Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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IV.

Die Wittfoth hatte sich eine Tasse starken Kaffee bereitet, ihr Lieblingsgetränk, der zwar für die vollblütige, nervöse Frau das reine Gift war, dem sie jedoch mit wahrer Leidenschaft zusprach. Wenn Frau Caroline von »einer Tasse Kaffee« sprach, so war das nur der einfachere Ausdruck für ein gefülltes Kannenmaß. Heute, zur Feier des Festtages, hatte sie sogar noch für eine Tasse über das gewöhnliche Maß gesorgt, sich guten Rahm statt der sonst bei ihr üblichen Milch gegönnt und neben der gefüllten Zuckerschale einen selbstgebackenen Kuchen gestellt.

Seit Jahren kam zu allen Festlichkeiten ein solcher Kuchen, ein großer, flacher Platenkuchen mit Zucker- und Mandelaufguß auf den Tisch. Wer dieses Gebäck nicht genug zu würdigen wußte, hatte es mit der kleinen Frau verdorben. Ihr Platenkuchen war ihr Stolz.

Behaglich in den tiefen Lehnstuhl fast versinkend, ließ sich die Wittfoth ihren Festkaffee vortrefflich schmecken. Sie steckte ihre Näharbeit in die Ecke des Sofas und nahm sich vor, den Rest des Nachmittags mit gemütlichem Nichtsthun zu verbringen. Sie wollte auch ihren Feiertag haben. Sie mußte sich wahrlich genug plagen. »Ich wundere mich nur, daß mir der Kaffee noch so gut schmeckt«, sagte sie oft.

Im Grunde hatte sie wenig Ursache zum Klagen. Die Mädchen nahmen ihr alle Arbeit ab. Selbst die Küche brauchte sie nicht allein zu besorgen. Dennoch war sie überzeugt, daß niemand so mit Arbeit überbürdet sei wie sie.

Sie war immer in Bewegung und meistens in unnötiger. Sie war überall und nirgends, bald in der Küche, bald im Laden oder im Arbeitszimmer, hier einen Topf oder eine Pfanne, dort einen Flicken oder einen Bindfaden aus dem Wege räumend, um ihn an anderer Stelle abzulagern, wo er oft noch mehr im Wege war. Alle Augenblicke seufzte sie »meine Beine, meine Beine« und brummkreiselte doch wieder ruhelos auf ihren kurzen Beinen weiter. Kein Wunder, wenn sie am Abend »von all der Arbeit« müde war.

Auch jetzt hatte sie sich, trotzdem sie allein war, mit ihrem Gewohnheitsseufzer »Meine Beine, meine Beine« niedergelassen. Der duftige Trank regte ihre Lebensgeister an, der Kuchen war nach ihrem Geschmack vortrefflich geraten, und ein seltsames Wohlgefühl überkam sie.

Aus einer der über ihrem Keller gelegenen Etagenwohnungen drang gedämpftes Klavierspiel zu ihr: Zwei Teile des Donauwalzers von Strauß und dann Ketterers beliebtes Salonstück »Silberfischchen«.

»Schnutentante klimpert wieder«, sagte die Wittfoth im Selbstgespräch. Schnutentante war eine vierzehnjährige »höhere Tochter«, der sie wegen ihrer das Normalmaß überschreitenden Nase diesen Namen beigelegt hatte.

Aber das Klimpern war der einsamen Kaffeetrinkerin nicht unangenehm. Die Musik stimmte sie sentimental. Das Gefühl des Alleinseins überkam sie, die wohlthuende Empfindung des Mitleids mit sich selbst.

Das Wetter draußen war fortgesetzt unfreundlich. Der Wind warf einzelne Regen- und Schneeschauer gegen die Fenster, die in gleicher Höhe mit dem Trottoir lagen.

Frau Wittfoth freute sich doch, zu Hause geblieben zu sein. Der Ofen strahlte so gemütliche Wärme aus. Gott sei Dank, daß sie nicht draußen »rumzupatschen« brauchte.

Aber die Musik von oben führte ihre Gedanken den jungen Leuten nach, ins Konzerthaus. Sie hörte so gerne Musik. Als ihr Seliger noch lebte, besuchten sie häufig die Gartenkonzerte bei Mutzenbecher, jetzt Hornhardt, auf St. Pauli, oder im »Zoologischen«.

Das war lange her.

Jetzt, mit den Jungen, machte es ihr nur halbes Vergnügen. Sie fühlte sich überflüssig in deren Gesellschaft.

Aber war sie denn nicht auch noch jung? Waren denn fünfunddreißig Jahre ein Alter?

Zu den achtzehnjährigen Backfischen allerdings paßte sie nicht mehr. Aber um schon auf alle Lebensfreuden zu verzichten, sich zum alten Eisen zu rechnen, war es doch noch zu früh.

Freilich, eine alleinstehende Witwe in ihren Jahren muß sich schon zufrieden geben. Man muß froh sein, wenn man nur im Stillsitzen seinen guten Ruf wahrt. Dem Klatsch entgeht man nimmer.

Was war das doch für ein Gerede damals gewesen, mit dem hübschen Reisenden von Rosinsky und Söhne. Weil sie höflich gegen Herrn Bellermann war, sollte sie natürlich Heiratsabsichten haben. Als ob es nicht ihre Pflicht gewesen wäre, im Beginn ihrer Geschäftsthätigkeit sich mit Kunden und Lieferanten auf möglichst guten Fuß zu stellen.

Und wie viele Nachfolger hatte Herr Bellermann gehabt. Bald war es der, bald jener, den sie ködern, oder der nach ihr seinen Haken auswerfen sollte. Und immer waren die Leute boshaft genug, nicht von ihrer Person, sondern von ihrem Geschäft zu reden. Als ob sie nicht immer noch ansehnlich genug sei.

