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XVII. Psychologisches

 

In formica non modo sensus, sed etiam mens, ratio, memoria.

Cicero, De natura deorum, III, 21.

 

Sinne

Die Verbindung jedes Menschen und jeden Tieres zur Außenwelt wird durch die Sinne vermittelt. Wenn man mit dem Seelenleben des Menschen sich beschäftigt, braucht man, von Einzeluntersuchungen abgesehen, den Sinnen wenig Aufmerksamkeit zu schenken, da jeder Mensch in jeder wachen Sekunde seines Lebens ihre Tätigkeit erlebt, also erfahrungsgemäß genügende Kenntnis von ihnen hat. Beschäftigen wir uns aber mit einem Tiere, von dessen Seelenleben wir ja nur durch Beobachtung seiner Sinnesäußerungen Kenntnis gewinnen können, so müssen wir diese Sinne eingehend studieren, da sie oft von den menschlichen durchaus abweichen; wir müssen dann versuchen, so gut das gehn mag, uns in das Wesen eines Geschöpfes mit andersgearteten Sinnen hineinzudenken. Nur so gewinnen wir eine einigermaßen sichere Grundlage.

Dem Gesicht der Ameisen hat die Wissenschaft eine nur kleine Rolle zugewiesen. Manche Arten haben, wenigstens in der Arbeiterinnenkaste, überhaupt keine Augen, andere wieder haben zwar Augen, aber keinen Sehnerv, sodaß auch sie blind sind. Bei den Arten, die sehen können, sind die Augen der Arbeiterinnen mäßig entwickelt, sie haben eine viel kleinere Anzahl Facetten, als die der Geschlechtstiere. Viel brauchbarere Augen haben die Weibchen, noch bessere die Männchen – beide benötigen sie beim Hochzeitsfluge. Außer diesen seitlich gelegenen Augen finden wir dann noch – in der Regel nur bei den Geschlechtstieren – die Stirnaugen, eins oder zwei, meist jedoch drei. Wozu diese Stirnaugen dienen sollen, wissen wir nicht; jemand hat vermutet, daß sie zum Nahesehen in der Dunkelheit dienen – und die andern schreiben diese Behauptung dem ›Jemand‹ nach.

In der Tat spielt das Gesicht eine größere Rolle im Leben der Ameisen, als man gewöhnlich zugeben will. Man schreibt das Sichzurechtfinden der Ameisen außerhalb des Nestes dem Geruch und Gefühl zu, während doch das Gesicht dabei ebenso beteiligt ist. Die Richtung – von und zum Neste – wird mit dem Gesichtssinn wahrgenommen, wobei die Augen die Rolle eines Kompasses spielen. So vermögen Ameisen, wenn man einen Teil des Heimwegs unter Wasser setzt, also jede Geruchsspur zunichte macht, dennoch schwimmend die gerade Richtung zum Neste beizubehalten. Bringt man auf einer Ameisenstraße eine drehbare Scheibe an, über welche die Ameisen laufen müssen, so kann man sich leicht überzeugen, wie sie die Richtung zum Neste stets beibehalten. Nehmen wir an, daß sich auf der Scheibe gerade eine Anzahl von Emsen befände, die mit Beute beladen nach Hause ziehen. Drehen wir nun die Scheibe um, so müssen sie alle vom Neste fortlaufen. Aber sie bemerken sehr bald diesen Irrtum, drehen um und nehmen die grade Richtung zum Neste wieder auf. Mit anderen Worten: sie richten sich nach der Lichtquelle – in der Natur nach der Sonne, frei oder bewölkt; nach der elektrischen Birne im Laboratorium. Daneben richten sich die Emsen auch nach Wegmarken wie Steinchen oder Holzteilchen, wobei das Auge eine ebenso große Rolle spielt wie der Geruch. Eigentümlich und bisher wenig geklärt ist ihr merkwürdiges Vermögen, die Entfernung zum Neste richtig einzuschätzen. Setzt man die Drehscheibe mit den auf ihr laufenden Ameisen zwei Meter rechts von der Ameisenstraße, so laufen die Emsen geradeaus weiter, in der Richtung geleitet von der Lichtquelle, also parallel ihrer Straße. Sie kommen aber natürlich nicht zum Neste. Genau zwei Meter rechts davon werden sie unruhig: an dieser Stelle vermuten sie ihr Heim. Sie laufen nun nicht weiter, sondern suchen im Umkreise herum.

Das Auge der Ameisen ist entwickelt genug, um Farben und Formen unterscheiden und erkennen zu können, freilich in anderer Weise, als das Menschenauge. Langwellige Lichtstrahlen ziehen sie kurzwelligen vor; violett ist ihnen also sichtbarer und darum weniger angenehm als rot und grün, während uns diese Farben sichtbarer sind. Wir sehen im Spektrum drei Hauptfarben: rot, grün, violett; die Ameisen nur zwei: eine Farbe, die aus den violetten und ultravioletten Strahlen und eine andere, die aus rot und grün besteht. Was das Erkennen von Formen angeht, so kann das Männchen auf ziemlich bedeutende Entfernung das fliegende Weibchen erkennen, während die weniger entwickelten Augen der Arbeiterinnen nur auf geringe Entfernung zu sehen vermögen.

Der Gefühlssinn der Ameisen, wenig erforscht, erstreckt sich über den ganzen Körper. Überall finden wir Tasthaare, doch besonders zahlreich und fein sind diese an den Fühlern. Da nun die Ameise ständig ihre Fühler benutzt, so ist anzunehmen, daß sie durch Tasten ein Bild des Betasteten gewinnt, etwa ähnlich dem Bild, das ein blinder Mensch von Gegenständen durch Befühlen gewinnt. Nun aber sind die Fühler zugleich auch die Träger des Geruchssinnes: in ihnen also mischen sich Tast- und Geruchssinn zu einem ganz besondern Sinne. Bei den Tasthaaren, mit denen der Leib bedeckt ist, kann man dagegen von einem reinen Gefühlssinn sprechen; auch dort, wo keine Tasthaare sind, vermag die Ameise zu fühlen. Zweifellos vermögen die Ameisen Schmerz zu empfinden; wenn auch nicht entfernt so wie Menschen; man kann einer Emse ein Bein oder gar den Hinterleib, während sie am Futternapf sitzt, vorsichtig abschneiden, sie wird es zunächst kaum bemerken, sondern ihren Honig ruhig weiter schlecken. Allerdings wurden im letzten Kriege oft Fälle beobachtet, daß Soldaten lebensgefährliche Verwundungen und Verstümmelungen erhielten, die sie in der Hitze des Gefechtes garnicht bemerkten, sondern erst viel später.

Übertrifft der menschliche Gesichtssinn den der Ameise, so ist dafür deren Geruchssinn um so besser entwickelt. Er hat ebenfalls seinen Sitz in den Fühlern, schneidet man diese ab, so vermag die Emse Freund und Feind nicht zu unterscheiden, ja, nicht einmal Nahrung zu finden. Die Berührung eines Gegenstandes mit den Fühlern ist zur Wahrnehmung des Geruchs nicht notwendig; die Ameise vermag Düfte aus Entfernungen zu riechen. Hier würde also ein dem menschlichen ähnlicher Geruchssinn in Frage kommen. Berührt sie dagegen einen Gegenstand mit den Fühlern, so vermischen sich in dem Empfinden der Ameise Tastsinn und Geruchssinn so innig, daß sie nicht mehr voneinander zu trennen sind, ja, daß man kaum von dem einen und andern – oder gar dem einen oder andern – sprechen kann, sondern einen neuen aus den beiden hervorgegangenen Sinn annehmen muß. So einfach und einleuchtend das auf den ersten Blick erscheint, so ist die Wirkung eines solchen Doppelsinnes, eines Tastgeruchssinnes, doch nicht so ganz leicht sich klarzumachen, zumal wir dabei versuchen müssen, die uns in Fleisch und Blut übergegangenen Begriffe des Riechens und Fühlens als einzelner Sinnesäußerungen auszuscheiden. Man versuche sich also vorzustellen, daß wir blind seien, dafür aber eine elefantenrüsselige Nase hätten, die nicht nur ausgezeichnet riechen könnte, sondern zugleich ein überaus feines Gefühl habe. Mit dieser Tastnase also befühlschnuppern wir nun jeden Gegenstand, um uns ein Bild von ihm zu machen, tun das rein gewohnheitsmäßig, genau so, wie wir jetzt unsere Augen benutzen. Da wir die Form durch das Gefühl, den Duft durch den Geruch zugleich erhalten und beide Eindrücke voneinander nicht scheiden, sondern als einen empfinden, so würden wir etwa ein Ding als ›rundranzig‹, ein anderes als ›bitterspitz‹ ansprechen. Es erhellt daraus, wie verschieden die Außenwelt einem Wesen erscheinen muß, das sie hauptsächlich mit dem Gesicht wahrnimmt und einem andern Wesen, das sie mit dem Tastgeruch aufnimmt. Dazu nun müssen wir uns gegenwärtig machen, daß unser menschlicher Tastsinn und Geruchssinn sehr verkümmert zu nennen sind im Vergleiche zu dem Tastgeruchssinn, den die Ameisenfühler ihren Besitzerinnen vermitteln.

Geruch und Geschmack ist schon bei Menschen oft nur sehr schwer voneinander zu scheiden; wie sehr beide ineinander übergehn, erhellt daraus, daß – in allen Kultursprachen – dieselben Ausdrücke sowohl einen bestimmten Geschmack wie einen bestimmten Geruch bezeichnen. So schmeckt – und riecht – etwas sauer oder süß, ranzig oder bitter. Bei den Ameisen ist es nicht anders. Obwohl sie im allgemeinen alles lieben, was gut riecht, und alles, was stinkt, nicht mögen, kann man doch leicht einen besonderen Geschmackssinn feststellen; man braucht nur ihrer Lieblingsspeise, Honig, etwas ihnen Unangenehmes, dabei aber Geruchloses, etwa Morphium, beizumischen. Von dem Honiggeruch angelockt, eilen sie sofort heran, merken aber, sowie sie mit dem Munde den Honig berühren, den widerlichen Geschmack und essen nichts davon.

