Gustav Falke
Der Mann im Nebel
Gustav Falke

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6.

Im Schloss war Besuch angekommen. Randers hörte es unterwegs von den Leuten auf dem Felde. Besuch in einem Segelboot.

Ob er hinginge? Er war doch neugierig. Besuch, der in einem Segelboot kam. Das war doch interessant. Er interessierte sich so für das Segeln. Und wer mag das sein, der hier ein Segelboot hat.

Er traf nur Fides im Salon und eine fremde Dame, eine kleine, lebhafte, unscheinbare Person mit vollen Formen, ganz hübschen, braunen Augen und einem etwas groben und lebhaften Teint.

»Sieht die gesund aus,« dachte er.

»Fräulein Krüger,« stellte Fides vor.

Also nichts Adeliges.

Eine leise Enttäuschung.

Das Fräulein sah ihn mit unverhohlener Neugier an. Er las deutlich aus ihren Blicken: »Also das ist er?«

»Ich habe Fräulein Krüger von Ihnen erzählt,« sagte Fides gleich.

Randers verbeugte sich.

»Sie halten sich zu Ihrer Gesundheit hier auf, Herr Doktor?« fragte das Fräulein.

»Das nicht gerade.«

»Ich meinte das.«

Sie sah Fides fragend an.

»Allerdings,« sagte er schnell. Wenn Fides so gesagt hatte, wollte er nicht anders sagen. »Ich reise überhaupt zu meiner Erholung oder Zerstreuung, was ja oft dasselbe ist.«

»Der Herr Doktor schwärmt für die See,« sagte Fides.

»Die haben Sie ja erster Hand hier,« meinte das Fräulein.

Wie gewöhnlich sie sich ausdrückt, dachte Randers. Und ihre Stimme klingt wie eine verrostete Schiffsglocke.

»Sie sind mit dem Segelboot gekommen, gnädiges Fräulein?«

»Ja, haben Sie es gesehen?«

»Ich hörte es von den Leuten. Mit Ihrem Herrn Gemahl?«

»Mein Bruder.«

Beide Damen unterdrückten mühsam ein Lächeln. Er nannte sie Fräulein und fragte nach ihrem Herrn Gemahl.

»Ach so! Pardon,« entschuldigte er sich und wurde über und über rot.

»Der Herr Doktor ist ein grosser Seemann,« sagte Fides. »Es ist ein Kapitän an ihm verloren gegangen.«

War das Spott?

Er lächelte etwas gezwungen.

»Da werden Sie sich gewiss unsre Jacht ansehen; sie ist ganz neu, ein ausgezeichnetes Seeboot,« sagte die Schiffsglocke.

»Wenn Sie erlauben, es würde mich sehr interessieren.«

»Vielleicht machen Sie mal eine Fahrt mit Herrn Krüger?« fragte Fides. »Er würde sich gewiss freuen, er ist so stolz auf seine Jacht und hört sie gerne loben.«

»Ja, das ist seine schwache Seite,« bekräftigte das Fräulein.

»Ich wollte eigentlich morgen abreisen,« sagte Randers. Er war durchaus noch nicht entschlossen, aber es kam plötzlich über ihn, er musste es sagen, er wollte sehen, wie sie es aufnähme. »So plötzlich?« rief Fides. Sie schien ernstlich überrascht.

»Aber warum so schnell? Gefällt es Ihnen nicht mehr bei uns? Ich meinte, Sie wollten die Jagd mitmachen?«

»Ja so, daran dachte ich nicht,« sagte er.

»Sehen Sie,« rief sie triumphierend.

Es lag ihr also an seinem Bleiben. Und sie machte daraus kein Hehl, selbst in der Gegenwart der Fremden.

»Papa hat übrigens Ihr Wort,« sagte Fides.

