Kurt Faber
Weltwanderers letzte Fahrten und Abenteuer
Kurt Faber

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Wenn man heute nach Jerusalem kommt

Jerusalem, im April

In der grellen Sonne eines heißen Nachmittags fuhren wir von Jaffa gen Jerusalem, auf der alten Straße, die schon Unzählige gegangen waren. Wie fern liegt die biblische Beschaulichkeit der Erzväter, wie fern die Romantik der Kreuzritter, wie fern, wie weltenfern sogar die Zeit, als Kaiser Wilhelm auf feurigen Rossen, mit vielfachem Pferdewechsel diese Straße zog: Seither ist die Welt sehr viel praktischer, wenn auch weniger romantisch geworden. Heute fährt man im Auto durch die heilige Geschichte. Man geht zum Meidan in Jaffa, ganz so wie auf dem Wittenberg-Platz, derweilen die Chauffeure in den nahen arabischen Kaffeehäusern in Allahs Hut Siesta schlafen. Du gehst zu einem hin und weckst ihn auf.

»Wieviel nach Jerusalem?«

Er nennt dir eine Summe, die beschwingt ist von orientalischer Phantasie.

Darauf großes Kopfschütteln.

Du gehst weiter, und er hält dich fest bei deinem Rucksack.

»Dreißig Piaster! – Fünfundzwanzig! – Zwanzig!«

Das Kaffeehaus wird rebellisch. Das Publikum mischt sich ein.

»Zehn Piaster.«

Ein Schrei der Entrüstung gellt über den Meidan. Die Esel wachen auf. Die Kamele am Brunnen schauen mißbilligend herüber. Schließlich wird man handelseinig bei fünfzehn Piaster, und das Auto kommt vorgefahren. Es war schon erheblich beladen mit einem Korb Eier, einer Nähmaschine und einem undefinierbaren Bündel, von dem man schwerlich sagen konnte, ob es Hühner, Ferkel oder sonstige Haushaltungsgegenstände enthielt. Inzwischen stiegen noch ein arabischer Herr und eine landesüblich verschleierte Dame ein, und als man dachte, daß nun wirklich keine Stecknadel mehr zu Boden fallen könnte, kam noch ein dicker Mann unter einem roten Fes und zwängte sich herein mit einer Wucht, die die alte »Blechliese« laut aufstöhnen ließ vor schmerzlicher Entrüstung.

Dann ging es fort nach Jerusalem auf einer glatten, durchweg asphaltierten Straße, die man unseren deutschen Provinzialbehörden als Muster übersenden möchte. Immer weiter dehnt sich die Landschaft, während der Motor die Kilometer abschnurrt. Bilder, die wir zu Hause vom Heiligen Lande zu sehen bekommen, geben uns gewöhnlich eine verkehrte Vorstellung, bei der das Land nicht eben gut abschneidet. Denn sie stellen meist die engere Umgebung von Jerusalem oder die Hochebene von Samaria dar, die verhältnismäßig dürr ist. Andere Landesteile, namentlich in den Küstendistrikten, sind bedeutend fruchtbarer. Zumal jetzt in der Osterzeit, wo alles überzogen ist mit einem üppig grünen Teppich unter einem fleckenlos reinen Himmel von unwahrscheinlicher Schönheit, ist es in der Tat das Land Kanaan, nach dem die Zungen der Kinder Israels lechzten. Überall singen die Vögel, überall ist die Luft geschwängert mit dem süßen Duft der Orangenblüten, der selbst uns in unserem wilden Benzinroß etwas zukommen läßt.

Was einem am meisten auffällt: Überall herrscht ein geradezu amerikanisches Leben in diesem Lande, das doch bisher als Inbegriff altweltlicher Beschaulichkeit in unserem Kopfe lebte. Alle Augenblicke saust ein Auto an uns vorüber. Alle Augenblicke kommt einer auf einem Motorrad. Nur zuweilen überholt man ein schwerbeladenes Kamel, das mit langem Halse vorüberschreitet, ohne einen Blick für diesen modernen Verkehr. Stellenweise hat man den Eindruck, als ob man durch die Obstgegenden von Südkalifornien fahre. Es ist alles so gleich, so wesenlos amerikanisch: dieselben Orangengärten, dieselben Mandelplantagen, dieselben Normalholzhäuser in den neuen jüdischen Kolonien. – Ja, und natürlich auch dieselbe Pracht der Benzinstationen. Heiliges Land!

