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XI. Fremde Gäste im Emsenstaat

 

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar.
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldenes Haar.

Heine, Lorelei.

 

Schmarotzer, Räuber, Diebe und Mitschmauser

Die große Freude für so manchen Myrmekologen sind garnicht die Ameisen – beileibe nicht. Vielmehr ein halbes Dutzend Tausend meist recht unsympathischer Geschöpfe, die bei den Völkern der Ameisen willkommene oder – viel öfter noch – recht unwillkommene Gäste sind.

Solche Gastinsekten kann man neue und immer neue entdecken, ihnen schöne Namen geben und sie hübsch einreihen. Da kann man sich nach Herzenslust interessieren, kann studieren, sezieren, experimentieren und identifizieren, dann exemplifizieren, numerieren, registrieren, rubrizieren, gruppieren, inkorporieren, klassifizieren, schematisieren, systematisieren, deployieren. modifizieren, spezifizieren, katalogisieren, emboitieren. Kann drauflos koordinieren und kombinieren, kann dozieren und philosophieren, kann problematisieren und die Problemata der Kollegen admirieren, referieren, eminieren, variieren, differenzieren, spezialisieren oder sich gegen sie emportieren, sich dann empressieren, sie zu adjustieren, zensieren, negieren, monieren, kritisieren, gegen sie protestieren, kontroversieren, polemisieren. Immer wieder neue Tierchen kann man kategorisieren und monographieren und seine Weisheit in manchen Fachblättern edieren, publizieren und emittieren. Kurz, man kann sich sehr emerieren und emergieren, dabei sein Lebenlang prächtig amüsieren – ist doch die Lehre von den Ameisengästen eine wahre Schatzgrube für gelehrte Maulwurfsarbeit. Und die ist jedem echten Herrn Professor die liebste, lebenfüllende Beschäftigung. Doch das allerschönste dabei: man kann eine Unmenge stubengriechischer, küchenlateinischer, schneiderenglischer und kellnerfranzösischer Worte erfinden, nicht nur für die Tiere selbst, sondern auch für all die oft recht verwickelten biologischen Verhältnisse, so zwar, daß auch dem gebildetsten Laien der Kopf brummt und er verzweifelt das Werk, von dem er keine Zeile mehr ohne die dicksten Wörterbücher verstehn kann, in die Ecke wirft. Das aber ist der wahre Triumph echter Wissenschaft. Hat man solch erhebende Arbeit geleistet, so mag man getrost sich ins Grab legen mit dem stolzen Bewußtsein, etwas Positives für die exakte Wissenschaft geleistet zu haben.

 

Die Milchkühe der Ameisen, die Blattläuse und Schildläuse, die Blattflöhe und Bläulingsraupen gehören nicht zu den Gastinsekten. Sie sind Nutzvieh, meist außerhalb, zuweilen auch im Neste selbst gehalten, das wohl ohne Widerstreben, aber doch nicht aus eignem Antrieb den Wünschen der Ameisen sich geneigt zeigt. Die große Menge der Gäste aber kommt aus eignem Willen oder Instinkt ins Ameisennest.

