Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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XVI.

Einige Tage später sprach man in der Nachbarschaft des Durchschnitts von nichts anderem, als von der Verlobung des alten Beuthien mit der Witwe Wittfoth, hier mit neidischer Geringschätzung, dort mit selbstbewußtem Indiebrustwerfen: haben wir es nicht gleich gesagt. Etliche gleichgiltig, als handle es sich um das Wetter, andere mit einer Vertiefung in den Gegenstand, als wäre nun die natürliche Ordnung der Dinge durchbrochen und die Erde liefe von jetzt ab anders herum.

Und man sprach nicht mehr von einem Gerücht. Es war eine Thatsache. Der alte Beuthien hatte wirklich von dem Stiftungsfest des »Alpenveilchens« den nötigen Mut mit nach Hause gebracht, und Frau Caroline hatte nach kurzem schamhaftem Sträuben, unter Hinweis auf ihr vorgerücktes Alter, ja gesagt.

»Wenn Sie es durchaus wollen, so will ich Ihrem Glück nicht im Wege sein.«

So ungefähr lauteten die Schlußworte der kleinen Frau.

Hiermit war denn auch über den Antrag des Herrn Pohlenz entschieden. Die Kunde von seinem Lotteriegewinn hatte Frau Caroline allerdings wieder unschlüssig gemacht, nachdem sie sich in ihrem Hinundherwenden der Sache schon mehr für die Ablehnung entschieden hatte.

Für vierzigtausend Mark jedoch konnte man über Kleinigkeiten schon hinweg sehen.

Aber ob man mit vierzigtausend Mark nicht auch über allerlei hinweg sähe? Ueber die Witwe Wittfoth zum Beispiel? Das war eine andere Frage.

Frau Caroline war bei aller Selbstachtung doch nicht eitel genug, um das Bestechliche, was für Herrn Pohlenz in einer Verbindung mit ihr lag, in ihrer Person gesucht zu haben. Sie hatte sich keiner Täuschung hingegeben. Bei Beuthien aber war sie sicher, daß auch persönliche Neigung zu Grunde lag.

Als Herr Emil Pohlenz von der Verlobung der Witwe Wittfoth hörte, fiel ihm ein Stein vom Herzen. Jetzt war er der Freigegebene, der Verschmähte.

Als er beim Lotteriecollecteur das gewonnene Geld eingestrichen hatte, wußte er, was er wollte.

»Nach reiflicher Ueberlegung und mit Bewahrung meiner vollsten Hochachtung und Wertschätzung kann ich mich der Einsicht nicht verschließen.« So oder ähnlich dachte er sich den Anfang seines Briefes an die Wittfoth.

Natürlich wollte er jetzt nicht länger Stadtreisender bei Müller und Lenze bleiben. Aber bis zur Lösung seines Kontraktes mußte er noch seine Geschäftsbesuche bei der Witwe fortsetzen. Das war auch jetzt noch sehr peinlich, aber er konnte ihr doch mit dem Stolz des Gekränkten, Verschmähten gegenüber treten, eine Rolle, in welche er sich mit vierzigtausend Mark in der Tasche leicht hinein finden würde.

Ein anderes kam hinzu, das ihm den Gang nach dem Eckkeller der Wittfoth bedeutend erleichterte.

Auf der Fahrt nach Buxtehude war eine schlummernde Neigung in ihm wach geworden. Schon immer hatte er sich bemüht, dem hübschen Ladenmädchen der Witwe näher zu kommen. Aber Mimi Kruse war ihm gegenüber stets kühl bis ans Herz gewesen, ja abweisend. Ihr liebenswürdiges Entgegenkommen in Buxtehude aber hatte Hoffnungen in ihm geweckt.

Er gab sich keinen Illusionen hin. Er taxierte sie richtig. Er wußte, welcher Wind dieses Wetterfähnchen gedreht hatte. Aber er betrachtete ja selbst das Leben nur vom kaufmännischen Standpunkt. Was kostet das?