Die Ebene mit ihren Gärten bleibt bald zurück, der Weg führt steil hinauf in ein dürres, steiniges Hochland, wo Araberdörfer mit ihren halb zerfallenen Lehmhütten freudlos in der grellen Sonne stehen, und plötzlich taucht Jerusalem auf, ganz die »hochgebaute« Stadt, von der in der Schrift zu lesen steht. Stolz und trotzig steht die Davidsburg auf dem Felsen, scharf und schwarz zeichnen sich die Umrisse der Gebäude in den fallenden Abendschatten, überhöht von zahlreichen Kirchtürmen, Minaretten, Synagogenkuppeln, so recht ein Sinnbild dieser seltsamen, von wilden Leidenschaften zerrissenen Stadt.

Von fernher sieht das prächtig aus, aber es ist hier nicht anders wie in anderen orientalischen Städten: Wer den Orient zum ersten Male in Jerusalem erlebt, der geht einer Enttäuschung entgegen. Es ist, als ob die verhängnisvolle Entwicklung der Jahrhunderte hier alles wahrhaft Schöne erdrosselt und nur noch ein Extrakt übriggelassen hätte von alledem, was uns unerfreulich dünkt am morgenländischen Leben. Dabei ist es trotz allem »Fortschritt« noch immer eine echt orientalische Stadt, eng zusammengedrängt zwischen hohen Mauern, überschattet von Basarlauben, unter denen ein Leben von verwirrender Buntheit flutet. Wo aber findet man hier noch die königlichen Kaufleute, die über ihren Teppichen in den Karawansereien thronen, die dröhnenden Hämmer, die wetterleuchtenden Schmiedefeuer, die Derwische und Geschichtenerzähler, den betörenden Reichtum in der Gasse der Goldschmiede? Nur der Schmutz ist geblieben und die Liederlichkeit und die Ramschware, eine Rumpelkammer der Waren und der Menschen – ja, und auch eine Rumpelkammer des Geistes:

Du gehst im Lichte spärlicher Laternen auf holperigem Pflaster, über viele Treppen durch die Via Dolorosa, die Leidensstraße Christi. Beim Torbogen »Ecce homo« hält dich einer am Rock fest.

»Mister, want to show you – –«

Bei Station Fünf, dort, wo Simon, der Cyrenier, das Kreuz aufnahm, handelte einer mit geweihten Rosenkränzen, aus dem Hause der Veronika stürzt ein anderer mit Ansichtskarten. Im Garten von Gethsemane bietet sich einer als Führer an für dreißig Silberlinge in sieben Sprachen, die sämtlich so korrupt sind wie seine schwarze Seele. Weiter geht man durch die Stadt, wo da geschrieben stehet: »Banco di Roma«. Wo da stehet: »Thomas Cook u. Son«. Und »Money exchange« und »Curiosity shop« und ein beutelauerndes Levantinerpack, das einem die Worte des alten, tapferen Freiherrn von Logau in Erinnerung ruft:

»Selbst Jesus, den die Juden einst verkauften,
Wär er auf Erden heut', ich glaube, die Getauften
Verkauften ihn zum größten Teile!«

Wo solchermaßen die Fremdenindustrie auf einen hohen Grad der Vollkommenheit gebracht wurde, ist es weiter nicht verwunderlich, daß sie auch vor den heiligen Stätten von Golgatha nicht haltmacht, ja, dort ihre höchste Ausbildung erreicht. Schmutzigere, schmierigere Gotteshäuser als jene, die man über diese Plätze zu bauen beliebt hat, kann man sich nicht mehr vorstellen. Mit winzigen Wachskerzen geht man, wie in den Katakomben Roms, über halsbrecherische Treppen mit ausgelaufenen Stufen, über zerrissene, unappetitliche Teppiche von Kapelle zu Kapelle, die keiner dem anderen gönnt und die gegenseitig in tödlicher Feindschaft liegen. Und mitten darin – Gott sei's geklagt: – liegt das Heilige Grab wie ein Knochen zwischen keifenden Hunden. Nur das Grab selbst und um dieses ein Platz für etwa drei bis vier Personen ist gewissermaßen neutraler Boden unter dem Lichte einer großen Anzahl ewiger Lampen aus Gold und Silber, die teils den Römisch-, teils den Griechisch-Katholischen, teils auch den Kopten und Armeniern gehören. Die Protestanten sind nicht vertreten.

