Gustav Falke
Der Mann im Nebel
Gustav Falke

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25.

Randers stürmte nach einer schlaflosen Nacht in den kalten Morgen hinaus.

Er hatte hinaufgehorcht, ob sie schon wach sei, wach wie er. Konnte sie schlafen nach diesem Abend?

Aber es war oben alles still gewesen.

Säe schlief, schlief noch.

Schlief doch.

Aber ihn trieb es hinaus.

Diese Unruhe. Sie wiederzusehen nach diesem ersten Liebesrausch, sie, die jetzt sein war, die er nicht lassen würde, nicht wieder von sich lassen. Endlich das Glück, das grosse Glück!

Er dachte nicht an die Zukunft, hatte kein Bedenken und keine Gedanken. Nur das eine selige Gefühl, sie ist dein, sie liebt dich, dein Glück, deine Rettung, dein Hafen, dein Grund, auf dem du bauen musst.

In Schönheit leben!

Ja, mit ihr in Schönheit!

Und herrliche Traumbilder gaukelten vor ihm, ein Wandelpanorama erhabener Natur, starre, schweigende Bergöde, Palmenwälder, rauschende Meere, ach, die ganze herrliche Welt. Und sie beide unter allen Menschen allein, Seite an Seite, Hand in Hand, Herz mit Herz und Seele mit Seele. Geniessend, verstehend. Es war alles wie ein Schaum in ihm. Bunte, schillernde Blasen. Aufleuchtend, zerplatzend. Darüber, alles umspannend, der glänzende Regenbogen eines unbestimmten weichen Gefühls, tränenfeucht, wie die Luft nach dem Regen weich und feucht ist. Das war alles das Glück, das endliche grosse Glück.

Randers war mitten in den Watten. Er war nur so geradeausgestürmt. Diese köstliche Salzluft. Diese erwachende Lust, aus all den kleinen feuchten Rillen mit glänzenden Augen aufschauend. Diese kleinen zitternden Wellen in den flachen Rillen, wie erschauernd in der Morgenkühle, aber doch glänzend in Erwartung des Tages.

Wie wohl das alles tat, diese herbe, frische, schauernde Morgenschönheit. Es kam eine Kraft über ihn, eine Fröhlichkeit und ein Stolz.

Und er lief dem Meer entgegen, das dort hinten seine Wellen über die Sandbank schäumte, lief mit ausgebreiteten Armen, den frischen Hauch des Meeres in seinen offenen Kleidern auffangend.

Es zwang ihn etwas, dem er nicht widerstehen konnte. Er musste dahin, wo die Wellen jauchzten, sein Glück ans Meer tragen, es hinausrufen, dem dicken Tritonen zu, der da auf dem Muschelhorn den Tag eintutet, und den hundert Meermädchen, die sich da lachend ihre nächtlichen Meerträume erzählten und mit den weissen Armen nach den Möwen griffen, die mit ihren raschen Schwingen durch ihren Morgentanz huschten.

Und nun flogen sie auf, eine ganze Schar, dieser stillen, grauen weichflugigen Seevögel, kamen ihm entgegen, liessen sich vor ihm nieder, flogen auf vor seinem eiligen Fuss und sanken hinter ihm wieder geräuschlos auf den Sand.

Und nun kam auch das Meer ihm entgegen, legte seine Wellen ihm vor die Füsse, rauschte, rollte. Und war alles Schaum, weisser glänzender Schaum längs des ganzen Wattenrandes.

Und die Sonne kam.

Und es wurden tausend Farben, jedes einzelne Bläschen schillernd und sprühend und dann zerplatzend. Und Randers riss sich die Mütze vom Kopf und bot die Stirn dem Wind, der sich erhob.

Und dann fing er an zu singen, jenes alte dänische Heldenlied, das er damals auf den nächtlichen Feldern von Rixdorf gesungen hatte. Und singend wich er vor den Wellen zurück, sang und freute sich der heranrollenden Flut und sang und wich vor ihr zurück. Bis es ihn plötzlich überfiel – die Flut, und er sich wandte, und er die Möwen sah, die unruhig wurden und ins Watt zurückzogen. Und er erschrak.

Und im ersten Schrecken fing er sofort an zu laufen. Und da war auch schon ein Priel im Wege, das sich mit Wasser gefüllt hatte, ganz rot glühte es in der Sonne, und die Wellchen zitterten wie in grosser Erregung. Er wandte sich seitwärts. Er musste auf dem nächsten Weg den Strand erreichen. Aber er kannte das Terrain nicht genau. Und an der heranrollenden Flut längs laufen? Nein, er musste vor ihr her. Es half nichts.

