Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Korntal in Palästina

Tiberias, im Mai

Früher sah man nur Engländer in Karawanen reisen, aber da es in diesen Nachkriegszeiten nichts Englisches gibt, das wir ihnen nicht eifrig nachahmten, so sieht man denn heuer auch Scharen von Deutschen, die solchermaßen »gemanaged«, gehetzt, gerädert werden durchs Heilige Land. –

Ein faustischer Drang lebt im modernen Menschen, oder zum mindesten doch der Geist, der Faustens Famulus bewegte: »Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen!« Und also wird man für den Preis auch noch durch das ganze zionistische Aufbauwerk gejagt, durch Städte, in denen die Steine stolz sind auf das, was sie einmal sein sollen, durch Kolonien, die aus der Ferne fabelhaft ausschauen, durch Weinberge und Orangengärten, durch Felder, die gedüngt sind mit Dollars.

Ja, aber eines wird zumeist vergessen über dieser Orgie von Sehenswürdigkeiten, über diesem Zahlenrausch der zionistischen Flugblätter, unterschlagen als eine peinliche Erinnerung und bestenfalls einmal nebenbei erwähnt, daß nämlich schon seit einer erheblichen Reihe von Jahrzehnten eine große Anzahl von biederen, tapferen schwäbischen Bauern hier im Lande sitzt. Bauern und sonstige produktiv tätige Menschen, die, im Gegensatz zu ihren zugereisten Nachbarn, nicht von milden Gaben und Vorschußlorbeeren leben, sondern in bitterem Lebenskampf, nur auf sich gestellt und geleitet von dem Stern ihrer Idee, in Wahrheit ihren Anteil an dem Land erarbeitet und erobert haben, sodaß auch für sie das Wort des Schwabenliedes gilt:

»Wer mag den Schwaben fremd im Lande schelten?
Hier war vor ihm der Türke, der Tartar,
Drum darf er auch als Herr auf seiner Scholle gelten,
Ist Bürger hier und nicht dein Gast, Mayar!«

Es ist ein Roman, der sich hier abspielte, vielleicht eine Utopie, aber eine von den ganz wenigen, die zwar in ihren letzten Zielen scheiterten, aber ihre Träger nicht zerbrochen haben. Der Schwabe neigt zum Simulieren, zum Sichverbeißen in Ideen, und demgemäß war das Land Württemberg von jeher ein guter Nährboden für Pietisten und sonstige religiöse Eigenbrötler, die man dortzulande »Ständler« nennt: biedere, eifrige Leute, zumeist aus dem kleinen Mittelstande. Kleine Leute sind oftmals Träger großer Ideen, und wann hätte je einer eine größere erfaßt als die, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts im Kopfe jenes tapferen Korntaler Pietistenpfarrers reifte: die Erkenntnis, daß von allen Reden und Weissagungen der Bibel eigentlich nur die eine gelte: »Eure Rede sei ja, ja, nein, nein«, daß es sich lohne, gemäß den Weissagungen das Himmelreich gleich hier auf Erden aufzurichten, daß man folglich auch danach handeln müsse, am besten durch das Vorbild eines gerechten Lebenswandels in der neuen Umwelt des Heiligen Landes?

Wahnsinn war das vielleicht, aber ein heroischer Wahnsinn von der Art, die unter anderen Umständen schon oftmals Weltgeschichte gemacht hat. Was seit dem Kommen jener Schwaben zu Anfang der siebziger Jahre geleistet, gelitten, gekämpft und erreicht wurde, das ist eins der schönsten und ruhmreichsten Blätter der deutschen Kolonialgeschichte: wie sie den wilden Boden beackerten und die fieberbrütenden Sümpfe austrockneten, wie Dutzende starben und andere in die Bresche traten, und das in fremdem Lande, auf verlorenem Posten, ohne »Keren Hejessod«, der ihnen das Land gekauft und die Brunnen gebohrt hatte, ohne die Schecks der Neuyorker Bankiers, ohne die Werbetrommel der zionistischen Exekutive, nur angewiesen auf die eigene Kraft und die armen Groschen der kleinbürgerlichen Freunde daheim. Dunkel stand die Zukunft vor ihnen. Frau Sorge stand vor jeder Tür, aber stärker als alles war der Wille ihres Führers Christoph Hoffmann, dessen Worte wir hier zitieren, weil sie in ihrer schlichten Schönheit ein Kulturdokument sind:

