Gustav Falke
Der Mann im Nebel
Gustav Falke

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16.

Randers sass auf dem Schwedenwrack, und Helga lag zu seinen Füssen im Sand. Überall lagen die Scherben der gestrandeten Schieferplatten umher.

Helga hatte mit einem Stückchen Muschelkalk Randers Profil auf ein grösseres Schieferstück mehr gekratzt als gezeichnet.

»Getroffen?«

Sie hielt's ihm hin, und er beugte sich zu ihr hinab.

Er lachte.

»Aber nein!«

Sie lachte mit und schleuderte den Schieferscherben mit kräftigem Wurf nach den Wellen. Er kam freilich nur halb hin.

»Warum zeichnen Sie garnicht mehr?« fragte er. »Sie haben mir Ihr Skizzenbuch noch nicht wieder gezeigt.«

»Ich bin dieser Dilettanterei satt. Was soll ich hier zeichnen? Das Meer? Man schämt sich hier seiner Unzulänglichkeiten mehr als anderswo.«

»Es ist so,« sagte Randers und dachte an die Verse, die er gestern gemacht hatte und die er gerne vorgelesen hätte. Jetzt verging ihm der Mut dazu.

»Wollen Sie nie wieder zum Theater zurück?« fragte er.

»Nein, es ist nicht mein Beruf.«

»Sollten Sie sich nicht täuschen? Ihre Hedda Gabler gestern –«

»Die habe ich gespielt, mich ganz hineingespielt, und so las ich sie Ihnen gestern überzeugend. Die liegt mir auch, Ibsen überhaupt. Aber sehen Sie, es treibt mich nicht, hält mich nicht. Ich habe mir selbst den Beweis geben wollen, dass ich etwas könne, etwas war es auch Trotz gegen meine Familie. Aber ich habe kein Theaterblut. Und der Kunst muss man ganz gehören, mit allen Fasern, wenn man ihr dienen und sich nicht dabei verlieren will.«

Er schwieg einen Augenblick.

»Aber Sie sind doch eine Künstlernatur,« sagte er dann.

»Weil ich eine Seele habe?«

»Sie haben doch auch Talent.«

»Ja, ein paar Talente. Ich singe, schauspielere. Und weil ich eine lebendige Seele habe, kommt auch etwas dabei heraus. Andere würden zufrieden damit sein und sich ein bescheidenes Häuschen mit allerlei Ruhmesflitter daraus aufbauen. Ich aber will kein Häuschen, ich will ein Haus mit einem stolzen Turm darauf. Und dazu reicht's nicht.«

»Sie sind zu bescheiden.«

»Ich kenne mich und richte mich ein. – Und dann hab ich's ja nicht nötig,« setzte sie leiser hinzu.

»Aber Naturen wie Sie müssen doch einen Beruf haben, eine Aufgabe!«

»Das sagen Sie?«

Es klang wie Spott.

Er errötete.

»Ach ich. Ich bin verfehlt, verpfuscht.«

»Und wer trägt die Schuld?«

»Ich selbst natürlich.«

Sie sagte nichts und malte mit der Hand Kreise in den Sand.

»Etwas natürlich auch die Verhältnisse,« setzte er hinzu.

»Die muss man meistern.«

»Das geht nicht immer.«

»Man muss wissen, was man will und was man kann.«

»Und wenn man was will, was man nicht kann?«

»Das ist ja ein grosses Unglück.«

»Man kann nichts dafür.«

»Na –«

Sie brach kurz ab.

»Sie meinen doch?« fragte er.

»Ja, mit der Zeit muss man doch zur Erkenntnis kommen. Einsehen, was man ist, wer man ist. Und dann heisst's, seinen Pflock einschlagen, so, hier wirkst du, hier ist dein Land.«

»Wenn aber diese Erkenntnis zu spät kommt?«

»Was nennen Sie zu spät?«

»Nun, so in meinen Jahren.«

»Freilich, im Greisenalter.«

Sie lachte spöttisch, und er stimmte herzlich ein.

»Also zur Erkenntnis sind Sie doch schon gekommen?« sagte sie etwas boshaft.

»Dass ich nicht kann, was ich möchte? Ja.«

»Was möchten Sie denn?«

Er besann sich einen Augenblick und sagte dann wie im Scherz:

»Heiraten.«

Sie lachte laut auf.

»Und warum können Sie es nicht?«

»Weil ich keine Frau finde.«

»Die Ihrer wert ist?«

»Die zu mir passt.«

»Und, wie muss dies begnadete Wesen geschaffen sein?«

»Ja wenn ich das nur wüsste.«


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