Gustav Falke
Aus dem Durchschnitt
Gustav Falke

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V.

Therese und Mimi waren spät nach Hause gekommen, hatten die Vorwürfe der Tante unter Lachen und Schmeicheleien durch ein mitgebrachtes Veilchensträußchen und eine Tafel Chocolade erstickt, beides von Hermann gespendet, und waren schnell ins Bett gehuscht.

Beim Frühkaffee des zweiten Festtages nun kramten sie ihre Geschichten aus. Sie hatten sich »himmlisch« amüsiert, wie Mimi versicherte. Hermann sei »zu nett« gewesen. Sie wußte, wie gerne die Wittfoth ihren Neffen loben hörte.

Nach einer Tasse Kaffee und einem Stück Torte bei Homann, hatte man zu Fuß den Weg nach Ludwigs Konzerthaus zurücklegen müssen, da alle Pferdebahnen infolge des schlechten Wetters überfüllt waren. Auch dort hatte man nur mit Mühe Platz an einem Tisch in der Mitte des Saales erwischen können. Die unfreundliche Witterung trieb die Vergnügler schnell von der Straße in die Lokale, und auch der große Saal des Ludwigschen Etablissements war bald überfüllt.

Froh des erlangten Sitzes, gab man sich um so empfänglicher der Musik des vortrefflichen Orchesters hin. Das Programm bot mit Rücksicht auf das Sonntagspublikum meist heitere Weisen, worunter natürlich ein Straußischer Walzer nicht fehlte, Mimis Universalmittel gegen jegliche Art von Trübsinn und Verstimmung.

Wie immer zog das hübsche Mädchen die Blicke der näher sitzenden Herren auf sich. Auch Herrn Pohlenz begrüßte man von weitem. Hermann, um nicht aus dem Felde geschlagen zu werden, hatte seine Liebenswürdigkeit verdoppelt und zuletzt, noch vor dem Schluß des Konzertes, die Mädchen zu einem kleinen Souper in einem benachbarten Restaurant eingeladen, wo man vorzüglich aß und vor allen Dingen ungestört genießen konnte. Vielleicht bestimmte dieser letzte Umstand ihn besonders. Es war jedenfalls die einfachste und nobelste Art, sich seiner Konkurrenten zu entledigen.

Die Wittfoth hatte den fröhlichen Berichten der Mädchen nichts entgegenzusetzen. Ihr Erlebnis mit dem jungen Beuthien brannte ihr auf der Zunge. Es prickelte sie, aber sie wußte nicht den rechten Ton zu finden und begnügte sich, eine große Zufriedenheit zu erheucheln, daß sie doch einmal einen ruhigen, ungestörten Nachmittag ganz für sich allein gehabt hätte. Zuletzt aber mußte sie doch wenigstens so viel verraten, daß der junge Beuthien sich einen neuen Kragen gekauft hatte.

»Der schöne Wilhelm?« fragte Mimi mit lachendem Spott.

»Ist er eigentlich so schön?« meinte Therese, während die Tante, ohne auf dies Thema einzugehen, eifrig die Tassen abräumte, mit mehr Geklapper, als sonst ihre Art war.

Mimi erklärte Beuthien für einen ganz ansehnlichen Mann. Für Köchinnen, setzte sie hinzu, und ließ durchblicken, daß ihre Ansprüche höher gingen. Therese fand etwas Rohes in seinen Zügen und lobte dagegen das ehrliche, gutmütige Gesicht seines Vaters.

Mimi war der zweite Festtag frei gegeben worden, ihre Verwandten in Bergedorf zu besuchen. Sie machte sich früh auf den Weg, und Nichte und Tante blieben allein.

Hermann kam am Nachmittag auf eine Viertelstunde, um zu fragen, wie den Damen der gestrige Abend bekommen sei. Er war heute, da das Wetter freundlich geworden war, so nobel gekleidet, wie Mimi sich ihn gestern gewünscht hatte. Man sah und hörte ihm an, wie glücklich ihn die Erinnerung an den vergangenen Tag machte. Er brachte drei kleine Bouquets, je eine Rose von Veilchen umgeben, überreichte, anscheinend wahllos, der Tante die Theerose, Therese eine weiße und bestimmte die übrig bleibende tiefrote für »Fräulein Kruse«.

Auch ein Buch, von dem er dem Mädchen gesprochen hatte, lieferte er ab: Rückerts Liebesfrühling.

»Liebesfrühling und Veilchenbouquets. Da kann man sich ja ordentlich was auf einbilden«, meinte die Wittfoth.

