Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Reise in die Ewigkeit

Nach Vollendung seines Buchs »1001 Abenteuer« begibt sich der ewig unruhige Weltwanderer im Herbst 1929 nochmals auf eine Reise nach Kanada, das er schon einmal in seiner Jugend von Norden nach Süden durchmessen hatte. Ein früher Winter setzt ein und bringt Kurt Faber den Tod.

Mietskasernen für Millionäre

New York, im September

Tempo lebt man in New York.

Das ist ein anerkannter Glaubenssatz, eine Tatsache, die kein Kind mehr bezweifelt, und es hieße wahrlich Eiswasser nach Amerika tragen, wollten wir das noch einmal bestätigen. Vom Wissen zum Verstehen ist es indes noch ein Schritt, und der müßte kein Grünhorn sein, der dabei nicht gestolpert wäre.

Da standen wir dieser Tage vor den Hapagdocks, am Fuß der soundsovielten Straße, dort, wo Manhattan anfängt wie Wilna auszusehen oder wie Krakau und Temesvar, und betrachteten die grauen Häuser an der Hafenfront, die sich in nichts von tausend anderen unterschied. Dann ging es durch schmutzige Gassen mit immer gleichen Haustreppen, auf denen immer gleiche Kinder saßen in malerischer Schmutzigkeit. Von allen Hauswänden, von allen Bauzäunen schrie eine grelle Reklame in meterhohen Buchstaben:

»Sag's ihm laut!«

Was wohl? Vielleicht eine Schuhwichse, vielleicht ein neues Haarwasser, vielleicht ein »barber college«, das seine Kundschaft lockte. Wir nahmen uns nicht Zeit, uns zu erkundigen, aber in dem einen Wort hatten wir jetzt schon alles erfaßt, eine Weisheit in der Nußschale, eine Formel, auf die man alles bringen kann in dieser wilden Stadt:

»Sag's ihm laut!«

Weiter rasten wir – hinein in die Welt der Hochhäuser, wo auf, über und unter der Erde die Schnellbahnen ihr Horn blasen und mit dem Rumpeln der Lastwagen und dem Kreischen der Niethämmer an den Neubauten sich vereinigen zu einer metropolitanischen Kakophonie.

Wir gingen zu »Child's«, dem New Yorker Aschinger, wo um die Mittagsstunde die Pantomime der Mahlzeiten einsetzt. – Das muß man gesehen haben, um zu wissen, was Tempo ist!

Wir eilten im Lichtmeer einer phantastischen Nacht durch den Grand Canyon des Broadway.

Wir gingen über einen Markt, auf dem die Autos standen, herrlich anzusehen, funkelnd von Lack und Politur, jedes einzelne für fünfunddreißig Dollars pro Stück mitsamt dem Benzin für eine Reise nach Buffalo; verbrauchte Pracht »uff neu jeplättet«, wie der Berliner sagt. Denn dieses Land ist das Land der »Beauty Parlors«, der Millionen Lippenstifte, in dem sie die Menschen nicht minder wie die Dinge verjüngen. Das Land, in dem die Abendzeitungen schon um neun Uhr morgens erscheinen.

Weil ich gerade von Zeitungen spreche –

Stand da neulich auf dem laufenden Lichtband am Gebäude der »New York Times« die Kunde von einem Rabbiner, den sie lebendig verbrannten im Heiligen Lande. Bedächtig las ich das, wie es aufsprang aus dem Dunkel der Nacht über den Lichtern des Broadway. Ich besann mich darauf, daß ich gewissermaßen frisch importiert aus Palästina war, und so machte ich mich am anderen Morgen langsam auf den Weg, um die Leute einmal aufzuklären über »things Palestine« mit deutscher Gründlichkeit. Ein Elevator brachte mich in einen Raum, in dem hundert Schreibmaschinen klapperten, in dem es nach Druckerschwärze roch und keiner anscheinend zu Arbeit und Atem kam vor den umherschwirrenden Geistern, die »Copy! Copy!« riefen. Ein sehr ungeduldig aussehender Herr fragte nach dem Begehr.

»Wollen Sie dafür bezahlt werden?« fragte er kurz.

»Natürlich!« sagte ich.

