Gustav Falke
Der Mann im Nebel
Gustav Falke

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9.

Es war der dritte Regentag. Aber es regnete nicht mehr so anhaltend. Nur hin und wieder fielen kurze Regenschauer. Aber es war kühl und windig, und zerrissene Wolkenfetzen jagten am Himmel hin, wie Flüchtlinge eines zersprengten Heeres.

»Was ist das Leben? All dieses Leben nach aussen hin, welche Befriedigung gewährt es zuletzt?« sagte Randers. »Ist nicht alles so verzweifelt farblos, öde, wenn wir nicht etwas Farbe hinzutun – aus unsern innern Farbtöpfen, etwas Goldschaum dran wenden, einen bunten Schleier darüber decken?«

Fides sass am Flügel, die Hände in dem Schoss, mit dem Rücken gegen das Instrument.

»Die Philosophie eines Träumers, die nur Traumfrüchte pflücken wird. Wie wollen Sie sich ein Leben zimmern, ein Haus bauen? In Luftschlössern kann man doch nicht wohnen.«

»Oho, gewiss kann man das! Leben wir nicht alle in Luftschlössern? Unser eigenstes, höchstes und feinstes Leben –«

»Ich bin praktischer,« unterbrach sie ihn lachend, »ich halte es mit der Wirklichkeit. Ich lobe mir die Realitäten. Wünsche und Träume haben wir ja alle. Aber wir suchen und wollen doch ihre Verwirklichung.«

»Wenn sie sich aber nicht verwirklichen lassen?«

»Dann resigniert man eben.«

»Oder begnügt sich mit dem Traum der Erfüllung.«

»Das versteh ich nicht.«

»Was Sie nicht in der Wirklichkeit besitzen können Sie doch im Traum besitzen, in der Einbildung.«

»Um nachher doppelt enttäuscht zu werden?«

Er zuckte die Achseln.

»Man muss Philosoph oder Dichter sein, um leben zu können,« sagte er.

»Oder Eroberer.«

Er sah sie gross an.

»Wenn einem aber hierzu die Kraft fehlt?«

»Dann muss man nicht auf Eroberungen ausgehen und sich an der Philosophie genügen lassen.«

»Also.«

Eine Pause, die sie mit ein paar Läufen ausfüllte.

»Im Besitz liegt das Glück doch nicht,« stiess er hervor.

»Aber man will doch schliesslich besitzen.«

»Glück ist Sehnsucht, Erfüllung ist Tod.«

»Ist das von Ihnen?«

»Wie so?«

»Das klingt wie aus einem Gedicht.«

»Wie ist es zum Beispiel mit der Liebe?« rief er, warm geworden und auf ihre Bemerkung nicht eingehend.

»Sie meinen, die hört mit dem Besitz auf?« fragte sie.

»Ja.«

»Sprechen Sie aus Erfahrung?«

Sie lachte ein wenig spöttisch und überlegen, als wüsste sie das besser. Und er lachte auch. Was sollte er darauf antworten?

»Ausnahmen gebe ich ja zu,« sagte er.

»Also doch.«

»Die Liebe kennt überhaupt keine Regeln, sie kennt nur Ausnahmen.«

»Also Streit um des Kaisers Bart.«

»Sie haben recht. Spielen Sie mir lieber noch etwas Chopin. Oder den Totentanz.«

»Ihr ewiger Totentanz.«

Sie präludierte ein paar kurze Takte und spielte Webers »Aufforderung zum Tanz«.

Er schüttelte missbilligend den Kopf.

Er liebte diese Musik nicht. Er erhob sich leise und trat in die offene Verandatür und sah in den windbewegten Park hinaus.

Ob sie es gemerkt hatte?

Sie hielt mitten im Stück auf.

»Es ist nichts,« sagte sie. »Ich mag heute nicht spielen.«


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