Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Vom Karmel über Nazareth nach Damaskus

Damaskus, im Mai

Dicht hinter dem Hafen von Haifa, fast wie der Tafelberg hinter Kapstadt, erhebt sich der Karmel, ein Berg, den man lieben müßte allein um seines Namens willen, und selbst dann, wenn er nicht so beladen wäre mit Erinnerungen aus der biblischen Geschichte. Noch heute zeigt man dort die Höhle, wo Elias hauste, die Stelle, wo er die Baalspriester züchtigte, wenn ich recht unterrichtet bin. Demgemäß ist auch Gipfel und Abhang übersät mit Klöstern, Hospizen und sonstigen frommen Einrichtungen, die für den Schönheitssinn ihrer Gründer und Förderer sprechen, denn göttlich ist hier nicht nur die Erinnerung, sondern auch die Natur. Man muß sehr weit gehen, ehe man wieder einen Berggipfel findet, von dem man solche Aussicht genießt. Über die Wipfel der Pinien hinweg sieht man die dunkelblaue Bai im gleißenden Licht der Sonne und weit darüber hinweg den Schneegipfel des Hermon. – Aber am Fuß des Berges stehen eine Zementfabrik, eine Dampfmühle und Automobilgaragen wie Sand am Meer. So ist es überall in diesem Lande, das die Jahrtausende verschlafen hat und nun plötzlich mit einem mächtigen Sprunge vom Gelobten Land ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, von Moses zu Henry Ford und zum Bankhaus Warburg u. Co., gekommen ist.

Schön wie der Berg ist auch das umgebende Land Galiläa. Seine Bewohner genossen bekanntlich nicht den besten Ruf. – »Was kann von Nazareth Gutes kommen?« – Aber über die Schönheit des Landes selbst gab es stets nur eine Stimme. Damals wie heute war es der Garten des gelobten Landes. Auch ohne alle frommen Geschichten, die mit seinem Boden verwachsen sind, ist es allein schon wegen der Naturschönheiten eines der anziehendsten Länder dieser Erde. Namentlich im Frühjahr, wo die Sonne nach dem Winterregen die Steine selbst mit Farben überzieht, ist es von unvergleichlicher Schönheit. Streckenweise breitet sich ein sanftes, grün schimmerndes Hügelland, und streckenweise trägt es den Charakter eines Mittelgebirges mit schroffen Schluchten und steinigen Hängen, aber da wie dort ist alles bedeckt mit einem Teppich von leuchtenden Blumen. Hier sieht man schwarze Beduinenzelte zwischen rotleuchtenden Steinen, dort einen hellgrünen Bananenhain, eine Heide, die gelb wie ein reifes Roggenfeld leuchtet, und überall herrscht ein Aufruhr von Farben, die man einem Maler nicht glauben würde. – Und doch ist es eine kurze Herrlichkeit, wie die, von der die Psalmen singen. Ein heißer Schirokko von einigen Tagen, und alles ist vorbei. Das Gras verdorrt, die Farben verblassen, die Steine glühen heiß im harten Erdreich, und das einzige Lebendige ist fortan der Wind, der in den Telegraphendrähten singt. –

Ganz plötzlich steht man vor Nazareth, wie Jerusalem eine »hochgebaute Stadt«, von der man weit hinausblicken kann auf die Ebene Jesreel, die wie ein Meer ausschaut im Grün der jungen, vom Winde bewegten Kornfelder. Auch in Nazareth fehlt es nicht an Kirchen aller Bekenntnisse und an frommen Stätten, die gegen Entgelt gezeigt werden: der Brunnen der Rebekka, die Fußtapfen Marias und nicht zuletzt die Werkstatt des Joseph, die man augenblicklich durch Errichtung einer Kirche von ungeheurem Ausmaß zerstört. Nur wenige Kilometer hinter Nazareth führt die Straße mitten durch Kanaa, ein kümmerliches Dorf, das wohl zu Christi Zeiten nicht viel anders ausgesehen haben mag. Aber war es unbedingt notwendig, gerade an diesem Ort, an der Stätte der Hochzeit zu Kanaa, – ein Nonnenkloster zu errichten? Bald kommt das Galiläische Meer, der See von Tiberias in Sicht. Für den, dessen Meinung über die biblischen Binnenmeere durch die Betrachtung des Toten Meeres etwas herabgestimmt wurde, ist es eine angenehme Enttäuschung. Wie dieses liegt er ein erhebliches Stück unter dem Meeresspiegel. Dennoch macht er ganz den Eindruck eines Schweizer Bergsees, zumal, wenn der Wind die Wolkenfetzen über die umgebenden Berggipfel jagt.

Die Stadt Tiberias, die fast bis ins Wasser hinein gebaut ist, sieht von oben herab recht stattlich aus. Unten präsentiert sie sich indes als Sammlung unbeschreiblich schmutziger Häuser in engen, winkeligen Gassen, wo besonders rechtgläubige Juden hausen, deren Frömmigkeit oft ihre einzige Einnahmequelle ist, da sie von reichen Glaubensgenossen in Polen und anderswo eigens dafür bezahlt werden. Dennoch ist auch diese Armseligkeit nicht ihrem Schicksal entgangen. Man hat sie entdeckt für den Touristenverkehr, und heute gibt es dort – man sollte es nicht glauben! – in der Tat ein Hotel, das einen Mindestpensionspreis von einem englischen Pfund pro Tag fordert. Ein riesiges Sanatorium wurde erst kürzlich fertiggestellt. Und natürlich findet man Dragomane, Mailcoach und Souvenirhändler, die mit Petrus sagen können: »Herr, wir haben die ganze Nacht gefischt – –«

