Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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XX.

Frau Caroline hatte die Vorbereitungen zu ihrer Verlobungsfeier mit erklärlichem Eifer getroffen. Außer dem unvermeidlichen Platenkuchen hatte sie einen Puffer gebacken, groß genug, um die ganze Nachbarschaft abfüttern zu können. Trotzdem stand sie nicht davon ab, auch noch bei ihrem Brotträger einen gefüllten Kringel zu bestellen. »Der Mann soll auch was davon haben«, sagte sie.

»Aber wo sollen wir mit all dem Kuchen hin, liebe Tante«, wandte Therese ein.

»Man keine Angst, der wird schon alle werden. Kuchen muß sein«, erklärte die Wittfoth. »Wenn mal, denn mal. So'n powern Kram mag ich nicht.«

Die Feier dieses wichtigen Ereignisses war bis nach Mimis Abgang aufgeschoben worden, um Hermanns Teilnahme zu ermöglichen. Auch einem auswärtigen älteren Bruder des Bräutigams, der nicht früher hatte abkommen können, wurde auf diese Weise Gelegenheit gegeben, mitzufeiern.

Onkel Martin, ein kleiner Hufner in der Nähe von Oldesloe, kam denn auch schon am Morgen des Familienfesttages mit dem Frühzug an, mit ihm ein geräumiger Korb mit Eiern, Würsten und Speck.

»Min Lowise wär gor to girn mit kamen«, entschuldigte er seine Frau. »Aber de Lütt is erst veer Wochen, nu Se weten wull.«

»Na, gratuleer ok!« rief die Wittfoth. »In Se ehr Oeller.«

»Jau, eenunsöstig is 'n Oeller«, meinte er bedenklich.

»Wo veel hebbt Se denn, Beuthien?« fragte Frau Caroline.

»Neegen Stück.«

»Herr des Lebens! Therese«, rief die Wittfoth in die Küche hinein. »Denk Dir, Herr Beuthien hat neun Kinder.«

»Neun?« lautete die verwunderte Rückfrage.

»Und all fix und gesund, min Dochter«, sagte der Alte. Und als Therese in ihren Husten ausbrach, der sie noch immer hartnäckig belästigte, meinte der gutmütige Mann, sie solle nur mal zu ihm aufs Land kommen, da könnte sie sich mal ordentlich »rausessen«.

»Satt kriegt sie hier auch«, sagte Frau Caroline pikiert. Sie war in dieser Hinsicht etwas empfindlich.

»Glöw ick, glöw ick«, beruhigte Onkel Martin. »Aber de Hosten, de oll Hosten, de geföllt mi nich.«

»Ja, ich weiß gar nicht, was das mit dem Husten ist«, klagte die Tante. »Das geht nun schon wochenlang so. Wir müssen wirklich mal nach'n Arzt schicken.«

»Arzt! Arzt!« rief der alte Mann. »Wat sall de Keerl? Luft, frische Luft möt se hebben.«

»Bei Ihnen is es auch viel zu stickig, nehmen Sie mir das nich übel«, setzte er hinzu.

»O, Tante sitzt am liebsten bei offenen Thüren und Fenstern,« erklärte Therese, »aber meine Erkältung verträgt den Zug nicht.«

»Soll sie auch nicht«, entschied Onkel Martin. »Zug is schädlich. Aber frische Luft, de hätt noch keenen Minschen umbrögt.«

»Sag ich das nicht immer?« rief Frau Caroline. »Aber alles will immer gleich sterben, wenn ich nur mal die Thür aufmach. Mir soll's gleich sein. Ich sag nichts mehr.«

Nachmittags um fünf Uhr wurde das Geschäft geschlossen, das heißt, die Vorhänge vor den Schaufenstern wurden herabgelassen. Da der einzige Zugang zur Wohnung durch den Laden führte, mußte dieser geöffnet bleiben.

Um nun jede Störung durch Käufer fern zu halten, hatte Tetje Jürgens den Vorschlag gemacht, ein Plakat drucken zu lassen, mit der Aufschrift: Dieses Geschäft ist heute von fünf Uhr Nachmittags an wegen Verlobung der Inhaberin geschlossen.