Was Mimi Kruse anbelangte, so wußte er jetzt, daß er sie sich »leisten« konnte, daß seine »Mittel« sie ihm »erlaubten«. Warum sollte er sie nicht »kaufen?«

Als er die Verlobungsanzeige der Wittfoth erhalten hatte, verband er mit einem Geschäftsbesuch die Gratulationsvisite und die Erkundigung bei Mimi, wie ihr die Ausfahrt bekommen sei. Er bat um die Erlaubnis, sie einmal ausführen zu dürfen, erzählte von seinen Zukunftsplänen, ließ durchblicken, daß er möglicherweise noch eine kleine Erbschaft von einer Tante erwarten könnte, und machte einen solchen Eindruck auf Mimi, daß sie »mit Vergnügen« seine Einladung annahm.

Von jetzt ab kam Herr Pohlenz häufiger, zur Verwunderung Frau Carolinens, die jedoch nicht lange im Unklaren über die Veranlagung zu diesem Geschäftseifer des Stadtreisenden blieb.

Sie war beleidigt von dem Gleichmut, mit dem Herr Pohlenz ihren Verlust, den Verlust seines »ganzen Lebensglückes,« wie er es damals nannte, ertrug, und war entrüstet über Mimi.

Hatte diese nicht Hermann »Avancen« gemacht? Und nun band sie mit diesem Gecken an, weil er Geld hatte.

Was würde Hermann sagen, der arme Junge. Sie mochte gar nicht daran denken. Wenn nicht in diesen Tagen ihre Verlobungsfeier stattfinden sollte, an der sie nur vergnügte Gesichter um sich sehen wollte, so würde sie Hermann schon jetzt die Augen öffnen. Aber nachher sollte er auch keinen Augenblick länger über Mimis Doppelspiel im Dunkeln bleiben.

Dem Mädchen selbst wagte sie keine Vorwürfe zu machen. Es war ihr peinlich, sich darein zu mischen. Wenn sie nun die Entrüstete spielen wollte, sähe es nicht aus, als ob sie sich über den Entgang der vierzigtausend Mark ärgerte? Wie Neid, Mißgunst?

Nein, sie ließ der Sache ihren Lauf. Mochte Hermann sehen, wie er mit Mimi fertig würde. Im Grunde wäre es ja nur ein Glück, wenn er diese Person nicht bekäme.

»Stich hält sie doch nicht,« schalt sie bei sich.

Hermann hatte nach der Buxtehuder Tour einige mißvergnügte Tage. Mimis freies Benehmen, ihre Liebenswürdigkeit gegen Pohlenz, über den sie doch sonst bei jeder Gelegenheit die Schale ihres Spottes ausgoß, hatten ihn tief verstimmt. Immer mehr kam er zur Erkenntnis ihres oberflächlichen Charakters. Aber ihrem sinnlichen Reiz konnte er sich nicht entziehen. Seine Eifersucht blendete seinen klaren Blick und verwirrte seine Entschlüsse.

Dieser faden, beschränkten Krämerseele sollte er weichen?

Statt den Kampf mit dem Verachteten aufzunehmen, zog er sich erbittert zurück, und glaubte, Mimi durch Vernachlässigung strafen zu können. Aber diese Strafe traf nur ihn selbst. Er litt sehr. Er sehnte sich, sie zu sehen, sich auszusprechen. Doch wann würde er sie bei der Tante einmal sprechen können, ohne Störung?

So wollte er sie denn um eine Zusammenkunft bitten.

Aber wenn sie merkte, was er wollte, und nicht käme?

Das beste wäre, er spräche sich gleich brieflich mit ihr aus.

Und so schrieb er denn:

Liebes Fräulein!

Die Gefühle, die mich beseelen und die ich nicht länger zum Schweigen verurteilen kann, drücken mir die Feder in die Hand. Habe ich nötig, das noch auszusprechen, was Ihnen, ich weiß es, schon lange kein Geheimnis mehr sein kann?

Mein ganzes Benehmen gegen Sie muß Ihnen längst bewiesen haben, wie unaussprechlich ich Sie liebe, und daß es das höchste Ziel meines Strebens, das Glück meines Lebens ist, Sie, teuerste Mimi, mein eigen nennen zu dürfen.