Da ist zunächst das Heer der innerlichen und äußerlichen Schmarotzer. Es scheint, daß kein Tier klein genug ist, um nicht wieder eine Fülle von andern Tieren an sich und in sich zu beherbergen. Wir Menschen kennen Läuse und Milben und Bandwürmer und manch andere nichtswürdige Geschöpfe, gegen die wir uns wehren müssen; der Ameise geht es nicht besser, sie leidet schlimm genug unter solchem Gesindel und geht oft elend daran zugrunde. Während aber diese Schmarotzer das einzelne Tier quälen, fallen die andern Rassefremden im Ameisenstaate mehr oder weniger dem gesamten Volk zur Last; nur ganz wenige gibt es unter ihnen, die dem Ameisenvolke nicht schädlich wären oder ihm gar einen kleinen Nutzen verschafften. Das schädliche Treiben mancher räuberischen Gäste kennen die Ameisen recht gut. Sie stellen diesen offen nach, wo es nur eben geht, so wie wir Ratten und Mäuse, Wanzen und Kakerlaken bekämpfen. Ein ewiger Kampf, mit wechselndem Erfolge. Unter diesen frechen Räubern verdienen besondere Beachtung die Ameisenraubkäfer, die sich recht wie Wölfe und Schakale aufführen und die von den Ameisen gründlich verabscheut werden. Sie rauben die junge Brut, wo sie nur Gelegenheit dazu finden, aber sie wagen sich auch an die erwachsenen Tiere heran. Sie verstecken sich in kleinen Höhlen, fressen Tote und fallen die Kranken an. Zur Abendzeit halten sie sich gern am Nesteingang auf, lauern dort auf eine von der Tagesarbeit ermüdet und verspätet heimkehrende Bürgerin. Ein ganzes Rudel stürzt dann auf sie, reißt sie in Fetzen und rauft untereinander um die Bissen. Ja, des Nachts schleicht das Raubgesindel durch weniger besuchte Gänge und fällt die schlafenden und von der Kälte ein wenig erstarrten Emsen an. Wenn eine Ameise solche Hyäne erwischt, greift sie sie sofort an; aber der Käfer überschüttet sie mit einer übelriechenden Schmiersalve. Die Emse weicht zurück – oft rettet das den Räuber; manchmal auch erwischt ihn die Emse trotzdem, um ihn sofort zu töten.

Andere Gäste wieder verhalten sich neutral, werden infolgedessen von den Ameisen geduldet. Sie helfen auch wohl bei der Reinigung des Nestes, indem sie den Abfall fressen, noch ehe die Emsen ihn fortgeschafft haben. Meist sind sie zu klein, um überhaupt Aufmerksamkeit zu erregen. Auch sie stehlen gelegentlich Eier und werden umgekehrt, ebenso gelegentlich, auch von den Ameisen verzehrt. Die meisten dieser geduldeten Gäste aber, besonders die größeren, haben besondere Formen entwickelt, die ihnen den Aufenthalt in der Ameisenstadt ermöglichen. Manche äffen in ihrer Gestalt und Farbe die Ameisen, bei denen sie hausen, in oft verblüffender Weise nach; andere wieder haben sich so dicke Panzer zugelegt, daß auch die kräftigste Ameise ihnen nichts anhaben kann. Besonders die Wanderameisen sind auf ihren Zügen stets von einer ganzen Schar solcher Troßgäste begleitet – wo die Hunnenheere hinkommen, da wird ja stets im Überfluß gemordet und geschlachtet, sodaß auch manch fetter Bissen für die leichenfleddernden Mitzügler abfällt.

Die Gäste, welche sich einen so dicken Panzer zugelegt haben, daß sie vor allen Angriffen der Ameisen sicher sind, gehören meist dem Käfergeschlechte an. Die Emsen wissen nicht recht, was sie mit diesen oft recht komischen Gesellen anfangen sollen; sie zerren an ihnen herum, rollen sie auch wohl wie Fäßchen. Gelegentlich belecken sie sie oder spenden ihnen ein Speisetröpfchen aus ihrem Kropfe; dafür machen die Käfer sich dadurch nützlich, daß sie Unrat auffressen, auch wohl die Emsen von ihren Milben befreien. Der Nutzen, den sie den Ameisen bringen, ist gering; doch schaden sie auch nicht weiter. Es macht den Eindruck, als ob die Emsen sich an diese Gassenbuben gewöhnt hätten und nun so mit ihnen herumspielen. Wirklich nützlich ist wohl nur der reichlich milbenfressende Pfeilschwanzschwenker, während andere, wie der Hängelippekäfer oder der Genossenkäfer, den Emsen scheinbar nur als Spielzeug dienen.