Aber sein praktischer Vorschlag drang nicht durch.

Eine große Freude war es der Wittfoth und namentlich auch Therese, daß Hermann zugesagt hatte, zu kommen.

Sonst waren nur noch Tetje Jürgens nebst Frau Gemahlin gebeten.

Tetje, wie er kurz bei seinen Freunden hieß, versprach am Abend nachzukommen, da er seine Wirtschaft nicht den ganzen Nachmittag dem Mädchen und dem Kellner alleine überlassen mochte, für den Abend aber eine Schwester seiner Frau nach dem Rechten zu sehen versprochen hatte. Frau Sophie aber wollte sich schon zum »Puffer« einstellen.

Auch Wilhelm Beuthien hatte sich fürerst entschuldigen lassen müssen. Er hatte eine Fahrt nach Blankenese nicht abweisen können, da es sich um gute Kunden handelte, und war erst gegen acht Uhr zurückzuerwarten.

Frau Caroline hatte keine Mühe gescheut, es ihren Gästen gemütlich zu machen. Im Wohnzimmer war jeder Flicken, jedes Fädchen, jede Erinnerung an Geschäft und Arbeit, sorgfältig entfernt worden. Ein Bouquet Rosen und Reseda, mit dem Therese schon am frühen Morgen die Tante überrascht hatte, prangte in einer weißen Biskuitvase inmitten der in einem Kreis arrangierten Kaffeetassen, zwischen den Kuchenbergen und der Zuckerschale.

Reine Gardinen und sauberstes Tischzeug verstand sich bei der Reinlichkeitsfanatikerin, als welche Frau Caroline sich gerne ausgab, von selbst, ebenso die frisch gewaschenen, gehäkelten Sofaschoner, Hermanns größter Aerger. »Pfingstlappen« hatte er sie getauft, weil die Tante einmal an diesem hohen Festtag sämtliche Sitzmöbel mit solchem Zierat behangen hatte.

Im »besten« Zimmer war die Herrichtung fast blendend. Hier prangte mitten auf dem runden Sofatisch in einer blauen Sevre-Vase ein geschmackvoll gebundenes Bouquet aus roten und weißen Rosen, das der galante Bräutigam geschickt hatte. In einer gleichen Vase auf dem Spiegelschrank stand protzend ein mächtiger Strauß buntfarbiger Georginen, den Onkel Martin seinem ländlichen Garten entnommen hatte. Auch auf dem Fensterbrett prunkten in Wassergläsern kleinere Bouquets und ein vom Krämer gespendetes rosagarniertes Blumenkörbchen. Der praktische Mann hatte geglaubt, der Kundschaft wegen doch auch etwas thun zu müssen. Die angeheftete Visitenkarte trug unter seinem Namen Gotthilf Ochs zwischen zwei Ausrufungszeichen ein flott geschriebenes »!Viel Glück und Heil!«

Den zierlichen, geschnitzten Rauchschrank, eine Hinterlassenschaft ihres Seligen, hatte Frau Caroline mit Cigarren gefüllt, die Hermann hatte besorgen müssen.

Als die kleine Gesellschaft, außer Tetje und Wilhelm, um den Kaffeetisch versammelt war, traf noch ein Bouquet von auffallendem Umfang ein, mit Spitzen und Schleifen garniert.

Ein allgemeines Ah des Entzückens empfing die wundervoll duftende Gabe.

Hermann, der sie dem Boten abgenommen hatte, öffnete das beigegebene parfümierte Couvert.

»Mit herzlichem Glückwunsch von Emil Pohlenz nebst Braut«, las er von der kleinen Elfenbeinkarte ab.

»Liebe Tante.« Mit einer komisch sein sollenden Verbeugung überreichte er das Bouquet, dessen lautester und unermüdlicher Bewunderer.

Therese beobachtete ihn still.

Nachdem die Angriffskräfte auf die Kuchenberge erschöpft waren und auch die Unterhaltung über Wetter, Pferde, Kuchenbacken und den neuesten Raubmord auf St. Pauli ins Stocken kam, schlug Hermann einen kleinen Skat vor. Er sah wohl, daß die lange Zeit bis zum Abendessen sonst unerfüllbare Anforderungen an die geselligen Talente eines jeden stellen würde.