Worauf er: »Mac!«

Diesmal mit einer Stimme, die einen Augenblick selbst das Klappern der Schreibmaschinen übertönte.

Mac kam und meinte, es sei jetzt elf Uhr. Um halb zwölf müßte das Ding in Satz gehen. Tausend Worte. – »Oh, Miss Ivy!«

Miss Ivy kam gummikauend mit einem Schreibblock, mit kirschroten Lippen und einer dämonischen Haarlocke: Mit einem Wort ein »Vamp« (Vampir), wie man in New York sagt. Darüber war es zehn Minuten nach elf geworden. Fünf Minuten brauchte man schon, um sich zu besinnen auf tausend Worte Englisch.

Elf Uhr fünfzehn –

Der Vamp schaute mich mißbilligend an.

Elf Uhr sechzehn begann ich bei Lawrence und der panarabischen Bewegung. Elf Uhr zwanzig erläuterten wir den Mandatsgedanken, elf Uhr fünfundzwanzig die Balfour-Deklaration, aber als ich elf Uhr siebenundzwanzig eben auf den verbrannten Rabbiner zu sprechen kam, da erschien einer jener oben erwähnten Geister.

»Copy!«

Er nahm den Zettel, der Vamp klappte den Schreibblock zu. Die palästinensische Frage war wieder einmal gelöst.

Tempo!

So geht es immer in dieser rasenden, rennenden, unheimlich geschäftstüchtigen Stadt, in der sie Sonnabends schon ihr Sonntagsbad nehmen, damit sie Montag beizeiten fürs Weekend fertig werden.

Und doch –

Es ist nicht alles Eile und Business, was zwischen diesen hohen Häusern rast. Man werfe nur einmal einen Blick in eine Hotelhalle, wo sie stundenlang wie versteinert sitzen und dem Rauch ihrer Pfeife nachschauen. Sie denken nicht, sie ruhen bloß in der Atmosphäre eines vollkommenen Nirwana, das nur ein geübter Amerikaner um sich zu verbreiten vermag. Man gehe einmal in eine jener funkelnden Barbierstuben, in der sie mit einem unfaßbar großen Aufwand von Zeit ihre Opfer mit heißen und kalten Tüchern bearbeiten, derweilen die Wartenden in den bunten »Funny-papers« blättern oder die großen Überschriften in den Zeitungen studieren.

»Zepp in Los Angeles!« – »Wilder Graf rast über Arizona!« Viel hat man in diesen Tagen zum Preise des Zeppelin gehört, aber sicher las man noch selten einen Artikel so feurig wie den folgenden, den ich dieser Tage im New York Journal sah:

»Der Zepp ist das vollendetste Kunstwerk von Kraft und Schönheit, das ich jemals sah; und ich habe doch etwas gesehen in meinem Leben! Ich sah Jim Corbett in seinen besten Tagen, ich sah George Carpentier, wie er mit seiner langen Faust ausholte, und Dempsey, wie er ihm auf die Nase schlug, ich sah Susanne Lenglen auf ihren Zehen und trudelnde Äroplane und Babe Ruth, den Baseballspieler, aber niemals sah ich etwas Ähnliches wie heute, da mit den schwindenden Nachtschatten die Sonne auf- und der Graf herniederging.«

Wenn Amerikaner sich für etwas erwärmen, so tun sie es gründlich, auch für den Zepp. Wie viele es gewesen sein mochten, die sich zu seinem Abschied eingestellt hatten? Wir fuhren im Auto durch die Nacht, eine dumpfe, drückende, schwüle, echt New Yorker Sommernacht, nach der Halle von Lakehurst. Wir und hunderttausend andere. Denn welcher Automobilbesitzer – und das sind fast alle – bliebe in New York in solchen Nächten? Und welche Menschenmenge, außer einer amerikanischen, hätte die Geduld, eine ganze Nacht lang zu stehen und zu warten vor einer geschlossenen Halle, in der von Stunde zu Stunde der Zepp sich nicht rührte, während drinnen die Reporter mit den roten Karten an den Hüten über den Schreibmaschinen schliefen, während hoch oben im Gebälk der ungeheuren Halle die Laternen der arbeitenden Männer wie Glühwürmchen geisterten, und Stunde um Stunde verging, ohne daß sich etwas rührte, bis wie von Geisterhand das große Tor aufging und der riesige Vogel sich vom Boden hob und davon flog in die aufgehende Sonne? Ganz nüchtern, ganz selbstverständlich, ohne Geschrei, wie eine Sache, an die man sich gewöhnt hat. Und nun stelle man sich die Sache einmal anders vor: Man stelle sich vor, es sei nicht Zepp, sondern »Italia« gewesen, und Zepp hieße »Nobile«, und »Nobile« wäre eben um die Welt gekommen! Hätte da nicht die Halle widergehallt von der »Marcia Krala«? Wäre die Nacht nicht lebendig gewesen von flatternden Fahnen? Hätte man nicht Schwarzhemden und aufgereckte Hände gesehen, Schwüre und Reden gehört und die »Giovinezza« neunhundertneunundneunzigmal in einer Nacht? So aber ging es ab ohne Theater, und es war gut so.