Andere dieser harmlosen Gäste verlassen sich auf ihre Fixigkeit. Unter ihnen verdient das Silberfischchen Erwähnung, da es die Frechheit und Geschicklichkeit so weit treibt, den Ameisen buchstäblich die Bissen vom Munde wegzustehlen. Wenn eine Ameise die andere füttert, ist flugs so ein Lausbub zur Hand, hebt sich hoch und schleckt das Tröpfchen, das die Spenderin ihrer hungrigen Schwester geben will, zwischen Lippe und Lippe weg. Das Einandernahrungreichen ist immer eine etwas feierlich-familiäre Handlung bei den Emsen; nicht nur die Fühler betrillern, auch die Vorderbeine bestreicheln der anderen Wangen. Ehe die Ameisen sich aus dieser zärtlichen Umarmung freigemacht haben, hat das Silberfischchen längst den süßen Tropfen verschluckt und sich selbst in Sicherheit gebracht – die beiden Emsen schauen ihm verdutzt nach, während der Frechling längst bei einem anderen Paare sein keckes Spiel wiederholt.

Noch andere Gäste versuchen es mit Glück mit dem Streicheln. Sie lecken nach Ameisenart an den Emsen herum, fressen auch wohl deren Milben weg. Da das den Emsen nicht unangenehm ist, lassen sie sie meist gewähren. So macht es die Ameisengrille, die zuweilen auch, wie das Silberfischchen, fütternden Ameisen den Tropfen vom Munde wegschnappt, dann ein kleiner Kakerlak, der bei den Pilzzüchterinnen haust, auf deren großen Soldatinnen er herumreitet, ja, sogar auf Männchen und Weibchen sitzend und durch die Lüfte kutschierend die Hochzeitsreise mitmacht. Auch das Spitzleibkäferchen hält das ölige Zeug, mit dem der Leib der Ameisen gesalbt ist, für einen sehr bekömmlichen Leckerbissen, zu dem man nur durch Behendigkeit und mittels freundlichen Streichelns gelangen kann.

Goldlockige Hexen

Einen wundervollen Ausspruch legt Sophokles seiner Antigone in den Mund: »οὔτοι συνέχθειν ἀλλὰ συμφιλεῖν ἔφυν.«

(Nicht mitzuhassen – mitzulieben bin ich da.)

Nach diesen beiden Worten hat die Wissenschaft die hauptsächlichsten Vertreter unter den Ameisengästen nicht gerade sehr glücklich benannt. Wir haben gesehen, daß bei den Ameisen einmal eine Fülle innerlicher und äußerlicher Schmarotzer hausen; daneben eine ganze Schar von Nestmitbewohnern, denen die Emsen ziemlich gleichgültig gegenüberstehn, und die man daher am besten als neutrale Gäste bezeichnet. Auch die dritte Art der Gäste haben wir schon kennen gelernt; es ist das Raubzeug, das die Ameisen und ihre Brut verfolgt und von ihnen wieder verfolgt wird. Ein gegenseitiger Haß begründet dieses Verhältnis, das man daher ganz richtig Synechthrie (Mithaß, gegenseitigen Haß) nennt. Schief aber wird das Bild, wenn man diese Klasse der Raubgäste, wie die Wissenschaft das tut, ›Synechthren‹ nennt, denn die Emsen sind den Käfern gegenüber geradesogut Hasser, wie diese das ihnen gegenüber sind.

Noch falscher aber wird die wissenschaftliche Bezeichnung für die letzte Art der Ameisengäste, die sie Symphilen nennt. Zu diesen Gästen hegen die Ameisen eine ganz seltsame Liebe, die oft die zu ihrer eigenen Brut noch übertrifft. ›Symphilia‹ (gegenseitige Liebe) wäre also ein passender Ausdruck für dies Verhältnis, wenn diese Liebe von den Gästen auch nur einigermaßen erwidert würde. Das scheint nun aber garnicht der Fall zu sein – im Gegenteil sind fast alle diese echten Gäste dem Ameisenvolke äußerst schädlich. Symphilen (Mitliebende) also könnte man wohl die Ameisen bezeichnen, nicht aber die Gäste – die Wissenschaft hat's umgekehrt gemacht.

Fast alle diese Heißgeliebten gehören dem Käfergeschlecht an. Man kann sie Wölfe im Schafspelz nennen. Oder auch: Vampire.