Die drei Herren zogen sich zum Spiel ins Nebenzimmer zurück. Der Cigarrenschrank wurde geöffnet, und Therese stellte einige Flaschen Löwenbier zur Hand.

Die Damen vertrieben sich die Zeit mit Häkeln, Albumbesehen und Küchengesprächen. Versiegten diese Quellen, waren die Fehler und Thorheiten der Nachbarinnen eine ergiebige Fundgrube interessantesten Unterhaltungsstoffes.

Die Krämersfrau war nun schon dreimal in vierzehn Tagen ins Theater gegangen. Eine Mutter von zwei kleinen Kindern hätte doch wahrhaftig andere Pflichten.

Die aus der zweiten Etage, die immer so vornehm that, kaufte neulich, Tante Tille hatte es mit ihren eigenen tauben Ohren gehört, für einen ganzen Pfennig Korinthen. Daß die Person sich nicht schämte. »Und dabei thut solch Volk, als ständen sie mit'n Bürgermeister auf Du und Du.«

Und als nun Frau Jürgens die »Behnsch« erwähnte, geriet Frau Caroline in eine kreiselnde Beweglichkeit.

»Wissen Sie schon das?« »Haben Sie schon dies gehört?« »Nu lassen Sie sich aber mal erzählen.« So schwirrte es durcheinander.

Es war eine Freude, wie gut die Zeit mit solchen angenehmen Gesprächen vertrieben wurde, und wie sehr die drei Damen in ihrer Lebensanschauung, in ihrem Urteil über Welt und Menschen übereinstimmten.

Nur Therese erlaubte sich dann und wann eine abweichende Meinung. Da sie sich jedoch sehr abgespannt fühlte und ihres Hustens wegen nicht viel sprechen wollte, ließ sie häufig fünf gerade sein und schwieg.

Auch das überlaute Sprechen, durch Tante Tilles Schwerhörigkeit bedingt, griff sie an. Sie ging ab und zu, machte sich mehr als nötig in der Küche zu schaffen und beobachtete das Spiel im Nebenzimmer, wo Hermann besonders vom Glück begünstigt wurde.

Auch einige Käufer, die sich von den herabgelassenen Vorhängen nicht hatten abschrecken lassen, beschäftigten sie zeitweilig.

Endlich kam auch Tetje Jürgens und gleich nach ihm Wilhelm. Die beiden nahmen die Plätze der Brüder am Spieltisch ein, und diese zogen sich zu den Damen zurück.

Die Gesellschaft erhielt allmählich einen immer nüchterneren Anstrich, hatte gar nichts Verlobungsfeierliches mehr. Es ward Zeit, daß man zur Hauptnummer des Festprogramms, den Tafelfreuden, überging.

Mit einigem Geräusch vollzog man den Umzug in das andere Zimmer.

Therese hatte die Tafel geschmackvoll arrangiert, die Bouquets zwischen dem kalten Aufschnitt und der süßen Speise geschickt aufgestellt und jedem Teller ein Extrasträußchen beigelegt.

Auf dem Sofa saß das Brautpaar, rechts von Frau Caroline Onkel Martin mit Frau Jürgens, links von dem Bräutigam Tante Tille und Tetje Jürgens, neben diesem Therese, Wilhelm gegenüber, dem sein Platz neben Frau Jürgens angewiesen worden war. Hermann hatte seinen Sitz unten am Tisch, zwischen Wilhelm und Therese, vor sich die Bowle, denn ihm war das Amt des Mundschenken übertragen worden.

Frau Caroline hatte für guten »Stoff« gesorgt, mit Hilfe Tetjes, der sich als Fachmann darauf verstand. Der Punsch war in der That vorzüglich und weckte gar bald die eigentliche Feststimmung.

Hermann brachte den ersten Toast auf das Brautpaar aus, dann folgte Rede auf Rede. Hermann sprach gern, etwas pathetisch und schulmeisterlich, mit reichlichem Citatenaufwand. Auch diesmal hatte er begonnen »Ehret die Frauen, sie flechten und weben«.