Jetzt war es Herr Pohlenz, der Stadtreisende von Müller und Lenze, der großen Knopffabrik, der Absichten auf sie haben sollte. Nun ja, diesmal hatten die Leute ja recht. Ein Blinder mußte sehen, daß Herr Pohlenz auf die Firma Caroline Wittfoth spekulierte. Aber lieber ginge sie in die Alster, als daß sie diesen Pohlenz heiratete. Schon vor seinen feuchten, kalten Händen schauderte ihr.

Dann lieber den alten Beuthien, der schon einmal Andeutungen gemacht hatte. Zwar nahm sie es damals für Scherz und nahm es auch noch dafür. Aber gesetzt, er hätte die Absicht, lieber den Droschkenkutscher als den Pomadenhengst mit den Leichenhänden.

Aber was fiel ihr denn ein, wie kam sie doch nur jetzt auf diese Heiratsgedanken? Sie mußte über sich selbst lachen.

Sie füllte zum dritten Mal ihre Tasse und schob ein längliches Stück Kuchen in den Mund, als die Ladenglocke ging.

Sie hörte am schweren Auftreten, daß männliche Kundschaft sie beehrte.

Es war der junge Beuthien, der sonntäglich gekleidet vor der Tonbank stand.

Er bat um einen neuen Halskragen.

»Welche Nummer, Herr Beuthien?«

Ja, wenn er das wüßte, lachte er. Seine Kragen wären ihm zu eng geworden. »Dat kniept all bannig«.

Sie legte ihm verschiedene Weiten vor, und er paßte sie unbeholfen an. Da er sich nicht entschließen konnte, half sie ihm und legte eigenhändig einen Kragen um seinen Hals.

»De paßt«, empfahl sie.

Als er gewählt hatte, mußte sie ihm wieder behilflich sein, die kleinen widerspenstigen Hornknöpfe durch die neuen steifen Knopflöcher zu drücken. Seine großen plumpen Finger waren nicht geschickt dazu.

Sie hatte Mühe davon, und es dauerte lange. Sein rotblonder Bart kitzelte sie auf der Hand. Er hob das Kinn höher, und sie bewunderte seinen braunen kräftigen Hals.

Beim Umlegen der Krawatte ging er etwas ungestüm zu Werke, so daß das Halsband riß.

»Dunner«, schalt er. »Dat Schiet is mör«.

Verlegen besah er den Schaden. Aber es ließ sich nichts daran ändern, und er verstand sich dazu, einen neuen Slips zu fordern.

Sein verlegener Aerger rührte sie. Und da seine Krawatte noch so gut wie neu war, erbot sie sich, den Schaden mit einigen Nadelstichen zu reparieren.

Sie nötigte ihn in die Stube. Zögernd folgte er und nahm mit etwas umständlichem Gebahren auf dem angebotenen Stuhl Platz, während sie ihr Nähzeug aus dem auf der Fensterbank stehenden Korb zusammensuchte.

Ein Blick auf die Straße zeigte ihr, daß im Parterre gegenüber Lulu Behn wieder ihrer Gewohnheit nach am Fenster rekelte.

»Immer as'n Blomenpott vor't Finster«, sagte sie und ließ die Rouleaux herunter, um jener einen Einblick zu versperren.

Beuthien schien ihre Bemerkung überhört zu haben.

Im Begriff, sich zu setzen, kam ihr der Einfall, ihm eine Tasse Kaffee anzubieten.

»Warum nich«, nahm er dankbar an. Sie schenkte ihm ein und schob ihm den Kuchenteller zu.

Es schien ihm zu behagen, und sie war schneller mit ihrer Arbeit fertig, als er mit seinem Kaffee.

Sie lud ihn ein sich Zeit zu lassen, fragte nach diesem und jenem und stillte ihre Neugier.

Als er gesprächig Auskunft gab und auch auf die Absicht seines Vaters zu sprechen kam, sich bald zur Ruhe zu setzen, meinte sie: »Dann heiraten Se woll gliek?«

»Ja«, antwortete er scherzend. »Wülln Se min Fru sin?«

»Da föhrt wi immer fein tosamen in de Kutsch«, ging sie darauf ein.

»Un mit söß«, lachte er und schob die geleerte Tasse von sich.

Schwerfällig erhob er sich, und sie bemerkte erst jetzt, daß er ein wenig schwankte. Er wischte sich mit dem Rücken der linken Hand langsam über die etwas niedrige braune Stirn und reckte die breiten Schultern.

Als sie ihm die ausgebesserte Krawatte zurückgab griff er nach ihrer Hand und legte den Arm um ihre Taille.

»Dat laten S' unnerwegs«, rief sie, sich losreißend. »So wiet sünd wi ja woll noch nich«.

Er versuchte noch einmal die hinter den hohen Lehnstuhl sich flüchtende zu erhaschen.

»Nichts für ungut, Madammchen«, lachte er dann, ablassend. »Spaß muß sind, sagt der Berliner«.

»All wo's hin gehört«, sagte sie pikiert.

»Na, denn nich«, brummte er gekränkt und fragte, was er schuldig sei. Aber sie wollte für die kleine Mühe nichts haben.

»Se föhrt mi mal ut«, scherzte sie, wieder versöhnlich gestimmt.

»Na, dann besten Dank und fröhlich Fest«.

Er gab ihr die Hand, und sein kräftiger Druck zwang ihr ein leises Au ab.

Als er fort war, stand sie wie selbstvergessen mitten im Laden und rieb noch immer mechanisch die Stelle, wo sich die roten Spuren seiner kräftigen Finger längst verzogen hatten.


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