Wenig Sicheres wissen wir bisher über den Gehörssinn der Ameisen. Die Verständigung der Ameisen ist eine Tastsprache, vielleicht unserer Blindensprache zu vergleichen, doch kann diese nur in nächster Nähe, von Fühler zu Fühler angewendet werden. Nun aber steht einmal fest, daß die Ameisen sich auch über Entfernung hin verständigen können und zweitens, daß sie eine Reihe von Geräuschen bei bestimmten Gelegenheiten hervorbringen – man muß also, auch wenn man noch nicht weiß, wie sie das machen, dennoch schließen, daß sie hören können. Einige Forscher vermuten, daß der Gehörssinn in den Vorderbeinen seinen Sitz habe. Wie Geschmack und Geruch, so ist Gefühl und Gehör auch beim Menschen sehr nahe miteinander verwandt. Daß beide uns getrennt erscheinen, kommt nur daher, daß die Luftwellen, die uns einen Ton zutragen, von uns nicht gefühlt werden, da unser Gefühl nicht fein genug dazu ist, sie noch wahrnehmen zu können. Schwimmen wir aber mit dem Kopf unter Wasser, so können wir einen starken Ton zu gleicher Zeit sehr wohl fühlen und hören. Bei plötzlicher Bedrohung des Nestes schlagen die Ameisen einiger Arten heftig mit dem Hinterleib auf den Boden, die anderer Arten mit dem Kopfe gegen die Wand ihres Nestes und rufen so ein Geräusch hervor, das auch das menschliche Ohr hören kann. Außerdem aber besitzen manche Ameisenarten am Hinterleibe, ähnlich wie die Heimchen, Schrillorgane; sie vermögen durch Aufeinanderreiben von Plättchen zirpende Geräusche hervorzubringen. Sowie eine Emse einen guten Futterplatz gefunden hat, fängt sie an zu zirpen und ruft dadurch im Augenblick ihre Schwestern herbei. Bei einzelnen Arten, wie bei den Pilzzüchterinnen, vermag man dies Zirpen deutlich zu hören. Da nun die großen Weibchen am lautesten zirpen können, dann, in immer schwächeren Abstufungen, die Soldatinnen, die Männchen, die großen, mittleren und ganz kleinen Arbeiterinnen, so mag jedes im Volke sehr leicht heraushören, wer um Hilfe zirpt.

 

Das Gehirn empfängt als Nervenzentrum die Sinneseindrücke und verarbeitet sie. Sehr klein und verkümmert ist es bei den Männchen, viel besser entwickelt bei den Weibchen und den Arbeiterinnen. Bei manchen Arten, bei denen die Königin besonders große Arbeit leistet, besonders auch nach der Gründung ihres Volkes noch an dem Staatsleben regen Anteil nimmt und sich nicht nur auf Eierlegen beschränkt, sondern auch sonst mit zugreift, ist das Gehirn der Königin dem der Arbeiterinnen zumindest gleich. Bei anderen Arten, bei denen die Königin nach Gründung des Volkes nur noch eine passive Rolle spielt, ist das Gehirn der Arbeiterinnen besser entwickelt. Dementsprechend sind dann auch die Ameisenmännchen geborene Trottel, die nur zur Fortpflanzung im Reiche benötigt werden, während die Weibchen und besonders die Emsen hohe geistige Fähigkeiten besitzen.

Instinkt

Wenn man je das große Kotzen bekommt, dann ist es bei der Weisheit, die Naturwissenschaftler, Philosophen und Theologen auspacken, wenn sie auf Instinkt zu reden kommen. Es herrscht eine Begriffsverwirrung, mit der verglichen der Wirrwarr beim Turmbau zu Babel wie der einfachste Satz aus der Kinderfibel anmutet.

Dabei ist es letzten Endes gleichgültig, ob man die Begriffe Instinkt, Vernunft, Verstand so oder so faßt. Die Hauptsache ist, daß die Worte in den Sprachen eine wirklich feste Bedeutung bekommen. Dann erst, wenn sie wirklich etwas Bestimmtes besagen, kann man mit ihnen arbeiten; solange sie nichts als verschwommene Begriffe sind, die immer wieder ineinander übergehen, ist aller Wortschwulst der Herren Gelehrten nur ein hanswursthaftes Seiltanzen. Während bei den einen Vernunft und Verstand ineinanderfließen, mischen sich bei andern Reflex und Instinkt, Instinkt und Intelligenz. Was der erste noch Reflex nennt, bezeichnet der zweite schon als Instinkt, was der dritte Intelligenz nennt, ist dem vierten lediglich Instinkt, während der fünfte einen neuen verschwommenen Begriff prägt und zwischen Instinkt und Intelligenz die Plastizität einschiebt. Er ahnt dabei garnicht, daß er mit diesem neuen Begriff nichts erklärt und nichts vereinfacht, sondern alles nur noch breiiger und verwirrter macht.

Daß all diese Begriffe an bestimmten Punkten ineinander übergehn, ist ohne weiteres klar. Dennoch ist es nötig, einmal scharfe Grenzen zu ziehen und vor allem dem einzelnen Begriff einen festen, allgemeingültigen Sinn zu geben. Ich habe Stöße von Büchern berühmtester Weisen gelesen, und ich darf feststellen, daß sich von Jahr zu Jahr diese Begriffe mehr verwirren. Von Kant, Schelling, Schopenhauer über E. v. Hartmann, Spencer, Wundt, Claude-Bernard zu Bergson, Driesch, J. Loeb, Semon – um nur einige der allerbekanntesten Namen zu nennen – führt der Weg in immer tiefere Irrgärten. Man könnte allein mit den verschiedenen Definitionen des Instinkts ein starkes Buch anfüllen.

Bei den heute führenden Myrmekologen Forel, Wasmann, Wheeler, finde ich folgende Definitionen:

»Instinkt ist eine mehr oder weniger komplizierte Tätigkeit, die ein Organismus ausübt, welcher erstens mehr als Ganzes, denn als Teil handelt, zweitens mehr als Repräsentant einer Art, denn als Individuum, drittens ohne vorausgehende Erfahrung, viertens mit einem Zweck oder einer Absicht, von der er keine Kenntnis hat.« (Wheeler.)

»Instinkt beginnt erst dort, wo ein Erkenntnisleben vorhanden ist. – Nur jene Tätigkeiten können instinktiv genannt werden, die ihre nächste Ursache in einer sinnlichen Wahrnehmung, Empfindung oder Vorstellung haben. Die unbewußt zweckmäßige Verbindung bestimmter sinnlicher Wahrnehmungen oder Empfindungen mit den entsprechenden Trieben und äußeren Tätigkeiten – das ist eigentlich das Wesen der Instinkthandlungen.« (Wasmann.)

»Instinkt ist ein erblich fixierter und übertragener, hereditärer, mehrphasiger Engrammkomplex, dessen erste Phase im Leben des Einzelindividuums durch eine spezifische, aktuelle, energetische Situation ekphoriert wird, und dessen weitere Phasen sich – unter steter Kontrolle seitens der jeweils neu entstandenen Reizsituationen – als automatische Handlung sukzessive und mehr oder minder zwangsmäßig weiter abwickeln.« (Forel.)

Nun bitte ich meine sehr gütigen Leser, diese drei Pröbchen menschlicher Denkarbeit noch einmal durchzulesen. Das Forelsche Sprüchlein bedingt zum Verständnis eine sehr eingehende Vorarbeit, vor allem die gründliche Kenntnis der Lehre Semons. Es ist zudem eigentlich gar keine Definition des Begriffes Instinkt, sondern, wie Forels begeisterte Schüler sagen, »eine endgültige Ausschaltung des alten abgedroschenen Instinktbegriffes und dessen Ersatz durch eine klare, eindeutige Erklärung«. Endgültig. Nichts ist in der Wissenschaft endgültig – was zehn Jahre lang lebt, hat schon ein sehr langes Leben. Klar und eindeutig? Für den Biologen vom Fach vielleicht, aber jeder Laie, wie jeder nicht rein biologisch eingestellte Wissenschaftler kann auch nicht das geringste damit anfangen.

Das Wheelersche Sprüchlein ist ganz begreiflich, auch für jeden Laien. Aber es ist rein formal und für den Biologen völlig nichtssagend. Denn wie soll man in einem Organismus feststellen können, wo das Ganze aufhört und wo der Teil anfängt? Und kein Mensch auf der Welt kann sich eine Tätigkeit vorstellen, die »unbewußt absichtlich« ist.

Am gefährlichsten jedoch ist Wasmann, der in seiner Definition, die ebenfalls mit dem »unbewußt Zweckmäßigen« jongliert – so wie überall dort, wo er mit dem Begriff Instinkt arbeitet, seltsame Purzelbäume schlägt. Die Begriffsverwirrung der Wissenschaft ist ihm äußerst willkommen, um für sich dabei im Trüben zu fischen. Er gebraucht den Begriff Instinkt ganz unterschiedslos für alle möglichen Äußerungen der Tierseele, bezeichnet als ›instinktiv‹ Tätigkeiten, die kein anderer Mensch je als solche angesprochen hat, noch je ansprechen wird. Ja selbst, wo es sich handelt um auf den besonderen Einzelfall sich einstellende Äußerungen – sogenannte ›plastische‹ Anpassungen – auf Grund individuell erworbener Erfahrungen, selbst da redet er noch von instinktiven Handlungen. Dieser Naturwissenschaftler hat letzten Endes nur den einen Gedanken im Kopf, die Lehren des heiligen Thomas von Aquino über die menschliche Seele zu retten. Deshalb dürfen die Tiere unter gar keinen Umständen Intelligenz besitzen; schon der Begriff der ›Plastizität‹ ist ihm zuwider, weil der immerhin ein wenig nach Intelligenz riecht. Nur der Mensch allein ist intelligent, ist es, weil er vom Lieben Gott eine Seele erhielt. Und so schließt wieder und wieder Wasmann mit einem »Te Deum«, versucht immer aufs neue zu beweisen, daß nur ein persönlicher Lieber Gott diese herrliche Welt erschaffen haben könne. Wie skrupellos er dabei vorgeht, mag aus folgendem Stückchen erhellen, das er dem alten Peter Huber entnimmt:

»Beim Anblick dieser Völkerscharen (der Ameisen), die zu unseren Füßen wohnen, und in denen soviel Ordnung und Einklang herrscht, glaube ich den Schöpfer der Natur zu schauen, wie er mit seiner allmächtigen Hand die Gesetze einer Republik (der Ameisen) vorzeichnet, die frei ist von Mißbräuchen; oder wie er das Urbild dieser gemischten Gesellschaften (der Sklavenstaaten) entwirft, in denen Knechtschaft mit den Interessen aller sich verbindet!« ¦– »Das soll«, fügt Wasmann hinzu, »auch unser Schlußwort sein!«

Als der treffliche Peter Huber vor mehr als hundert Jahren diese Worte schrieb, waren sie ehrlich und wahr – als Schlußwort Wasmanns wirken sie geradezu als eine Gotteslästerung. Wasmann macht sich sonst gerne über Huber lustig, nennt ihn ›rhetorisch angehaucht‹; hier plötzlich macht er die schönen, aber gewiß ›rhetorisch angehauchten‹ Worte zu seinen eignen. Und er tut das, nachdem er vorher auf Hunderten von Seiten genau das Gegenteil von dem erzählt hat, was Huber in diesem Satze schreibt! Huber glaubt ehrlich, daß die Ameisenpolitik ›frei von Mißbräuchen‹ sei, glaubt, daß sich in den Sklavenstaaten ›die Knechtschaft mit den Interessen aller verbinde‹ – und darum , um dieser ›Ordnung und dieses Einklangs‹ willen, preist er Gott. Wasmann hat uns auf Grund eingehender, in langen Jahren gesammelter persönlicher Erfahrungen und Erkenntnisse dargestellt und zu beweisen versucht, daß es in den Ameisenrepubliken eine ganze Menge der allerschlimmsten Mißbräuche gibt und daß die ›Knechtschaft‹ sich nicht nur nicht ›mit den Interessen aller verbindet‹, sondern im Gegenteil allen, sowohl den Herrinnen, wie den Sklavinnen sehr schädlich sei! – Woher nimmt er da den Mut, dafür Gott zu preisen?

Aber: es wäre eine große Ungerechtigkeit, nur den guten Vater Wasmann so festzunageln und die andern Weisen frei ausgehen zu lassen. Alle haben sie große Verdienste und von allen hab ich gelernt. Doch geärgert haben sie mich alle – jeder mit seinem eigenen Spleen. Es ist halt schon so, wie's in Grimmelshausens Simplicissimus heißt: »Ich glaube, es sei kein Mensch auf der Welt, der nicht seinen besondern Sparrn habe – denn wir sind alle einerlei Geschöpfe – und ich kann bei meinen Birn' wohl merken, wenn andere zeitig sind.« Der Professor Forel aber hat geradezu eine Sammlung von Sparrn sich zugelegt und ist damit durch die ganze Welt hausieren gegangen.

Ich muß bei ihm einen Augenblick verweilen, weil der Fall Forel mir besondere Gelegenheit gibt, zu zeigen, warum es eine Notwendigkeit erschien, daß dies Buch nicht von einem Fachgelehrten, sondern von einem Laien geschrieben wurde. Sein Buch » Mensch und Ameise« erschien unlängst, nicht in einem wissenschaftlichen, sondern in einem schöngeistigen Verlage: es ist augenscheinlich für den allgemeinen Leserkreis geschrieben. Im Vorwort nennt Forel dies Buch »eine Zusammenstellung seiner durch sechsundsechzig Jahre verfolgten Studien über die Ameisen, verbunden mit Studien über die verschiedenen Funktionen des menschlichen Gehirns sowie mit Darstellungen über den verderblichen Einfluß des Weltkriegs.«

Schon 1894 hatte Forel auf der 66. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte zu Wien einen Satz gesprochen, der ihm so schön und so wichtig erscheint, daß er ihn jetzt als besonders grundlegend wiederholt:

»Das Studium der phylogenetischen Evolution der Tierbiologie bringt uns zu der Überzeugung, daß die ursprünglichste Nervenwellentätigkeit eine mehr plastische ist, die jedoch bei geringer Elementenzahl und hohen Anforderungen zur Bildung von einseitigen erblichen Automatismen führt. Übrigens sind beide Tätigkeiten nur relativ verschieden. In uns selbst können wir bei jeder Erlernung den allmählichen Übergang der einen in die andere sowohl zentrifugal (technische Fähigkeiten) wie zentripetal (abstraktes Denken) studieren.«

Die Herren zu Wien müssen sich sehr blöd vorgekommen sein, als der weltberühmte Forscher ihnen diesen großartigen Satz an den Kopf warf. Gesprochen kann natürlich kein Mensch in der Welt das verstehen. Liest man es, so begreift man zwar nach einigem Bemühen, was Forel sagen möchte, aber man hat zugleich das Mißtrauen, daß er selber seiner Sache keineswegs sicher ist. Und gleich aus dem folgenden Satze geht hervor, daß der Gelehrte im Grunde nur mit Worten herumjongliert. Er sagt da:

»Dadurch, daß die individuell erworbenen Gehirnengramme unter sich mittels neuer Ekphorien immer zahlreicher und mannigfaltiger kombiniert werden, wird die Arbeit der Neuronen immer plastischer, d.h. modifikationsfähiger.«

Das ist doch heller Unsinn! Warum in aller Welt soll denn dadurch die Arbeit der Neuronen »immer plastischer« werden??

»Die latente Kumulierung«, behauptet Forel weiter, »der individuell erworbenen Engramme im Laufe von Jahrtausenden und Jahrmillionen bewirkt nach und nach bei jeder Art Lebewesen das Ausschlüpfen neuer auf solche Weise erworbener Merkmale (de Vries: Mutation).«

Jaduliebergott: aber die Mutation ist doch grade sprunghaft! Es heißt doch die Lehre de Vries' auf den Kopf stellen, wenn man behauptet, daß Kumulierung – Mutation bewirke! Oder aber: Forel will die recht einfältige Weisheit aussprechen, daß ›die Natur endlos sei im Hervorbringen mannigfaltigster Einzelerscheinungen‹. Was tut er? Er schlägt seinen Zuhörern diesen schauderhaften Satz um die Ohren: »Diese Weltpotenz besitzt an sich die plastische Expansionsfähigkeit einer endlosen evolutionistischen Diversifikation im Detail ihrer Erscheinungen.«

Diese Beispiele mögen genügen. Ich führte sie an, um den Wirrwarr darzustellen, der in dem Kopfe dieses großen Gelehrten herrscht – zugleich, um dem Nichtfachmann, dem gebildeten Laien einmal zu zeigen, wie sich ein echter Wissenschaftler auszudrücken pflegt, wenn er – fürs Volk schreibt. So klar, so einfach, so durchaus verständlich!

Denn dies Buch Forels ist fürs Volk geschrieben. Weil der Weise wirklich grundgescheite Arbeiten über die Ameisenwelt schrieb, glaubt er nun alle schwersten Fragen der Welt spielend lösen zu können. Es ist ihm ein leichtes, alle Völker und alle Menschen glücklich zu machen, und er gibt gern umsonst sein Rezept: Alkoholverbot, Frauenstimmrecht, pazifistische Generale einer supranationalen Armee, Kampf gegen das Glücksspiel, Esperanto, Baháireligion. Dann kann's garnicht fehlen, meint er. Die Herren Masaryk und Benesch, dazu China, das entbolschewisierte Rußland und die englische Labour-Party brauchten ihm nur ein klein wenig zu helfen, dann sei der ›wahre Weltvölkerbund einfach unvermeidlich, der nach Abschaffung aller Staaten die genannten Forderungen (und manche andern) des Weltfriedens und Menschenglückes leicht durchzusetzen vermöchte‹.

Und das alles ist kein grotesker Witz: der gelehrte Herr Professor will tiefernst genommen werden!

Ich zweifle auch keinen Augenblick daran, daß ihm das gelingt bei einer recht stattlichen Anzahl von Menschen. Je blöder ein Plan ist, die Menschheit im Diesseits oder im Jenseits zu erlösen, um so sicherer wird er eine Idiotenhorde finden, die ihn mit Begeisterung zum Evangelium erklärt. Und am leichtesten in unseren Jahren, die eine lachfreudige Nachwelt einmal als die große Blütezeit menschlicher Vertrottelung kennzeichnen wird.

 

Instinkt ist für Schopenhauer die ›lebhafteste Offenbarung des Willens zum Leben‹, für E. v. Hartmann die ›kräftige Tätigkeit des Unbewußten, eine selbsteigene Leistung des Individuums, aus seinem innersten Wesen und Charakter entspringend‹. Damit kann freilich der Biologe wenig anfangen; der Nichtfachmann aber um so mehr, wenn er das nicht wörtlich, sondern, wie es gemeint ist, als Gleichnis nimmt. Man kommt sehr viel weiter, wenn man bewußt darauf verzichtet, manche schwankenden Begriffe verstandesmäßig zu erfassen, vielmehr versucht, sie unbewußt zu erfühlen. Wo Instinkt beginnt, ist nie mit Sicherheit festzustellen; nur durch ein Übereinkommen der Sprache, nie aber wissenschaftlich, sind Wachstum und Entwicklung, Reflexe, Kettenreflexe auf der einen, Intelligenz auf der anderen Seite vom Instinkte zu trennen. Überall ist Instinkt die Fortsetzung von Wachstum und Entwicklung. Wenn aus dem Ei die Larve schlüpft, diese sich zur Puppe und die Puppe zur jungen Ameise auswächst, so ist das zweifellos ›Entwicklung‹. Dennoch ist dazu die Tätigkeit der Larve notwendig, die zum Verpuppen ihren Kokon spinnt – was jedermann als instinktive Tätigkeit ansprechen wird. Setzt sich nun hier die rein organische Tätigkeit in einem Instinkte fort, den sie als Mittel benutzt, oder schafft der Instinkt primär die organische Tätigkeit, die er benutzt?? Es erscheint völlig gleichgültig, ob ich's von einem oder vom andern Ende betrachte: beides deucht mich gleich richtig zu sein.