›There was a fool and he made his prayer
(Even as you and I!)
To a rag and a bone and a hank of hair.
(Even as you and I!)‹

Mit dem Unterschiede nur, daß Kiplings Vampir eine Frau und die Narren – du und ich – die Männer sind. Die Emsen aber, die so närrisch auf das ›Hank of Hair‹ (das Haarbüschel) ihrer Geliebten sind, sind alle ausgewachsene Jungfern. Das goldene Haar ist ein altes Zaubermittel, womit schon manche kluge Hexe Lorelei die blöden verliebten Schiffer gefangen hat.

Die Symphilen sind die Loreleis der Insektenwelt: schönes, langes, goldenes Haar ist ihr Zaubermittel, mit dem sie die sonst so vernünftigen Emsen verführen. Da hört's eben auf mit allem gesunden Menschenverstand und Ameiseninstinkt, wenn eine richtige, goldene Hexe sich blicken läßt!

Goldhaarige Hexen zeigen keine Scheu; sie sind sich ihres Wertes und der Zaubermacht ihrer Locken durchaus bewußt. So ist das Benehmen der Käferhexen in der Ameisenstadt durchaus verschieden von dem aller andern Gäste. Während diese sich möglichst versteckt halten, nur gelegentlich sich den Emsen nähern, um, stets auf der Hut, bei der kleinsten Bewegung wieder zu verschwinden, sich auf die Schnelligkeit ihrer Beine oder auf die Feste ihres Panzers verlassend, benehmen sich die Symphilenkäfer genau so, als ob die ganze Ameisenstadt nur ihnen gehöre, als ob alle Emsen eigens für sie geschaffen und nur zu ihrer Bedienung da wären. Sie sind stets von einer Schar von Bewunderinnen umgeben, die dem goldenen Loreleihaare zuliebe bereit sind, alles für sie zu tun.

Was für eine Bewandtnis hat es nun mit diesen geheimnisvollen Goldlocken, die ihre Besitzer zu den wahren Herren des sonst so herrenstolzen Ameisenvolkes machen?

Die Käfer haben Drüsen an verschiedenen Körperstellen. Dort, wo diese Drüsen sich in Poren öffnen, befinden sich goldene Haarbüschel. Aus den Poren schwitzen sie eine dünne, fast ätherische Flüssigkeit aus, die das Goldhaar befeuchtet und für die Emsen wunderbar duften macht. Aber nicht der Duft allein ist es, der die Ameisen anzieht, mehr noch der seltsame Äthertropfen selbst. Denn er schmeckt wie Nektar und – das ist die Hauptsache – er berauscht dazu.

Faust sah, als ihm Mephisto in der Hexenbar den ›mixed-drink‹ reichen ließ, ›mit diesem Trunk im Leibe, bald Helena in jedem Weibe.‹ Nicht anders ergeht es den Ameisen. Ein Tröpfchen nur von dem Zauberäther der Goldhaare und sie erblicken in jedem der häßlichen Käfer einen Achill und Apoll der Insektenwelt.

Dieser süßduftende, berauschende Äther der Goldlocken also ist es, der die Emsen – um aus aller Hexenpoesie heraus- und wieder in die nackte Wirklichkeit hineinzukommen – anlockt wie Baldrian die Katzen. Jeder echte Schuljunge hat einmal, wenn er seinem verehrten Herrn Lehrer oder seiner geschätzten Tante ein echtes Katzenkonzert bescheren wollte, mit Baldrian Versuche gemacht und gewiß stets die schönsten Erfolge erzielt. Er weiß, daß die Katzen sich dabei völlig berauscht benehmen – nicht anders ist es bei den Emsen.

Die Ameisen berauschen sich also – und dieser Rausch kann recht gefährliche Folgen haben, sowohl für die einzelne Emse, wie für ihr ganzes Volk. Die Lockenkäfer schaden freilich mit dem Zauber ihrer Goldhaare der einzelnen Ameise kaum, bringen ihr nur Wonne und Lust, nicht aber Krankheit noch gar Tod. Die Aufführung eines solchen Trauerspiels ist vielmehr einer auf Insulinde lebenden Wanze vorbehalten geblieben, welche die Loreleisage in der Insektenwelt mit geradezu verblüffender Treue zur Wahrheit macht.