Dies alles macht, wie gesagt, einen wenig würdigen Eindruck. Daß die ehemaligen türkischen Herren kein Interesse an einer Änderung dieser Dinge hatten, ja, sogar eine gewisse Freude darüber empfanden, kann man ihnen nachfühlen. Daß aber nunmehr die Engländer, die doch bekanntlich den lieben Gott gepachtet haben, ebenfalls den Dingen ihren Lauf lassen und nichts, garnichts tun zur würdigen Ausstattung dieser heiligen Stätten, dürfte denn doch eine Unterlassung sein, die im Widerspruch zu den Bestimmungen des Mandatsvertrags über Palästina steht. Nicht einmal Namenstafeln und Wegweiser hat man aufgestellt für den Gebrauch minderbemittelter Pilger, die hoffnungslos verirrt im Gassengewirr Jerusalems stehen, weil sie sich die zwanzig Mark pro Tag für einen Führer nicht leisten können.

Aber freilich fängt der Pilger in Jerusalem erst bei Cooks Reisescheck, bei den kombinierten amerikanischen Vergnügungspartien an, die zwischen Ostern und Pfingsten hier niedergehen und schnell wieder weiterziehen nach einem anderen »Topic«, das auf dem Programm steht.

Doing Jerusalem.

Dieser Tage sah ich eine Gesellschaft von Missionaren, die eben aus China kamen und in einem Tage und einer Nacht die ganze heilige Geschichte von Bethlehem bis Golgatha, inklusive Jericho, Jordan, Nazareth, Totes Meer, See Tiberias und den Berg Hebron »gemacht« hatten.

»Well,« fragte ich den Reverend, der bei seiner Rückkehr nach Jerusalem übernächtigt und gerädert aus dem Auto stieg, »how do you like Palestine?«

»Fine! – Und wann geht der Zug nach Kairo?«

»In einer halben Stunde.«

»Schade. Immer muß man Zeit verlieren. – Und ist es der Mühe wert, daß man Neapel mitnimmt?«

»Da wäre immerhin der Vesuv, Pompeji –«

»Ah, Pompeji! Das habe ich mir doch irgendwo notiert. Sehr interessant, drei Stunden. Das läßt uns sechs in Rom, drei in Florenz oder wie man das heißt. Einen vollen Tag in Paris. – Well, und dann müssen wir noch die Schlachtfelder machen und Brüssel und Köln und Berlin. Unter acht Tagen werden wir wohl nicht nach Hamburg kommen. – Thanks ever so much

Fort sauste das Auto zum Bahnhof. –

Und doch ist Jerusalem ein Ort mit Attraktionen, die zum Bleiben laden. Da ist z. B. das Hotel ersten Ranges mit Aussicht auf das Heilige Grab und allabendlich Jazzband. Da ist das »New Grand«, wo das Anschauen eines Kellners schon einen Dollar kostet, das Zimmer ein Pfund und die volle Pension irgendeine Zahl, die berauscht ist von den Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Es gibt hier Beauty parlours, Soda fountains, Schönheitskonkurrenzen und divine services mit echten Bischöfen.

Auch fehlt es nicht an Klöstern, der Grund ist uneben von frommen und wohltätigen Anstalten.

»Was ihr getan habt dem Geringsten, das habt ihr mir getan – –«

Wir aber sind gewiß, daß trotz dieser Hochflut von charity, trotz dieses Hymnensingens der kombinierten Vergnügungspartien ein armer, rechtschaffener, mittelloser Pilger hier ohne Schwierigkeit verhungern könnte. –

 


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