Ich habe bisher absichtlich das Wort Triebe vermieden, da es sich in die meisten fremden Sprachen nicht übersetzen läßt. Uns Deutschen aber ist das Wort so in Fleisch und Blut übergegangen, wir empfinden so deutlich seinen Inhalt, daß wir uns da nicht durch begriffsverwirrende Definitionen stutzig machen lassen. Liebe und Hunger sind die großen Triebe – Selbsterhaltung und Fortpflanzung – darin vereinigen sich alle Instinkte, beim Menschen nicht anders als bei den Ameisen und allen andern Geschöpfen.

Den beiden Trieben der Selbsterhaltung und Fortpflanzung dienen alle Instinktgefühle und Instinkthandlungen der Ameisen. So der Bau ihrer Wohnungen, die Brutpflege, das Versorgen mit Nahrung. Innerhalb der Kasten eines Ameisenvolkes lassen sich so recht die Verschiedenheiten der Instinkte erkennen. Beim Männchen sind sie völlig unentwickelt, nur eben hinreichend, es zu befähigen, seine Pflicht im Staate zu erfüllen. Es bettelt im Neste Nahrung von den heimkehrenden Emsen, um sich selbst zu erhalten, beim Hochzeitsfluge sucht es, mit sehr guten Augen ausgestattet, das fliegende Weibchen, um mit ihm im kurzen Momente der Fortpflanzung zu dienen. Das Weibchen dagegen hat alle Instinkte ihrer Art in sich vereinigt. Jede einzelne seiner Handlungen nach der Hochzeit zeigt einen anderen Instinkt. Zunächst wirft es die Flügel ab, die ihm jetzt nur hinderlich sind. Dann gräbt es seine Höhle, schließt sich darin ein, beginnt Eier zu legen und die Brut aufzuziehen. Das alles geschieht mit solcher Sicherheit und Selbstverständlichkeit, daß man fast an eine Kette von Reflexen glauben möchte, die durch eine andere feste Kette von Reizen ausgelöst würden. Sieht man jedoch genauer zu, so läßt sich sehr leicht feststellen, daß davon keine Rede sein kann: die junge Königin ändert den festen Plan sofort ab, sowie sie die kleinste Möglichkeit sieht, auf anderm Wege schneller oder besser zum Ziele zu kommen. Es fällt ihr garnicht ein, ein Loch zu graben, wenn sie irgendwo eine fertige Höhle vorfindet. Wird sie nach dem Hochzeitsflug von Emsen gefunden und freundlich behandelt, so läßt sie sich herzlich gern aufnehmen und nimmt dankend jede angebotene Hilfe an. Gehört sie zu einer der Arten, bei denen das Weibchen durch Eindringen in eine fremde Kolonie ihren eigenen Staat gründet, so sieht sie sich einer ganzen Reihe von Möglichkeiten gegenüber, deren jede einzelne sie auf das geschickteste ausnutzt. Sitzt sie einsam in ihrem Loch, damit beschäftigt, ihre Brut mühsam aufzuziehen, daneben auch, um sich selbst zu erhalten, einige der Eier zu verzehren, so wird sie, wenn man ihr Honig gibt, dankbar diesen nehmen und damit auch ihre Brut füttern. Kurz, wir sehen, daß ihre Instinkte keineswegs fest sind, keineswegs starre Antworten, Reflexe auf irgendeinem äußeren Anstoß, sondern sehr biegsam und anpassungsfähig.

In der Arbeiterinnenklasse finden wir dann die Instinkte der Mutter in den Handlungen noch schärfer hervortreten und oft sehr abgetönt. Die Arbeiterinnen haben bei manchen Arten ein besser entwickeltes Gehirn als das Weibchen, zeigen dementsprechend eine umfassendere Tätigkeit. Man hat viel darüber gestritten, wie sich die fortgeschritteneren Instinkte der Arbeiterinnen vererben können, da diese ja im allgemeinen nur Tanten, nicht aber Mütter sind. In der Tat aber ist die Jungfernzeugung bei den Ameisenvölkern wohl viel verbreiteter, als man bisher angenommen hatte. Manche alten Arbeiterinnen werden geschlechtsreif und legen unbefruchtete Eier; so vermögen sie ihren Nachkommen auch Instinkte in entwickelterer Form zu vererben, als ihre Mutter noch besaß.

Manche Instinkte mögen auch verkümmern, ja völlig verloren gehn, wogegen andere dann um so glänzender entwickelt werden; wir haben das ja bei den Amazonen gesehen, die sogar den Instinkt, selbständig zu essen, verloren haben. Andere Instinkte wieder mögen sich in einer Weise entwickeln, die für das Volk recht schädlich ist, wie der mißleitete Brutpflegeinstinkt bei den Blutroten, welche die ihnen so schädliche Brut der Fransenkäfer ihrer eigenen vorziehen.

Es ist unwesentlich, ob man von unten herauf oder von oben herunter den Instinkt erklären will, ob man ihn mit einer ›versenkten Intelligenz‹ vergleicht oder aber als weiter entwickelten Reflexmechanismus faßt. Wie schon Bergson ausführt, hat es jede dieser beiden Erklärungen leicht, über die andere zu triumphieren; man kann ebenso gut beweisen – und hat das in langen Auseinandersetzungen hundertmal getan – daß Instinkt kein reiner Reflex sein kann, wie auch, daß er von der Intelligenz, selbst wenn diese ins Unbewußte sich gesenkt hat, etwas durchaus Verschiedenes sein muß. Beides sind im Grunde nur Symbole – ein jedes anwendbar von dem einen Standpunkt aus und völlig unbrauchbar vom andern. Wenn wir aber glauben, daß unter allen Geschöpfen die Intelligenz ihre höchste Entwicklung im Menschen erreicht hat, so müssen wir hinzufügen, daß dafür in der Ameisenheit die instinktiven Fähigkeiten ihre höchste Blüte erreichten.

Intelligenz

Ich vermeide mit Absicht den Begriff der ›Plastizität‹, ich bin überzeugt, daß seine Einschiebung zwischen Verstand und Instinkt das Verständnis nicht erleichtert. Seitdem die Wissenschaft dieses schöne Wort erfunden hat, haben wir jährlich neue Definitionen dafür, die immer weiter auseinandergehn. Der allgemeine Sprachgebrauch kehrt sich nicht daran; ihm genügt das Wort Intelligenz – in allen Sprachen – vollkommen. Das deutsche Sprachgefühl ist hier ganz klar, jedermann wird, wenn er von Verstand spricht, nur an menschlichen Verstand denken. Der Inhalt des Wortes Intelligenz geht weiter, er umfaßt alles, was über den Instinkt hinausgeht, ist also durchaus auch auf Tiere anwendbar. Das Wort ›Pastizität‹ hat nur verwirrend gewirkt, wie man den Begriff auch erklärt hat. Ob ich ihn als ein ›Handeln auf Grund individueller Erfahrung‹, als ›das Vermögen eines Organismus, seine Handlungen dem Erfordernis des Augenblicks anzupassen, ohne dazu die Führung einer ererbten Anpassung zu benötigen‹ oder als ›eine Tätigkeit, die auf historischer Reaktionsbasis fußt‹, fassen will – stets wird der Sprachgebrauch aller Kultursprachen das Intelligenz nennen.

Intelligenzäußerungen nun können wir immer wieder bei den Ameisen beobachten. Daß sie nicht höchste menschliche Intelligenz haben, daß sie keinen Faust schreiben und keinen Don Giovanni komponieren können, ist klar. Ob man ihnen ein Abstraktionsvermögen absprechen oder zuerkennen soll, ist schwer zu entscheiden; ich möchte die Frage eher bejahen als verneinen, dann wenigstens, wenn ich dieses Vermögen einem jeden einzelnen Menschen zusprechen soll. Die Schlucht, die zwischen der Amoeba primitiva und dem Herrn Budiker und Reichstagsabgeordneten Mulack klafft, ist lange nicht so tief, als die andere, die sich zwischen diesem ehrenwerten Herrn und Dante auftut. Sehr auffallend ist das ausgezeichnete Gedächtnis der Ameisen, das sich bei jeder Gelegenheit offenbart. Wir sahen, daß die Amazonen regelmäßig ihre Kundschafterinnen aussenden, die Nester der Sklavenarten auszuspähen. Nicht nur die allgemeine Lage, sondern auch die genaue Anläge der fremden Stadt, besonders die Eingänge, werden scharf erkundet. Es ist dabei durchaus nicht gesagt, daß diese Stadt in den nächsten Tagen überfallen wird. Vielleicht haben andere Späherinnen andere Städte gefunden, denen man vorher Raubbesuche abstattet, vielleicht scheint auch die Witterung nicht günstig; kurz, der Zug nach diesem Nest mag sich um Wochen verschieben. Manchmal enthält das Nest eine so große Menge Brut, daß die Amazonen die weitere Plünderung auf den nächsten Tag verschieben, ja, an drei, vier Tagen dem Sklavenneste neue Raubbesuche abstatten, um alle Beute herauszuholen. Aber sie merken sich ganz genau, ob noch etwas zu holen ist: in ein leergeraubtes Nest kehren sie gewiß nicht wieder zurück. Ebenso kennen die Hirtenameisen genau die Weideplätze ihrer Viehherden. Nimmt man von den Weiden die Blattläuse fort, so werden am nächsten Tage die emsigen Milchmädchen wieder zum Melken kommen, sie werden herumirren, nach den verschwundenen Herden zu suchen, und schließlich mit leeren Kröpfen zurückkehren. Aber von nun an wissen sie, daß auf diesen Weidegründen keine Herden mehr sind – sie werden sie nicht mehr dort suchen.

Überschätzt von der Wissenschaft scheint mir der Tastgeruchssinn, den auch heute noch manche Gelehrten als ausschließlich maßgebend annehmen für das Spurfinden der Emsen von und zum Neste. In der Tat denken die Ameisen garnicht daran, stets ihrem Spurweg zu folgen. Wandern sie beispielsweise mit Sack und Pack aus, um ein neues Nest zu beziehen, so laufen sie durchaus nicht auf einer bestimmten Spur, sondern weit auseinandergezogen und einzeln daher, jede Eier, Larven, Puppen oder auch eine erwachsene Schwester tragend. Wie wir sahen, spielt auch das Gesicht für das Wegfinden eine wichtige Rolle. Nun aber finden manche Ameisen ihren Weg auch dann, wenn man, soweit menschlicher Scharfsinn das vermag, beide Möglichkeiten ausschaltet. Den Fußspurgeruch kann man völlig ausschalten, indem man eine Strecke des Wegs unter Wasser setzt – die Ameisen halten auch dann schwimmend ihre Richtung bei. Ja, man hat beobachtet, daß Amazonen, nachdem durch einen nächtlichen Wolkenbruch ihre Wiese gänzlich überschwemmt war, sodaß jeder letzte Rest einer Fußspur vertilgt sein mußte, dennoch am folgenden Tag vierzig Meter weit zu einer Sklavenstadt eilten, um dort den Rest der Brut zu holen.