Im Orient gibt es Menschen und Touristen. Wo diese aufhören, fangen die anderen an. Kein Ort der Erde, wo sie sich nicht willig hinschleppen ließen, wenn die Reklamen nur laut genug schreien. Sie reisen nicht, sie werden gereist, sie wandern nicht, sie werden gemanaged, und was gäbe es wohl, das »attraktiver« wirken würde auf diese Reisewütigen als dieses: »Kommt nach Tiberias, dem tiefgelegensten Luftkurort der Welt!« –

Auch am Galiläischen Meer ist wie in der Ebene Jesreel das meiste Land in die Hände des Jüdischen Nationalfonds übergegangen oder doch in jüdischem Privatbesitz, dessen zahlreiche Kolonien sich weiter und weiter ausbreiten. Neben den Holz- und Blechhütten der Neusiedler sieht man auch alte Kolonien, die einen gewissen Wohlstand verraten. Aber wo man auch hinkommt, sieht man bei Alten und Neuen dieselbe Verachtung des Dekorums, die einem auch anderwärts auffällt. Da steht das Haus kahl und öde zwischen Unkraut und altem Gerümpel. Wo ein Garten angelegt war, ist er verkommen. Diesen Leuten ist die Landwirtschaft ein Muß, ein Notbehelf, bestenfalls ein Rechenexempel, das Geld einbringen soll. Manche mögen sich hier als Märtyrer fühlen und sich solchermaßen aufopfern für Erez Israel, aber alle ohne Ausnahme sind wie Fische außerhalb des Wassers, Menschen, bei deren Anblick man sich vergeblich fragt: Warum?

Wozu der Lärm? Wozu der Apparat? Zu welchem Ende dieser Aufwand an guten Vorsätzen und schöner Begeisterung? Palästina – das vergißt man oft über dem Reklamelärm der zionistischen Exekutive – ist ein Ländchen von recht bescheidenem Umfang, kaum größer als unsere Rheinprovinz. Hiervon ist sehr viel unkultivierbares Ödland, und zudem wohnen dort schon achthunderttausend Araber, die sich nicht wegargumentieren lassen. Wo also wäre hier der Platz für die Hunderttausende bedrängter Ostjuden, denen man jahrelang den Mund wässerig machte? Einmal – im Glück und im Sommer des Zionismus, d. h. Anno 1925, kamen ihrer fünfunddreißigtausend auf einmal. Man hat das nicht wiederholt. Die Krise kam, die Arbeitslosigkeit. Seit einigen Jahren übertrifft die Auswanderung die Einwanderung.

Hinter dem See Tiberias rücken die Berge immer mehr zusammen. Die Landschaft wird wilder, die Bäche rauschen lauter. Ein eiskalter Wind kommt von dem Schneegipfel des Hermon herunter. Irgendwo am Weg weht von einem hohen Pfahle eine grünweißgrüne Fahne mit – der französischen Gösch in der oberen Ecke.

Wir sind in Syrien, im Lande Arabien.

Auch ohne die Flagge wäre uns diese Tatsache bald zum Bewußtsein gekommen am anderen Lebensstil des Landes. So schnell graben sich auch künstliche, willkürliche Grenzen in das Gesicht einer Landschaft ein. Was immer man über das heutige Palästina sagen mag, so kann man nicht leugnen, daß es ein Land voll emsigen Lebens ist. Dafür sorgen die Gelder des Jüdischen Nationalfonds, und gar der Typ des wandernden Chaluz mit dem offenen Hemd und den Händen in den Hosentaschen gibt dem Leben einen Unterton rauher Romantik, die man sonst nur noch in Wildwestfilmen findet. Jenseits der Grenze aber, wohin diese Einwanderung nicht vordringt, zieht das Leben orientalisch-gemächlich weiter wie zuvor. An Autos ist selbstverständlich auch hier kein Mangel, soweit die Hauptstraße geht, aber einen Schritt nur vom Wege, oder gar an diesem selbst, steht das Fellachendorf, wie es gestanden hat vor tausend Jahren, ganz Lehm und Mist, flach, fensterlos und tot im Sonnenbrande, oder, wie jetzt, unter den Regenschauern, die eiskalt von den Bergen kommen. Hier ist die Zeit stillgestanden, und die Jahrhunderte haben sich geglichen wie ein Ei dem anderen.

Immer kälter wird der Wind, immer tiefer sinken die Nebel von den Bergen. Es ist, als ob man irgendwo hinter Scapa Flow durch das schottische Hochland wandere. Zuweilen sieht man Trupps von halbwilden Pferden, die über die Steine galoppieren, dann wieder große Herden von merkwürdigen schwarzhaarigen Ziegen, die zehn Meter gegen den Wind stinken. Dann schwarze Beduinenzelte, flinke Reiter, Kamele auf der Weide, die aus der Ferne wie Schiffe mit geblähten Segeln aussehen. Plötzlich zerreißt der Wolkenschleier zwischen zwei Regenböen. Ein Sonnenstrahl bricht durch die Nebel, und in greifbarer Nähe leuchtet die funkelnde Kette der Schneeberge des Libanon. Ein Dorf steht still im Abendlicht. Fernher kommt die seltsam singende Stimme des Muezzin vom Minarett. Ein schneller Fluß rauscht zwischen Gartenmauern, über die sich Feigenbäume recken. Weithin am Horizont und bis hinauf zum halben Hang eines steilen Berges ziehen sich die flachen Dächer, die hohen Türme, die steilen Minarette einer großen Stadt.

Das ist Damaskus.

 


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