Ich wollte noch bis Michaelis warten, bis zur Aufbesserung meines Gehaltes, ehe ich Sie vor die Entscheidung stellte. Aber der Kopf denkt, und das Herz lenkt. Und mein Herz gehört Ihnen, hochverehrtes, inniggeliebtes Mädchen, wie auch immer Ihre Antwort ausfällt.

Verschmähen Sie meine Liebe nicht, werden Sie mein, und machen Sie namenlos glücklich

Ihren hoffenden

Hermann Heinecke.

Als Mimi den Brief las, überkam sie zuerst das Gefühl einer großen Bestürzung. Nun ward es ernst.

Dann aber kam die Eitelkeit zum Wort.

Sie las zum zweiten Mal und ward nun gerührt. Er war doch ein guter Mensch. Namenlos glücklich sollte sie ihn machen.

Mein Gott, es ist doch etwas Schönes um die Liebe. Sie barg den Brief in ihrer Tasche und brach in ein unterdrücktes Schluchzen aus.

»Nun, was ist Ihnen denn passirt?« fragte die Wittfoth, die sie bei diesem Ausbruch ihres im Grunde weichen Gemütes überraschte.

»Meine Freundin ist so krank«, stotterte Mimi.

»Ist es denn zum Sterben?« erkundigte sich Frau Caroline.

»Das nicht,« war die Antwort.

»Na, denn ist es ja noch immer Zeit zum Weinen,« tröstete die Wittfoth.

»Ich sag ja«, dachte sie, als Mimi bald nachher ihre Thränen getrocknet hatte. »Tief geht nichts bei der. Lachen und Weinen in einem Atem.«

»Na, Fräulein,« fragte sie mit leisem Spott, »es ist wohl man halb so schlimm?«

»Ach ja, ich erschrak mich nur so furchtbar«, gab Mimi zu.

»Dann schreiben Sie nu auch man gleich«, mahnte die Wittfoth gutmütig. »Ja, das wollte ich auch, heute Abend noch«, erklärte Mimi.

Und am selben Abend schrieb sie an Hermann:

Geehrter Herr Heinecke!

Wie schmeichelhaft mich Ihr wertes Schreiben berührt hat, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Ich achte Sie hoch und glaube gewiß, daß Sie eine Frau so glücklich machen werden, wie sie es verdient, aber nehmen Sie es mir bitte nicht übel, wenn ich nach reiflicher Erwägung zu dem Entschluß gekommen bin, Ihren werten Antrag nicht annehmen zu können, so gerne ich dieses auch möchte.

Ich meine ohne rechte Liebe ist es eine Sünde, wenn ich ja sagen wollte und im Herzen denke ich ganz anders. Nicht wahr, Sie verzeihen mir meine Ehrlichkeit? Es ist ein gar zu schwerer Schritt, den Sie von mir verlangen, und das Leben ist doch so furchtbar ernst. Es thut mich leid, Ihnen weh thun zu müssen, aber es giebt ja noch ganz andere Mädchen, als ich eine bin, und Sie werden gewiß noch einmal so glücklich, wie Sie es verdienen. Selbiges wünscht Ihnen von Herzen

Ihre Mimi Kruse.

Sie hatte diesen Brief zweimal geschrieben, da die erste Niederschrift ein Petroleumfleck verunzierte. Sie hatte sich beim Höherschrauben der Lampe die Finger beschmutzt und beim Umwenden des Briefbogens diesen befleckt.

Mit brennenden Wangen und fliegendem Atem las sie wiederholt ihr Schreiben und malte vorsichtig mit zitternder Hand noch einige vergessene U-striche hinein. Dann schloß sie den Brief in ein Couvert. Aber ihr fiel eine Nachschrift ein, und sie öffnete es wieder.

»Was die Geschenke anbelangt, die Sie so gütig waren mir zu schenken«, fügte sie hinzu, »so erlauben Sie mir wohl, dieselbigen als Andenken zu behalten. Nochmals meinen besten Dank für alles Gute.«

Sie nahm ein neues Couvert und versah es mit der Aufschrift.

Herrn Volksschullehrer
Hermann Heinecke
p. Adr.: Frau Ww. Thielemann
Hierselbst.
Raboisen 27, III.


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