Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Bei Nikita

Skutari (Albanien), Ende September.

Cetinjewärts als wegmüder Wanderer auf der langen Landstraße in dem finsteren Tal der Schwarzen Berge. Ein heißer Mittag, selbst in dieser Höhe. Alles war staubig ringsum. Die grelle Luft lag traurig und drückend auf den Maisfeldern. Die Straße war weiß und lang, viel zu lang für meine Ungeduld. Eine merkwürdige Unruhe hatte sich meiner bemächtigt, trotzdem ich keine Ursache dazu hatte. Von den Wundern Cetinjes konnte man billigerweise nicht allzuviel erwarten, und das, was man so vor sich sah von dem Orte, berechtigte auch nicht zu großen Illusionen, aber – mein Gott, zu was hat man seine Phantasie? Und was wäre das Leben, wenn man sie nicht hätte?

Schon tauchten die ersten Häuser auf, klein und geduckt und wahllos durcheinander, als ob der Wind sie hier zusammengefegt hätte in seiner Laune. Nun gehen wir durch eine Straße, die so breit ist, daß sie einem eine Art Platzschwindel verursacht. Zu beiden Seiten ist sie umsäumt von kümmerlichen Häuschen, deren Kleinheit die Straße noch breiter ausschauen macht. Wie still es ist in der Straße. Nur zuweilen kommt einer mit einem Wasserwagen, nur zuweilen trippelt eine Hammelherde vorüber. In der Ferne, irgendwo, schreit ein Esel. In den Ladentüren mit Inschriften in den seltsamen kyrillischen Buchstaben, aus denen man nicht Kopf und Fuß machen kann, sitzen Gestalten in Pluderhosen in fauler Behaglichkeit. Ab und zu sieht man einen Mann über die Straße schreiten in roter Mütze, weißem Mantel und blauen Pluderhosen, groß, aufrecht und wahrhaftig königlich, als ob es Nikita selber wäre, der da des Weges kommt.

Wir kommen auf einen mit Bäumen bestandenen Platz, umsäumt von einigen Kaffeehäusern, in denen ein paar Kavaliere herumsitzen in schäbiger Eleganz. Darauf trifft man im Weitergehen noch einige Häuser und noch einige Bäume, und dann, wenn man eben denkt: Nun muß doch Cetinje bald kommen? – ist man schon wieder im freien Felde. Was kann man auch anders von Cetinje erwarten? Eben seine Kleinheit war doch sein Ruhm!

Nachdem wir so den Gesamteindruck auf uns haben wirken lassen, betrachten wir alles mehr im Detail. Da steht mitten unter den kleinen Häuschen ein großes Landhaus, das in jedem Villenvorort eine gute Figur machen würde. Nun wächst das Gras auf dem Parkweg, dessen Kies einmal geleuchtet haben mochte in besseren Zeiten. Nun lungern die Ziegen auf der Freitreppe, die nach dem Portale führt. Ein halbverwischter Doppeladler über dem Tore verkündet uns, daß hier einmal die österreichisch-ungarische Gesandtschaft gewesen. Ein anderes, noch stolzeres Gebäude in einiger Entfernung sieht nicht minder verlassen aus. Ein anderes war die Heimat der englischen, ein anderes der französischen Gesandtschaft, alle einmal schön und stattlich, und bei allen – Siegern und Besiegten – das gleiche Bild der verrosteten Tore und der klappernden Fensterläden.

Wir kommen an einen Garten, der groß angelegt ist wie ein englischer Park. Herrlich muß er einmal gewesen sein in besseren Tagen. Nun hat das Gras die Wege überwuchert, das Unkraut wächst mannshoch in den Blumenbeeten, die Rosenbüsche sind ausgeartet zu dornigen Hecken, und alles in allem ist es ein Bild, daß man weinen möchte bei seinem Anblick. Vor dem Park steht ein stattliches Haus, flankiert von leeren Schilderhäusern. Die Läden sind geschlossen, die Türen verrammelt und roh mit Brettern vernagelt, die Nebengebäude fensterlos und ausgeräubert, eine Wohnung der Spinnen und Eulen.

Das war einmal Nikitas Palast.

Man steht davor und macht sich so seine Gedanken. Wie mag es hier lustig zugegangen sein im Glück und im Sommer dieses Ländchens! Wie mag es lebendig gewesen sein vom Kommen und Gehen der Equipagen, von glänzenden Uniformen und feierlichen Zylinderhüten, von Diplomatenfräcken und von königlichen Schwiegersöhnen!

Es ist alles tot und vorbei, zermahlen in der unerbittlichen Mühle der Weltgeschichte, die auch das Weltgericht sein soll, obwohl man heute daran zweifeln mag.

