Gustav Falke
Der Mann im Nebel
Gustav Falke

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21.

Es war der Jahrestag von Helgas erstem Auftreten als Hedda Gabler. Randers stiess mit ihr an.

»In Schönheit sterben,« sagte er.

»In Schönheit leben,« antwortete sie.

»Aber dann in Schönheit sterben,« beharrte er.

»Wie's kommt.«

»Das sagen Sie, Hedda Gabler?«

»Ich bin keine Hedda Gabler.«

»Aber möchten Sie denn nicht –«

»In Schönheit sterben?«

Sie lachte.

»Wissen Sie, was Hedda dem Eilert so hoch anrechnet, dass er den Mut gehabt hat, sein Leben nach seinem eigenen Sinn zu leben und dann die Kraft, den Willen hatte, vom Gastmahl des Lebens aufzubrechen – es kommt doch immer auf das Leben an, das geendet wird. Ein verpfuschtes Leben mit der Pistole abzuschliessen, was ist da Schönes dabei? Kraft und Willen zu neuem Leben haben, das wäre schön. Das andere ist am Ende nur ein billiger Ausweg aus der Klemme, eine Tat der Ohnmacht, der Verzweiflung.«

»Unter Umständen –«

»Ach lassen wir das. Warum vom Sterben reden. Ich halt's mit dem Willen zum Leben und mit der Kraft, aus sich herauszukommen, nicht einfach sich wegzublasen.«

»Aber wenn die Kraft nicht mehr da ist.«

»Dann mag der Abgewirtschaftete sich aus dem Weg räumen. Ich billige das sogar. Aber wir wollen da nicht von Schönheit reden. Er erleichtert sich, und Sie wollen sich hinstellen und ihn bewundern, den Mut bewundern, der sich eines unbequem gewordenen Rockes entledigt.«

»Ich glaube, Sie sind denn doch nicht ganz gerecht.«

Sie zuckte die Achseln.

»Ich denke nun einmal so. Aber lassen wir das. Nichts vom Sterben.«

Es war ein köstlicher, sonniger Tag, und sie liessen das Thema vom Sterben ruhen. Sie gingen in die Dünen und waren still und froh miteinander.

Und wenn Randers sie ansah, dachte er immer: »In Schönheit leben!« Ja, mit ihr, an ihrer Seite. Und er sagte es ihr, und sie lächelte. Sie liebte jede Art Tapferkeit, und er sagte es so tapfer, so ganz überzeugt, dass es ihm möglich sei. Und er lachte so laut und fröhlich und warf die Arme und trug den Kopf hoch und schob die Mütze in den Nacken, dass die ganze, hohe, gebräunte Stirn frei wurde.

Im Sand lagen sie und sprachen wieder von Hedda Gabler, und dann kamen sie auf Nora.

»Sie wollten mir noch tanzen,« bat Randers.

»Wollt ich?«

»Sie versprachen's. Ich bin so begierig, Sie tanzen zu sehen. Wie werden Sie als Nora tanzen, diesen Tanz mit der Verzweiflung im Herzen. Und hier ist die Heide so glatt und hart. Die reinste Tenne. Und der Wind wird Ihren Schal fangen, und die Möwen werden Ihren Pas folgen, der Tanz über dem Tanz. Und ich werde klatschen und dankbar sein.«

So bat er, beredt und von ihrer Schönheit in einen Rausch versetzt, der ihn zum Dichter machte.

Und Helga erhob sich zum Tanz.

»Nun spiel mir auf. Nun will ich tanzen,« rief sie mit Nora.

Aber das war keine Nora, die da tanzte, kein gequältes Weib, das Betäubung suchte. Es war ein wirbelndes, leidenschaftliches Kreisen und Gleiten und Auf- und Niederschnellen.

Sie ist zu gross für Nora, dachte Randers.

»Mir fehlt ein Tambourin,« rief Helga.

»Es geht doch nicht auf dem Heideboden,« entschuldigte Randers.

»O doch, es liegt an mir. Ich bin nicht Nora heute. Aber was ich Ihnen tanzen möchte. Haben Sie die Sorma als Salome gesehen? Das möchte ich Ihnen tanzen können.«

Und sie versuchte es, machte ein paar Schritte über die Heide, kam in Feuer, ward geschmeidig, verjüngte sich vor seinen Augen, tanzte um den Kopf des Täufers. Und ein Wolkenschatten hüllte sie ein. Und der Wind wehte frischer und rang mit ihr und löste eine ihrer schweren blonden Flechten.

Und Randers starrte sie, halb aufgerichtet, an.

Und die Wolke zog vorüber, und die Sonne liess Helgas Schatten über die Heide tanzen. Und eine Möwe wiegte sich, leuchtend, über Salome, umkreiste sie und schoss plötzlich wie ein zuckender Blitz davon.

»Bravo! Bravo!« rief Randers, klatschte in die Hände, sprang auf und auf die ihm entgegen Taumelnde zu.

Helga glühte, lächelte, und wehrte ab. Sie sank ins weiche Dünenbett und fächelte sich Kühlung zu.

»Es ist nichts, ich kann's nicht,« stiess sie hervor. »Aber ich möcht's können. Mit Genie tanzen.«

»Sie können's,« rief er warm.

»Nein, nein. Es ist nichts.«

»Vielleicht, wenn ich um einen Kopf tanzte,« setzte sie lächelnd hinzu.

»Meiner steht Ihnen zur Verfügung,« sagte Randers.

»Sie sind kein Johannis.«

Er lachte, aber er suchte einen Hintergedanken darin, fühlte sich verwundet.

»Was wollten Sie mit Johannis?« meinte er.

»Was wollte Salome mit ihm?«

»Sie liebte ihn.«

»Nun also. Aber ich müsste diese Liebe empfinden, nicht nur schauspielern. Die Liebe ist das einzige, was bei uns Frauen das Genie ersetzt.«

»Und waren Sie nie –«

»Genial?« fiel sie ihm ins Wort. »Nein, lieber Freund.«

Er sah sie forschend an.

Sprach sie die Wahrheit?

»Und wie müsste der Mann sein, um dessen Kopf Sie –«

»Männlich!«

»Ja, wie?«

»Stark, klug, klar und tapfer. Mit Willen zum Leben. Fest auf den Füssen und Herr über sich.«

Randers wurde rot, glühte vor Scham.

»Der ideale Mann,« sagte er.

Sie sah sein Erröten, und ein warmes Gefühl für ihn stieg in ihr auf.

»Ideal?« sagte sie. »Solche Männer gibt es genug. In allen Ständen, Gott sei Dank!«

»Aber Sie wollen doch auch etwas höheres, geistigeres. Der brave Mann an sich –«

»Der brave Mann an sich!« fiel sie ihm lachend ins Wort. »Köstlich! Nein, Liebster, der brave Mann allein tut's natürlich nicht. Sonst könnte man sich unter zehn braven Männern nicht gerade in den einen verlieben.«

»Da ist's also doch noch etwas anderes.«

»Nun ja, freilich. Und vielleicht ist's gerade der Dümmste von den zehn.«

»Nun werden Sie flach.«

»Liebe ist blind.«

»Auch eine Flachheit.«

»Liebe hat tausend Augen, wenn Sie's so lieber wollen.«

»Sie sagten ja vorhin selbst, Liebe wäre Genie.«

»Nun ja, schlafwandelnd auf Spinnenfäden, wach im Traum und immer närrisch.«


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