In der Tat beruht das Wegfinden der Ameisen auf sehr verschiedenen Gründen, die einzeln wie auch zusammen wirken und sich stetig verändern. Neben dem Zurechtfinden mittels des Tastgeruchssinnes findet ein solches nach der Lichtquelle statt, ferner nach der Stärke der Schwerkraft – bei steigendem oder fallendem Gelände – dann nach einzelnen Gegenständen und ganzen Richtlinien wie Mauern, endlich nach der Windrichtung und nach den magnetischen Polen. Vielleicht auch noch nach andern Dingen, die wir heute noch nicht erkannt haben. Die Ameisen haben also ein auf höchster Stufe stehendes Ortsgedächtnis, wie es außer ihnen nur einige sehr hochstehende Säugetiere und ganz wenige Menschen besitzen.

Nicht minder entwickelt ist ihr Gedächtnis, wenn es sich darum handelt, einander zu erkennen. Nestgenossinnen, die viele Monate voneinander getrennt waren, erkennen sich ohne weiters. Man erklärt dieses sofortige Erkennen von Freundin und Feindin durch den Tastgeruchssinn, der die Ameise befähigt, den ihrem Volke eigentümlichen sogenannten ›Nestgeruch‹ deutlich von jedem andern Geruch zu unterscheiden. Doch ist diese Frage nicht so einfach, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Man nimmt: an, daß dieser ›Nestgeruch‹ bei der eben aus der Puppe geschlüpften Ameise noch nicht vorhanden ist, sich vielmehr erst entwickelt, während ihr Chitinpanzer sich erhärtet, also von jedem einzelnen Tiere eigens hergestellt wird. Das würde zur Not erklären, warum selbst Emsen, die man gleich nach dem Verlassen der Puppenhülle aus dem (künstlichen) Nest nahm und längere Zeit getrennt hielt, dennoch sofort als Schwestern willkommen geheißen werden, wenn man sie später wieder ins Nest setzt. Nun haben in den Sklavenstaaten die Sklavinnen ihren eignen Nestgeruch. Man nimmt an, daß die Herrinnen, von den Sklavinnen großgezogen und stets von ihnen geputzt und beleckt, auch etwas von diesem Sklavennestgeruch, also eine Art ›Mischgeruch‹ erhalten würden. Obwohl alle Ameisenforscher hier übereinstimmen, scheint mir diese Erklärung nicht nur sehr gesucht zu sein, sondern offenbare und unlösliche Widersprüche zu bergen. Eine junge Amazonenkönigin – um den Fall zu setzen – dringt in ein Nest der Schwarzgrauen ein und wird dort aufgenommen. Sie hat zweifellos nicht den Nestgeruch der Schwarzgrauen, sondern einen feindlichen, der jedoch ihrer Aufnahme als Königin im fremden Neste nicht sonderlich im Wege zu stehn scheint. Die Schwarzgrauen ziehen nun die erste Brut der Amazonenkönigin auf, wobei diese durch Belecken einen Mischgeruch: ›Amazonisch-Schwarzgrau‹ erhalten würde, den später auch ihre Brut annehmen würde. Das Volk entwickelt sich; die jungen Amazonen rauben die Brut eines Volkes der Rotbärtigen – diese junge Brut produziert, wenn sie erwachsen ist, den ihr eigentümlichen Nestgeruch, der wieder durch die Beleckung der Ammen zu einem Mischgeruch ›Schwarzgrau-Rotbärtig‹ sich entwickeln würde. Ein neues Volk der Schwarzgrauen wird ausgeraubt; wieder wird eine junge Sklavinnenbraut aufgezogen, diesmal sowohl von schwarzgrauen wie von rotbärtigen Ammen. Wieder bringt die junge Brut ihren eignen Nestgeruch in den Amazonenstaat – denn nicht nur jede Art, sondern ein jedes Volk hat ja seinen eignen Nestgeruch – und wieder würde dieser neue Nestgeruch durch Beleckungspflege zu einem Mischgeruch neutralisiert werden müssen. Und das würde so weitergehn mit Grazie ad infinitum; immer neue Mischnestgerüche würden in dem Amazonenreiche sich geltend machen. Bei meiner allergrößten Hochachtung vor dem Tastgeruchssinn der Ameisen will mir das nicht einleuchten; ich bin überzeugt, daß sich schließlich keine einzige Emse mehr auskennen würde, am wenigsten aber die Amazonenherrinnen, deren Fähigkeiten ja, – so fabelhaft ausgebildet sie für Kriegszüge sind – für alles andere weniger gut sind. Dazu kommt aber, daß nach der allgemein anerkannten Nestgeruchslehre die Brut selbst noch durchaus keinen ihr eigentümlichen Nestgeruch haben würde, da dieser sich ja erst bei den jungen ausgekrochenen Ameisen entwickeln soll. Wenn das der Fall ist – ja woran erkennen dann Ammensklavinnen die verschiedene Brut voneinander?? Daß sie es im dunklen Neste mit dem Gesicht nicht können, ist klar. Daß sie sie aber in der Tat sehr gut unterscheiden, steht ebenso fest. Alle Brut der Herrinnenart ist heilig, wird sorgsam gepflegt, bei der geraubten Brut aus den Sklavenstaaten werden dagegen die größten Unterschiede gemacht. Geraubte Larven und Puppen einiger Arten, wie der rußhaarigen Gartenameisen werden überhaupt nicht aufgezogen, sondern dienen nur als Nahrung. Die Brut anderer Arten wie der roten Waldameise oder der Waldwiesenameise wird meist verzehrt, gelegentlich jedoch aufgezogen. Die Brut der Schwarzgrauen und Rotbärtigen, die sich als Sklavinnen besonders eignen, wird von den Ammensklavinnen zum großen Teile aufgezogen; jedoch bevorzugt auch hier jede Art die ihr verwandte Brut: also schwarzgraue Sklavinnen ziehen lieber schwarzgraue, rotbärtige lieber rotbärtige Brut auf. Noch mehr: die Ammen unterscheiden zwischen den Geschlechtern, sie ziehen nur Arbeiterinnen der geraubten Brut auf, nie aber Männchen und Weibchen. Und das alles machen sie ohne ›Nestgeruch‹, den ja die Brut noch nicht besitzt!?!

Nach alledem erscheint mir die Nestgeruchslehre, so bestechlich sie auf den ersten Blick erscheinen mag, jeder wirklichen Grundlage zu entbehren. Daß sie aber in ihrer starren Einseitigkeit vollends falsch ist, beweist folgender Versuch. Man nimmt aus einem schwarzgrauen Volke eine größere Anzahl Arbeiterinnen heraus und hält sie in einem getrennten Neste, gibt dann den im ersten Neste zurückgebliebenen ein befruchtetes Amazonenweibchen. Dieses wird nun als Königin von ihren Schwarzgrauen aufgenommen; die junge Brut wird aufgezogen. Setzt man später die abgetrennten Emsen wieder in das alte Nest – bringt also die Schwestern, die denselben, ihrem Volk eigentümlichen Geruch haben, wieder zusammen, so werden diese keineswegs freundlich aufgenommen, sondern als Feindinnen bekämpft. Ich würde auf diesen Versuch im künstlichen Nest nicht solchen Wert legen, wenn ihn nicht die Natur bestätigte. Völker, die Siedlungen anlegen, wie die Waldameisen oder die Blutroten, betrachten sich im allgemeinen – Mutterstadtbürgerinnen wie Tochterstadtbürgerinnen – als ein Volk: Schwestern eines Nestgeruchs. Aber zuweilen bekämpft eine Tochterstadt die Mutterstadt: trotz desselben Nestgeruchs. Wenn man also nicht annehmen will, daß die bloße Anwesenheit der Amazonenkönigin und das Herumlecken an ihr oder auch ein sehr gelegentliches Belecktwerden durch die Königin den schwarzgrauen Sklavinnen auch schon einen ›Mischgeruch‹ gegeben habe, der für sie den ›reinen‹ Geruch der abgetrennten Schwestern schon in einen feindlichen Geruch verwandelte, oder daß – im zweiten Falle – die Tochterstadtbürgerinnen urplötzlich einen anderen Geruch bekamen, dann muß man die einseitige Nestgeruchslehre glatt verwerfen. Sehr leicht kann man auch von der geringen Stichhaltigkeit der Nestgeruchslehre, von der die Fachwissenschaft so großes Geschrei macht, sich überzeugen, indem man erwachsene fremde Emsen in ein (künstliches) Amazonennest setzt. Es brauchen durchaus nicht die von ihnen bevorzugten Rotbärtigen oder Schwarzgrauen zu sein, man kann auch die sehr streitbaren Waldameisen dazu verwenden. Stets werden einige davon getötet, aber stets wird bald Frieden geschlossen, zu dem immer die ›dummen‹ Amazonen den ersten Anstoß geben. Sie sind aber garnicht so dumm, wie die Wissenschaft behauptet, sie begreifen recht gut, daß ein Zuwachs an Sklavinnen ihnen nur nützlich sein kann, setzen sich über den feindlichen Geruch hinweg und nehmen die Feindinnen als Sklavinnen auf. Für mich ist nach alledem gar kein Zweifel, daß bei all diesen sehr schwierigen Unterscheidungen die Intelligenz in komplizierter Ideenassoziation allein die Hauptrolle spielt.

