Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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XXIV.

Wilhelm hatte gebeichtet. Anna, das frühere Behnsche Mädchen, war die Mutter seines Kindes.

Behn hatte es übernommen, dieser ihre älteren Rechte auf Wilhelm abzukaufen.

Er fand das Mädchen in einem Keller bei Hökersleuten einquartiert, in einem engen, dumpfigen Raum. In einem großen Wäschekorb lag das erst vierzehn Tage alte Kind, häßlich, klein, eine Frühgeburt.

Anna schämte sich vor ihrem ehemaligen Herrn, nahm aber, als sie hörte, um was es sich handelte, eine keckere Haltung an.

Lulu, der hochmütigen, gönnte sie ihr Unglück. Sie trug ihr noch immer die Mißhandlung nach. Ihr sollte sie weichen, der ihre Rechte abtreten? Nie!

Aber schließlich gelang es Behn doch, sie mit einer ansehnlichen Summe zufrieden zu stellen.

Die Rücksicht auf das kranke Kind mochte sie mit bestimmt haben, das ohne sorgfältigste Pflege nicht gedeihen konnte. Starb es aber, so waren ihr die tausend Mark von Behn noch lieber, als selbst Beuthien.

Welch ein Vermögen, tausend Mark! Behn hatte sie ihr bar auf den Tisch gezählt, zehn Hundert Markscheine.

So ausgesteuert, konnte sie, ihrer Meinung nach, ganz andere Freier bekommen, als Wilhelm war.

Dieser war froh, daß alles sich so gut arrangierte. Sollte er denn durchaus heiraten, so war ihm Lulu natürlich lieber, als Anna.

Lulu erfuhr durch ihre Mutter, daß Beuthien sie heiraten werde.

»Vadder hätt sik vel Möh geben«, setzte die einfältige Frau hinzu. »Dusend Mark hätt em dat kost't. Du kannst em nich dankbar nog sin.«

»Für Geld?« rief Lulu.

»Ne, so nich. Du versteihst mi falsch, Kind«, beruhigte die Mutter sie. Und dann erzählte sie, nach ihrer Meinung sehr schonend, die Geschichte mit Anna.

Lulu hatte nichts darauf erwidert und war sehr nachdenklich geworden.

Also Anna hätte sie es eigentlich zu verdanken, wenn sie vor Schande bewahrt blieb. Und das Mädchen wußte natürlich nun alles, empfand Schadenfreude, sah sie als ihresgleichen an.

Aber alle diese Gedanken kamen ihr nur so nebenher. Alles erdrückte die Gewißheit, daß Beuthien sie hintergangen, es schon mit der andern gehalten hatte, als er sie ins Unglück riß.

Wer sagte ihr, daß Anna die einzige sei? Und mit diesem Menschen sollte sie zeit ihres Lebens verbunden sein.

Ihr schauderte. Ihre Neigung zu Beuthien war in den Qualen der letzten Tage untergegangen. Nun empfand sie Ekel vor ihm.

Alle seine Fehler, seine Roheiten drängten sich plötzlich in ihr Bewußtsein. An diesen ungebildeten, brutalen Menschen hatte sie sich verloren.

Sie kam sich wie besudelt vor.

Sie konnte von ihrem Zimmer aus in die Küche der Nachbarhäuser sehen.

Jene Köchin mit den dicken, roten Armen, die eben mit plumper Geschäftigkeit auf dem Fensterbrett den Mörser handhabte, wie oft mochte sie in seinen Armen gelegen haben.

Und dort oben, in der dritten Etage, die kleine frech ausschauende Person, und da unten in Parterre die lange rothaarige, hat er sie nicht vielleicht alle schon mit seinen Zärtlichkeiten bedacht?

Es war ihr, als sähen alle zu ihr herüber, in ihr Fenster hinein, höhnisch, vertraut: Wir gehören zusammen, Fräulein.

Sicher sprach man jetzt überall von ihrer Schande. Würde Anna schweigen, Anna, die sicher noch ihren alten Haß hegte?

Welcher Einfall von dem Vater, sie von dieser Person frei zu kaufen. Hieß das nicht, die Sache erst recht unter die Leute bringen?

Mochte Beuthien doch das Mädchen heiraten. Sie, Lulu, wollte lieber aus dem Hause gehen, weit fort, arbeiten, für sich, für das Kind, oder sterben.

Es war das erste Mal, daß der Gedanke an den Tod ihr kam.

Sie hing ihm nach, malte sich es aus, den Schrecken der Familie, die Reue Beuthiens, das Mitleid der Nachbarn.

Natürlich, so lange wird man beklatscht, begeifert, gesteinigt, aber nachher, hat man es nicht mehr ertragen können, dann weinen sie ihre Heuchelthränen.

Wie ekelhaft ihr die Menschen waren. Nein, nicht leben mehr. Ein Sprung in die Alster, und alles ist gut.

Der Kopf war ihr so schwer, und die Augen schmerzten ihr vom Weinen.

Sie kühlte sich am Waschtisch Augen und Stirn.

Bei dem Blinken des Wassers mußte sie immer an die Alster denken.

Ein Sprung in die Alster.

Sie hatte einmal einen Ertrunkenen auffischen sehen. Das Bild trat ihr vor Augen. Sie schüttelte sich vor Grausen und atmete wie befreit auf. Wer zwang sie denn? Sie war ja frei.

Als die Mutter sie so müde und elend fand, redete sie ihr zu, doch etwas in die Luft zu gehen. Sie müsse sich Bewegung machen, auch des Kindes wegen.

Lulu wehrte ab.

Dann sollte sie wenigstens am Abend gehen, nach Dunkelwerden. Sie wollte sie begleiten, meinte die Mutter.

Ja, am Abend, jetzt nicht. Aber allein, sie ginge am liebsten allein, nickte Lulu.

»Is recht min Deern, dat deit di god«, sagte die Mutter.


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