»Dann freilich.«

Nachher besahen sie alle zusammen die Jacht. Randers bewunderte den jungen Gutsbesitzer, einen grossen schönen Mann, schlank, muskulös, mit gutmütigem, wettergebräunten Gesicht. Er sah ganz aus wie ein Seemann. Ein buschiger, dunkelblonder Schnurrbart verdeckte etwas das einzig Unschöne in diesem Gesicht, den grossen Mund. Der junge Mann lachte oft und laut, wie seine Schwester, und dann zeigte er zwei prächtige Reihen weisser, fester Zähne.

Der kann ein Segeltau durchbeissen, dachte Randers. Jedesmal, wenn der junge Mann lachte, kam ihm die Vorstellung:

»Er kann ein Segeltau durchbeissen.«

»Was meinen Sie?« fragte Fides.

Randers erschrak und wurde rot.

Hatte er es denn laut gesagt?

»Ich meine, ob man wohl ein Segeltau durchbeissen kann.«

Sie sah ihn erstaunt an, lachte kurz auf und sagte:

»Was Sie für sonderbare Einfälle haben.«

Die Jacht war wirklich sehr hübsch. Sie war ganz weiss angestrichen, hatte eine kleine Kajüte an Bord, trug am Mast einen langen, rotseidenen Wimpel. Am Spiegel stand mit goldenen Buchstaben: Seeschwalbe.

»Ein hübscher Name,« sagte Randers.

»Es ist das schnellste Boot hier herum,« erklärte Herr Krüger. »Es läuft seine zwölf bis dreizehn Meilen in der Stunde.«

Er sprach hauptsächlich zu Randers und schien ihn für einen grossen Kenner zu halten. Randers musste sehr vorsichtig sein, wenn er sich nicht blossstellen wollte.

Einmal wollte er sagen: »Ich verstehe so viel nicht davon.« Und er hätte es auch gesagt, wenn Fides nicht dabei gewesen. Aber jetzt sagte er es nicht, sondern nickte nur immer mit dem Kopf, wenn der andre wieder einen technischen Ausdruck gebrauchte, den er nicht verstand.

Sie hatten beide gleiche Mützen auf, weisse Schirmmützen, und sie hatten beide das Sturmband unterm Kinn.

Ob Fides darauf achtete?

Der Graf fragte Randers, was er in den letzten beiden Tagen getrieben hätte, er hätte sich ja gar nicht sehen lassen. Ja, was hatte er getrieben? Er hatte einige Stunden am Strand gelegen und auf die See hinausgeträumt, und war ein paar Stunden spazieren gelaufen.

»Bis nach Grossenbrode.«

»Da hätten Sie ja gleich zu uns herüber kommen können,« meinte Fräulein Krüger. »Waren Sie schon auf Fehmarn?«

»Nein.«

»Aber kommen Sie doch mal,« lud der junge Mann ein. »Ich bringe Sie mit dem Boot zurück. Ich hole Sie auch ab.«

»Sie sollten das tun,« redete der Graf zu. »Sie lernen zugleich im Sassnitzer Gut eine Musterwirtschaft kennen.«

Herr Krüger lachte gutmütig, halb geschmeichelt, halb bescheiden abweisend.

»Lassen Sie gut sein, lieber Krüger. Alles was recht ist. Durchaus musterhaft,« sagte der Graf.

Also ein Mustermensch, dachte Randers, und ein hübscher Kerl. Was hat er für Zähne! Und obendrein hat er eine Jacht!

Randers bekam mit einmal Lust, ihm ein Schiffstau zwischen die Zähne zu schieben. Was er wohl für ein Gesicht machen würde?

Randers musste lachen.

Der Einfall war zu albern, aber er konnte ihn nicht wieder los werden. Er musste immer an das Gesicht des jungen Mannes denken, wenn er ihm ein Schiffstau zwischen die Zähne schieben würde. Er durfte ihn zuletzt gar nicht mehr ansehen.

Als die Gesellschaft sich wieder ins Schloss begab, empfahl Randers sich. Die Geschwister lachten ihm zu viel. Und er mochte keine Mustermenschen leiden.

Niemand bat ihn zu bleiben, auch Fides nicht. Er war also überflüssig. Mochten sie unter sich bleiben!


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