Das ist auch der Fall, wenn nach oft monatelangen, unentschiedenen blutigen Kämpfen zwei nahe beieinander wohnende Ameisenvölker, deren Bürgerinnen sich täglich Dutzende von Malen begegneten, plötzlich miteinander Frieden schließen. Sie mischen sich durchaus nicht, leben vielmehr streng getrennt und denken garnicht daran, etwa durch gegenseitiges Belecken einen ›Friedensmischgeruch‹ herzustellen. Dennoch wird der Kampf eingestellt. Manchmal wird so dauernder Friede geschlossen – manchmal auch nur längerer Waffenstillstand, der bei irgendeiner Gelegenheit den alten Zwist wieder aufflackern läßt – überall aber kann man ein zweckmäßiges Handeln gegen den angeborenen Instinkt erkennen.

Wo es ein Gedächtnis gibt, da gibt es auch ein Vergessen. In jedem Ameisenvolke gibt es Tiere mit hervorragendem Gedächtnis neben äußerst vergeßlichen Schwestern – genau wie bei den Menschen.

 

Auch bei dem Verkehr der Ameisen eines Volkes untereinander spielen Äußerungen eine Rolle, die weit über alles Instinktive hinausgehn. Wenn auch durch Laute, wie durch das Zirpen oder durch Schlagen auf den Boden wohl im allgemeinen nur Alarmsignale gegeben werden, so haben die Ameisen doch eine sehr ausgebildete Fühlersprache, durch die sie einander Mitteilungen mannigfacher Art machen können. Findet eine Emse eine Beute, die zu schwer ist, um sie allein heimzutragen, so kehrt sie zurück, um Schwestern zu Hilfe zu holen; sie verständigt diese von ihrem Funde und veranlaßt sie, ihr zu folgen, die Beute zu sichern. Bringt sie ein Stück der Beute mit, das sie vorzeigen kann, so folgen ihr sofort die Schwestern, sonst aber weigern sich leicht einige, mitzukommen, bis sie schließlich doch von der Kameradin überredet werden. Oder: eine Kundschafterin macht Mitteilung von dem von ihr ausgespähten Sklavenneste und schlägt vor, einen Raubzug dahin zu unternehmen. Oder: eine Schwester fordert eine andere auf, ihr zu essen zu geben. Oder: Emsen haben einen Platz gefunden, der besonders zu neuem Nestbau geeignet ist und schlagen den Gefährtinnen die Gründung einer neuen Stadt vor. Oder: eine Kriegerin läuft zum Neste zurück, um bei einer Schlacht Verstärkungen zu holen. Oder: eine Blutrote hat einen Fransenkäfer gefunden und überredet ein paar andere, den Freudenspender ins Nest zu schleppen. Oder: ›Wir brauchen Blätter für den neuen Pilzgarten.‹ Oder: ›Helft mir, für die Blattlausherde einen Stall zu bauen.‹ Oder: ›Die Jungen müssen jetzt ein wenig an die frische Luft gebracht werden.‹ Oder – oder –

Unzählbar sind diese Mitteilungen; viele Seiten könnte man allein mit denen füllen, die man bisher als sicher beobachtet hat. Die Sprache der Ameisen erinnert etwa an das Telegraphieren auf dem Morseapparat: kurz, lang, lang, kurz – ... – . – .. –. Sanfte Fühlerschläge und heftige, mehr oder weniger große Pausen dazwischen oder schnell hintereinander, Betrillern des Kopfes oder der Fühler oben, unten oder in der Mitte.

Daß die Ameisen gelehrig sind, ist zweifellos. Sie lernen alle individuell durch Erfahrung, oft in erstaunlich kurzer Zeit. Forel brachte einmal ein Volk algerischer Ameisen nach der Schweiz, setzte es in seinem Garten aus. Die Emsen bauten ihr Nest, wie sie das in der Heimat gewohnt waren, mit sehr großen Nestöffnungen. Da sie aber im neuen Lande von ihnen ungewohnten, kleinen, behaarten Ameisen sehr gestört wurden, die durch die weiten Öffnungen zwischen ihren Beinen aus- und einliefen, um die Brut zu stehlen, so lernten sie bald, ihr Nest zu schließen. Pilzzüchterinnen, seit vieltausend Geschlechtern ausschließlich ihrer Pilznahrung angepaßt, beginnen im künstlichen Neste schnell, sich an Honig zu gewöhnen – gegen allen Instinkt. Manche Ameisen lernen leicht, auf den Finger zu kommen, um ein wenig Zucker zu nehmen, während andere nicht dazu zu bewegen sind. Überhaupt mag man sich bei allen Versuchen, die man anstellt, um die geistigen Fähigkeiten der Ameisen auszufinden, leicht überzeugen, daß einzelne Tiere gescheiter sind und auch besseres Erinnerungsvermögen haben als ihre Schwestern.

Freilich arbeitet das Gedächtnis der Ameisen anders als das menschliche. Während unser Gedächtnis Gesichtsbilder und Tonbilder bewahrt, sehr selten einmal ein Duftbild oder Gefühlsbild, ist es bei den Ameisen gerade umgekehrt: ihr Gedächtnis wird im allgemeinen Tastgeruchsbilder, viel weniger Gesichtsbilder, nur sehr selten vielleicht ein Tonbild bewahren.

 

Gewiß bringen Ameisen zuweilen etwas nicht zustande, was uns Menschen unendlich einfach deucht. Daraus zu schließen, wie es so oft geschieht, daß ihnen jede ›eigentliche‹ Überlegung abgehe, halte ich für falsch. Zunächst braucht das, was uns leicht dünkt, für die Ameisen garnicht leicht zu sein, genau wie umgekehrt manches, was die Emsen mit fester Selbstverständlichkeit verrichten, uns sehr schwer fallen würde. Dann aber beweist ein negativ ausgefallener Versuch garnichts; ebensowenig wie wir auf die Unintelligenz eines Menschen schließen können, weil er im einen oder andern Falle etwas Kindereinfaches ohne fremde Hilfe nicht begreifen kann.

Für mein Empfinden haben die Ameisen sowohl Überlegung als auch ein Schlußvermögen, das dem menschlichen zwar nicht gleichwertig ist, ihm aber wohl ähnlich sieht. Beispiele darüber könnte ich aus eigener Beobachtung wie aus der anderer Forscher zu Dutzenden bringen; ich verzichte darauf, da ihre Mitteilung allzubreiten Raum einnehmen würde. Hier nur ein Versuch, den ich selbst ausführte; ich wähle absichtlich einen solchen, der schon vor mir von andern angestellt worden ist, die, von Einzelheiten abgesehen, dieselben Beobachtungen machten.

Im Lager Oglethorpe, Georgia, hauste ich als Gefangener in einem Zelt; mein Bett stand dicht an der Zeltwand, die ich unten hochgeschlagen hatte, um frische Luft zu bekommen. An dieser Stelle gewöhnte ich bald Ameisen an einen Futterplatz – ein kleines Näpfchen mit Streuzucker. Ich hing dann das Näpfchen auf, etwa zehn Zentimeter vom Boden entfernt; und zwar zog ich – um den Emsen das Wegfinden zu erleichtern – das Näpfchen hoch, während gerade ein halbes Dutzend sich drin am Zucker gütlich tat. Die sechs Sechsbeiner kletterten, als sie ihre Kröpfchen gefüllt hatten, an der Schnur in die Höhe, auf das Zelt und hinunter auf die Erde; sie fanden so ihren Weg zurück zum Nest. Während dann eine Reihe von andern Emsen unten noch nach dem verschwundenen Futterplatze herumsuchten, kam eine Schar Ameisen, darunter gewiß die ersten sechs, stiegen zum Zelt hinauf und die Schnur hinab zum Näpfchen: diesen Weg behielten sie nun die nächsten Tage über bei. Nach wenigen Tagen aber veränderte sich das Bild: zwar nahmen alle Emsen ihren Weg hinauf über Zelt und Schnur, die meisten auch diesen Weg zurück – einige aber, und bald immer mehr, ließen sich vom Näpfchen herunterfallen und kürzten so den Rückweg beträchtlich ab. Schon am nächsten Morgen sah ich wieder etwas Neues: eine große Menge Ameisen war unterhalb des Futternapfes auf der Erde beschäftigt, Zuckerkrümchen zu suchen, während im Napfe selbst sich nur acht Emsen befanden. Einige von diesen füllten ihre Kröpfchen, andere aber warfen über den Rand Zuckerkörnchen hinab. Augenscheinlich waren, als sie den Rand überkletterten, um sich hinunterfallen zu lassen, auch einige Körner zufällig mit hinuntergefallen; daraus hatten die Ameisen gelernt, nun selbst den Zucker hinabzuwerfen. Ich vertauschte jetzt den Napf mit einem andern, den ich aus einer blechernen Zigarettenschachtel hergestellt hatte, bedeckte aber nur einen Teil des Bodens mit Zucker, um so jedes zufällige Hinunterfallen auszuschließen. Am andern Morgen kam eine ganze Schar Emsen; fast alle krabbelten unterhalb des Näpfchens auf dem Boden herum, obwohl dort nicht das geringste mehr zu finden war. Bald entschlossen sich einige, hinauf auf das Zelt und über die Schnur in die Zigarettenschachtel zu steigen. Zunächst begannen alle eifrig ihren Kropf zu füllen. Dann aber trugen einige Zuckerkörner heran, stiegen den Rand der Dose hinauf und warfen sie hinunter. An diesem Tage ruhten sie nicht eher, bis auch das letzte Krümchen weggeholt war. Daß das Sichfallenlassen einzelner Emsen und das Hinunterwerfen der Zuckerkrümchen Überlegung und Schlußvermögen voraussetzte, ist für mich außer Zweifel. Übrigens verhielten sich die Ameisen im Näpfchen durchaus nicht gleich. Während sie ihren Weg über die Schnur machten, fing ich sie einzeln mit der Pinzette, zeichnete sie farbig und setzte sie wieder zurück. Ich konnte nun folgendes feststellen. Zwei Emsen nahmen nur selbst Zucker und stiegen über die Schnur zurück. Eine nahm Zucker, warf anderen über den Rand und stieg über die Schnur zurück. Eine weitere nahm selbst Zucker, ließ sich aber hinunterfallen. Fünf nahmen selbst Zucker, warfen andern hinab und ließen sich selbst hinunterfallen. Dies ist auch ein Beweis dafür, daß die gewiß starke ›Nachahmungssucht‹ der Ameisen doch durchaus nicht so bestimmend ist, wie es die Wissenschaft hinzustellen beliebt; das persönliche Temperament, die individuellen Fähigkeiten spielen eine viel größere Rolle bei allen ihren Handlungen.

