Sehen Sie, hier ist noch blutiges Stroh.«

Ich seh ihn an, er sieht mich an. Der Jung hat sie nicht geklaut. Der ist ehrlich; so viel kann ich sehen. Er sagt kummervoll: »Ja, Herr Rendant, das ist ja nun nicht leicht. Was der junge Herr ist, der ist ein büschen hitzig.«

Stimmt wieder. Mir bubbert das Herz, als ich anrufe.

»Nun?!!!!«

Ich beichte. »Und nun hat einer doch die Gänse gestohlen ...!«

Soll ich »Wutschrei« sagen? Nun gut, ich sage »Wutschrei«. Jedenfalls habe ich den Hörer fein sachte hingelegt. Ich konnte ans andere Ende vom Büro gehen, der Wutschrei blieb klar verständlich. Auch dauerte er noch länger. Nach einer Weile habe ich dann angehängt, bin auf mein Zimmer gegangen und habe meine Sachen gepackt. Kasper hat mich noch in derselben Nacht zur Bahn gefahren. Aus. Fertig. Schluß. Arme Dörte.

Und der verdammte Kerl, der die sieben klapperdürren Gänse im Jahre 1920 auf Rittergut Tütz aus der Scheune geklaut hat, der soll sich nun endlich bei mir melden und sich wenigstens entschuldigen, verdammt noch mal!


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