Und doch – es war nur wenige Tage her, daß ich von Hamburg fortfuhr, wo sie auch einen Flaggenkultus trieben, wo sie dicht gedrängt am Bug des Schiffes standen und ihren Lieben und der entschwindenden Heimat mit Fahnen zuwinkten. Sternenbanner natürlich, mit denen sie übereifrig die Decksaufbauten erkletterten und die sie hoch hielten als letztes Signal für ihre Lieben am Lande. – Fahnen eines Landes, das ihnen – vielleicht! in späterer Zukunft einmal das Glück und ein anständiges Auskommen gewähren wird, in dem sie aber ganz gewiß zunächst einmal »foreigners« und Emigrantenpack sein werden, das man ausnützt und mißbraucht, weil das Gesetz und die Sitte es so wollen. – Und ferner: Noch lag das Schiff im Hafen, das euch herübergebracht hatte, das deutsche Schiff, auf dem ich viel Musik gehört hatte und viele Nationalhymnen, die englische, die französische, die irische, die amerikanische, aber die eine nie!

In der Mittagssonne gingen wir durch Fifth Avenue, wo die Busineßtempel in den letzten Jahren hoch hinaufgewachsen sind über Kirchtürme, die einmal hoch und stolz gewesen waren und nun eng eingemottet dastehen wie ein Ding, das reif zum Abbruch ist. Und irgendwo an einer Ecke stand noch das Waldorf-Astoria. – Ah, wie muß es einmal hier hoch hergegangen sein in jenen längst vergangenen, kaum ausdenkbar fernen Zeiten, vor zehn bis zwanzig Jahren, damals, als noch gallonierte Diener hinter Kutschen saßen, die auf Gummirädern gingen, als diese Granittreppen noch knirschten unter dollarschweren Füßen und ringsum eine Atmosphäre von uralten Weinen, Zehndollarzigarren, Vanderbiltschen Hochzeitskuchen und fabelhaften Köchen schwebte. Damals –. Nun steht das tot und freudlos da mit heruntergelassenen Jalousien, reif zum Abbruch wie die Kirchen. Vorbei der Prunk, verlassen die Stätte der dollarschweren Extravaganzen. Verlassen auch die Dollarpaläste, die einst die große Nummer der Bärenführer in den sightseeingears waren. Wer heute etwas gilt im Dollarland, der wohnt in einem Apartementshaus. – Mietskasernen für die Millionäre, das ist das Neueste.

Vor dem Palast des Plazahotels – denn hinein traute ich mich nicht vor den Dienern – stand ich und betrachtete die gähnenden Portiers, die aussahen, als ob sie einmal russische Prinzen gewesen wären in ihren besseren Tagen. Ein Auto fuhr vor. Die Diener verneigten sich bis zur Erde.

»William K.!« flüsterte mein Begleiter mit vor Ehrfurcht erschauernder Stimme.

». . . Vanderbilt?« ergänzte ich.

»Derselbe. Er wohnt hier in Miete.«

»–?«

»Ja. Früher lebte er gegenüber im eigenen Haus, wo jetzt das große Hotel steht. Das hat er verkauft für dreißig Millionen Dollars.« – An Fifth Avenue ein eigenes Haus! Das kann sich kein Mensch mehr leisten bei den Steuern. Wo anders kann man aber wohnen, wenn man Vanderbilt heißt?

 


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