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Warum trägst du eine Nickeluhr?

Mein Vater ist Uhrmacher, mein alter Herr hat ein Uhrengeschäft, ich könnte sagen, er wühlt in Uhren, und dies nicht nur bildlich – ich aber, sein einziger Sohn, trage eine Nickeluhr, für zwei Mark fünfundachtzig, einschließlich Kette, mit einjähriger Garantie. Ich habe sie mir gekauft, und nicht bei meinem Vater.

Meine Freunde fragen mich: Warum trägst du eine Nickeluhr? Hast du es nötig?

Ich könnte antworten: Freunde, schweigt mir! Die Zeiten sind schlecht, jeder sieht, wo er bleibt. Oder ich könnte antworten: Ich will dies ausprobieren, dies Werk für zwei Mark fünfundachtzig. Wenn ich schon die Juristerei studiere, das klebt mir an, ich studiere dies Werk für meinen Vater.

Nein! Ich hasse die Notlügen. Ich sage: Ich trage diese Nickeluhr, weil mein Vater filzig, geizig, gnietschig ist. Für seinen einzigen Sohn hat er keine goldene Uhr, er handelt mit Uhren, er verschenkt sie nicht, so ist er! Das sage ich, wahrheitsgemäß.

Meine Freunde sagen: Oh! Oh! Armer Bursche, er hat einen gnietschigen Vater.

Ich aber frage Sie: Finden Sie, daß mein Vater sich richtig verhält?

Es war der große Tag; ich hatte das Abitur gemacht, das Maturum war bestanden. Da ich noch keine Kinder habe, sage ich offen: Es war mäßig bestanden, grade noch gemacht. Habe ich erst Kinder, werde ich ihnen erzählen, ich habe es summa cum laude bestanden, ein Ministerialdirektor kam extra angereist, er schüttelte mir die Hand, Tränen der Rührung standen in seinen Augen: Junger Mann, das war das beste Abiturium, seit die Mauern des Grauen Klosters stehen ...

Nein, vorläufig war es ein mäßiges Abitur, aber mein Vater schenkte mir doch eine goldene Uhr. Sie war nicht aus seinem Laden, sie war eine Erbuhr von einem längst verstorbenen unsympathischen alten Erbonkel, der mich in meinen Kindertagen abwechselnd »Seelöwe« und »Brüllerich« tituliert hatte.

Vielleicht hatte der Mangel an Sympathie sich auf die Uhr übertragen; sie hielt es nicht aus bei mir, sie trennte sich von mir. Mein Freund Kloß hat ein Segelboot auf dem Wannsee. Wir segeln hinaus, wir baden vom Boot aus; unsere Kleider liegen auf dem Deck.

Ich habe genug geschwommen, ich will ins Boot, ziehe mich an der Bordwand hoch, das Boot legt sich schräg, sachte gleiten die Kleider ins Wasser. Kloß war zur Hand, wir erwischten alles wieder, nur meine goldene Abituruhr – durch ihre Schwere war sie pfeilgrad in eine Tiefe von etwa achtzehn Meter entschwunden.

Mein Vater ist ein ordentlicher Mann, mein Vater ist ein exakter Mann, das ist eine Berufskrankheit bei ihm. Unmöglich, ihm zu erzählen, daß ich die Erb- und Patenonkeluhr baden geschickt hatte. Nein, wir waren im Freibad gewesen, vom Wasser aus hatten wir beobachtet, wie jemand sich an unsern Sachen zu schaffen machte. Wir stürzten hin, jener floh. Trubel, Verfolgung.

Mein Vater machte »Hmm«, er ließ die Sache eine Woche anstehen, dann schenkte er mir eine goldene Uhr aus dem Laden, Glashütter Fabrikat, flach wie eine Auster, herrlich.

Zwischen dieser Uhr und mir bestanden Sympathien, sie war die verläßlichste aller Uhren, sie ließ mich nie im Stich.

Sie hat sich nicht leicht von mir getrennt ... Es war diesmal nicht Kloß, es war Kipferling, mit dem ich einen Ausflug nach München machte. München ist eine schöne Stadt, es gibt dort vieles, was man kennenlernen muß; Kipferling und ich, jeder telegrafierte einmal nach Hause um Reisegeld für die Heimfahrt. Als wir dann zurückfahren wollten, war das Reisegeld dahingeschmolzen wie der Schnee vom vorigen Jahr.

Wir hatten nur ein Wertobjekt: meine Glashütter Uhr. Kipferling ging los mit ihr, ich beschwor ihn, er dürfe sie nur versetzen, damit ich sie von Berlin wieder einlösen konnte, nichts, er kam wieder mit der Uhr. Wenn es für Hotel und Heimfahrt reichen sollte, mußten wir uns entschließen zu verkaufen. Wir entschlossen uns.

Während dieser Heimfahrt grübelte ich immer nach einer plausiblen Geschichte, die ich meinem Vater vorsetzen konnte. Aber es war nichts los mit meiner Phantasie, es fiel mir nichts ein. Schließlich blieb ich bei meinem Diebstahl auf dem Münchener Hauptbahnhof, Gedränge, die Uhr ist weg. Plötzlich. Diese internationalen Taschendiebe ...

Mein Vater sagte etwas trocken: »Du mußt es ja wissen, mein Sohn.« Ich fand, seinem Tone fehlte es an Herzlichkeit. Ich fand, ich mußte etwas lange auf die nächste Uhr warten. Offen gestanden half ich direkt nach: zu allen Verabredungen, zum Theater – ich kam zu spät, ich murmelte etwas, keine Uhr ...

Schließlich bekam ich sie. Sie war nicht so flach, dafür hatte sie zwei Sprungdeckel, außerdem tickte sie ziemlich laut. Sie war eine pflichteifrige Kartoffel, aus purem Gold, nichts, womit Staat zu machen, aber schließlich muß man auf die Gefühle seiner Erzeuger Rücksicht nehmen, ich war zufrieden.

Also, ich gehe zum Tennisspielen, ich spiele Tennis, ich ziehe meine Sachen wieder an, was denken Sie? Wie? Ja! Meine Uhr ist weg! Meine Uhr ist gestohlen! Denken Sie sich meine Verzweiflung! Die pflichteifrigste aller Kartoffeln ist gemaust!!

Und nun stellen Sie sich vor: Was erzähle ich meinem Vater –? Bitte, ja, was erzähle ich dem alten Herrn –? Ja, bitte, bitte, bitte, sagen Sie selbst ... Diese ältere Generation ist ja derart mißtrauisch!

Also, seitdem trage ich eine Nickeluhr, für zwei Mark fünfundachtzig, mit einjährigem Garantieschein.

Ich sage allen wahrheitsgemäß, daß mein Vater gnietschig ist. Oder finden Sie etwa, daß er sich richtig verhält?

Er ist imstande, also, er glaubt mir einfach nicht, daß meine Uhr geklaut ist. Glaubt es nicht. Nun reden Sie!


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