»Da wir nicht in die Ratschlüsse des Allmächtigen zu blicken vermögen, sind wir auch auf den Fall gefaßt, daß unsere Kräfte und Mittel sich erschöpfen und unsere Unternehmung scheitern sollten. Wir würden aber auch dann unsere Schritte nicht zu bereuen haben, weil sie in der Richtung auf das, was Gott will, getan wurden, und wir werden uns mit der Gewißheit trösten, daß Gott sein Werk im Orient und Okzident durch stärkere Hände als die unseren dennoch ausführen wird, und daß alsdann auch das, was wir getan und gelitten haben, wie klein es auch im Verhältnis zu den Geschicken der ganzen Menschheit sein mag, dennoch nicht verloren sein wird.«

Die großen Pläne der Gründer sind freilich inzwischen gescheitert an ihrer Unmöglichkeit, aber geblieben ist ein vorbildliches Stück deutscher Siedlungsarbeit, ein Kranz von Kolonien, die als Inseln der Kultur herausragen aus diesem trotz seiner alten Geschichte so kulturlosen Land.

Und es ist zugleich ein Stück unverfälschten Deutschtums!

Wenn der Deutsche im Ausland, zumal im Orient, anfängt Hochdeutsch zu sprechen, so ist das der erste Schritt zum Levantinertum und zur Entnationalisierung. In den Gassen dieser Kolonien aber hört man bei jung und alt nur unverfälschtes Schwäbisch, obwohl der schlimmste Feind des Volkstums, die Wohlhabenheit, bei vielen inzwischen eingezogen ist, obwohl Kaufleute, Bankiers, Schiffsagenten, Hotelbesitzer zu den Kolonisten gehören – eine rühmliche Ausnahme in der Tat, unter anderen deutschen Auslandkolonien.

Denn so ist dieses Land der Widersprüche.

Da fuhren wir dieser Tage im Eisenbahnzuge und lauschten, ob wir wollten oder nicht, dem Gespräch, das ein eben erst aus Berlin zugereister Herr mit seinen Nachbarn führte. Es war gerade ein sommerlich warmer Tag und die Landschaft voll Sonne. Von draußen kam ein süßer Duft von neugemähtem Heu. Überall auf den Feldern arbeiteten die Frauen mit umgeschlagenen Kopftüchern, die weithin in der Sonne leuchteten. – »Ja, es ist doch etwas Schönes um die eigene Nation, und wenn man weiß, wo man hingehört,« sagte der Herr aus Berlin.

»Ja«, meinten die anderen.

»Und wenn man so sieht, wie hier der Jude von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang schwer im Felde arbeitet –«

»Ja«, sagten wieder die anderen.

»Und diese gesunde Luft, das ganze Milieu –«

»Gewiß, gewiß –«

Einen Augenblick schauten sie alle gerührt zum Fenster hinaus. Da ließ sich plötzlich aus einer Ecke die Stimme eines langbärtigen Juden vernehmen, der bisher scheinbar gar nicht zugehört hatte.

»Sind das keine Jüd, werter Herr. Sind das deitsche Leit, wo sich rieft Kolonie Wilhelma.«

Einen Augenblick stockte das Gespräch. Dann redeten sie weiter, als ob sie etwas nachholen müßten über Gegenwart und Zukunft dieses merkwürdigen Landes. Da strich plötzlich der Alte wieder seinen großen Bart und schaute sich um mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldete:

»Bin ich gekommen mit fünfhundert Pfund, bin ich jetzt ein armer Mann. Ist es gut in Erez Israel für zum Beten und für zu sein unter der Erde; ist es aber nicht gut für über der Erde; ist es aber nicht gut für über der Erde zu machen ein Geschäft.«

 


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