Wie dem auch sei: Der Abglanz vergangener Zeiten wirkt auch heute noch nach auf diesem Boden. Kein Tag vergeht, der nicht eine Autoladung von gut republikanischen Amerikanern bringt, die das dringende Bedürfnis verspüren zu einer Wallfahrt nach einem Orte, wo einmal ein richtiggehender »King« – und sei es auch nur ein Zaunkönig – zu Hause gewesen war. Es ist eine Art Snobismus, der heute Mode ist in der Welt, in der man sich langweilt; den Vorteil haben davon die Bewohner Cetinjes, die sich dadurch einen gelegentlichen Nebenverdienst verschaffen können. Schon gleich bei meiner Ankunft bot mir solcher Bärenführer seine Dienste an. Der junge Mann sah mehr malerisch als vertrauenerweckend aus. Wäre ich ihm auf der Lowcenstraße begegnet, so hätte ich ihn für einen Komitatschi gehalten. Aber er machte seine Sache gut, trotz aller Ausgefranstheit. Er führte mich auf einen nahen Felsenhügel, von wo man das ganze Tal mit dem Städtchen übersehen konnte. Dort oben lag Nikitas Vater begraben unter einem weithin sichtbaren Pavillon; wirklich ein stimmungsvolles Grab. Eine noch viel schönere Ruhestätte hatte sich Nikitas Großvater ausgesucht. Hoch oben auf der Spitze des Lowcen, die eben im Abendrot leuchtete, zeigte er mir das Kreuz, das sich deutlich sichtbar vom roten Himmel abzeichnete. Wahrlich eine königliche Idee, sich dort oben begraben zu lassen, wo rings das weite Land zu Füßen liegt!

Mein Komitatschi-Fremdenführer wurde ganz weich bei dem Anblick. Das Abendrot lag auf seinem Gesicht und Tränen traten ihm in die Augen.

»Unsere König – –« sagte er mit unsicherer Stimme in einem holprigen Deutsch, das er in der österreichischen Gefangenschaft gelernt hatte. »Armer Nikita! Armes Montenegro!«

Und dann sprudelte er es heraus in einer Rede, die kraus und verworren war, die ich aber nur allzu gut verstand, denn sie war wie die Geschichte unseres eigenen Landes.

Wie es hierzulande mit den Räubern stände? fragte ich ihn, sobald ich Gelegenheit hatte. Da wurde er zornig.

»Vorher – Nikita – nix Räuber! Jedermann zufrieden. Jetzt – Serben – viel Räuber. – Nix Räuber Komitatsch. Revolutionäre. Für Montenegro, für Nikita, für die Freiheit! Nix schießen auf Fremde. Nur auf die, wo sein schuldig. Auf Minister, Offiziere und Gendarmen.«

Langsam gingen wir wieder den Hügel hinunter, und keiner sprach ein Wort, denn beide dachten wir nur das eine.

Nikita! Auf Schritt und Tritt begegnet einem das Wort in diesem Lande. Dann leuchten die Augen, und es lösen sich die Zungen. Er war ihnen mehr als ein Vater, als ein König, und er ist ihnen heute die Verkörperung einer vergangenen besseren Zeit. Er ist unter ihnen ein- und ausgegangen als ihresgleichen. Da war keiner, den er nicht kannte, da war keine Hütte im Lande, in der er nicht zu Hause gewesen wäre. Er – Nikita. In diesem Namen verkörpert sich ihnen Heimat, Staat und alles. Was aber ist ihnen Belgrad? Und was Alexander? – Doch das ist alles Politik.

Die Sonne war noch nicht hinter den Bergen hervorgekrochen, als ich mich am nächsten Morgen auf die Weiterreise machte auf der Straße, die nach dem Skutarisee führt. Als ich auf der Anhöhe angelangt war, von wo man einen letzten Blick über das Ganze haben konnte, stand ich einen Augenblick still und schaute noch einmal zurück auf die Berge, die eben im Golde der ausgehenden Sonne erstrahlten, und auf das Tal mit dem Städtchen, das noch immer in tiefen Schatten lag. In der Ferne stand scharf am Himmel das Kreuz auf Danilos Grab, das in erhabener Ruhe vom Lowcen herunterschaute . . .

Bald war ich wieder mitten drin in dem Chaos von Steinen und Felsen. Der Weg war zu dieser frühen Stunde schon stark belebt von Leuten, die mit ihren Landesprodukten aus der Seegegend hinaus zum Markt nach Cetinje zogen. Ganze Karawanen kamen den steilen Weg heraufgekeucht. Leicht und stolz schritten die Männer voran. Hinterher trippelten die schwerbepackten Esel. Ganz zuletzt kamen die Weiber, und die waren noch schwerer bepackt als die Esel. Es war nicht eben ein Anblick nach dem Herzen der seligen Miß Pankhurst. Je weiter man talabwärts kam, umso schöner wurde das Land.

Unter mächtigen Nuß- und Feigenbäumen standen mächtige Strohhütten. An den Hängen standen Weinberge, aus denen unwahrscheinlich große Trauben leuchteten. Hier und da waren auch schon wieder Olivenbäume zu sehen. Ich kam durch ein Eichengestrüpp, das man mit einiger Phantasie schon beinahe als Wald ansprechen konnte, und ehe ich mich versah, stand ich vor dem, was ich in allen meinen Wanderungen im Lowcenmassiv bisher noch nicht gesehen hatte: vor einem richtigen, lustigen Bach, der plaudernd über die Steine hüpfte.

Da konnte ich es nicht über mich bringen, gleich wieder weiterzumarschieren, trotz aller Eile. Ich setzte mich auf einen Stein im Schatten der Bäume und schaute hinunter zum See, der dunkelblau aus der Tiefe schimmerte, und hinüber zu den albanischen Bergen, die blau und verlockend in der Ferne standen, und hörte auf die verworrenen Stimmen der Wildnis und auf das Murmeln und Plätschern des Wassers.

»Vom Wasser haben wir's gelernt, vom Wasser . . .«

 


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