Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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XVIII.

Lulu Behn hatte sich vergeblich gesträubt, mit zum Rennen zu fahren. Sie hatte Kopfschmerz vorgeschützt, ihr häufiges Uebel, aber der Vater hatte es nicht gelten lassen wollen und gemeint, das gäbe sich unterwegs, in frischer Luft, am besten.

So gutmütig er war, so verlangte er doch von anderen dieselbe Härte gegen kleine körperliche Unbequemlichkeiten, die er gegen sich selbst übte.

Lulu, um nicht unnötige Besorgnis zu erregen, die ihr aus guten Gründen gefährlich schien, gehorchte und nahm ihren Sitz in der offenen Droschke neben der Mutter ein, während Paula mit dem Vater auf dem Rücksitz Platz nahm.

Es war dieselbe Droschke, in der sie mit Beuthien ihre häufigen heimlichen Fahrten gemacht hatte, der alte wohlbekannte Braune, und, was ihr das Schrecklichste, war, Wilhelm fuhr selbst.

Nach jenem Besuch des Horner Wäldchens hatten sie sich erst einmal wieder gesehen. Beuthien wich ihr aus, und sie schämte sich vor ihm. Dieses eine Mal aber mußte sie ihn sprechen, um ihm zu sagen, was sie befürchtete.

Er hatte sie ausgelacht und ihr allerlei Ratschläge gegeben und die Geängstigte beruhigt.

Wie er es so leicht nahm und so zuversichtlich sprach, ward auch sie gefaßter. Beuthien würde sie nicht sitzen lassen, er würde sie heiraten.

Heute aber fuhr sie mit der Gewißheit des ihr Bevorstehenden durch die bunte Menge nach Horn hinaus, in der Stimmung eines Verbrechers, der nach dem Schauplatz seiner That geführt wird.

Wie meisterlich sich Beuthien beherrschte. Nicht einmal errötet war er, als Lulu mit leichtem Neigen des Kopfes an ihm vorbei in den Wagen stieg. Und wie gleichmütig er dort oben auf dem Bock saß, und wie sicher er seinen Gaul durch das Gewirr der Fuhrwerke lenkte.

Der alte Behn wurde unterwegs doch besorgt, als Lulu mehrmals die Augen schloß und sich erblassend zurücklehnte.

»Willst Du doch aussteigen?« fragte er. »Du kannst noch bequem mit der Pferdebahn zurückfahren.«

Sie wehrte ab. Sie wollte es jetzt durchsetzen. Beuthiens stoische Ruhe hatte sie geärgert, und sie wollte es ihm nachthun.

Bevor der Weg nach dem Rennplatz abbog, sah sie in der Ferne jenes Wäldchen liegen, wie ein niedriges, schwarzes Buschwerk ragte es über die welligen Felder hinweg.

Ob er hinüber sah?

Sie beobachtete ihn, aber er hatte keinen Blick für die Umgebung. Er mußte seine ganze Aufmerksamkeit auf das Fahren richten.

Sie aber mußte immer wieder hinüber sehen nach dem schwarzen Fleck dahinten, über dem jetzt eine einzelne weiße Wolke, wie ein fabelhaftes Ungetüm, schwebte.

Wie unheimlich diese einsame Wolke aussah. Wie verloren schwebte sie im blauen Luftmeer, wie ein verschlagenes Segel im grenzenlosen Ocean.

Ein wunderliches, nie gekanntes Gefühl der Vereinsamung überkam Lulu. Mühsam beherrschte sie sich.

»Was guckst Du immer nach der Wolke?« fragte Paula.

Lulu schrak zusammen.

»Ich?« fragte sie. »Das ist doch man so.«

Sie wußte es kaum, daß sie beständig dort hinüber starrte.

»Lulu trinkt nachher etwas Selterwasser«, meinte die Mutter. »Das frischt ihr auf.«

Der Vater wollte sie jetzt mit der Droschke zurückschicken, Beuthien sollte dann zum Schluß des Rennens zurückkommen.

Fast heftig lehnte Lulu ab. Um keinen Preis wäre sie jetzt mit ihm allein gefahren.

Ein dumpfer Widerstand gegen seine Macht über sie begann sich seit ihrer letzten Unterhaltung zu regen.

Er kam ihr so anders vor, als sonst. Es war ihr, als sähe sie schärfer, wie durch ein Vergrößerungsglas.

Zuerst fielen ihr die vielen Fältchen unter den Augen auf, und das häufige nervöse Zucken der Lider. Eine kleine warzenartige Erhöhung auf dem Rand der linken Ohrmuschel, die sie nie gesehen zu haben meinte, drängte sich ihren Augen förmlich auf. Die breite Hautfalte über dem kräftigen gebräunten Nacken, dicht unter dem kurzgehaltenen schwarzen Haar, gab seinem Kopf, von hinten gesehen, etwas brutales.