Diese Wanze haust nicht im Ameisennest, sondern treibt sich frei im Walde herum. Aber sie hat – als einziges außerhalb von Ameisenstädten uns bekanntes Insekt – Rauschtrank spendende Poren unter goldenen Haaren. Ameisen aus dem Geschlechte der Langhälse sind ihre Opfer: sie steigen hinauf auf die Loreleifelsen – Bambusrohre – und trinken von dem Trank der Vampirhexe. Eine nach der andern schlürft den Wonnetrank, eine nach der andern fällt in schwerer Betäubung hinunter auf die Erde. Und langsam, bedächtig, kriecht endlich die Hexe hinab – nicht mehr, wie vorher, eine goldlockige Verführerin, sondern jetzt nur das, was sie wirklich ist: eine alte Wanze, die ihrem scheußlichen Vampirhandwerk nachgeht. Sie greift die erste der in tiefem Schlafe ruhenden Ameisen und saugt sie aus. Saugt die zweite aus, saugt die dritte aus – ruht nicht eher, bis auch die letzte nur noch als jämmerliches Chitinhäutchen daliegt.

Recht erbaulich ist diese Geschichte von der Hexenwanze und den Ameisen, die hinter goldenen Locken und süßem Trank her sind. Jeder Antialkoholapostel, Männlein oder Weiblein, sollte sie in seine Predigt einflechten, um den bösen Säufern einen großen Schreck einzujagen. Vielleicht hilft's!

Jedoch sind die Käfer im Neste selbst dem Ameisenstaate weitaus gefährlicher als die Wanze auf ihrem Bambusrohr. Sie fordert nur einzelne Opfer, so zahlreich diese auch sein mögen, die geliebten Käfer aber vermögen, in einem sehr umständlichen Prozeß, ein ganzes Volk zugrunde zu richten.

Drei Arten sind es hauptsächlich, die sich in die Herzen der Ameisen eingeschlichen haben; das sind die Paussuskäfer, die Keulenkäfer und die eigentlichen Fransenkäfer. Sie haben, außer den duftenden Goldbüscheln, zum Teil noch andere Merkmale entwickelt, die sich bei nicht ausschließlich in Ameisennestern lebenden Insekten nicht vorfinden. So finden wir bei einigen eine merkwürdige Umbildung der Zunge: gewohnt, von den Emsen mit flüssiger Nahrung gefüttert zu werden, hat sich diese zu einem schwammartigen Gebilde umgestellt. Noch interessanter ist die Umbildung der Fühler, die auf die mannigfachste Art vor sich gegangen ist; besonders haben einige Paussusarten hierin Erstaunliches geleistet. Viel größer als die Ameisen, viel zu schwer auch, um von ihnen getragen zu werden, haben sie ihre Fühler zu festen Handgriffen umgewandelt, an denen sie sich von diesen hin und her ziehen lassen können. Übrigens haben einige Paussiden eine recht gefährliche Waffe, für den Fall, daß sie von einem Feinde angegriffen werden: sie vermögen aus Drüsen am Hinterleibe reines Jod auszuspritzen. Auch die Keulenkäfer, kleinerer Gestalt, sodaß sie von den Emsen getragen werden oder auch auf deren Rücken herumreiten, sind merkwürdige Gesellen. Sie haben zwar Augen, aber können damit nicht sehen, haben Flügel, aber können sie nicht lupfen. Dazu haben sie sich seltsame Fühler zugelegt. Einige Arten haben sie fest wie Griffe, andere wieder wie regelrechte Taktstöcke, die sie wie die Ameisen bewegen und gebrauchen können. Sie haben also die Ameisensprache gelernt, können sagen: ›Gib mir mal rasch was zu futtern!‹ Und können das so nett sagen, daß sie auch gleich was bekommen.