Tetje toastete auf Tante Tille, die erst von Frau Caroline darauf aufmerksam gemacht werden mußte, daß ihr das Hoch gelte. Wilhelm Beuthien, der im übrigen ziemlich wortkarg und zerstreut war, ließ die Damen leben, und selbst Onkel Martin schlug mit dem Messer an das Glas.

Er möchte doch auch ein paar Worte an die Brautleute richten und ihnen wünschen, daß es ihnen immer gut gehen möge, »in truge Fründschaft un Leev, un mit Gottes Segen.«

»Un upp de Nakommenschaft,« setzte er hinzu, als die Gläser aneinander klangen.

Die Stimmung ward immer gemütlicher. Hermann, der dem Punsch reichlich zusprach, hatte bereits mit Wilhelm Beuthien Duzbrüderschaft getrunken.

Tetje Jürgens hatte die alte Negendank sogar einmal mit »min oll söte Deern« angeredet, und Therese sich schon mehrmals die Stirn am Handstein in der Küche gekühlt, da sich Kopfschmerzen bei ihr einstellten.

Wilhelm Beuthien, dem anfangs schweigsamen, löste sich allmählich die Zunge, da Hermann ihm fleißig einschenkte, und er rückte mit allerlei gewagten Anekdoten und Rätseln heraus, die Tetje zu Theresens Aerger noch überbieten zu müssen glaubte.

Hermann, der den »Stoff« auf die Neige gehen sah, raunte der Tante seine Wahrnehmung zu.

Frau Caroline machte ein bedenkliches Gesicht und zuckte verlegen die Achsel.

Hermann erbot sich »die Sache schon zu machen«, und sie trug, gefolgt von ihm, die Terrine hinaus.

»Halt, wohin damit«, rief Tetje und folgte gleichfalls.

»In min Köök hebbt Se nix to söken«, drängte die Wittfoth ihn zurück und schloß die Thür.

Hier machte Hermann »die Sache« dann mit reichlicher Benutzung der Wasserleitung, einer Citrone und des letzten Restes einer von der Tante noch aufgefundenen Rumflasche.

Triumphierend trugen sie die neue Füllung auf den Tisch.

Vorsichtig probierte Tetje das erste Glas.

»Der schadt' nix, der is fromm«, lobte er ironisch, »für die Damens vielleicht noch 'n bischen zu feurig.«

Frau Caroline gab ihm einen leichten Klaps mit ihrer Serviette. Das bräutliche Glück und der genossene Punsch leuchteten ihr aus den kleinen Augen.

»Nu Musik«, meinte sie.

»Dat's 'n Wort«, rief Tetje, »Musik möten wie hebben.«

Man sprach schon seit geraumer Zeit meist platt.

»Wo hest Din Matrosenklaveer?« hieß es, und Wilhelm mußte seine Handharmonika holen. Es sollte getanzt werden. Man rückte Tische und Stühle zusammen und rollte den Teppich auf.

Wilhelm setzte sich hinter dem Tisch in die linke Sofaecke und begann den Spreewalzer zu spielen.

Das Brautpaar eröffnete den Familienball. Onkel Martin tanzte mit Frau Jürgens, und Tetje zerrte die sich sträubende Tante Tille einmal durchs Zimmer. Hermann tanzte abwechselnd mit seiner Tante und Frau Jürgens. Therese aber stand, an den Thürpfosten gelehnt, und sah, das Taschentuch, des Staubes wegen, vor den Mund pressend, mit müde flackernden Blicken und brennenden Backen zu. Sie fühlte sich sehr elend, klagte aber nicht, um die Fröhlichkeit nicht zu stören. Ihr Kopf schmerzte heftig, ebenso die Brust, infolge des anhaltenden Hustens, zu dem sie das viele Sprechen, der Staub und Tabaksqualm in den kleinen Räumen reizten.

Sie sehnte das Ende der Festlichkeit herbei, mußte sich aber noch vorher, von Abspannung überwältigt, zurückziehen.

Es war schon zwei Uhr nachts, als sich endlich auch die Tante zur Ruhe legte, beim Auskleiden die Leidende mit punschseliger Geschwätzigkeit quälend.


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