Gefühlsäußerungen

Auch die zeigen die Ameisen, die, über das Instinktive weit hinausgehend, nur bei Menschen und sehr hoch-« stehenden Tieren Parallelen finden. Einen Platz, an dem einige ihrer Schwestern in Stücke gerissen wurden, vermeiden die Ameisen. Bei all ihren Kämpfen kann man sowohl Mut, Tollkühnheit, Zorn, regelrechte Berserkerwut beobachten, als auch plötzliche Verwirrung, Entmutigung, Furcht, Feigheit: offenkundige Gemütserregungen. Tote und sterbende Volksgenossinnen, auch schwer verwundete oder kranke finden wenig Teilnahme; es macht durchaus den Eindruck, als ob die Emsen fühlten, daß hier keine Rettung mehr möglich sei und daß es das beste sei, die schwer Siechen ruhig sterben zu lassen. Ist aber Hilfe möglich, so wird sie sicher gebracht. Durchaus nicht von jeder Ameise; eine ganze Anzahl mag an der Verwundeten vorbeilaufen, ja, sie beschnuppern und doch weiterlaufen, ohne zu helfen. Bis dann eine besonders Barmherzige kommt, die Hilfe bringt.

Dazu scheint mir nicht ausgeschlossen, daß die Ameisenvölker einzelne Individuen haben, die man mit unseren Ärzten oder Krankenschwestern vergleichen könnte; das liegt durchaus im Bereiche der Möglichkeit. Sowohl der äußeren Form nach wie individuell ist ja die Arbeitsteilung bei den Ameisen eine erstaunlich durchgeführte; dazu sind tüchtige Ammen zur Krankenpflege gewiß eher geeignet als Kriegerinnen, Jägerinnen, Maurerinnen. Ich habe beobachtet, daß sich in einem meiner künstlichen Nester meist zwei gezeichnete Emsen – die ich Schwester Ursula und Schwester Kordula nannte – um alle Verwundeten oder Kranken besonders bekümmerten.

Schwerverwundete werden gelegentlich schon wie Tote behandelt, aufgepackt und zum Totenplatz getragen, um sie dort sterben zu lassen. Da kommt es nun vor, daß plötzlich eine andere Emse erscheint und die Verwundete sanft betrillert, als wollte sie ihr Mitgefühl ausdrücken. Manchmal läßt sie die Sieche liegen und läuft wieder fort, manchmal auch packt sie sie auf und trägt sie zum Neste zurück. Ich habe beobachtet, wie nach einer von mir veranstalteten Schlacht drei Schwerverwundete mit den Getöteten hinausgetragen wurden. Später kam eine Emse, eben die liebe Schwester Kordula, und besuchte alle drei, wobei sie sich bei einer nur ganz kurze Zeit, bei den zwei anderen länger aufhielt. Schließlich trug sie eine von diesen beiden ins Nest zurück. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, als ob Schwester Kordula die Kranken untersuchte, bei zweien jede Hoffnung aufgab, bei der dritten aber noch einen Versuch zur Rettung machen wollte.

Bei Schlachten sieht man manchmal, daß eine Emse, die von einem halben Dutzend Feindinnen angegriffen wird und in Gefahr ist, getötet oder gefangen zu werden, von ihren Kameradinnen befreit wird. Es ist den Tatsachen ins Gesicht schlagend, wenn einige Gelehrte, um nur ja nicht den Ameisen eine Überlegung zugestehn zu müssen, behaupten, daß solche Rettungen rein zufällig wären; die Retterinnen ›wollten garnicht retten, sondern nur kämpfen, die Befreiung der Freundin liefe dabei so mit unter‹. Nein, es handelt sich um ein ganz bewußtes Rettenwollen, genau wie in dem von mir und andern häufig beobachteten Falle, daß Emsen ihre ins Wasser gefallenen Schwestern, die an einem steilen Uferrande nicht hinaufkonnten und zu ertrinken drohten, herausziehen.

 

Es hat mir schon als Schuljunge große Freude gemacht, alle möglichen Tiere betrunken zu machen. Im allgemeinen sind alle Tiere große Freunde von Alkohol; stets finden sich aber einige brave Geschöpfe, die durchaus nichts vom Suff wissen wollen und, nachdem sie einmal mit einem tüchtigen Brummschädel trübe Erfahrung gemacht, in Zukunft auch das leckerste Brotstückchen, das mit Branntwein getränkt ist, liegen lassen. Andere wieder können nicht genug davon bekommen. Betrunkene Hühner, Enten und Gänse führen die ergötzlichsten Szenen auf; eine Schildkröte, der ich mit großer Mühe und viel Geduld schließlich einen Mordsrausch verschafft hatte, wackelte zu allen Bäumen im Garten, stellte sich auf die Hinterbeine und gab sich die redlichste Mühe, hinaufzuklettern. Ein kleiner, mexikanischer Nasenbär, der von den Matrosen eines Hapagschiffes das Saufen gelernt hatte, entwickelte sich zum regelrechten Trunkenbold. Ich nahm ihn, in San Antonio, Texas, oft mit aus; er kannte jedes Wirtshaus und zog mächtig an seiner Leine, um mich zum Eintritt zu bewegen. Drinnen war er gleich hinter der Schenke; das Tropfbier vom Faß betrachtete er als sein Eigentum. Oft genug riß er sich auf der Straße los, um zum Wirtshaus zurückzulaufen; wenn er aber genug hatte, legte er sich hin, um seinen mächtigen Rausch auszuschlafen.

Daß die Ameisen einem Rausch nicht abhold sind, haben wir bei den Blutroten gesehen; die Sekrete der von ihnen beleckten goldlockigen Fransenkäfer rufen zweifellos eine Art Rausch hervor. Ich habe Versuche angestellt, um herauszufinden, ob vielleicht einzelne Individuen in einem Neste der Blutroten inbezug auf die Fransenkäfer Temperenzlerinnen seien, jedoch nie eine solche finden können: es scheint, daß von diesem bösen Laster die ganzen Völker ergriffen sind. Was den Alkohol angeht, so ist er bei einigen Ameisen beliebt, bei anderen durchaus verhaßt. Betrunkene Ameisen benehmen sich nicht viel anders als mein betrunkener Nasenbär: sie schlafen ihren Rausch aus. Sehr lustig ist das Benehmen der nüchternen Emsen gegenüber ihren schwerbetrunkenen Schwestern. Der englische Forscher Lubbock hat schon vor fast einem halben Jahrhundert solche Versuche angestellt, die ein meinen eigenen Versuchen ähnliches, nur in Einzelheiten abweichendes Bild gaben. Seine lustige Beobachtung ist folgende:

Er machte vierzig Ameisen betrunken und legte sie auf eine vielbegangene Heerstraße; zwanzig von diesen waren Bürgerinnen des Volkes, dem die Straße gehörte, die andern zwanzig waren Feindinnen. Die nüchternen Emsen fanden bald die vierzig schlafenden Trunkenbolde und packten sie alle auf. Nun befand sich in der Nähe der Stelle ein kleiner Wassertümpel. Von den zwanzig Feindinnen wurden siebzehn in das Wasser geworfen, drei als Gefangene ins Nest geschleppt, um dort zerrissen zu werden. Von den betrunkenen Schwestern wurden sechzehn heimgebracht, damit sie in stiller Klause und nicht öffentlich ihren Rausch ausschlafen sollten, vier aber wurden auch ins Wasser geworfen. Mit einer dieser vier aber geschah das komischste: schon hatte sie eine Freundin zum Neste zurückgetragen, als beim Stadttor zwei sittenstrenge Emsen ihr entgegenkamen, die Trunkenboldin ihr abnahmen, sie zurücktrugen und auch in das kalte Bad warfen.

Bei meinen eigenen Beobachtungen benahmen sich in jedem Falle die nüchternen Ameisen ein wenig anders. Stets herrschte unter ihnen große Aufregung, stets kamen sie in Mengen heran, um die Betrunkenen zu betrillern; es schien immer starke Entrüstung zu herrschen. Meist wurden alle betrunkenen Schwestern nach Hause getragen, gelegentlich ließ man auch ein paar liegen oder schleppte sie ein wenig abseits, auch wohl auf den Abfallhaufen. Legte ich ihnen fremde Emsen hin, so wurden diese sofort zur Seite getragen. Nur zweimal konnte ich feststellen, daß eine ins Nest geschleppt wurde, dagegen wurden öfter einige der fremden Säuferinnen auf der Stelle zerrissen. Das Inswasserwerfen habe ich zwar auch beobachten können, aber nur im künstlichen Nest, wo die Straße auf einem Brettchen übers Wasser lief – es bedeutete also hier nichts mehr als ein einfaches Fortschaffen von der Straße. Dagegen ließen nüchterne Emsen, denen ich neben ihrer Straße einen kleinen Tümpel gemacht hatte, unweit von der Stelle, wo ich die Trunkenboldinnen hinlegte, diesen völlig unbeachtet, warfen bei verschiedenen Versuchen weder Freundin noch Feindin hinein. Übrigens habe ich festgestellt, daß den betrunkenen Ameisen das kalte Bad garnichts schadet: von einem Dutzend, die ich ins Wasser warf, und die wie tot darin herumlagen, ertrank keine einzige; nach ein paar Stunden waren sie alle wieder herausgekrabbelt. Das ›Inswasserwerfen‹ bedeutet also gewiß vielmehr ein einfaches Fortschaffen, als ein Ertränkenwollen.

Seele

Wenn ich mich gedankenlos auf ein Ameisennest setze und nach einer kleinen Weile wie von der Tarantel gestochen hochschnelle, so ist meine Bewegung lediglich eine Reflexbewegung, keine ›Handlung‹. Zur Handlung gehört eine Wechselbeziehung zwischen meinen Sinnesorganen – in diesem Falle also dem Gefühl – und den übergeordneten sogenannten psychomotorischen Zentren. Daß die Ameisen ›Handlungen‹ ausüben, nicht, wie einige Gelehrte wollen, stets und immer nur reflektorisch reagieren, erscheint wohl nach dem Erzählten ebenso bewiesen, wie, daß sie bei diesen Handlungen nicht nur reinen Instinkten, sondern auch Gefühlen, Impulsen, Gemütsstimmungen, Überlegungen gehorchen. Etwas aber muß in der Keimesanlage vorhanden sein, das von den niedersten Reflexen der Amoeba primitiva angefangen bis hin zu der Denkarbeit des Faustdichters, bewegend, treibend, richtunggebend wirkt.