All diese Käfer leben ein rechtes Schmarotzerleben in der Ameisenstadt. Sie werden von den Ameisen herumgetragen oder gezogen, werden gefüttert und gepflegt und lassen zum Dank die Emsen an ihren goldenen Haarbüscheln lecken. Der Rausch schadet diesen nicht weiter, gibt ihnen vielmehr ein reines Lustgefühl; jedenfalls sind sie so darauf versessen, wie nur die ausgepichteste Trinkerseele auf ihr Schnäpschen. Soweit wäre alles in bester Ordnung. Nur: die Käfer begnügen sich durchaus nicht mit der Nahrung, die ihnen die Ameisen reichen, sie fressen dazu noch tüchtig von der Brut.

Am weitesten hat es hierin das Geschlecht der Fransenkäfer gebracht, von dem bisher zwei eurasische Arten, der sorglose Büschelkäfer und der echte Fransenkäfer, sowie eine amerikanische Art, der Gastfreundkäfer, genau untersucht und beschrieben wurden. Ihre Eier und ihre Larven werden von den Ameisen mit mehr Liebe gefüttert und aufgezogen wie ihre eigene Brut, die Käfer selbst werden in jeder Richtung verhätschelt. Wenn das Nest angegriffen wird, so retten die Emsen vor ihren eigenen Jungen die geliebten Käfer und deren Brut. Büschelkäfer und Gastfreundkäfer haben es in der Verständigung mit den Ameisen soweit gebracht, daß sie nicht nur die verliebten Tanten mit den Fühlern betrillern, sondern, wenn sie gefüttert werden, ihnen auch noch, nach Ameisenart, mit den Vorderfüßen die Wangen streicheln. Beide Arten zeichnen sich übrigens dadurch aus, daß sie die Völker, die sie mit ihrer Anwesenheit beglücken, regelmäßig wechseln. Sie wandern im Frühjahr von dem Volk, bei dem sie überwintern, zu einem anderen, und zwar dem einer ganz andern Art. Dort legen sie ihre Eier, die sie nun in dem neuen Neste den Ameisen zur Aufzucht überlassen, während sie selbst im Spätsommer zu ihren früheren Wirten – oder einem Volke von deren Art – wieder zurückwandern.

Der Grund, warum die Büschelkäfer und Gastfreundkäfer ihr Heim wechseln, liegt wohl darin, daß sie herausgefunden haben, daß allzuzärtliche Liebe schließlich auch von bösen Folgen sein kann. Es sind kleine, zarte Kerlchen, die viel schwächer sind, als die sie beherbergenden und betreuenden Ameisen. Im Hochsommer pflegt es heiß zu werden, und wenn es heiß ist, hat auch der Mensch mehr Durst als an kühlen Tagen; er sehnt sich dann nach einem guten und großen Trunk. Nicht anders ist es bei den Emsen: sie lecken in diesen heißen Tagen an den Goldfransen ihrer Käfer so gründlich herum, zerren, um ein letztes Bißchen des wunderbaren Dufttrankes zu erlangen, so heftig an den Haaren, daß die Käfer verwundet werden – ist das aber erst einmal geschehen, so werden sie unfehlbar aufgefressen. Es ist eben eine ›Liebe zum Fressen‹ geworden; man möchte fast an kannibalische Lustmorde denken, an denen ja die menschliche Kriminalistik auch nicht gerade arm ist. Ist ein Käfer erst einmal dem Vorlauterliebeauffressen zum Opfer gefallen, so gibt es in dem Ameisenstaate kein Halten mehr: in kürzester Frist werden alle Lieblinge verzehrt. Um dem zu entgehn, wandern die Käfer aus. Sie lassen ihre Brut zurück, die sorgfältig aufgezogen wird. Die Käferlarven rächen gründlich den Mord ihrer Eltern, indem sie nun ihrerseits ungeheure Mengen von Eiern und Larven der Ameisen vertilgen. Indessen wandern die Käfer zu einer andern Ameisenart; während der mehrwöchigen Reise hat sich ihr Vorrat des Zaubertranks wieder erneut und sie werden mit offenen Herzen und Mäulern von ihren Winterwirten – einer meist kleinen Ameisenart, die darum auch nicht so zärtlichkräftig küssen kann – aufgenommen. Im Frühjahr kehren sie zu ihren alten Freunden zurück, als ob nichts geschehen wäre – ja, sie werden häufig von diesen abgeholt und im Triumph nachhause geleitet.