Er zog Schuh und Strümpfe aus, zog die Beinkleider über die Knie hinauf und watete durchs Priel; das Wasser ging ihm bis über die Knöchel. Es war eiskalt. Randers lief nicht, um nicht ausser Atem zu kommen. Vielleicht musste er nachher noch laufen.

Es war jetzt ganz ruhig, ganz klar. Er kannte die Gefahr und wusste, dass nur grösste Kaltblütigkeit und Umsicht ihn retten würde. Und es war ja Tag. Kein Nebel zeigte sich. Man würde vom Strand aus ihn sehen. Und zuletzt, er war ein guter Schwimmer.

Um ihn gluckste, quirlte und rieselte es, alle kleinen Rillen füllten sich mit Wasser, das wie aus dem Boden gedrungen auf einmal da war.

Hinter ihm war ein dumpfes murrendes Getön. Das Meer kam, um wieder Besitz von seinem Eigentum zu nehmen: ihm gehörte das Watt. Es drang in die Priele, griff mit blanken, gierigen Armen nach den Sandbänken, umklammerte sie, und legte sich auf sie mit seinem mächtigen, schillernden Leib.

Randers lief an einem breiten Priel längs und konnte keine Furt finden. Er lief zurück, nach der andern Seite. Ein tiefer breiter Strom wälzte sich vor ihm. Er sah sich um, sah die weisse Brandung, sah dem blanken Hans in die gierigen Zähne.

Er warf den Rock ab, entkleidete sich und durchwatete das Priel. Bis über die Hüften ging ihm das Wasser, und der Strom warf ihn beinah.

Drüben lief er weiter, nackt, um erst einen gehörigen Vorsprung zu gewinnen. Er schätzte die Entfernung bis zum Ufer.

Eine Viertelstunde noch.

»Du holst es,« sagte er laut, atmete schnell und ruhte einen Augenblick aus. Der Strand lag nah und deutlich vor ihm, in heller Sonne.

Alles sah so fröhlich und friedlich aus. Die blanken Watten, das rieselnde blitzende Wasser, die funkelnden kleinen Rillen.

Aber er lief hier ums Leben, floh durch all die Sonne vor der schwarzen Nacht, die nicht endet.

Und doch, diese Sonne milderte die Schrecken, nahm dem Watt das Unheimliche.

Aber das Wasser konnte sie nicht aufhalten. Das strömte von allen Seiten zusammen, überholte den Laufenden, schloss ihn auf einer Sandbank ein, warf sich zwischen ihn und den Strand und blitzte ihm in dem hellen Glanz des wachsenden Tages triumphierend entgegen.

Randers blieb ruhig. Das Terrain längs der Küste kannte er. Es war da noch einmal tief. Das Wasser würde ihm vielleicht bis an den Hals gehen, er würde schwimmen müssen.

Schwimmen bei der Flut?

Einerlei, sich ihr anvertrauen. Es wird ihn ein bisschen herumwirbeln und werfen. Aber seine Arme waren geübt, und irgendwo würde er festen Fuss fassen.

Aber er getraute sich's nachher doch nicht, lief an dem reissenden, rollenden Strom hin, suchte eine seichtere Stelle. Und zuletzt musste er's wagen.

Alles ab! Ganz nackt, die Zähne zusammen, jede Muskel krampfhaft gespannt, warf er sich in die Wellen, tauchte auf, wurde fortgerissen, strandlängs, und wieder zurück, wieder abseits, sah die Entfernung zwischen sich und dem Strand wachsen.

Er warf sich auf den Rücken, schöpfte Atem, warf sich wieder herum und begann den Kampf aufs neue.

Und es gelang ihm. Er fühlte festen Boden unter den Füssen, taumelte mechanisch weiter, fühlte sich ohnmächtig werden und fiel kraftlos vornüber.

Eine blaugrüne, schaumgekrönte, wogende See rollte über dem Watt. Die Möwen kreisten darüber und leuchteten in der Sonne, schossen herab, neigten ihre grossen Schwingen und stiegen mit einem leisen, pfeifenden Laut wieder auf.

Moiken fand Randers im Schlick. Er lag auf der Seite, der Kopf hing schlaff herab, und mit den Füssen spielte noch die Flut und warf sie hin und her.

Moiken zog ihn vollends aufs Trockene. Er atmete noch. Schreiend lief sie nach Hülfe.


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