Irgend etwas ist da in allen Geschöpfen. Es ist da bei den Menschen und es ist da im Infusorium. Es ist völlig gleich, wie man es nennt, mögen sich darum die Philosophen und Naturwissenschaftler untereinander streiten. Keiner von ihnen wird mir widersprechen können, wenn ich es »Es in ihnen« nenne, da lasse ich jedem das, was er haben will.

Ich glaube nicht an reine Reflexmaschinen, weder beim Menschen, noch bei Würmern und Wurzelfüßern. Die Lehre Loebs und seiner Schüler, die Lehre der »Tropismen«, ist, verallgemeinert, sicher grundfalsch. Diese Anschauung glaubt, durch Lichtwirkung oder Schwerkraftwirkung, durch chemische, elektrische oder Wärmereize rein elementar, also ohne Vermittlung der Sinneswahrnehmungen, bei lebenden Wesen zwangsläufig hervorgerufene Bewegungen chemisch-physikalisch erklären zu können. Ich habe im Rockefellerinstitut zu New York viele fesselnde Versuche kennen gelernt – die mir jedoch nur die eine Überzeugung gegeben haben: wenn das Verhalten der Seeigel rein reflektorisch genannt werden muß, dann muß das der Menschen genau so reflektorisch genannt werden; es besteht zwischen beiden nicht der kleinste Unterschied. Daß alles Lebende – und auch Tote – auf irgend einen chemisch-physikalischen Reiz reflektorisch antwortet, ist zwar zweifellos richtig; aber neben dieser Antwort gibt alles Lebende noch eine besondere Antwort – und diese allein unterscheidet das Lebende vom Toten.

Wenn eine Amoeba auf der Jagd nach einer Beute ist, so mag das Beutetier, rein chemisch, bei ihr den Reiz auslösen, es sich einzuverleiben. Die Art aber, wie sie die Jagd ausübt, wie sie Füße und Greifer rasch wachsen läßt, wie sie ihre Bewegungen und Greifversuche bei der Verfolgung fortwährend ändert und so lange fortsetzt, bis sie die Beute verschlungen hat – das ist eine solche besondere Antwort, die ganz gewiß nicht reflektorisch ist.

Was aber gibt diese besondere Antwort?

Um die mechanischen Mittel verstehen zu lernen, mit denen die Amoeba ihre Bewegungen macht, hat man mit leblosem Stoff Versuche gemacht; sehr hübsch ist der Versuch mit einem Chloroformtropfen unter Wasser. Nähert man diesem Chloroformtropfen ein mit Schellack überzogenes Glasstäbchen, so wird das Stäbchen hineingezogen, es wird gefressen. Sobald aber die Lackschicht sich aufgelöst hat, verdaut ist, wird das nun reine Glasstäbchen wieder ausgestoßen – wird ausgespuckt – denn Glas und Chloroform stoßen sich ab. Ganz ähnlich, wie dieses künstliche Tier, der Chloroformtropfen, handelt nun auch das wirkliche Tier: die Amoebe. Mit einem Unterschiede jedoch! Schneidet man der Amoebe ihren Kern aus, so ist sie zwar durchaus noch ein lebendes Tier – nun aber kann sie garnichts mehr leisten, viel weniger, als der Chloroformtropfen. Obwohl die wunderbare Fähigkeit der Amoebe, je nach der besondern Notwendigkeit im Augenblick besondere Glieder zum Wandern, zum Greifen zu bilden, im ganzen Tiere verteilt ist, so kann doch nur das kernhaltige Tier davon Gebrauch machen: es allein kann Beine und Arme aus sich wachsen lassen, kann Nahrung aufnehmen und verdauen, kann sich regenerieren. Und es kann das in immer neuer Art und Weise, kann stets andere besondere Antworten geben: die Amoebe ist hier also viel weniger Maschine, als es der Mensch ist.

Also: die Antwort geht vom Kerne aus – was aber ist dieser Kern anders als das Seitenstück zum menschlichen Gehirn? Da aber, scheint es, ist der Sitz des ›Es in der Amoebe‹ – wenn ich nun beim Menschen dieses Es Seele nenne, so ist kein Grund, ihm bei der Amoebe einen andern Namen zu geben.

Ich habe lange bei den Monisten die Schweine gehütet, Darwins und Haeckels dürren Boden gepflügt. Ich bin dankbar genug dafür, daß mir meine nasentüchtigen Schweine manch köstliche Trüffel ausgruben – aber tiefer als zwei Fuß von der Oberfläche weg bin ich nicht gekommen. Die Neovitalisten, die Biologen, haben mich kaum tiefer schürfen lassen: das ewige Rätsel der Seele unserm kausalmechanischen Verständnis auch nur einen Finger breit näher zu bringen, ist keinem von ihnen gelungen. Die Tatsache, daß ich durch meinen bewußten Willen in diesem Augenblick meine rechte Hand schreibend über das Papier laufen lasse, ist ursächlich vollständig unbegreiflich – menschlich nicht vorstellbar. Erst wenn man eine Maschine selbst bauen kann, erst dann versteht man sie wirklich: das gilt für die Maschine des lebenden Wesens genau so gut wie für die Dampfmaschine.

Solange wir das nicht können – und es scheint noch gute Wege zu haben bis dahin – solange ist uns der Zusammenhang zwischen Seelischem und Körperlichem vollkommen unfaßbar, obwohl wir diesen Zusammenhang in jeder Sekunde bewußt erleben. Und diese Unfaßbarkeit wird zum unerklärlichen Wunder, wenn wir sehen, daß das Unphysikalische, das Seelische – das Uranfängliche – das allein Bestimmende ist. Selbst mit dem Hinterpförtchen des ›psychophysischen Parallelismus‹, der neben dem bekannten und anerkannten Physikalischen, dem Biologisch-Stofflichen, ein Seelisch-Unerkanntes als zwangsmäßig begleitend oder folgend annimmt, ist es nichts. Denn alles Begleitende, alles Folgende läßt sich ja wegdenken – dann aber bliebe das Mechanisch-Materielle als ursprünglich allein übrig: ein vollkommener Widersinn, wenn man das Seelische überhaupt als vorhanden anerkennt!

Wohl aber mag es umgekehrt sein.

Zwei Dinge machen alle Welt aus: Raum und Zeit.

Das Atom, das wissen wir nun, besteht aus Elektronen: ein Elektron ist ein gedachter, ein geometrischer Punkt, ein Kraftzentrum ohne Ausdehnung. In diesem Punkte ist also nur Kraft, nicht aber Stoff: wo aber kein Stoff ist, da ist auch kein Raum. Ebenso wenig wie der Raum, ist aber die Zeit da – sie ist nicht wirklich vorhanden, sondern nur, insoweit wir sie denken. So ist im Anfang nur Etwas da: das, was wir denkennur eine gedachte Welt existiert.

Dann aber ist ganz gewiß die Psyche das Ursprüngliche – und alles andere wächst aus ihr heraus, von den Sekundenbeinen der Amoebe angefangen, bis zu dem Faust Goethes und zu Beethovens Neunter.

Es in ihnen‹ läßt es geschehen!

 

Hundert Weise haben diesem Etwas hundert schöne Namen gegeben. Man hat es in den Stoff selbst gelegt, oder hat es als ein besonderes vom Stoff verschiedenes Prinzip gedeutet, das die Urursache aller Entwicklung sei. Was dies Etwas ist, weiß ich so wenig wie ein anderer Mensch; daß es vorhanden ist, weiß ich gut. Mir scheint es am einfachsten, es Seele zu nennen. Noch vor einhundertundfünfzig Jahren schrieb man lange Schriften über die Frage, ob auch Frauen eine Seele haben – für und wider; eine ganze Literatur gibt es darüber in den Bibliotheken. Heute gesteht man – wie so manches andere – ganz allgemein den Frauen eine Seele zu; aber noch immer gibt es viele Hundertmillionen von Menschen, die nur dem Menschen, aber nicht auch dem höchststehenden Tiere eine Seele zuerkennen wollen. Das hat höchstens eine ›Tierseele‹, die von der menschlichen durchaus verschieden sei. Verschieden? O gewiß – gibt es doch nicht zwei Menschenseelen, noch auch zwei Menschenhände oder Menschenohren, die einander vollkommen gleichen. Dennoch aber ist die Seele, ist das geheimnisvolle Etwas, das alles Leben treibt, dasselbe bei der Butterblume, wie beim Infusorium, beim Menschen wie bei der Ameise.

 

In New York gab's vor wenigen Jahren ein Gesellschaftsspiel, das hieß: Seelenwanderung; wo man nur hinkam, wurde es gespielt. Jeder wurde gefragt, was für ein Geschöpf er als Haus für seine Seele gern haben möchte, wenn er wieder mal neugeboren würde. Man mußte seine Wahl dann möglichst geistreich begründen – es ist gar nicht zu sagen, welch blödes Zeug dabei herauskam. Dennoch glaube ich, wäre es ebenso wertvoll wie fesselnd, von berühmten Männern und Frauen – mit ihrer Begründung – zu wissen, als welches Tier sie bei einer Seelenwanderung wieder zum Leben kommen möchten.

Moltke interessierte sich sehr für die Seelenwanderung. Bismarck nicht weniger. Er sagte:

» Wenn ich die Gestalt zu wählen hätte, in der ich am liebsten noch einmal leben möchte, so glaube ich fast, daß ich eine Ameise sein möchte. Sehen Sie,« fuhr er fort, »dieses kleine Geschöpf lebt unter einer vollkommenen, politischen Organisation. Alle Ameisen sind verpflichtet, zu arbeiten, ein nützliches Leben zu führen; alle sind fleißig, es herrscht vollkommene Subordination, Disziplin und Ordnung. Sie sind glücklich, denn sie arbeiten.«


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