Übrigens sind die ausgewachsenen Büschelkäfer und Gastfreundkäfer nicht die einzigen, die sich in den schwülen Sommertagen vor der allzugroßen Emsenliebe hüten müssen: noch viel gefährlicher ist diese Liebe für die jungen, eben den Puppenwiegen entschlüpften Käfer. Die Käferlarven, die fürchterlich unter der Ameisenbrut gehaust haben, können sich selbständig eingraben und verpuppen – findet jedoch eine Ameise eine solche Puppe, so verzehrt sie diese sofort. Sobald die jungen Käfer aus den Puppenwiegen ausgekrochen sind, heißt es bei ihnen: ›Rette sich, wer kann!‹ Sie fühlen instinktiv, daß ihr noch allzu weicher Chitinpanzer der stürmischen Leckzärtlichkeit der Emsen nicht gewachsen ist und fliehen Hals über Kopf aus dem Neste, verfolgt von den Ameisen, die sie, meist vergeblich, wieder einzufangen sich bemühen. Sie halten sich dann längere Zeit im Freien auf, um im Spätsommer das Wintergastvolk aufzusuchen.

Dagegen bleibt der europäische Fransenkäfer stets bei dem von ihm einmal erwählten Wirtsvolke aus dem Stamme der blutroten Sklavenjägerinnen.

Die Blutroten gehören zu den hochstehenden Ameisen – gerade sie aber leiden am meisten unter der Pest der Fransenkäfer. Diese, um des Zaubertrankes ihrer Goldlocken von den Emsen geliebt und gehätschelt, legen ihre Eier zwischen die der Ameisen. Die Brut wird von den Ameisen sorgsam, genau wie ihre eigene Brut, aufgezogen, aber die großen Käferlarven sind gefräßig, begnügen sich nicht mit der ihnen dargereichten Nahrung, sondern fressen daneben die Ameiseneier und Larven in größten Mengen auf. Trotzdem nimmt die liebende Fürsicht der Emsen für sie noch zu; ihre eigene Brut, ja sogar die Mutter-Königin wird darüber mehr und mehr vernachlässigt, sodaß nur noch wenige Männchen, fast gar keine Weibchen und nur kleine schwache Arbeiterinnen sich aus den Eiern entwickeln. Und nun zeigt sich in dem Neste eine eigentümliche Entartungserscheinung: es entwickeln sich nämlich eine Anzahl von Ameisen, die man ›Falsche Weibchen‹ genannt hat und die sich als ein Mittelding zwischen Arbeiterinnen und echten Weibchen darstellen. Sie haben zwar die weibliche Brust, gleichen aber sonst, an Leib und Kopf, den Arbeiterinnen. Dazu sind sie bleich, faul und feige – völlig aus der Art der sonst so außerordentlich tüchtigen Blutroten geschlagen. Solcher Parias, die im Ameisenstaate zu nichts nutze sind, werden in jedem Jahre mehr und mehr bei einem Volke, das Fransenkäfer als Gäste hält. Immer schwächer wird der einst blühende, nun dem sicheren Untergange geweihte Staat. Nur wenn Fransenkäfer im Neste sind, tritt diese seltsame Form der ›Falschen Weibchen‹ auf; in einem Neste, das frei ist von den Gästen, werden sie niemals gefunden.

