Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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XXV.

Nirgends wurde die »nette Geschichte mit der Behn« eifriger besprochen, als im Wittfothschen Keller. Man war ja hier »der Nächste dazu«.

Frau Caroline stellte sich völlig auf den Standpunkt der Moral. Sie verurteilte Lulu und tadelte Wilhelm, ganz wie es sich für eine anständige Frau geziemte, und hätte sicher an beiden kein gutes Haar gelassen, wenn nicht die Aussicht, mit Behns verwandt zu werden, ihre sittliche Entrüstung etwas gemildert hätte.

Sie hatte sich immer von der vornehmen Lulu über die Achseln angesehn gefühlt. Nun rückte sie jener gegenüber gar in den Rang einer Schwiegermutter auf.

Frau Beuthien senior und Frau Beuthien junior würde es nun heißen.

Meine Schwiegertochter Lulu.

Der Wittfoth »lachte das Herz im Leibe« bei diesem Gedanken. Vielleicht nannte Lulu sie gar Mama.

»Es ist doch ein furchtbar leichtsinniges Ding, die Lulu«, sagte sie zu Therese. »Und Wilhelm ist ebenso. Aber es ist ja nun man 'n Glück, daß noch alles so gut abläuft.«

Therese nahm wenig Teil an dieser Affaire. Ihre immer mehr abnehmenden Kräfte bedurften der Schonung. Ihre Gedanken weilten ganz wo anders, als bei diesen kleinen Erdendingen. Seit einigen Tagen wußte sie, daß sie sterben würde. Sie hatte sich im Traum im Sarg liegen sehen und sah wiederholt an der Zimmerdecke Mäuse.

Das bedeutete den nahen Tod.

Therese wollte sonst nicht für abergläubisch gelten. Kartenlegen, Besprechen und anderen Altweiberunsinn belächelte und verspottete sie. Aber alles, was mit dem Tode zusammenhing, hatte ihr von je her ehrfurchtsvollen Schauder abgenötigt. So weit erstreckte sich ihre Aufklärung nicht. Daß der Tod entfernter Personen sich oftmals ankündigt, durch Herabfallen von Bildern, Stillstehen von Uhren, geheimnisvolles Rufen, galt ihr durch mehr als ein Vorkommnis für erwiesen.

Die Tante, der sie ihren Traum erzählte, hatte erst ein ganz bestürztes Gesicht gemacht und dann laut gelacht und ihr eifrig den »Unsinn« auszureden gesucht. Als ob Tante Caroline nicht ebenso steif und fest an dergleichen Vorbedeutungen glaubte.

Hermann gegenüber hatte Therese Scheu, davon zu reden. Aber einmal, gesprächsweise machte sie doch Andeutungen.

»Unsinn«, sagte er, ganz wie die Tante. Dann ergriff er ihre Hand, streichelte sie sanft und sagte bestimmt: »Du wirst noch wieder fix und gesund, Resi.«

Als sie ungläubig den Kopf schüttelte, sagte er wiederholt »Unsinn, Unsinn«, stand auf und sah lange zum Fenster hinaus.

Das sagte ihr genug.

Aber sie blieb ruhig und heiter.

Sie hätte vor einigen Wochen selbst nicht geglaubt, daß sie den Tod so ruhig erwarten könnte. Kein Zagen, kein Graun.

Nur am letzten Abend, als Hermann fortging und erst in zwei Tagen wiederkommen zu können erklärte, war ihr auf einmal so bange geworden, so zum Aufschrein angst. Es war ihr, als würde sie ihn nie wiedersehen, als müßte sie ihn mit Gewalt zurückhalten.

Frau Caroline, der auch vom Arzt, auf Hermanns Wunsch, noch nicht alle Hoffnung genommen worden war, glaubte, Therese würde die »Krisis« überstehen. Sie sprach viel von dieser Krisis, ohne sich eine klare Vorstellung davon zu machen.

Vielleicht würde ihr der Ernst der Krankheit mehr zum Bewußtsein gekommen sein, wenn nicht ihre persönlichen Angelegenheiten sie gar so sehr in Anspruch genommen hätten.

Die geschäftlichen Obliegenheiten lagen thatsächlich fast allein auf ihren Schultern, da Fräulein Frieda sich fortgesetzt unbrauchbar zeigte.

Dazu kamen die Heiratsgedanken.

Beuthien hatte auf baldige Heirat gedrungen, und man hatte schon allerlei Vorbereitungen getroffen. Nun schob Theresens Krankheit und die »leidige« Geschichte mit Wilhelm und Lulu alles wieder auf.

Die Behnsche Geschichte interessierte sie ungemein. Die Mädchen, die in ihren Laden kamen, sprachen davon und suchten von ihr mehr zu erfahren. Sie stand ja als so nahe Verwandte des Sünders mitten in der Aktion, und von je her war sie nie glücklicher gewesen, als wenn sie irgendwo »mit dazu gehörte.«

Als künftige Schwiegermutter der ins Unglück geratenen, bewahrte sie natürlich allen Ausfragern gegenüber die nötige Zurückhaltung, und half durch ihr geheimnisvolles Wesen nur noch mehr, einen dichten Schleier abenteuerlicher Gerüchte um diesen pikanten Vorfall zu weben.

Wie erschrak sie, als Mutter Behn früh morgens, um sechs Uhr, mit der ängstlichen Frage bei ihr vorsprach, ob sie Lulu nicht gesehen habe.

»Se is utgahn gistern Abend und is nich wedder an't Hus kamen.«

»Meine Güte, Frau Behn«, rief die Wittfoth »Ihr ist doch nichts passiert?«

Die Gemüsefrau von nebenan kam. »Hebben Se all hürt? Behns ehr Lulu is furt.«

Ein Dienstmädchen aus der Gärtnerstraße wollte »man bloß mal auf'n Augenblick einsehen«.

»Nu is se ja woll utrückt«, meinte sie. »Wat'n Upstand.«

Auch der alte Beuthien kam ganz verstört.

»Line, Line, wat'n Stück--wat'n Stück.«

Im Hinterzimmer schellte Therese, aber niemand hörte sie.

Fräulein Frieda stand mit offenem Mund und vor Erregung glühenden Wangen immer neben der Wittfoth.

»Wenn sie sich nur nichts angethan hat«, sagte sie.

»Ach was soll sie wohl«, fuhr Frau Caroline sie an. »Haben Sie schon die Schürzen gesäumt? Sie wissen ja, sie sollen doch bis ein Uhr fertig sein.«

Damit schüttelte sie diese kleine Klette energisch von sich ab.

Mittags kam Beuthien wieder. »Se hebbt se«. sagte er finster.

»Dod?« fragte die Wittfoth.

Beuthien gab mit dem Daumen über die rechte Schulter hinweg die Richtung an: »In'n Kanal.«

»Herr meines Lebens!« rief die erschrockene Frau. »Da muß ich mich erst mal setzen. Das ist mir ordentlich in die Beine gefahren.«

Ein lautes durchdringendes Schellen klang von hinten her.

»Mein Gott, Therese. Das ewige Klingeln. Es ist aber auch gar zu doll. Was sie nu wohl wieder hat.«

Damit haftete sie über den Korridor, steckte aber im Vorübereilen den Kopf durch die Thür des Arbeitszimmers:

»Sind Sie fertig, Frieda? Nein? Na halten Sie sich man nicht auf, und man ja nicht zu breit, hören Sie?«


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