Sie hatte während der ganzen Fahrt fast immer diese wulstige Nackenfalte ansehen müssen, und den etwas fettigen Kragen seines Rockes.

Wie garstig!

Als sie jedoch auf dem Rennplatz, mit einem flüchtigen Blick vom Wagen aus, ihn zwischen seinen Kollegen stehen sah, stattlich vor allen, und sah, wie er in einer kurzen scherzhaften Balgerei seine überlegenen Kräfte anstrengungslos brauchte, fühlte sie sich wieder auf seinem Arm, wehrlos seinem Willen unterworfen, und wie eine glühende Welle stieg das alte Gefühl für ihn wieder in ihr auf.

Teilnahmlos verfolgte sie das Rennen, nur mit sich beschäftigt. Die vorgeschützten Kopfschmerzen hatten sich nun wirklich eingestellt, infolge der Gemütsbewegung und der Hitze, die auf dem freien Felde herrschte. So war sie froh, als man sich für den Heimweg rüstete.

Auf der Rückfahrt gab der Ausfall der verschiedenen Rennen Stoff zur lebhaften Unterhaltung, in die auch Beuthien hineingezogen wurde. Man hatte nicht trockenen Gaumens in der Sonne des Sommernachmittags ausgehalten, und das genossene Getränk hatte namentlich auf Paula seine erregende Wirkung nicht verfehlt.

Sie hatte gebeten, bei Beuthien auf dem Bock sitzen zu dürfen, und der alte Behn war froh gewesen, erhitzt wie er war, die Breite des Sitzes für sich allein benutzen zu können.

Paula, schon von Natur nicht mundfaul, war infolge der genossenen Anregungen beständig im Schwätzen mit Beuthien, der sich an dem Mädchen ergötzte, das ihn oft mit so eigentümlichen leuchtenden Blicken anblitzte.

»Die wird noch mal«, dachte er. »Zwei Jahre weiter spielen wir mit.«

Der große, derbknochige Backfisch mit den fliegenden blonden Haaren, dem weißen, sommersprossigen Teint, den breiten sinnlichen Lippen und dem runden, festen Kinn, versprach, sich mehr nach seinem Geschmack zu entwickeln, als Lulu es gethan, deren weiche, kraftlose Formen ihn nicht auf die Dauer reizten.

Paula sah heute besonders vorteilhaft aus mit ihrer leuchtenden roten Bluse und der gleichfarbigen Federgarnitur des weißen Strohhutes.

»Brennende Liebe« taufte die Mode poetisch dieses flammende Rot.

Lulu sah das vertrauliche, lustige Plaudern der beiden und ward plötzlich eifersüchtig.

Es war nicht Paula, »das dumme Gör«, die sie fürchtete, aber in der Schwester personifizierte sich ihr die Gefahr, die ihr möglicherweise von anderer Seite drohen könnte.

Wenn Beuthien sie verließe?

Wieder kam einer jener Momente über sie, wo sie mit grauenhafter Deutlichkeit in die Zukunft sah. Entweder Schande, oder seine Frau, Kutschersfrau.

Wenn er sie nun nicht heiraten wollte, würde ihr Vater ihn zwingen? Würde er ihn als Schwiegersohn anerkennen?

Sie schloß die Augen, als könne sie sich dadurch gegen alles Widerwärtige absperren.

Stumpfsinnig hatte sie in den letzten Tagen dahingelebt. Das wollte sie weiter, die Sache an sich herankommen lassen. Es war ihrer Natur am angemessensten, sich treiben und schieben zu lassen. Mochte es gehen, wie es ging.

Aber dann störte wieder ein Blick auf Paula sie auf, die mit ihrer »brennenden Liebe« so auffallend dort oben paradierte. Die meisten Blicke aus dem Publikum galten dem »feurigen« Backfisch auf dem Kutscherbock, nur einige Offiziere, die in einem leichten Jagdwagen ihre Droschke überholten, musterten fast auffällig das blasse Mädchen in der weißen, gürtelumschlossenen Bluse, das mit so müden Blicken vor sich hinstarrte.

Lulu hatte kein Auge für die Herren. Sie war ganz mit sich beschäftigt. Etwas wie Haß auf die Schwester regte sich, die noch immer Beuthien mit ihrem naiven Geschwätz unterhielt, unschuldig, ein Kind noch, und doch schon seit jenem Tanz mit ihm mit einem Fuß in dem verbotenen Garten, von dessen Früchten sie selbst bereits genascht hatte.

Ein häßlicher Gedanke stieg in ihr auf und sprach sich in einem kurzen, höhnischen Blick aus.

Lach nur, mein Kind, dachte sie. Auch deine Zeit kommt.


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