Um diese seltsame Erscheinung zu erklären, hat man sich weidlich die Köpfe zerbrochen. Es steht fest, daß sowohl die Mutter-Königin, als auch die von ihr gelegten Eier durchaus gesund sind, also muß der Grund zu der merkwürdigen Mißbildung der jungen Tiere erst während der Entwicklung zu suchen sein. Am einleuchtendsten und einfachsten scheint mir die Annahme zu sein, daß die ›Falschen Weibchen‹ aus weiblichen Larven hervorgingen, die von den Emsen während der Larvenzeit nicht weiter gefüttert wurden und daher nun, völlig unterernährt, sich nicht zu vollen Weibchen entwickeln konnten. Ob aber dieses Nichtfüttern wieder seinen Grund darin hat, daß die Emsen alle Speise den von ihnen vorgezogenen großen und nimmersatten Käferlarven geben, sodaß für die eigene Brut nichts mehr übrig bleibt, oder ob sie die eigenen Larven mit vollem Vorbedacht nicht mehr füttern, um so den Versuch zu machen, aus den werdenden Weibchen Arbeiterinnen zu erzielen, und dadurch den starken Ausfall der zukünftigen Arbeitskräfte wieder wettzumachen – das lasse ich dahingestellt. Möglich wäre es, daß die sonst so klugen Ameisen solchen Irrtum begehn, den Irren ist emslich, wie es menschlich ist.

Und es ist gerade einem Irrtum der Emsen zu verdanken, daß infolge der gefährlichen Liebe zu den goldgelockten Fransenkäfern nicht längst das ganze stolze Geschlecht der Blutroten ausgestorben ist. Dieser Irrtum besteht darin, daß die Emsen, die die Ammendienste im Neste versehen, die fremde Brut genau so pflegen und behandeln, wie ihre eigene. Solch sorgsame Pflege bekommt der Käferbrut ausgezeichnet – bis auf ein kleines. Die Ameisen helfen nämlich ihrer eignen Brut – und genau so der fremden – beim Verpuppen, indem sie die Larven in die Erde betten. Hat eine Larve sich dann verpuppt, so wird sie wieder ausgegraben; die Puppen werden herumgetragen, bald in diese, bald jene Kammer gebracht. Das ist für die Ameisenpuppen das beste Verfahren – aber es schickt sich durchaus nicht für die Käferpuppen. Diese verlangen, in der Erde liegen zu bleiben und nicht weiter belästigt zu werden – sie gehn bei der weiteren liebevollen Pflege, eine um die andere, ausnahmslos zugrunde. Nur einige wenige Puppen überleben, um sich zu Käfern zu entwickeln – es sind diejenigen, die die Ammen auszugraben vergessen haben. Dem kleinen Irrtum also, daß die Emsen die überaus geliebte fremde Brut, der sonst die herkömmliche Kinderpflege so trefflich bekommt, auch in diesem Punkte so behandeln, wie die eigne, daß sie nicht begriffen haben, daß man Fransenkäferpuppen nicht ausgraben darf, sondern ruhig in der Erde liegen lassen muß, diesem Irrtum allein verdankt das Geschlecht der Blutroten sein Fortleben. Lernen sie erst einmal diesen Irrtum als solchen erkennen, so ist es um sie geschehen – es sei denn, daß sie vorher einsehen, wie gefährlich ihre Liebe zu goldlockigen Hexen und deren Zaubertrank ist.

Der myrmekophile Kellner

Sophie, das Stubenmädel, sagte mir, daß der Heinrich, der kleine, dicke Zimmerkellner, auch Ameisennester in seinem Zimmer habe. Da war ich ganz stolz und nahm mir vor, ihm meine Gönnerschaft zukommen zu lassen. Wenn man so Jünger macht, fühlt man sich bald als Prophet.

Ich ging also in den zweiten Stock, um mir seine Völker anzusehen. Ein strohblonder Bursch ist der Heinrich – mit treuen blauen Augen – seine Ameisen haben's gut bei ihm. Nur: er ist durchaus nicht mein Jünger. Schon seit Jahren ist er hier im Hause und hat ebensolange seine Nester. Ein Buch hat er freilich nie gelesen und seine Ansichten sind ein bißchen komisch; fest überzeugt ist er, daß die Ameisen viel gescheiter seien als Menschen.

Na, so ganz unrecht hat er nicht.


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