Sie stand dem Verhältnis zwischen ihrem Neffen und ihrem Ladenmädchen nicht blind gegenüber. Es amüsierte sie. Eine unschuldige Kurmacherei, die zu nichts Ernstlichem führen würde. Keinem würde das Herz dabei brechen, am allerwenigsten dem Mädchen. Uebrigens wollte sie gelegentlich mit Hermann darüber reden.

Therese hatte das Buch in Empfang genommen und blätterte mechanisch darin.

»Mimi wird sich freuen«, sagte sie und legte es vor sich auf die Nähmaschine.

»Und Du?« fragte Hermann.

»Du weißt, ich schwärme für Gedichte«.

»Und nun gar Liebesgedichte«, scherzte er. »Einen ganzen Band voll Liebe.«

Sie wurde auf einmal sehr rot und machte sich an den paar kümmerlichen Geranienpflanzen zu thun, die in irdenen Töpfen auf dem Fensterbrett standen.

»Werft doch die elenden Stöcke fort«, schalt er. »Es kommt doch nichts darnach.«

»Sie wollen nicht gedeihen, zu wenig Sonne«, antwortete sie.

Sie hatte wieder ihre gewöhnliche, gelbblasse, kränkliche Farbe.

Zu wenig Sonne. Er fing dies Wort auf. Sie war ihm nie so schwächlich vorgekommen, wie in diesem Augenblick.

»Ihr geht doch spazieren nachher?« fragte er. »Das Wetter ist so milde. Sitzt nur nicht wieder den ganzen Tag hier im Keller.«

»Du kennst ja die Tante«, entschuldigte sie.

»Luft und Licht sind Euch beiden nötig«, eiferte er. »Also steckt die Nase man mal hinaus.«

Er reichte ihr die Hand zum Abschied.

»Willst Du schon gehen?« fragte sie bedauernd, mit aufrichtiger Betrübnis.

»Meine Freunde warten«, erklärte er.

»Kommst Du bald wieder?« bat sie.

Er versprach es.

»Adieu, liebe Tante«, rief er über den Korridor in die Küche hinein, wo die Wittfoth mit Messern und Gabeln klapperte.

Therese gab ihm das Geleit bis an die Thür. Lange sah sie ihm nach.

Auf ihren Platz am Fenster zurückgekehrt, las sie im Liebesfrühling, brockenweise, hier ein Gedicht, dort eine Strophe, ohne ganz bei der Sache zu sein.

Sie wußte ja, das Buch war eigentlich für Mimi bestimmt.

Mimi und Gedichte!

Was waren der alle schönen Gefühle und erhabenen Gedanken. Was war ihr überhaupt Hermann. Nichts mehr, als jeder andere heiratsfähige Kurmacher.

Mimi war ein gutes Mädchen, aber leicht und oberflächlich. Und anspruchsvoll war sie.

Wie hatte sie sich gestern alle Aufmerksamkeiten als selbstverständlich gefallen lassen. Und Hermann war doch kein Krösus.

Therese hatte tausend Gründe gegen eine Verbindung zwischen ihrem Vetter und Mimi, denn sie liebte ihn selbst.

Sein gutes, freundliches, sich immer gleich bleibendes Wesen sprach sie an. Er galt ihr für gescheut. Sein bischen Lehrerweisheit imponierte dem unwissenden, früh der Schule entrissenen, aber lerneifrigen Mädchen.

»Weinst Du?« fragte die Tante, in ihrer fahrigen, kreiselnden Weise ins Zimmer tretend.

»Ich? Nein. Wie so?« stotterte Therese und versuchte zu lachen.

Bei Behns drüben fuhr in diesem Augenblick eine Droschke vor. Die Familie kehrte von einer Ausfahrt zurück.

Die Wittfoth stürzte ans Fenster.

»Die können's. Immer nobel.«

Fräulein Lulu verließ als letzte etwas langsam den Wagen.

»Greif Dich man nich an,« spottete die Wittfoth. »Wie sie schlappt.«

Therese, solche Bemerkungen der Tante gewohnt und wenig erbaut davon, schwieg.

»Hast Du gesehn?« fuhr diese fort. »Beim Aussteigen? Die hat ja wohl seit acht Tagen keine frischen Strümpfe angezogen.«

»So?« zweifelte Therese.

»Pechschwarz, und 'n Loch war auch drin,« eiferte die Tante.

»Das kannst Du von hier sehen?« wunderte sich das Mädchen.

»Na, jedenfalls würd' ich mich schämen, mit solchen Strümpfen auszufahren,« lenkte die Wittfoth ein. »Und noch dazu auf'n Ostern.«


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